Ernst von Wolzogen
Die tolle Komteß
Ernst von Wolzogen

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Fünftes Kapitel.

Handelt von »laxen Prinzipen« und Gurkensalat und nimmt ein Ende mit Schrecken.

Mit wahrer Augustglut zitterte am andern Morgen hellster Sonnenschein über den Wiesen und Feldern und flutete in breitem Strome durch den dunklen Tannengang des Parkes, als Fräulein Sophie ihr Fenster öffnete. Sie zog die Nadeln aus ihrem leicht gelockten dunklen Haar und ließ mit Behagen den morgenfrischen und doch warmen Lufthauch mit den weichen Ringeln spielen, und die blendende Weiße ihres Halses, ihrer zarten, runden Schultern, ihrer bloßen Arme kosen.

Da sah sie den Grafen um die rechte Ecke des Schlosses in den Kiesweg einbiegen, der an ihrem Fenster vorbei und dann in den Tannengang führte. Rasch wandte sie den zierlichen Kopf zur Seite und begann mit lässiger Anmut mit ihrem Haar zu spielen. Des alten Herrn erster Blick aber galt ihrem Fenster – und als er die holde Fei dort oben gewahrte, trat er rasch vom Wege auf das Gras, des Morgentaues nicht achtend, schritt unhörbar vorwärts und blieb, nachdem er sich durch einen raschen Umblick überzeugt hatte, daß er unbeobachtet sei, in möglichster Nähe des Fensters stehen. Die kleine Hexe da oben gönnte seinen hellen Jägeraugen reichlich Zeit, sich an ihrem Anblick zu weiden, ehe sie, den Späher scheinbar jetzt erst gewahrend, mit einem ganz leisen Schreckensruf und die Hände züchtig über den Busen deckend, rasch ins Zimmer zurückwich.

Eine kleine halbe Stunde später betrat Fräulein Bandemer bereits das Frühstückszimmer und küßte der Frau Gräfin mit einer tiefen Verbeugung die Hand. Die ungewöhnliche Wärme des Tages rechtfertigte die Wahl eines leichten Kattunkleides von sehr hellem, gelblichem Tone, das zwar sehr einfach gefältelt und ausgeputzt war, aber sich ihrem Körper mit 76 tadelloser Eleganz anschmiegte. Komteß Marie, welche gleichfalls, mit den Vorbereitungen zum Frühstück beschäftigt, anwesend war, erwiderte ihren Gruß ziemlich kühl, richtete aber ihren festen, klaren Blick forschend auf das Fräulein, als sie sie fragte, wie sie mit ihrem Zimmer und ihrem Lager zufrieden, ob sie gut geschlafen und nicht zu früh von der zudringlichen Sonne geweckt worden sei, die in den oberen Zimmern des Ostflügels durch die dünnen Vorhänge allerdings etwas gar zu leichten Zutritt habe.

»Komteß sind zu gütig,« versetzte Fräulein Sophie mit einem dankbaren Aufblick. »Ich fühle mich in meinem Zimmer sehr gut aufgehoben und bin es von jeher gewohnt, mit der Sonne aufzustehen.«

»Ah – um so besser! Ich meinte nur, Sie hätten vielleicht nach der gestrigen Reise, die Ihnen ja auch einen Teil der Nacht gekostet hat, die notwendige Ruhe nicht gefunden, weil ich noch recht spät Licht bei Ihnen sah.« Die junge Gräfin legte absichtlich einen gewissen Nachdruck auf ihre letzten Worte und ließ ihnen ein leichtes Räuspern folgen, welches so viel heißen sollte, wie: ja, horche nur auf! Du bist erkannt!

Aber das Fräulein verriet durch keine Miene, keine Bewegung irgend etwas wie Schrecken oder Schuldbewußtsein, sondern errötete nur ganz leicht und erwiderte, der Hausfrau zugewandt: »Als ich meine wenigen Habseligkeiten in die Schubfächer einordnete, fand ich darin ein Büchlein vor, das mir schon so manches Mal in den schwersten Stunden meines Lebens der liebste Freund und Tröster gewesen ist: das teure Neue Testament! Ich irre gewiß nicht, wenn ich Ihnen, gnädigste Frau Gräfin, für diese geistliche Fürsorge meinen innigsten Dank ausspreche. Ein armes, schutzloses Mädchen, wie ich, betritt wohl oft mit Zittern und Zagen ein neues, fremdes Haus: weiß es doch nie, was seiner darin wartet – ach! Hier aber, in diesem kleinen schwarzen Buche, sah ich 77 gleichsam die Hand des Höchsten selbst sich mir entgegenstrecken, um mich zu leiten und zu schirmen. Ich habe mich in meiner Herzensfreude über die gute Vorbedeutung noch in die Lektüre einiger Lieblingskapitel vertieft und darüber eine Zeitlang selbst meiner Müdigkeit vergessen.«

Die gute Gräfin war schier überwältigt von so viel Frömmigkeit und Zungengewandtheit. Ihrer Tochter warf sie einen drollig vorwurfsvollen Blick zu, welcher als eine genügende Antwort gelten mochte auf die ungerechten Verdächtigungen, welche Komteß Marie vorhin unter vier Augen vorzubringen gewagt hatte. Welch eine Idee! Eine solche Perle von Gottesfurcht und Demut sollte durch die Einsamkeit des zweiten Stockwerks und die Nähe des Verwalterzimmers so ohne weiteres zu frivolen Abenteuern verleitet werden können? – Die Komteß hatte nicht gesagt, daß sie die beiden Stimmen im Zimmer des Herrn von Norwig gehört habe, sondern nur die Meinung geäußert, daß es doch wohl unschicklich und gefährlich erscheinen dürfte, die beiden so allein in der einsamen Zimmerflucht hausen zu lassen, ohne sich darüber zu erklären, ob sie den Herrn Oberverwalter für einen Don Juan oder das Fräulein für eine Philine zu halten geneigt sei. –

