Ernst von Wolzogen
Die tolle Komteß
Ernst von Wolzogen

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Vierzehntes Kapitel.

Handelt von Abschieden und Ueberraschungen, bringt eine Stilprobe der Witwe Bandemer und endlich auch eine Verlobung. Die tolle Komteß nimmt eine ernste Beichte ab.

Am andern Morgen um acht Uhr fand ein thränenreicher Abschied statt. Vicki war schon ganz verweint zum Frühstück heruntergekommen, und als ihr Hanswurstfink sehr gerührt sein Aquarell als Erinnerungszeichen einer unvergeßlich schönen Stunde überreichte, da brach der Jammer vollends los und machte sich in herzbrechendem Schluchzen und in einem Strom von Thränen Luft. Der Künstler beeilte sich zur Thür hinaus zu kommen, denn des alten Teerfinken Sohn mit einem ganz unvernünftigen Komteßchen um die Wette heulen zu sehen, das sollte man auf Räsendorf nicht erleben. Ganz besonders gerührt war die Dienerschaft, die einmütig für ihre Komteß Viktoria schwärmte. Sötbier, der Gärtner, hatte den guten Einfall, einen Korb voll der ersten reifen Aepfel zur Wegzehrung darzubringen, denn ihre Vorliebe für dieses Obst war von früher Kindheit an eine wahrhaft leidenschaftliche gewesen. Sie ließ auch ihren Aepfelkorb nicht aus dem Arm, als sie endlich die Kutsche bestiegen hatte, und stellte so in ihrer frischen saftigen Fülle, ihrer zarten reifen Rundung das Idealbild einer jugendlichen Pomona dar.

Komteß Marie hatte von ihrer Schwester schon im Bett Abschied genommen. Sie fühlte sich so elend, daß sie nicht aufzustehen vermochte. Doch stellte sie ihren baldigen Besuch 110 in Berlin in Aussicht, wohin sie doch bald werde reisen müssen, um einen berühmten Frauenarzt zu Rate zu ziehen.

Das Fräulein Sophie hatte beim Frühstück ihres Amtes gewartet wie gewöhnlich; doch war dem Grafen Karl Egon Emich nicht entgangen, wie merkwürdig alt und übernächtig sie aussah. Er machte sich die heftigsten Vorwürfe darüber, daß sein kecker Streich und die Angst vor den möglichen Folgen desselben dem armen Mädchen eine schlaflose Nacht bereitet habe. Auch fiel es ihm auf, daß die Gräfin das Fräulein heute mit kränkender Absichtlichkeit wie nicht vorhanden betrachtete, und einmal glaubte er auch einen vorwurfsvollen Blick aus den großen, dunkel umränderten Augen Sophiens empfangen zu haben.

Am Nachmittag desselben Tages reiste auch Fräulein Sophie ab mit dreitägigem Urlaub nach Lüneburg. Norwig hatte sie vorher nicht wiedergesehen, da er sein Mittagessen zu früherer Stunde auf seinem Zimmer eingenommen hatte.

Es war ein arbeitsreicher Tag gewesen, und man hatte später Feierabend gemacht als gewöhnlich. Noch niemals hatte der sanfte Ludolf Reusche so grimmig geflucht und gewettert wie heute. War es das abscheuliche Regenwetter, das ihn so verstimmte, oder war es eine Mitteilung des Wirtschafters Brinkmann, die er am frühen Morgen entgegengenommen hatte. Sicher war, daß zwischen diesen beiden, die sonst einigermaßen auf dem Kriegsfuße standen, eine plötzliche Busenfreundschaft ausgebrochen war, welche sich besonders darin zeigte, daß die beiden mit auffallender Uebereinstimmung die gleiche steife, kühle, schweigsame Haltung gegen den Herrn Oberverwalter einnahmen. Trotz des schlechten Wetters warf sich der Inspektor nach Feierabend noch in seinen feierlichsten Sonntagsstaat, um bei dem Herrn Prediger seine Aufwartung zu machen. Und am nächsten Tage, kurz vor Tische, erbat er sich eine Audienz bei der gnädigen Frau Gräfin, in welcher er seine Verlobung mit Fräulein Beate Meusel anzeigte.

Am dritten Tage nach der Abreise des Fräuleins Sophie traf für Herrn Maler Hans W. Fink ein Brief mit dem 111 Poststempel Lüneburg ein, welcher von diesem der Gräfin vorgelegt wurde und also lautete:

»Sehr geehrter Herr Fink!

