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Sylvesternacht 1920.

Vor einer halben Stunde sind wir von der bescheidenen Sylvesterfeier aufgestanden: Müldner, Zobeltitz und ich.

Also eine ganz richtige kleine Gesellschaft!

Wie habe ich mich gefreut, als Zobel, sowie der Eisgang das erlaubte, doch herüberkam.

Aber der Abend heute ist trotzdem still und schwer gewesen. Gleichsam, als ob ein jeder heimlich im Gespinst der eigenen Gedanken gefangen hinge und als ob jeder, wenn er sprach, sich ängstlich vorsähe, wie er die Worte setze, daß er nicht irgendwie an Leid und Wunden rührte.

Ein Glück, daß wir den guten Zobel hatten mit seiner orangegelben Strickjacke und seinem unverwüstlichen melancholischen Humor. Der hat die Gabe, auch das bitter Harte durch seine stille, überlegene Narrenweisheit milder und erträglicher zu machen. –

Was einem doch in solchen Stunden nicht alles durch die aufgestöberten Gedanken läuft!

Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft – ein bunter Film, in den man als ein armer, hilfloser Zuschauer starrt.

Und Menschen: die Frau, die Kinder, Eltern und Geschwister, die alle auch jetzt, in der letzten Nacht des alten Jahres, irgendwo an mich denken.

Die lieben Kameraden aus dem Felde – die lebenden und toten! Freunde, wenn es am Ende auch so anders kam: was ihr für unser armes Vaterland, für unsere Sehnsucht und für unser Hoffen aus bestem Opferwillen hingegeben habt, wird nicht verloren sein. Und eure Taten bleiben heiliges Vorbild und bleiben beste Saat für eine neue Zeit der wieder stark an sich und ihre Sendung glaubenden Deutschen – für eine Zeit, die kommen wird – die kommen muß!

Und all die anderen Gesichter aus den Jahren vor dem Kriege! Aber das ist mir jetzt, als ob das alles schon viel weiter noch zurückläge als nur sechs oder sieben Jahre. Als ob schon sachte ein dünner Hauch von Staub sich darauf senken wollte. So vieles, das man sich so, wie es war, nicht wieder denken könnte. Ich glaube doch, wir haben alle in dem bitteren Erfahren viel gelernt. – Und doch erst sieben Jahre.

Wie schnell das Leben rinnt!

Und wieder in sieben Jahren?

Weiß Gott, es geht uns armen Deutschen jetzt ganz elend schlecht – und ich persönlich kann über Bevorzugung eigentlich auch nicht klagen. Aber wenn ich ins Weite schaue und an die Zukunft denke, dann ist's mir doch, als müßten wir den Weg ins Helle in nicht zu weiter Zeit wiederum finden können!


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