»Mein gutes Kind!« rief die Gräfin, indem sie aus ihrer Fensternische, wo sie mit dem Einordnen der Lesezeichen in ihre Andachtsbücher beschäftigt gewesen war, mit froher Hast auf die Bandemer zusteuerte und dann, ihren Lockenkopf energisch mit beiden Händen umschließend, ihr einen vernehmlichen Kuß auf die Stirn drückte: »Mein gutes Kind, an mir soll es wirklich nicht liegen, wenn Sie in meinem Hause Schutz und Schirm vermissen. Der Herr segne Ihren Ausgang und Eingang – das heißt natürlich, vorläufig nur den Eingang: mit dem Ausgang hat es hoffentlich noch gute Wege! Es sei denn, daß Sie uns jemand entführt, der – der – potztausend ja! Ich kann mich nicht so gewählt und schnurrdiburr 78 ausdrücken wie Sie. Sie verstehen schon: so ein Epouseur von Gottes Gnaden.«

Sophie neigte elegisch ihr Haupt auf die linke Schulter und seufzte: »Wie dürfte ein armes Mädchen, wie ich, an dergleichen denken!«

»Ach was! Ein Mädchen muß immer daran denken, wie es einen Mann bekömmt,« brauste die Gräfin gutmütig auf. »Die Männer taugen zwar meistens nicht viel – aber dafür steht eben geschrieben: nimm dein Kreuz auf dich! Meine Marie ist auch immer so von oben herunter auf die Herren zu sprechen und thut's ihnen ja auch wirklich in manchen Stücken gleich; aber dafür heißt sie auch bei den Leuten ›die tolle Komteß‹ – und wenn sie keinen findet, wird sie's schon bereuen . . .«

»Aber Mama! Bitte . . .«

»Na, schön, schön – ich sage ja nichts weiter. Du hast ja auch deine guten Seiten – und (zu Sophien gewendet) – der Graf behauptet immer, sie wäre ihm mehr wert als zwei, drei, vier Jungens. Aber mit Ihnen, mein Kind, da ist das doch etwas ganz anders! Sie sind doch nun einmal Mädchen, nichts als Mädchen – und noch dazu so nüt und fein! Was wollen Sie also Bessres thun als heiraten? Wenn ich ein Mannsbild wäre – hol' mich . . .! Ach ne, wat denn! – (Sie versetzte sich selber einen leichten Ermahnungsschlag auf den Mund) – solch süße kleine Dirn sollte nicht lang auf mich zu warten haben! Uebrigens: unser Herr Pastor – Sie haben ihn ja gestern gesehen – ist Witwer. Ein hübscher, lieber Mann – und in den allerbesten Jahren! Er hat sich nachher, wie Sie Croquet spielten, so umständlich nach Ihnen erkundigt, es war ordentlich auffallend! Na freilich, die großen Töchter im Hause – das mag ja wohl solchem Herrn etwas störend sein für die Frühlingsgefühle. Aber sehen Sie, die Beate, die soll doch schon so gut wie verlobt sein – mit unserm Inspektor natürlich – weiter ist 79 ja nicht recht was in der Nähe! – und die Agnes: ja, die hätte freilich noch Zeit; aber man kann ja nicht wissen: Sie kriegen ja wohl auch ein bischen was mit und – dann mag ja auch mancher solch' kleines Gössel ganz gerne.«

Fräulein Bandemer hätte am liebsten hell hinausgelacht über das harmlos derbe Geschwätz der guten Gräfin, doch wußte sie sich zu beherrschen und unter einem wohlanständigen Lächeln einige Redensarten von wahrhaft mütterlicher Fürsorge und dergleichen zu verabreichen.

Komteß Marie war viel zu ärgerlich, um über ihre komische Frau Mama lachen zu können. So viel stand für sie bereits fest: das hübsche Fräulein war eine vortreffliche Schauspielerin, welche sich nicht leicht in Verlegenheit setzen ließ und welche ihre Masken ungemein kleidsam zu wählen wußte. Aber nun war ihr die erste Begegnung im Walde wieder vor die Augen getreten: des Fräuleins Ueberraschung beim ersten Anblick Norwigs, ihre etwas hastige Erklärung derselben durch eine verblüffende Aehnlichkeit war doch für eine solche Meisterin in der Verstellungskunst gar zu auffallend. Dazu die Zusammenkunft in der vergangenen Nacht – an deren Wirklichkeit sie nicht zweifelte – sie war fest überzeugt, daß die beiden alte und wohl sehr genaue Bekannte sein müßten.