»Obwohl ich von Ihre Familie, die mich nie auch nur das Schwarze unter dem Nagel nicht gegönnt hat weder vor dem Wachtmeister noch als Wittwe sondern im Gegentheil nur immer über der Acksel angesehen und nichts von mir wissen wollen außer mal geuhzt wegen den Papagei ich habe ihn den Hals umgedreht und ausstopfen lassen. So will ich doch Ihre Bitte endsprechen da sie in anständige Form abgefaßt ist. Ich theile also mit, daß die Dame, wo sie das Bild von gezeichend haben, meine Tochter Sophie nicht ist und bemerke noch vorzüglich daß mir von Bildung und Sprachen und was Sie sonst schreiben an meine Tochter nichts bekannt ist außer das ellegande Auftreten was sie von mir haben muß. Ich habe zwar die Sophie immer fleißig zur Schule angehalten und einen moralischen Lebenswandel empfolen aber das Göhr war immer faul wie die Sünde und nicht zu halten und war ich froh wie mir mit vierzehn Jahren ihr Vater das Geld schickte, daß ich sie nach Amerika schicken konnte denn als anständige Wachtmeister Tochter paßte sie gar nicht. Zuletzt hat sie geschrieben vor fünf Jahren daß sie einen Schwarzen geheirathet hätte der Koch in einem reichen Hause war und bedaure ich diesen Menschen! Seitdem habe ich nichts weiter gehört und freut mich das sehr denn ich bin eine anständige Wittwe und wüßte auch nicht, was sie in Deutschland zu suchen hätte.

»Ihre Grüße erwiedere ich freundlichst und zeichne ergebenst

Selma Bandemer              
verw. Wachtmeisterin jetzt      
Posamentir und Schnittwaaren.«

Da Fräulein Sophie selbst weder zurückkehrte, noch sonst etwas von sich hören ließ, so hielt man sich für überzeugt, daß die kecke Abenteurerin das Weite gesucht habe.

112 »Te te te« – machte die Frau Gräfin. »Daß man sich so in einem Menschen täuschen kann! Und da habe ich die arme Beate gar noch übel angeblasen, daß sie mir das saubere Treiben dieser Personage aufdecken wollte! Na, ich werde mal heut gleich hinüber gehen und der kleinen Braut abbitten. Ein schönes Hochzeitsgeschenk soll sie auch haben. – Und mein guter Mann . . . potztausend, habe ich den schlecht gemacht! Und er hat alles auf sich genommen – er ist doch wirklich ein ganzer Kavalier, mein Helmut! Nein, nein – nie wieder nehme ich mir eine solche Person ins Haus! Man weiß ja nie was für Schlangen und Otterngezücht man da an seinem Busen wärmt.« –

Der Graf schrieb, daß Vicki von Tante Auguste mit offenen Armen empfangen worden sei und um baldige Sendung eines neuen Korbes Aepfel bitte, da sie gleich am Tage ihrer Ankunft ihren ganzen Vorrat unter die Schwestern verteilt hätte. Um ihr ein bildendes Vergnügen zu machen, habe er sie am zweiten Tage in das Museum geführt. Aber die alten Bilder habe sie gräßlich gefunden und behauptet, Herr Fink könnte doch viel schöner malen. Durch die Skulpturensäle seien sie anstandshalber sehr schnell hindurch gegangen. Vicki habe auch den alten zerbrochenen Puppen nicht viel nachgefragt; nur die Bildsäule des Kaisers Augustus habe ihr Eindruck gemacht, und als sie aus dem Katalog ersehen, wen sie vor sich hatte, habe sie ganz laut den Scheffelschen Vers aus dem bekannten Römerliede herunter geschnurrt: »Dem Augustus blieb vor Schrecken ein Stück Pfau im Halse stecken.« Und darüber sei ein würdiger alter Herr in ihrer Nähe von einem derartigen Lachkrampf befallen worden, daß der Galeriediener ihm schleunigst Wasser ins Gesicht spritzen mußte. – Das ausführliche Schreiben des Grafen schloß mit einer Bitte um Verlängerung seines Urlaubes um einige Tage, da er einige liebe alte Freunde angetroffen habe, die ihn sobald nicht loslassen wollten.

Und da die gute Gräfin sich noch der grausamen Schwitzkur wegen ihrem Gatten gegenüber schuldig fühlte, so gewährte sie in einem zärtlichen Schreiben diese Erlaubnis, sogar ohne die üblichen Ermahnungen. –

113 Meister Fink malte in dieser Zeit mit einem wahren Feuereifer darauf los; es drängte ihn offenbar, bald aus diesem Hause herauszukommen, das so wehmütig süße Erinnerungen für ihn hegte und ihm trotz der Liebenswürdigkeit der Gräfin so schauerlich öde und unheimlich erschien, seit das glockenhelle Lachen Viktoria Pomonas nicht mehr durch die weiten Hallen schallte. –

Komteß Marie hatte sich in jener denkwürdigen Nacht eine Erkältung mit leichtem Fieber zugezogen, welche sie wiederum tagelang ans Bett fesselte. Am fünften Tage erst vermochte sie aufzustehen, durfte aber noch nicht ihr Wohnzimmer verlassen. Am Nachmittag erschien die Mutter, um sie zu fragen, ob sie vielleicht Herrn von Norwig in einer gewissen wirtschaftlichen Angelegenheit die erbetene Auskunft geben könne. Die Komteß bejahte und ersuchte die Mutter, ihr den Verwalter heraufzuschicken.

