Ernst von Wolzogen
Die tolle Komteß
Ernst von Wolzogen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

In welchem Herr von der Maltitz Vickis Bekanntschaft macht und mehrere Persönlichkeiten aus dem Regen in die Traufe geraten.

Als nach Verlauf der halben Stunde die Herren die Veranda betraten, war der Graf sehr erstaunt, keine seiner Damen zum Empfang des Gastes bereit zu finden. Friedrich mußte erst die Stütze rufen, und diese wiederum die Gräfin aus süßem Schlummer wecken.

»Ich hatte doch Vicki aufgetragen, einstweilen die Honneurs zu machen,« sagte die Gräfin ärgerlich. »Man kann sich doch in nichts auf sie verlassen! Wo mag sie denn wieder stecken?«

»Sie lief vorhin in den Park und jagte sich mit den Hunden herum,« versetzte das Fräulein.

»Das sieht ihr ähnlich! Gerade wo sie ausnahmsweise mal anständig angezogen ist zum Empfang eines Besuches! Sie werden sehen, sie kommt mit ganz zerdrücktem Kleide und rot wie eine Päonie wieder zum Vorschein.«

»Ich vermute, daß Komteß Vicki mit dem Herrn Fink zusammen getroffen ist – wenigstens sah ich den vorhin auch in den Park gehen.«

»So? Das wäre mir ganz lieb,« sagte die Gräfin, »da wird sie sich doch wenigstens nicht mit dem guten Kleide auf dem Rasen wälzen. Ein recht netter Mann, der Herr Fink – gefällt mir ganz gut.«

»Ich fürchte nur, gnädige Frau Gräfin, daß er Komteß Vicki etwas zu gut gefällt!« lächelte Sophie, die Mundwinkel etwas herbe auseinanderziehend.

»So, meinen Sie?« erwiderte die alte Dame sehr ruhig. »Na, das schadet ja auch nicht – sie bekömmt ja hier so wenig junge Leute zu sehen. Wissen Sie, ich bin gar nicht so wie manche Mütter, die ihre Töchter womöglich gleich in den Strickbeutel stecken möchten, wenn sich nur ein junger Mann in der Nähe sehen läßt. Man muß den jungen Mädchen ihre Harmlosigkeit lassen, sonst werden sie schon 66 mit zwanzig Jahren alte Jungfern! Jungen Mädchen aus guter Familie braucht man gar nicht erst zu sagen, wie weit sie gehen dürfen, das haben sie in sich! Ich habe als junges Ding thun und lassen können, was ich wollte – und wir hatten immer das Haus voll junger Offiziere!«

»Frau Gräfin haben sich aber doch gewiß nicht küssen lassen, sobald Ihre Frau Mutter einmal einen Augenblick die Augen zumachte?«

Die Gräfin blieb stehen, betrachtete ihre Stütze etwas von oben herunter und sagte streng: »Das ist eine etwas naseweise Frage, Fräulein. Ich liebe so etwas nicht – merken Sie sich das! Wollen Sie übrigens damit sagen, daß meine Tochter? . . .«

Fräulein Sophie kochte innerlich vor Wut, daß sie sich in diesem Tone maßregeln lassen mußte. Aber was half's? Sie hatte einmal die Rolle übernommen – sie mußte sie zu Ende führen. Sie machte also einen unterwürfigen Knicks vor der Gräfin und berichtete dann, was sie durch die Glasthür gesehen hatte.

»Ich danke Ihnen, Fräulein,« sagte die Gräfin gemessen. »Ich werde mir Herrn Fink mal ernstlich vornehmen; denn an solchen Dummheiten tragen die Herren doch immer allein die Schuld! Nicht wahr, Fräulein Bandemer? Das war ja doch auch Ihre Ansicht, als Ihnen das kleine Malheur mit dem Grafen passierte?«

Der Stich saß gut. Sophie mußte einsehen, daß sie ihren Einfluß auf die Gräfin weit überschätzt habe und daß sie gut thäte, in der Verfolgung ihrer Pläne nicht allzu sehr auf die Leichtgläubigkeit und Lenksamkeit der alten Dame zu bauen. –

Die Gräfin begrüßte Herrn von der Maltitz recht warm und stellte dann, nur so obenhin, ihre Stütze vor. Der Gast machte derselben eine höfliche Verbeugung, beachtete sie dann aber gar nicht weiter, was das erwähnte Fräulein nicht wenig kränkte.

»Weißt du nicht, wo unser Künstler steckt?« wandte sich der alte Graf an seine Gemahlin. »Herr von der Maltitz ist ein Kenner und möchte ihm gern sein Kompliment machen über die vorzügliche Anlage deines Porträts.«

67 Friedrich wurde entsendet, um Herrn Fink im Garten zu suchen. Die Gräfin setzte gleich hinzu, daß Komteß Viktoria wahrscheinlich mit ihm zusammen sein werde.