»Aber liebe Mama,« sagte die Komteß, während sie die erste Tasse heißen Kaffees aus der kleinen Maschine eingoß. »Hat dir denn der Pastor jemals irgend welche Neigung verraten, sich noch einmal in den heiligen Ehestand hineinzuwagen? Außer unserm Inspektor Reusche mit seinen verliebten Fischaugen wüßte ich wirklich keinen, der hier in unsrer unmittelbaren Nähe für eine heiratslustige Jungfrau in Betracht käme. Und was unsern neuen Hausgenossen, Herrn von Norwig betrifft, der scheint mir alle Ursache zu haben, von uns Weibern ebenso gering zu denken, wie ich von den Männern.«

»Ach ja, Herr von Norwig,« fiel die Gräfin ein, und that drei Stücke Zucker in ihren Kaffee. »Was man sagt, 80 ein interessanter Mann! Ich taxiere ihn auf eine bewegte Vergangenheit. Kinderloser Witwer, Vermögen verloren, halbe Welt durchstreift. Denken Sie, zuletzt ist er gar bei den Bambams gewesen – schrecklich!«

»Mama meint die Pampas.«

»Ach was, Bambams oder Pampas, elende Schlampampen und Heiden werden es doch sein, womöglich Kannibalen. Die Geographie ist schon ganz schön, wenn nur die fremden Namen nicht alle wären. Schon allein die Missionsberichte wimmeln nur so davon. Ich bringe sie nicht mehr alle in meinen Kopf hinein, die Hannepampels und wie die Kerls alle heißen.«

»Aber liebe Mama, die Pampas sind ja die großen Steppenländer in Südamerika, wo die berühmten Herden gezüchtet werden.«

»Also dort war Herr von Norwig zuletzt?« bemerkte Sophie. Was sollte sie auch anders sagen? Dennoch fühlte sie wohl, daß diese garstige, unbequeme Komteß jedem Worte, das sie sprach, mit Argwohn lauschte, jedem ihrer Blicke nachspähte. Sie konnte einen leisen Zug übermütigen Spottes um ihren reizenden Mund nicht ganz unterdrücken, als Gräfin Marie nun mit absichtlich übertriebener Wärme Norwigs außerordentliche Reitkunst zu rühmen begann. Dies plumpe, pferdetolle Landedelfräulein wollte sie überlisten – sie! Ja, wenn sie eine Ahnung gehabt hätte, gegen wen sie kämpfen wollte. Sie schien ja fast die Absicht zu haben, ihre Eifersucht zu erwecken, um sie aus ihrem Hinterhalt herauszutreiben! Haha! Eifersucht auf dies Gesicht!

Der alte Graf erschien nun auch am Frühstückstisch und unmittelbar hinterdrein polterte Vicki ins Zimmer, sehr betrübt, daß sie es nun doch nicht ganz erreicht hatte, endlich einmal schon vor dem Papa beim Kaffee zu sitzen. Aber auch schon diese Leistung im Frühaufstehen erregte das Erstaunen der beiden Eltern. Es stellte sich heraus, daß es Fräulein Sophie durch liebenswürdige Neckerei gelungen war, 81 das große Mädchen aus seinem geliebten Bett herauszubekommen. Der Graf verfehlte natürlich nicht, daraufhin der jungen Stütze seiner Hausfrau eine Artigkeit zu sagen, stellte sich jedoch dann sogleich wieder ganz vertieft in seine Morgenzeitung. Das weitere Gespräch der Damen vermochte auch nicht, seinen Anteil zu erwecken, da es sich meist um Wirtschaftsangelegenheiten drehte. Nur als Sophie sich die Erlaubnis erbat, die Blumen und das Obst für die Tafel selbst pflücken und anordnen zu dürfen, während Vicki mit ihrer englischen Uebersetzung beschäftigt sei, horchte der alte Herr hinter seiner großen und langweiligen Kreuzzeitung heimlich auf.

Als man sich von Tische erhob, gesellte sich Komteß Marie zu ihrem Vater und erkundigte sich, was Herr von Norwig für den Morgen unternommen habe.

»Er ist nach den Senthiner Grenzfeldern hinausgeritten. Sie fangen heute mit dem Dampfpflug an. Wenn du hinüberreiten willst, soll es mir sehr angenehm sein. Du kannst ihm ja ebenso gut Bescheid sagen wie ich – und meine Korrespondenz wird mich heute wohl ziemlich lange aufhalten.«

Die Komteß wußte freilich nicht, daß die Frühpost dem Grafen nichts gebracht hatte, als eine Einladung zur Hamburger Lotterie, mehrere Empfehlungen von deutschem Schaumwein und einen Bettelbrief eines Verschämten von guter Familie. Er erledigte denn auch diese dringende Korrespondenz in sehr eigenartiger Weise, indem er sich mit seiner Zeitung an das offne Fenster seines Arbeitszimmers setzte und über den Rand des Blattes hinweg etwa fünfmal in der Minute hinaushorchte und lugte. Nachdem er so eine halbe Stunde lang vergeblich gewartet hatte, vernahm er endlich draußen auf dem Kies einen leichten Tritt. Sie war es, die Reizende, Berückende. Der Graf zögerte noch ein paar Minuten, dann griff er nach seinem flauschigen Jägerhütchen und eilte mit jugendlich raschen Schritten hinaus.

82 Der Obst-, Gemüse- und Blumengarten bildete die nordwestliche Ecke des großen gräflichen Parklandes. Dahinter dehnte sich, am Fuße eines sanft ansteigenden Hügels entlang, das Dorf aus, und die ziemlich hohe Mauer, an welcher Wein und Pfirsiche gezogen wurden, bildete zugleich einen Teil der Einfriedigung des Pfarrgartens. Es befand sich auch eine Thür in dieser Mauer, welche vor wenigen Jahren noch, als die kleine Komteß noch fleißig mit den Predigertöchtern zu spielen ging, viel benutzt worden war. Seither aber hatte der Wein sich so tief darüber hingerankt, daß sie nicht so leicht zu öffnen gewesen wäre, selbst wenn das verrostete Schloß noch dem Schlüssel nachgegeben hätte. Pastors mußten darum jetzt immer den beträchtlichen Umweg um die West- und Nordseite des Parks herum machen, wenn sie in das Schloß wollten.