Norwig fand die Komteß auf ihrem Ruhebett ausgestreckt. Ein Morgenrock von dunkelblauem Tuch schmiegte sich in weichen Falten um ihre herrliche Gestalt. Mattgelbe Stores dämpften das Licht, wie der dicke Teppich das Geräusch der Schritte. Eine milde Dämmerung lag wie ein leichter Schleier auf den messingbeschlagenen Rokokomöbeln, den geblümten Polsterbezügen und den zahlreichen zwecklosen Kleinigkeiten in Porzellan, Metall, Holz und Leder, wie sie sich in den Wohnzimmern vornehmer junger Damen anzuhäufen pflegen. Auf dem geschweiften Schreibtisch stand eine zopfige kleine Pendüle, deren spitzes hastiges Ticken etwas frauenhaft Nervöses an sich hatte.

»Kommen Sie, setzen Sie sich hier zu mir,« sagte die Komteß, nachdem sie sich begrüßt und einige Worte über ihren leidenden Zustand gewechselt hatten.

Norwig zog einen Stuhl an den Diwan heran und setzte sich so, daß er ihr Gesicht sah. »Was werden Sie sagen, Komteß,« begann er, »daß ich die versprochene schriftliche Beichte nun doch nicht mitbringe?«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen – ich weiß alles!« Und sie erzählte ihm mit kurzen Worten, was sie aus dem Munde seiner Frau erfahren hatte, ohne jedoch 114 der beleidigenden Form, in welcher dies geschehen war, zu erwähnen.

»Sie hat Ihnen die Wahrheit gesagt,« versetzte Norwig leise, aber fest, nachdem sie mit ihrem Bericht zu Ende war. »Ich lege mein Geschick in Ihre Hand, Komteß. Sie haben mir eine Neigung entgegengebracht, die meinen Stolz noch einmal mächtig aufgestachelt hat zum Trotz gegen mein Schicksal. Sie wissen jetzt, daß ich mir dieses Schicksal selbst verdiente, daß ich Ihres hochherzigen Vertrauens unwürdig bin. Ihnen kommt es zu, zu richten – ich werde mich Ihrem Spruche unbedingt fügen.«

»Sagen Sie mir nur eins,« begann die Komteß nach einer Pause des Nachsinnens, »liebten Sie Miß Clark?«

Er lächelte bitter und antwortete: »Ob ich sie liebte? Die Fähigkeit zu lieben war mir unter den entsetzlichen Erfahrungen meiner Ehe abhanden gekommen! Bedenken Sie doch: zu jenem wahnwitzigen Streich hatte mich doch nur Liebe, blinde, tolle Liebe verführt – das heißt, was ich damals dafür hielt. Als ich den Boden der Neuen Welt betrat, hatte ich mir einen ganz neuen Lebensplan, eine ganz neue Philosophie zurecht gelegt. Ich hatte eine wahrhaft närrische Angst bekommen vor allem, was mir bisher Ideal hieß; ich wollte mich daran gewöhnen, die Dummheit und Nichtswürdigkeit der Menschen mit cynischem Lachen als etwas Selbstverständliches, dem Wissenden Ergötzliches hinzunehmen. Ich wollte arbeiten, um zu leben, und vielleicht, wenn es mir glückte – leben, um zu genießen! Mein altes Ich konnte ich zu diesem Zweck nicht mehr gebrauchen, das fühlte ich schon nach kurzem Aufenthalte nur allzu deutlich an dem Mißbehagen, gegen das meine aristokratische Wohlerzogenheit auf Schritt und Tritt anzukämpfen hatte. Ich habe Ihnen schon davon erzählt. Die vornehmen Familien in den Vereinigten Staaten, die Knickebockers und F F Virginians sind stolzer und unnahbarer als unser ältester Adel. Ein deutscher Entgleister darf nicht hoffen, in diesen Ring einzudringen. Vielleicht daß er mit seinem ramponierten Rittertum in den Kreisen der Snobs und Nobodys noch einigen Effekt macht. Mir wenigstens führte die Ironie des 115 Schicksals einen solchen Liebhaber von Antiquitäten in den Weg. – Mister Clark war ein Getreidespekulant, der seine Geschäfte