Die Herren nahmen das unterbrochene Gespräch wieder auf. Es war selbstverständlich von der Politik des Reichskanzlers die Rede gewesen und die Herren zeigten sich sehr befriedigt davon, daß der Fürst immer eifriger bestrebt sei, die Interessen der Landwirtschaft gegen die Uebermacht der Industrie, des Kapitalismus zu verteidigen. Herr von Norwig hatte sich ziemlich schweigsam verhalten und nur hier und da auf die höchst junkerhaften Gemeinplätze des Grafen Bencken ein Lächeln nicht zu unterdrücken vermocht.

»Nun, Herr von Norwig,« wandte sich der Senthiner Nachbar an diesen: »Sie kommen ja aus Amerika, Sie sind gewiß unsern feudalen Ansichten da drüben ganz untreu geworden – womöglich als roter Republikaner zurückgekehrt!«

»O nein, durchaus nicht,« versetzte Norwig lächelnd. »Ich habe im Gegenteil da drüben erst recht erfahren, daß es mit dem blauen Blut doch eine ganz eigne Sache ist. Man kann dem Menschen jede Freiheit lassen, aus seiner Haut zu fahren steht darum doch nicht in seinem Belieben. Schiller hat ganz recht, wenn er sagt: Die Mehrheit ist der Unsinn! Es wird immer Sache des einzelnen sein, der die Mehrheit zu tyrannisieren versteht, ihren Unsinn wieder gut zu machen, und diese einzelnen, die den Mut ihrer eignen Meinung haben, die sind meiner Meinung nach die wahren Aristokraten. Es bildet sich in der Republik gerade so gut eine Aristokratie aus wie überall – die Bedingung dazu ist nur, daß es dem Lande vergönnt ist, sich naturgemäß zu entwickeln, ohne durch gewaltsame Umwälzungen gestört zu werden. Ich habe mich daran gewöhnt, auch die sozialen Verhältnisse vom Standpunkte des Darwinismus zu betrachten.«

Graf Bencken machte ein recht einfältiges Gesicht und suchte in der Verlegenheit seinen Kneifer besser auf der Nase zu befestigen. Und die Gräfin bewegte mißbilligend den Kopf und rief: »Aha, ich habe mir's doch immer gedacht, daß Sie ein Freigeist sind. Es ist Ihnen also ganz einerlei, ob Ihr Stammvater Adam gewesen ist, oder der erste beste Orang-Utang!«

68 »Ja, gnädigste Gräfin,« lachte Norwig, »dieser Zweifel macht mir allerdings keine Schmerzen. Ich habe ja auch den Trost, daß Adam noch eben so weit von dem würdigen Urjoko entfernt war wie ich von Adam. Sie sehen, auf diese Weise können wir alle unsern Stammbaum noch um ein halbes Dutzend Jahrtausende weiter hinauf verlegen – und das ist doch ein erhebendes Bewußtsein.«

Graf Pfungk zog die Brauen empor und strich sich über den Bart. Es war ihm peinlich, daß das Gespräch in Gegenwart seiner Gattin eine solche Wendung genommen hatte. Er liebte es überhaupt, dergleichen Dinge auf sich beruhen zu lassen und brachte daher das Gespräch wieder auf eine allgemeine Frage zurück.

»Sie sagten vorhin,« bemerkte er gegen Norwig, »daß sich in Amerika auch eine Aristokratie herausbilde. Sie meinen wohl die Aristokratie des Geldes?«

»Das Geld trägt allerdings dazu bei, eine Aristokratie zu schaffen,« versetzte Norwig, »aber erst im Laufe mehrerer Generationen, nachdem sich die Anpassung an die neue Sphäre der Bildung und der ästhetischen Lebensführung vollzogen hat. Es gibt keinen widerlicheren Plebejer als den reich gewordenen, wohl aber können sich in dessen Nachkommen die Spuren des trüben Ursprungs bald mehr oder weniger verwischen, je nachdem ernstes Bildungsstreben und die Beimischung neuen, guten Blutes die Veredelung der Rasse beschleunigen. Es können also nur vollständig stumpfsinnige Menschen, denen die Natur ein Buch mit sieben Siegeln ist, nicht einsehen wollen, daß der Adel eine naturnotwendige, oder sagen wir – eine göttliche Einrichtung ist.«

Diese Wendung fand allgemeine Zustimmung, und Herr von der Maltitz setzte noch hinzu: »Wir Landwirte sollten eigentlich dieser Belehrung nicht bedürfen. Unser ganzes Streben geht ja doch im Grunde darauf hinaus, unter unsrer Feldfrucht wie unter dem lieben Vieh – Aristokraten zu züchten.«

»Nein, über diese verrückten neumodischen Anschauungen!« rief die gute Gräfin in drolligem Entsetzen. »Da werden Sie wohl nächstens von mir verlangen, daß ich unsern Preisochsen mit cher cousin anreden soll!«