Der Graf hatte das gute Glück, auf seinem Schleichwege zum Obstgarten unbemerkt zu bleiben. Der Gärtner und sein Bursche waren zufällig gerade heute mit der Rasenschur im Park beschäftigt. Der verliebte alte Herr durfte also auf ein ungestörtes Schäferstündlein mit der holden Stütze seiner Frau Gemahlin hoffen. Sein scharfes Auge hatte schon von ferne ihr helles Kleid dort an der Weinmauer erspäht; jetzt eilte er zunächst nach dem kleinen Rosenhag vor dem Treibhause, wählte eine wundervolle, nur halb erschlossene la France aus, und schlenderte dann, die Blume hinter dem Rücken verbergend, auf Fräulein Bandemer zu. Er fand sie damit beschäftigt, die der Sonne am meisten ausgesetzten Trauben auf ihre Reife zu prüfen.

»Nun, mein liebes Fräulein,« redete er die sich lächelnd Verneigende an, »Sie scheinen vergebens zu suchen. Der September ist bisher recht kühl gewesen.«

»Ich sollte doch meinen, die letzten warmen Tage müßten wenigstens einzelne Trauben zur Reife gebracht haben.«

»Aber wohl nur die zuhöchst hängenden. Ich werde 83 Ihnen wohl helfen müssen, wenn es Ihnen nicht ergehen soll wie dem Fuchs in der Fabel.«

»Herr Graf sind zu gütig – das darf ich wohl kaum annehmen,« lispelte die reizende Sophie mit niedergeschlagenen Augen und demutsvoll zur Seite geneigtem Köpfchen.

»Inzwischen bitte ich Sie aber, diese Rose annehmen zu wollen,« fiel der gewandte alte Kavalier rasch ein und zwar mit dem Bemühen, seiner für gewöhnlich etwas heiseren Stimme einen möglichst schmeichelnden Schmelz zu verleihen. »Die Farbe wird zu Ihrem dunklen Haar entzückend stehen.«

»O, Herr Graf . . .!« Wie sie so zögernd und doch so beglückt die kleine Hand nach der Blume ausstreckte! Meisterhaft! Und dann betrachtete sie dieselbe mit einem langgedehnten Ah! der Bewunderung und dann, nach abermaligem kurzen Zaudern, nahm sie rasch ihren großen Schutzhut ab und befestigte die Rose mit sicherer Wahl der rechten Stelle in ihrem lose aufgesteckten Haar, während sie die Hutbänder mit den Zähnen festhielt, deren Perlenglanz dadurch gleichfalls zu vorteilhaftester Geltung kam.

»Süperb, süperb! Ganz scharmant!« rief der Graf und küßte seine Fingerspitzen in die Luft. »O, Sie kleine Circe! Wissen Sie auch, daß ich bereits das Glück genoß, dieses duftige Haar in voller Freiheit, in verführerischstem déshabillé über einen Nacken von so unvergleichlicher . . .«

»O – ich bitte, Herr Graf! Schonen Sie mich! Wie dürfen Sie mich so in Verlegenheit setzen,« schmollte die Liebliche, indem sie sich errötend abwandte und mit unruhigen Fingern einige Weinblätter an den Stielen zerriß. »Allerdings bemerkte ich Sie unten auf dem Wege – zu meiner größten Beschämung, Herr Graf . . . aber da Sie mir doch gestern sagten, Sie seien in hohem Grade kurzsichtig, so –«

»Nur auf dunklen Treppen, liebes Kind, und niemals der Schönheit gegenüber,« erklärte der Graf mit einer galanten Handbewegung. »Die Bewunderung für die Schönheit, für 84 Ihr göttliches Geschlecht, haben mich trotz meiner weißen Haare so jung erhalten, daß ich auch heute noch das Herz eines Jünglings hier klopfen fühle, wenn so viel Reiz und Grazie mich bezaubern.«

Er ergriff ihre nur mäßig widerstrebende Rechte und drückte sie an seine Brust, damit sie sich von der Wahrheit seiner kühnen Behauptung überzeuge.

»Mein Gott – was thun Sie? O Herr Graf, wenn man uns belauschte!« Sie flüsterte es ängstlich und versuchte, sich dem Arme, den er fest um ihre schlanke Hüfte gelegt hatte, zu entwinden.

»Süßes Kind, du bist so schön,« raunte er ihr leise ins Ohr und zog sie nur noch fester an sich.

Aber nun machte sie sich wirklich los und trat ein paar Schritte von ihm weg. »Herr Graf, ich kam, um Obst und Blumen zur Tafel zu holen,« schmollte sie mit einem vorwurfsvollen Blick, der ihn nur noch mehr in Flammen setzte.

»Grausame!« seufzte er tragikomisch und dann machte er sich ernstlich daran, ihr zu helfen, indem er ihr einige für ihren Arm unerreichbare Trauben abschnitt, welche sie in ihrem großen Strohhut sammelte. Aber er beeilte sich nicht sonderlich bei dieser Dienstleistung und begann auch bald wieder zu plaudern. Er versuchte jetzt einen harmlos scherzenden Ton anzuschlagen.