vorwiegend nach Deutschland hin machte. Er kannte deutsche Verhältnisse und Anschauungen einigermaßen von seinen Geschäftsreisen her, auf denen ihn auch seine einzige Tochter wiederholt begleitet hatte. Diesem Umstande hatte ich es wohl zu verdanken, daß mich die Herrschaften mit ihrem besondern Interesse beehrten. Ich trat als eine Art Agent bei ihm ein, hatte bestimmte ländliche Bezirke zu bereisen und das Getreide bei den Farmern aufzukaufen. Schon nach wenigen Monaten hatte ich mir das Vertrauen des Chefs so sehr gewonnen, daß er mir eine leitende Stellung in seinem New Yorker Büreau einräumte. In dieser Stellung war ich eifrig bemüht, die deutsche Landwirtschaft ruinieren zu helfen, indem ich den deutschen Juden mit unserm billigen amerikanischen Getreide ihre Speicher den Rhein hinab bis Mannheim füllen half. Ich, derselbe Mann, der über diesen Gegenstand noch vor wenigen Jahren eine Broschüre geschrieben hatte, welche meiner Meinung nach nicht verfehlen konnte, dem deutschen Michel den Schlaf aus den Augen zu reiben! Aber freilich, damals steckte ich noch in der ideologischen Puppe – da drüben erst lernte mein Geist seine Flügel gebrauchen, um über alle alten Vorurteile lustig hinweg zu flattern. – Ah, Pardon . . . ich schweife ab. – Die Clarks behandelten mich bald wie zur Familie gehörig, und ich merkte aus dem Benehmen des Vaters wie der Tochter bald genug, wo ihre Liebenswürdigkeit hinaus wollte. Der Alte war ein self made man, schlau, gutmütig, von komischem Aplomb im Auftreten, ängstlich und ungeschickt in den Formen – natürlich ohne alle Bildung. Seine Frau war gestorben, ohne die Glanzzeit des Geschäfts erlebt zu haben; die Tochter in den feinsten Pensionaten der Heimat wie des Auslandes erzogen worden. Sie war erst vor kurzem heimgekehrt, ausgerüstet mit sämtlichen Mordwaffen der modernen Bildung. Eine Konversation mit ihr nach dem Thee war eine geistige Anstrengung, welche ungefähr der des Abiturientenexamens gleichkam. Außerdem leistete sie Hervorragendes an 116 Fingerfertigkeit auf dem Klavier, mit Zeichenstift und Pinsel. Dabei war sie innerlich so kühl, wie es mein Bestreben war, es gleichfalls zu werden. Erst nachdem ich meine sämtlichen Examina mit der Zensur 2a bestanden hatte, begann sie kühnere Hoffnungen in meinem Herzen zu nähren. Zu der Zeit war es, als ich die Scheidungsklage gegen meine Frau einreichte – ich hatte mich als Junggeselle ausgegeben, weil die Annonce, die mich Herrn Clark zuführte, einen unverheirateten Mann verlangte. Mein Söhnchen hatte ich gut untergebracht in der Familie eines Privatschuldirektors, der mich eine Zeitlang als Lehrer beschäftigt hatte. Sie werden vielleicht begreifen, Komteß, daß mir Miß Clark in meiner damaligen Geistesverfassung sympathisch war. Ich sah sogar mit einer gewissen Verehrung zu ihr hinauf, als einem Wesen höherer Ordnung. Eine Ehe mit ihr konnte unmöglich die grausamen Enttäuschungen einer Liebesheirat im Gefolge haben! Sie würde ihre hübsche runde Million mit mir teilen, im übrigen aber nichts von ihrem Wesen aufgeben und auch meinen geistigen Besitzstand unangetastet lassen. Ich hatte mich nicht bemüht, ihr Herz zu berauschen, sie handelte also nach freiem, vernünftigen Ermessen, wenn sie mich heiratete. Wo sollten da die Enttäuschungen herkommen? Ich beschloß, mich heiraten zu lassen und danke schön zu sagen! An dem Ausgang meines Prozesses zweifelte ich nicht.«