»Wissen Sie, Fräulein Sophie – als ich Ihr Photogramm zuerst sah, da war mein Schicksal schon entschieden – mein grausames Schicksal, ach!«

»So gehören Sie also noch der romantischen Zeit an, wo man sich in ein Bild verliebte und für eine unbekannte Dulcinea Lanzen brach,« versetzte sie schelmisch. »Als ich heute früh durch den Ahnensaal ging, fiel mir ein Porträt auf, das eine auffallende Aehnlichkeit mit Ihnen hat, Herr Graf. Ein prachtvoller Greisenkopf, den Hals von einer kostbaren Spitzenkrause umschlossen, im golddurchwirkten, grünen Samtwams.«

85 »Ach, Sie meinen den Reichsgrafen Joachim Dedo Pfungk-Bannersreuth. Er wurde siebenundachtzig Jahre alt – nachdem er im siebzigsten noch ein Edelfräulein von achtzehn geheiratet und drei Söhne mit ihr . . . pardon! – erzielt hatte. Ich stamme von dem jüngsten derselben ab. Uebrigens wundert es mich nur, daß der alte Joachim Dedo nicht sofort aus seinem Rahmen herausgesprungen ist, um Ihnen knieend seine Huldigung darzubringen. Es hätte ihm nur ähnlich gesehen – haha!«

Fräulein Bandemer stimmte mit anständiger Zurückhaltung in das vergnügte Lachen des alten Herrn ein und sagte dann mit einem bezaubernden Augenaufschlag: »Es wäre wirklich zu viel der unverdienten Güte, wenn Sie selbst ihre erlauchten Ahnen noch veranlassen wollten, einem armen, unbedeutenden Mädchen solche ritterliche Huldigung entgegenzubringen. Ich könnte mich vor so viel Glück und Gunst fast fürchten nach all den traurigen Ueberraschungen, die mein bisheriges Leben mir fast einzig gebracht hat.«

Wie geschickt sie die Worte zu wählen und zu setzen wußte! Ein wenig affektiert zwar; aber aus einem hübschen Munde klingt eben alles hübsch! Der Graf erinnerte sich wohl aus der Zeit, da er sich junger Bühnenkünstlerinnen besonders warm anzunehmen pflegte, dergleichen Musterreden gehört zu haben – aber bei einer Person so untergeordneten Standes! Er begann neugierig zu werden auf diese Schicksale, welche sie da andeutete.

»Es ist empörend,« sagte er, »daß das sogenannte Schicksal so wenig kavalierement verfährt, um selbst so berückende Geschöpfe Gottes mit seinen Tücken nicht zu verschonen! Was kann das Schicksal gegen Sie ausrichten, die Sie geschaffen sind, selber jedes Mannes Schicksal zu werden, der . . .«

Das war doch gewiß gut gegeben! Der Graf war ganz glücklich, daß er diese Wendung gefunden. Aber das 86 Fräulein fiel ihm lächelnd ins Wort: »Herr Graf, das ist wider die Abrede! Ich bin nun einmal eine arme Waise, grausam genug herumgestoßen in der Welt. Meinen Vater habe ich nie gekannt, meine Mutter – lassen Sie mich davon schweigen, was die eigne Mutter an mir gethan! Sie ist nun auch nicht mehr! Ich stehe ganz allein auf der Welt, ohne einen andern Schutz, als meinen Stolz – und mein Gottvertrauen. Meine Hoffnung, mein Sehnen ist oft zu Schanden geworden; ich wurde grausam betrogen – aber den schlimmsten Gefahren bin ich doch entgangen! Ich sehe nun auch, daß die Wege des Himmels doch immer zum Besten führen: durch zwei Weltteile wurde ich umhergetrieben, um endlich hier eine Heimat zu finden. O, Herr Graf, ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie mir das Herz aufging, als Ihre Frau Gemahlin mir so mütterlich entgegen kam!«

»Ja – hm! – meine Frau hat etwas sehr Mütterliches,« bestätigte der Graf einigermaßen verlegen.

»Und wie Sie selbst nun gar mit offenen Armen, wie ein Vater . . .«

»O mehr wie ein Vater – weit mehr! Wie ein Freund – dein einziger, hingebender, treuester Freund – über den du gebieten kannst nach deiner Laune, teuerstes Mädchen!« flüsterte der Graf hastig und schloß sie so feurig in die Arme, daß der Strohhut mit den Weintrauben eine bedenkliche Quetschung erlitt, wiewohl sie sich beeilt hatte, ihn zur Seite zu halten.

Sie wußte eine selige Selbstvergessenheit überaus natürlich darzustellen und hauchte mit halbgeschlossenen Augen: »Zuviel, zuviel – o mein Gott!«

Und dann mußte sie willenlos die Küsse ihres väterlichen Freundes erdulden.

Weder der glückberauschte Graf noch das siegreiche Fräulein Sophie hatten eine Ahnung davon, daß auf der andern Seite der Mauer zwei Ohren sich lauschend gespitzt hatten, 87 denen fast kein Wort ihres Gespräches entgangen war, und daß zwei junge, eifersüchtige Augen sich abwechselnd in bebender Neu- und Neidgier an das rostige Schlüsselloch der verwachsenen Thür gelegt hatten. Wohl aber vernahm das Fräulein trotz ihrer scheinbaren wonnigen Betäubung sehr deutlich die Stimme ihrer mütterlichen Herrin, welche aus der Ferne ihren Namen rief und zwar mit weniger Wohllaut als Entschiedenheit.

»Himmel – die Gräfin!« rief sie und machte sich mit einem kurzen Ruck aus der festen Umarmung los. »O – was haben Sie gethan!«

Der Graf machte ein äußerst erschrockenes Gesicht – gewann aber schon im nächsten Augenblick seine Fassung wieder und flüsterte hastig: »Fürchten Sie nichts – sie kann uns noch nicht gesehen haben. Die Himbeerbüsche decken gut. Aber für mich heißt es nun: sauve qui peut! Die liebe Gräfin ist so erregbar! Gehen Sie ihr entgegen – verraten Sie mich nicht.«

Und mit derselben jugendlichen Unverzagtheit, welche ihn im Angriff auszeichnete, setzte der alte Herr nunmehr seinen Rückzug ins Werk, indem er, sich hinter dem Gesträuch duckend, eiligst die linke Flanke des anrückenden Feindes in weitem Bogen zu umgehen trachtete. Das Fräulein beeilte sich inzwischen, seiner Weisung entsprechend, der Gräfin entgegenzugehen.

Sie hatte offenbar nichts Verdächtiges wahrgenommen, die arglose Dame, denn sie kam mit der freundlichsten Miene von der Welt auf ihre Stütze zugekeucht und sprach sie bereits aus zwanzig Schritte Entfernung an: »Nun, meine Liebe, haben Sie recht was Schönes gefunden?«

»Einige Trauben, gnädigste Frau Gräfin,« versetzte Sophie, mit einem etwas kindlichen Knicks den Inhalt ihres Strohhutes vorweisend.

Die Gräfin pflückte ein paar Beeren ab und vermummelte sie prüfend in ihrem breiten Munde.

88 »Ei, sehen Sie mal an! Wenn die nicht reif sind, dann weiß ich nicht . . .! Und denken Sie: unser Gärtner hat uns bis heute noch keine einzige Traube auf die Tafel geschickt, weil sie noch wie Essig wären! Dieser gräßliche Mensch! Ueberhaupt: wegen dieses Gärtners komme ich eigentlich. Ich möchte gern, daß Sie ihm ein bißchen auf die Finger sähen, ohne daß er etwas merkt. Der Mann ist nämlich mit Gehalt angestellt, und dann gehört ihm ja auch das ganze Gras im Park und der Fischfang; na – das ist doch wohl ganz schön für solchen Mann? Und was an Obst und Gemüse nicht im Haushalt verbraucht wird, das hat er für uns zu verkaufen. Aber was thut der schlechte Kerl? Zu uns sagt er immer, da wär kein Gemüs mehr, und das Obst wär nicht reif geworden – und dabei geht er hinter unserm Rücken hin und verkäuft das alles für seinen eignen Nutzen! Sehen Sie, meine Liebe, ich gönne wirklich meinen Leuten gerne jeden Vorteil, aber solch greuliches Bemogeln muß einen doch empören – besonders wo ich mir doch gerade bei diesem Menschen solche Mühe gegeben habe, den Samen des göttlichen Wortes . . . ah! was haben Sie da für eine schöne Rose im Haar!«

»Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, Frau Gräfin, und wagte mir eine zu brechen!«

»Na, das schadet ja auch nicht. Aber die Rosen sind eigentlich meines Mannes Privatvergnügen, wissen Sie, und er sieht es doch am Ende nicht gern, wenn . . . nein, nein, Sie brauchen sie deswegen nicht fortzuthun; Sie können ja sagen, ich hätte sie Ihnen geschenkt.«

»O – ich möchte nicht Ihren Namen mit einer Unwahrheit in Verbindung bringen,« entgegnete das hochmoralische Fräulein.

»Ach, wie denn! Bei Rosen darf man ja lügen – Sie wissen doch, wie der Herr der heiligen Elisabeth aus der Bredouille geholfen hat? Haha! – Uebrigens ist der Graf 89 auch gar nicht mal so bös. . . . Im Gegenteil: das Schelten und Strafen, das Kündigen und Fortschicken, das überläßt er alles mir; denn er liebt mal seine Ruhe über alles. Ja, sehen Sie, mit dem Gärtner zum Beispiel! Wie habe ich ihm immer und immer wieder gesagt: der Mensch betrügt uns – thu doch nur die Augen auf! Aber da heißt es: ach, wozu den Aerger um solche Kleinigkeit? Sie mogeln ja doch alle – und wenn sie sich Mühe geben sollen, muß man ihnen das Leben nicht zu sauer machen. – Was sagen Sie dazu? Heißt das nicht, die Leute zum Diebstahl und Betrug förmlich anleiten? – Ein guter, honetter Mann, der Graf, aber – laxe Prinzipien! Ach Gott, ja!«

Fräulein Bandemer hatte die größte Mühe, der redseligen Gräfin vertrauliche Eröffnungen mit dem gebührenden Ernste anzuhören. Glücklicherweise erwartete sie keinerlei Meinungsäußerung von ihr, sondern fuhr fort, mit großer Zungengeläufigkeit das Thema von dem betrügerischen Gärtner durch zahlreiche Beispiele zu belegen. Sie führte sie zwischen den Blumen- und Gemüsebeeten umher, indem sie deren Erträgnis abschätzte und mit dem thatsächlich Abgelieferten verglich.