»Aber warum eröffneten Sie dem Fräulein nicht ehrlich die volle Wahrheit, sobald Sie die Gewißheit hatten, daß Sie begehrt wurden?« warf die Komteß ein.

»Weil dann das Unwürdige, Abenteuerliche meiner Ehe an den Tag gekommen wäre – und dann wäre es um meine Respektability geschehen gewesen! Amerikanische Emporkömmlinge, welche sich erst in die gute Gesellschaft ihres Landes hineinarbeiten wollen, vermeiden aber nichts so ängstlich, wie eine Heirat mit abenteuerlichem Beigeschmack. Man wollte einen Mann von unzweifelhaft guter Familie, ohne unbequemen Anhang, mit feinen Formen und guten Kenntnissen, der sowohl als usher in für die Gesellschaft, wie als tüchtige Arbeitskraft im Geschäft zu gebrauchen war. Ich 117 durfte mir schmeicheln, diese Eigenschaften in meiner Person zu vereinigen. – Mister Clark legte mir eines schönen Tages die Sache so nahe, daß ich nicht mehr zögern konnte, ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten. Sie wurde mir von beiden Seiten ohne weiteres zugestanden und die Vorbereitungen zur Hochzeit in Angriff genommen. Zum Glück war mein Schwiegervater nicht so hinterlistig gewesen, Erkundigungen über meine Person in Deutschland einzuziehen. Uebrigens hatte ich vorsichtshalber bei meinem Schreiben an das Landgericht die Adresse jenes Schuldirektors angegeben, der meine Verhältnisse kannte, und auf dessen Verschwiegenheit ich zählen durfte. Ich war mir wohl bewußt, daß trotzdem ein mißgünstiger Zufall die Wahrheit an den Tag bringen konnte – aber ich war einmal entschlossen, va banque zu spielen. Eine Woche vor dem festgesetzten Hochzeitstage erhielt ich die Ablehnung meiner Klage. Meine Verlegenheit war groß. Ich zermarterte mir das Gehirn, um einen triftigen Vorwand zum Aufschub der Hochzeit zu ersinnen. Ich machte meinem Schwiegervater den Vorschlag, mir die nötigen Mittel vorzustrecken, um mein Gut wieder zurückzukaufen, da ich in den Augen der Gesellschaft von New York nicht als der arme Schlucker dastehen wolle, der der Großmut seiner Frau allein alles zu verdanken hätte. Allein diese nachträgliche Regung meines Zartgefühls wurde mit schlecht verhehltem Mißtrauen entgegengenommen. Nach der Hochzeit könnte ich mir ja irgendwo in den Staaten Land kaufen, wozu Mister Clark mir gern größere Summen zur Verfügung stellen wollte. Ich sah ein, daß ich auf diese Weise meinen Zweck nicht mehr erreichen würde. Ich hatte nur zu wählen, ob ich die Wahrheit sagen und dadurch meinen sichern Sturz herbeiführen oder der Gefahr der Entdeckung kühn ins Auge sehen wollte. Ich glaubte, meine Frau habe von meiner Absicht, mich scheiden zu lassen, gar nichts erfahren und die Angelegenheit würde danach ruhen, bis ich sie einmal gelegentlich einer Geschäftsreise nach Deutschland erledigen könnte. Mein einziger Schmerz war der, daß ich meinen lieben Bill jetzt nur mehr heimlich sehen durfte. Das Kind war kaum sechs Jahre alt – es mußte 118 also die Erinnerung an seine Eltern doch bald verlieren, und dann wollte ich ihm, je nachdem die Zukunft sich gestaltete, so oder so wieder nahe treten. – Nun, Sie wissen, wie prompt die Strafe meinem Vergehen auf dem Fuße folgte. Josephine suchte, sobald sie in New York gelandet war, zunächst meinen Freund, den Direktor auf, und es gelang ihr bald genug, trotzdem er meinen derzeitigen Aufenthalt nicht zu kennen vorgab, mich ausfindig zu machen. Ich war etwa einen Monat verheiratet, als sie eines schönen Tages mit Bill an der Hand eintrat und . . . Sie erlassen mir wohl die nähere Schilderung dieser Scene? – Ich war feige, ich floh vor der Strafe – ich floh vor mir selbst! Ich schrieb einen Abschiedsbrief an meine zweite Frau, in dem ich mich selbst wahrlich nicht schonte, und einen zweiten an meinen Freund, um ihm meinen Knaben auf die Seele zu binden. Ich gelangte unbehelligt nach Brasilien. Ich ging in das Innere, wie Sie wissen, und wurde dort so eine Art Oberroßhirt. In der großen Einsamkeit meines Daseins hatte ich Muße, mich auf mich selbst zu besinnen. Ich erkannte, daß in dieser Welt der ungesühnten Missethaten doch darin wenigstens eine ewige Gerechtigkeit sichtbar wird, daß kein Mensch ungestraft seine eigne Natur verleugnen darf. Das Blut, das in unsern Adern fließt, ist die bewegende Kraft, die unsre Maschine auf dem Geleise des Lebens vorwärts treibt. Wollen wir durchaus den Kessel mit einem fremden Stoffe füllen, so machen wir kläglich Halt, oder wir fliegen mit einem Knall in die Luft – jedenfalls hat es die Maschine zu büßen! – Ich hatte mein vierzigstes Lebensjahr noch nicht erreicht; ich konnte nicht mit zerbrochenem Räderwerk am Wege liegen bleiben, und darum brachte ich endlich die Maschine zur Reparatur wieder in die Werkstatt, aus der sie hervorgegangen war. Mit dürren Worten: mein Geist vermochte die völlige Vereinsamung nicht länger als drei Jahre zu ertragen. Ich kehrte nach Deutschland zurück, um ein neues Leben zu beginnen, unter den Bedingungen, welche meine Natur und die Ordnung der Gesellschaft mir vorschrieben. Ich bin zu Ende!« –

Wie furchtbar unruhig doch die Uhr tickte! Wie wenn 119 sie den Aufruhr der Gefühle im Herzen ihrer Eignerin mitfühlte und durch ihr hastiges Ticken und Tacken ihn auch dem Manne zum Bewußtsein bringen wollte, der ihn verschuldet hatte. Es deuchte Norwig eine Ewigkeit, bis die Komteß ihr beängstigendes Schweigen brach. Aber alles andre hätte Norwig eher erwartet, als die Frage, die sie nun an ihn richtete, eine Frage, durch die sie unwissentlich bewies, wie sehr die Liebe sie zum Weibe gemacht hatte.

»Und blieb Miß Clark auch nach der Hochzeit so kalt, so rein verständig?«

Aeußerst überrascht suchte Norwig nach Worten. »O Komteß, ich weiß nicht . . . sie war eine anmutige, junge Frau – ob sie glücklich war, weiß ich nicht – wir sprachen nicht darüber, so viel ich mich erinnere. Ich weiß nur, daß sie mich gleich anfangs zu ihrem gehorsamen Sklaven herabzudrücken versuchte, um mich fühlen zu lassen, daß ich doch nur Ihrer Majestät gnädigst erwählter Prince Consort sei.«

»Und Sie willigten darein?«

»Ah – ich erinnere mich, es gab eine Scene. Sie wollte eine Gesellschaft besuchen, die mir nicht recht war. Sie war sehr ungnädig den Tag über und schloß sich in ihrem Zimmer ein.«

»Und Sie?«

»Ich ging in meinen Klub.«

»Jeden Abend?«

»Nein, allerdings nicht mehr häufig seit jenem Tage: sie liebte es, mir abends vorzuspielen oder Deutsch vorzulesen, um ihre Aussprache zu verbessern.«