»Sehen Sie sich bloß mal diese Mistbeete an. Das war alles voll Gurken! Der Graf ißt so gerne Gurkensalat – er verträgt ihn ja auch, gottlob, noch sehr gut! – aber öfters als zweimal die Woche haben wir keinen gehabt, den ganzen Sommer über! Und das müssen Sie doch selber sagen: hier müßten doch genug Gurken wachsen, um ein ganzes Regiment mit Salat abzufüttern! Da, sehen Sie – da haben wir's! – Da sitzen ja immer noch welche an! Hier – und da – fünf, sechs –«

»Sieben – acht . . .« Das Fräulein hatte sich niedergehockt und entdeckte, die üppigen Blätter mit der Hand durchteilend, immer noch mehr reife Gurken.

Die Gräfin war bereits hochrot im Angesicht vor gerechter 90 Entrüstung. »Nein, dieser Mensch, dieser Sötbier – denken Sie, Jehan Sötbier heißt der Kerl! Der wird noch ein Nagel zu meinem Sarge! Das soll ihm aber nicht so durchgehen! Wo steckt denn der Heidenmensch?!« Und sie blickte gar bedrohlich ringsum nach dem Missethäter.

»Soll ich vielleicht den Mann aufsuchen?« fragte Sophie diensteifrig.

»Ach ja, thun Sie das doch, meine Liebe. O, ich will ihm Pladdütsch kommen, daß ihm die Sötigkeit vergehen soll, dem Herrn Suerbier! Für solche Spitzbuben wird noch eigens die Prügelstrafe abgeschafft! Wo bleibt da die Gerechtigkeit und die Gottesfurcht in Mecklenburg?! Laufen Sie, mein Kind, schaffen Sie mir den gottlosen Schalksknecht zur Stelle!«

Und während Fräulein Sophie leichtfüßig wie eine Gazelle entschwebte, spazierte die Gräfin zwischen den Beeten einher, wehte sich mit dem Schnupftuch Kühlung zu und legte sich in Gedanken die Strafpredigt zurecht, die sie dem Gärtner halten wollte. Ihr Weg führte sie auch an der verwachsenen Thür vorbei, in deren Nähe sich vorhin die kleine Liebesscene abgespielt hatte. Sie war kaum vorüber, da vernahm sie urplötzlich hinter sich ein erschreckliches Knacken und Krachen und unmittelbar darauf einen dumpf aufklatschenden Fall, von einem durchdringenden Schrei begleitet. In der dunklen Ahnung, daß ihr nunmehr irgend ein schwerer Gegenstand an den Kopf fliegen müßte, beugte die Gräfin schleunigst ihr würdiges Haupt vornüber, streckte die Hände schützend darüber aus und kreischte gleichfalls dreimal hintereinander laut auf. Dann erst, als das erwartete Geschoß einzutreffen säumte, wagte sie es, sich langsam wieder emporzurichten und ängstlich umzuschauen.

Da lag die alte Gartenthür, mehrfach geborsten, quer über den Weg, die ausgerissenen, verrosteten Angeln wie jammernd zum Himmel emporgestreckt und bestreut von 91 Weinranken, Blättern und zerquetschten Beeren, die sie im Sturze abgerissen hatte; und flach über die Thür hineingebreitet, mit sanft blutendem Näschen, lag Pastors Beate (sprich Be-oäte!) und schielte mit der allerkläglichsten Miene zur Gräfin empor.

»Ach Gott! Ach Gott! Frau Gräfin – Guten Morgen, Frau Gräfin.«

»Ach du Gerechter!« keuchte die immer noch bebende Schloßfrau. »Dirn, du bist ja wohl unklug! Was ist das mit dir? Der Schreck ist mir in alle Glieder gefahren! Ach du lieber Himmel! Nein, so was lebt nicht! Kommt sie mir da mit der Thür dicht am Kopf vorbeigesaust! Ja, Dirn, was willst du denn man bloß? Sonst kannst du kaum deinen Schnabel aufthun und Piep sagen, und immer so zipp und zapp und ötepetöte – und nun mit einmal machst du mir solche dummen Jungenstreiche und wirfst nach armen alten Frauen mit alten Gartenthüren?! Nun, steh' doch mal wenigstens auf und red' einen Ton.«

Die blonde Beate raffte sich ächzend auf und stotterte dann: »Sei'n Sie mir nur nicht böse, gnädige Frau Gräfin; ich wollte nur versuchen, ob die Thür noch aufginge, und der Schlüssel drehte sich ja auch noch, aber dann war innen so viel vorgewachsen und wie ich so recht ordentlich innen gegendrücken will, da geben mit eins die Angeln nach – das Holz war auch wohl schon morsch und dann . . .«

»Sind denn die Knochen noch alle heil?«

»Ja, ich glaube.«

»Na, dann geht's ja noch! Nu sag' mal bloß an, Kind, was mußt du dir so auf eigne Hand gerade heute mit der alten dummen Thür zu schaffen machen! Wolltest du dir vielleicht hier mit deinem schönen Herrn Entspekter ein Stelldichein geben?«

»Ach nein, wirklich nicht, Frau Gräfin,« beteuerte Beate hastig, fast weinend. »Aber ich wollte Frau Gräfin doch 92 gleich benachrichtigen, was hier eben mit dem neuen Fräulein und dem Herrn Grafen passiert ist.«