»Ah wirklich! Und waren Sie nicht glücklich in Ihrer neuen Häuslichkeit?«

»Ich hatte ja mein Herz verloren! Und nicht Zeit gehabt, zu dieser Frau ein bestimmtes geistiges Verhältnis zu gewinnen. Ich kann nur sagen: sie war mir sympathisch, doch ich hätte sie nie begehrt, wenn sie mir nicht angetragen worden wäre.«

Die Komteß vermochte nicht ein tiefes, schmerzvolles Aufatmen zu unterdrücken. »Können Sie vergessen?« sagte sie leise und mühsam, während dunkle Glut sich auf ihr 120 Antlitz legte: »Können Sie vergessen, daß ich mich hinreißen ließ . . . ich werde nie aufhören, mir darüber Vorwürfe zu machen . . . es soll meine letzte – Tollheit gewesen sein!«

Da sank Norwig vor ihrem Lager auf die Kniee, ergriff ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen. »Das je zu vergessen, wäre ja die härteste Strafe, die mich für meine Sünden treffen könnte! Ich bin der letzte, der Ihnen Ihre Tollheit falsch auslegen dürfte. Nein, lassen Sie Ihr Geständnis den Anker sein, an dem sich dies schwankende Fahrzeug festklammert in höchster Not. Es ist Licht geworden in meiner Seele seit jenem Tage – ich sehe ein hohes Ziel vor Augen: mich Ihrer wert zu machen. Ich darf nicht wagen, nach Ihrem Besitze zu streben, schmachbeladen wie ich bin, aber ich werde die Kraft finden, meine Strafe so zu tragen, wie Sie es von mir erwarten müssen. Das ist der einzige Dank, den ich Aermster der Armen Ihnen bieten kann.«

Sie hatte sich langsam aufgerichtet und die Füße zu Boden gestellt. Sie legte nun ihre Hand leicht auf sein Haar und sagte: »Der Aermste der Armen sind Sie nicht. Sie haben ein Kind, dessen Herz Sie sich wieder gewinnen dürfen und – eine Frau, die Sie liebt!«

Er blickte überrascht zu ihr empor. »Eine Frau? . . .«

»Ja – ich bin überzeugt, daß Ihre zweite Frau Sie lieben gelernt hat, weil Sie ihr den Mann gezeigt haben. Das war das Entscheidende! – Und nun will ich Ihnen sagen, was wir thun wollen. Wir müssen diese Abenteurerin entlarven, wir müssen die Scheidung durchsetzen – und dann müssen Sie nach Amerika zurückkehren und zu Ihrer zweiten Frau sagen: Hier bin ich, ein freier Mann . . . und dein, wenn du mir vergeben kannst! Ich glaube, sie wird vergeben.«

»Du Heilige – das würdest du thun, weil du mich liebst!« rief Norwig mit bebender Stimme: »Aber sie . . . nach einem solchen Skandal . . . es ist undenkbar!«

»Es ist Ihre Pflicht, sich ihr zu stellen.«

»Und wenn sie mich auch wieder aufnähme, wenn sie 121 nicht schon längst die Erinnerung an mich aus ihren Gedanken ausgestrichen und die Freiheit erlangt hätte, aufs neue zu wählen – wenn das alles auch nicht wäre: was könnte ich ihr jetzt noch sein!«

»Jetzt, wo Sie zu sich selbst zurückgekehrt sind, werden Sie ihr mehr sein als damals! Und wenn sie Sie liebt . . . man sagt: Liebe zeugt Liebe.«

»Ja, ja, ja, – tausendmal ja! Fühlst du das nicht selbst, Marie? Und du denkst nur an andre!«

In tiefer Erregung schlug die Komteß die Hände vor ihr glühendes Gesicht. Und dann fühlte sie sich plötzlich von seinen Armen fest umschlossen und seine Stimme raunte ihr mit berauschendem Klange ins Ohr: »Marie, ich liebe dich! Es ist ein neuer Frevel, den ich damit begehe, aber ich kann nicht anders – ich liebe dich, ich bete dich an!«

Lange hielt er sie fest umschlossen, dann sagte sie endlich: »Wenn du mich liebst, so gehe. Wir können so nicht miteinander leben. Thue deine Pflicht – ich will dir helfen. Und dann, wenn alles gekommen ist, wie es kommen soll, dann – schicke mir deinen Sohn! Laß mich seine Mutter sein!«

Thränen brachen aus seinen Augen. Er versprach alles, was sie wollte – und dann drängte sie ihn sanft von sich und bedeutete ihm zu gehen. Er gehorchte.

Noch an demselben Abend setzte sich Komteß Marie hin und schrieb einen langen Brief an Frau von Norwig, geborne Clark in New York. Mit einem heiligen Ernste, fast wie eine Mutter zur Tochter spricht, ermahnte sie die ihr unbekannte Dame, über ihren entflohenen Gemahl nicht den Stab zu brechen, wie über einen gemeinen Schwindler. Sie setzte ihr auseinander, daß in der Rückkehr zu seiner bessern Natur eine sichere Gewähr für ihre Zukunft liege, wenn nur ihre Liebe stark genug sei, um ihm die Schmach zu vergessen, die er ihr angethan habe. Von der Verworfenheit der ersten Gattin entwarf sie ein so grell beleuchtetes Bild, daß auch der strengste Richter dem Manne mildernde Umstände zugebilligt haben würde, der eine solche Zerstörerin seines 122 Lebensglückes als nicht mehr für sich vorhanden betrachten wollte. Zum Schluß bat sie, zunächst ihr Aufklärung darüber geben zu wollen, ob sie sich noch als Norwigs Gattin betrachte, und ob sie den reuig zu ihr Zurückkehrenden wieder in Liebe aufnehmen würde, wenn inzwischen die Scheidung von der ersten Frau wirklich erfolgt sei, und selbst wenn dieselbe die Bestrafung seiner Doppelehe in Deutschland nach sich ziehen sollte. Ueber ihr eignes Verhältnis zu Norwig verlor sie kein Wort; die Empfängerin mußte den Eindruck erhalten, als rühre dieses Schreiben von einer älteren Dame her, welche Norwig zur Vertrauten seiner Reue und seiner liebenden Sehnsucht nach der Verlassenen gemacht habe. Wenn sie ihn wirklich jemals geliebt hatte, so mußte diese echt weibliche, und doch auch vernünftig überzeugende Verteidigungsschrift zum mindesten das Herz der Verlassenen tief ergreifen, auch wenn es nicht in ihrer Macht lag, durch ihr Entgegenkommen das Geschehene ungeschehen zu machen. – –

Graf Pfungk kehrte nach einigen Tagen aus Berlin zurück, und zwar in nicht besonders heiterer Stimmung; denn er hatte in eingeweihten Kreisen über die wahrscheinliche nächste Zukunft gewisser agrarischer Hoffnungen recht wenig Erfreuliches, ja sogar bestimmte trostlose Prophezeiungen zu hören bekommen. Die Folge davon war, daß er den Urheber seiner kostspieligen Moorkultur mit weit weniger freundlichen Augen ansah, als wie bisher. Der Wege- und Brückenbau war bereits im Gange, zahlreiche Bestellungen gemacht und die Kaution für die Pacht erlegt. Inspektor Reusche, der von Anfang an, wenn auch nur aus Bequemlichkeit, gegen die Neuerung eingenommen gewesen war, triumphierte jetzt und ließ es an bissigen Bemerkungen gegen den vorschnellen Oberverwalter nicht fehlen. Auch der Graf konnte sich nicht enthalten, trotz der Achtung, welche er nach wie vor dem überlegenen Geiste Norwigs zollte, hin und wieder seinem Mißmute durch den Vorwurf Luft zu machen, daß er doch, als eben erst aus Amerika zurückgekehrt und besonders mit den mecklenburgischen Marktverhältnissen gar nicht vertraut, sich füglich etwas länger hätte besinnen 123 sollen, ehe er ihn, den Grafen, zu einer solchen Unternehmung drängte. Herr von Norwig nahm dergleichen Vorwürfe stillschweigend hin, ohne sich in seiner Ueberzeugung von der Ersprießlichkeit seines Werkes irre machen zu lassen.

Der gute Graf hatte übrigens in dem Strudel seiner vergnügten Berliner Tage seiner älteren Tochter nicht vergessen, sondern ihr vielmehr einen reizenden Korbwagen und ein Paar Pony-Grauschimmel erstanden, welche mit dem schon vorhandenen Paar ein stattliches und allerliebstes Viergespann bildeten. Da die Komteß sich von ihrer letzten Krankheit rasch wieder erholte, so konnte sie auch des väterlichen Geschenkes bald froh werden. Allerdings gewährte das Kutschieren ihr bei weitem nicht dieselbe übermütige Lust wie früher das Reiten, aber bei dem herabgedrückten Zustande ihrer physischen Kräfte genügte es ihr doch zur Erhaltung des Gleichgewichts zwischen Geistes- und Körperkraft. Sie fuhr viel mit ihrem Vater spazieren, machte mehr als sonst Besuche in der Umgegend und wußte sogar ihre Mutter nicht selten zur Teilnahme an diesen Ausfahrten zu verlocken, obwohl die letztere, wie sie sagte, ihr Leben viel lieber dem alten Hinrich anvertraute. Sie bestieg auch nie den neuen Korbwagen, ohne vorher Gott ihre Seele in einem Stoßgebet zu befehlen.

Auffallend war es, daß die Komteß es so geflissentlich vermied, mit Herrn von Norwig allein auszufahren. Inspektor Reusche glaubte diesen Umstand darauf zurückführen zu dürfen, daß er und Brinkmann die Kunde von dem nächtlichen Abenteuer des Herrn Verwalters mit der schönen Stütze angelegentlichst verbreitet hatten, und daß sie durch das Dienstpersonal auch wohl den Weg zu den Ohren der Herrschaften gefunden haben müßte. Darüber, ob das Fräulein freiwillig gegangen oder davongejagt worden sei, war nichts Sicheres zu erfahren. Die einzigen Personen im Weichbilde von Räsendorf, welche nach der Entfernung des Fräuleins noch treu zu ihr hielten, waren – die beiden Pastorstöchter!