»Passiert? Mit dem Grafen und dem neuen Fräulein?« fuhr die Gräfin höchlich betroffen dazwischen. »Passiert? Potztausend, Dirn, was soll das? Wisch' dir man lieber erst die Nas 'n bischen ab, mein Döchting!« Mit diesem ärgerlichen Zwischenruf wischte sie mit ihrem eignen Batisttuche und mit gewohntem Nachdruck der erschrockenen Beate das immer noch purpurn sickernde Näschen. »Was willst du mir da für einen Schnack aufbinden?«

»O nein, es ist kein Schnack, Frau Gräfin,« rief das Mädchen gekränkt. »Ich habe ja doch alles gehört und gesehen, hier hinter der Thür und durchs Schlüsselloch. Der Herr Graf war so freundlich und wollte der Mamsell beim Traubensuchen helfen, und da hat sie sich so gehabt und nüdlich gethan und was vorgeschnackt, daß sie so einsam und unglücklich wäre, bis der gnädige Herr ganz gerührt war und sie hat trösten wollen, und da ist sie ihm gleich um den Hals gefallen, die ausverschämte Mamsell und hat den Herrn Grafen geküßt – ach Gott! Ich hab' mich so geschämt, ich wußte ja gar nicht, wo ich hingucken sollte! Aber ich hielt es für meine Pflicht, Frau Gräfin alles zu sagen, damit Frau Gräfin doch wissen, was für eine unmoralische Person Sie sich da ins Haus genommen haben.«

»So, mein Kind, nun hab' ich dich ausreden lassen,« hub die Gräfin an. Ihr Busen wogte sturmgepeitscht, ihre sonst so gutmütigen Augen schossen vernichtende Blitze.

»Ich habe nicht gewußt, daß dir das Mundwerk so gut im stande ist. A la bonheur! Nun möcht' ich mir aber auch mal ein Wörtchen erlauben. – Erstens ist meine neue Stütze keine Mamsell, sondern ein feines Fräulein, mit viel bessern Manieren als gewisse Predigertöchter, die einem immer gleich mit der Thür ins Haus fallen. Zweitens ist alles bloß der reine Neid – und Neid, Mißgunst . . . frag mal deinen 93 Vater, wie der Apostel sagt. Und dann drittens, hat mein Mann, der Graf, es gar nicht nötig, sich küssen zu lassen; das besorgt er lieber selbst – ach, wat denn! – ich meine – na überhaupt! Das ist mir eine rechte nette Pastorstochter, die nichts Bessres anzufangen weiß, als den lieben langen Tag hinter den Wänden zu horchen, durch die Schlüssellöcher pliren und in fremde Gärten einbrechen! Mein Mann, der Graf, hat solch gefühlvolles Herz – das äußert sich mal so und mal so. Er kann doch nicht deswegen extra alle alten Schlüssellöcher verstopfen lassen? Nein, Fräulein Meusel, machen Sie man, daß Sie selber bald ordentlich geküßt werden von ihrem dussligen Ludolf – und gucken Sie sich gefälligst ein andermal nicht die Augen aus, wenn mein Mann mal ein armes, hilfloses Mädchen tröstet. Und ›unmoralische Person‹ haben Sie gesagt! Finden Sie das vielleicht moralisch, dies alte, nichtsnutzige Petzen und die Thüren einrennen und an den Schlüssellöchern liegen, Sie . . .«

»Ach, Frau Gräfin, warum nennen Sie mich nur immer ›Sie‹?« unterbrach die arme Beate schreckensbleich und mit zuckendem Wattenmündchen die immer lauter und rascher werdende Rednerin.

»Warum ich dich Sie nenne! Weil du ein ganz dummes, naseweises Göhr bist, das überhaupt nicht zu reden hat, wenn es nicht gefragt wird. Aber das sage ich dir: wenn du hingehst und schleppst deine alberne Geschichte im Dorf herum, dann sollst du – nein, wenn sie nur ein einziger Mensch erfährt, dann sollst du mal sehen, mein Döchting!«

Und dabei drang die entrüstete Matrone mit so bedrohlicher Gebärdensprache auf Beate ein, daß diese sich eiligst zurückzog, um über die geborstene Thür hinweg den väterlichen Grund und Boden zu erreichen.

Die Gräfin war schon im Begriff, die Verfolgung mit gewohnter Energie aufzunehmen, als die Worte: »Frau Gräfin, hier ist der Gärtner,« von dem angenehmen Organ der 94 schönen Stütze gesprochen ihr Ohr trafen und sie im Laufe hemmten.

»Wer ist da?« frug sie verwirrt, wandte sich dann aber sofort wieder dem Pfarrgarten zu und rief dem fliehenden Mädchen nach: »O – ho! – Da läuft sie hin! Je, wat willen Sei denn, Sötbier?«

»Fru Gräfin hebben mi halen laten vun wegen den Gurkensalat,« stotterte der Gärtner etwas ängstlich und drehte seine Mütze in der Hand.

Jetzt erinnerte sich die zornmütige Herrin ihrer Absichten auf diesen Spitzbuben und sagte, indem sie ihn mit ironischem Lächeln vom Kopf bis zu den Füßen rasch musterte: »Jewol, Jehan, ick wull di blot min Ansicht seggen, dat du einen richtigen Swinegel büst. Oewerst jitzt hew ick keen Tid för di. Wenn dor noch Gerechtigkeit in Mecklenborg wihr, denn müßt son Minsch, as du büst, bi Suerbier un Gurkensalat innspunndt war'n. Dat is min Ansicht, Musche Sötbier. – Kommen Sie, Fräulein, ich habe mit Ihnen zu reden.«

 


 


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