Nach fünfzehntägiger eifriger Arbeit hatte Meister Fink 124 das Bildnis der Gräfin vollendet und zwar zur größten Zufriedenheit aller derer, die es zu sehen bekamen. Der Graf hatte zu Ehren des Künstlers ein kleines Abschiedsessen veranstaltet und dazu diejenigen seiner Nachbarn eingeladen, denen er einiges Kunstverständnis zutraute. Die Veranstaltung erfüllte vollkommen ihren Zweck, indem sie dem Künstler nicht nur schmeichelhafte Anerkennung, sondern auch einen neuen Auftrag einbrachte.

Kurz vor seiner Abreise händigte Fink dem Grafen auch das sauber ausgeführte Aquarell nach der Photographie des Fräuleins Bandemer aus.

Der Graf war entzückt davon und verleibte es mit großer Genugthuung seiner Galerie weiblicher Schönheiten ein, in welche er auch den Künstler einen Blick thun ließ. Hanswurstfink heuchelte großes Interesse für die verblaßten Zeugen menschlicher Schwäche; fühlte er doch, daß er der seinigen ein unvergängliches Denkmal in seinem Herzen bewahren würde, ja vielleicht auch in seiner Kunst – welche sich thatsächlich späterhin weit schönheitsfreudiger gestaltete. Zum Schluß ihrer vertraulichen Unterredung hatte übrigens der Graf noch eine Mitteilung aufgespart, welche ihn in nicht geringes Erstaunen versetzte.

»Es gibt doch wirklich Leute, denen man den Schwerenöter durchaus nicht ansieht,« begann der alte Graf lachend. »Von Ihnen hat mich's weiter nicht gewundert, als meine Frau mir erzählte . . . nun, lassen wir das, die Geschichte ist ja schon vergessen. Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms . . . nicht wahr, mein lieber Meister Fink? Ha ha! Aber hätten Sie wohl diesem Duckmäuser, meinem Neffen Bencken, etwas dergleichen angesehen? Ich würde es nie geglaubt haben, wenn ich es nicht mit eignen Augen geschaut hätte! Ich teile Ihnen das natürlich nur unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit mit – Sie haben ja aber ein gewisses Anrecht darauf, da es Ihnen ja auch gelungen ist, den kecken Schwindel unsers frommen Fräuleins Sophie zu entdecken.«

»Ah, Sie sprechen von dem sogenannten Fräulein Bandemer?«

125 »Ja, denken Sie: Als ich bei meinem Neffen in Friedenau einen unangemeldeten Abschiedsbesuch machte, huschte im Korridor eine Dame an mir vorüber, die ich ganz bestimmt als unser Fräulein Sophie erkannte. Das ist ja beinahe eine Entführung, was? Wo der gute Emich nur die Courage hergenommen hat! – Na, er ist ja sein freier Herr – gönnen wir ihm das Abenteuer! Ich that natürlich, als hätte ich nichts gesehen – es wäre dem guten Emich doch vielleicht genant gewesen, von seinem würdigen alten Onkel ertappt zu werden – ha ha! Meine Frau darf natürlich nichts davon wissen. Die Conduite der Dame geht uns ja auch nicht das Geringste mehr an, seit sie unserm Hausstande nicht mehr angehört. Helfen Sie mir nur, der Gräfin und meiner Tochter den sonderbaren Gedanken auszureden, dem Fräulein gegenüber Polizei spielen zu wollen! Mag sie heißen, wie sie will – sie ist jedenfalls so hübsch, daß man sie ihrem Berufe, Männer zu bezaubern, nicht gewaltsam entziehen darf! Schöne Hexen werden ja heute, Gott sei Dank, nicht mehr verbrannt!« –

In der That lehnte Meister Fink die Bitte der Komteß Marie, ihr seine Hilfe zur Aufdeckung der Vergangenheit des spurlos verschwundenen Fräuleins zu leihen, höflich, aber entschieden ab, weil er weder das Verhältnis seiner Familie zu der Frau Bandemer noch etwa die Liebesabenteuer seines jungen Freundes Wuvermann durch einen Strafprozeß an die Oeffentlichkeit gezogen wissen wollte.

Vierzehn Tage nach der Abreise Finks langte aus Helgoland ein Schreiben für den Grafen an, in welchem Karl Egon Emich, Graf und edler Herr zu Bencken-Büsterloh seine Vermählung mit Fräulein Sophie Eleonore Bandemer, einzigen Tochter der verwitweten Frau Selma Bandemer anzeigte, und um freundliche Nachsicht bat. Nach den ihnen bekannten Vorgängen auf Schloß Räsendorf sei es seine Pflicht als Edelmann gewesen, die unschuldig gekränkte Ehre des Fräuleins wieder herzustellen.

»O edles Biest von Büsterloh,« rief der Graf in komischer Verzweiflung aus, »jetzt erkenne ich dich wieder!«

Die Ausdrücke lebhafter Anerkennung für diese 126 Heldenthat, welche die Gräfin für angemessen hielt, entziehen sich der Wiedergabe. Aber die Anspielung auf die »bekannten Vorgänge« blieben ihnen allen rätselhaft.

 


 


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