69 Die Gräfin stimmte selbst in das heitere Gelächter mit ein, welches ihr Ausruf erregt hatte. Nur Karl Egon Emich hatte sich mit einem matten Lächeln begnügt, dieweil er eben einem großen Gedanken auf der Spur war. Es war ihm immer peinlich, stumm dabei sitzen zu müssen, wenn gebildete Männer ein ernsthaftes Gespräch führten. Er glaubte aber den Grundgedanken von Norwigs Ausführungen erfaßt zu haben, und wandte sich mit der Frage an diesen: »Wenn ich Sie recht verstanden habe, müssen Sie also ein abgesagter Feind aller Mesalliancen sein?«

»Gewiß bin ich das,« versetzte Norwig, den blonden Grafen argwöhnisch ansehend. Hatte diese Aeußerung eine ironische Anspielung enthalten sollen? Graf Bencken wußte ja, daß er selbst eine untergeordnete Schauspielerin von recht zweifelhafter Herkunft geheiratet hatte. Doch wurde es ihm nicht schwer, den Hieb, wenn es einer sein sollte, zurückzugeben.

»Damit soll freilich nicht gesagt sein,« fuhr er fort, »daß ein Edelmann nur ein Edelfräulein heiraten dürfe. Jede Familie, in der Bildung und gute Sitte seit Generationen heimisch sind, halte ich für ebenbürtig; dagegen gibt es ja auch zahlreiche Adelsfamilien, in welchen nur Geistesträgheit und plumper Hochmut erblich sind. Es sind also sehr wohl Mißheiraten auch zwischen den ältesten Stammbäumen möglich.«

In diesem Augenblick wandte Fräulein Sophie aller Augen auf sich, indem sie unwillkürlich einen leichten Schrei ausstieß. Sie war sehr bleich und ihre Lippen bebten, als sie, vor die Gräfin hintretend, mit fast keuchendem Atem stammelte: »Verzeihen Sie mir meine Ungeschicklichkeit, gnädige Frau Gräfin! Ich habe beim Abtrocknen den Henkel abgebrochen.« Sie reichte dabei eine der bewußten Familientassen hin.

»Te te te – wie schade! Mußte es auch gerade Urgroßvater Jobst Heinrichs Hochzeitstasse sein!« rief die Gräfin, ihren Aerger des Gastes wegen mühsam unterdrückend.

Jetzt erst kehrte Friedrich aus dem Park zurück mit der Meldung, daß er weder den Herrn Maler noch die Komteß habe finden können. Die Gräfin fühlte, daß Fräulein 70 Bandemer sie ansah und rückte etwas ungeduldig auf ihrem Stuhle hin und her.

Indem kam Komteß Marie, ihrem Versprechen getreu, heraus, und wurde von Herrn von der Maltitz ehrerbietig begrüßt.

»War Vicki vielleicht oben bei dir im Zimmer?« erkundigte sich die Gräfin mit wachsender Unruhe.

Die Komteß verneinte.

»Es scheint, daß ich nicht den Vorzug haben soll, Komteß Viktoria zu begrüßen,« sagte der Senthiner bedauernd. »Als ich das letzte Mal bei Ihnen war, ließ sich die Komteß auch nicht sehen. Sollte mir ein so ungünstiger Ruf vorangehen, daß die jungen Damen vor mir davonlaufen?«

Hier erschien der Diener wieder und meldete, mühsam seine Lachlust unterdrückend, daß der alte Hinrich aus der Stadt zurückgekehrt sei und – der Herr Bahnhofinspektor um die Ehre bitte.

»Der Herr Bahnhofsinspektor!« rief der Graf erstaunt.

»Der Herr Bahnhofsinspektor?« echote seine Gattin. »Wenn da nicht Herr Hinrich eine großartige Dummheit gemacht hat . . .! Sie gestatten vielleicht, daß ich den Herrn hierher bitte.«

Auf Herrn von der Maltitz verbindliche Zustimmung befahl sie dem Diener, den Bahnhofsinspektor und zugleich auch den alten Hinrich herzuführen.

Norwig glaubte zu bemerken, daß seine Frau, oder vielmehr Fräulein Sophie, die Farbe wechselte. Auch war es auffällig, daß sie sich immer noch hier zu thun machte, obwohl Komteß Marie für Kaffee gedankt hatte und die Tassen von ihr bereits, wie die Gräfin es wünschte, gewaschen und abgetrocknet worden waren. Auch Graf Bencken hatte die Unruhe des Fräuleins bemerkt, doch schrieb er dieselbe dem Zauber seiner Blicke zu, mit welchen er jeder ihrer anmutigen Bewegungen gefolgt war.

Jetzt trat der Bahnhofsinspektor herein und verbeugte sich militärisch der Reihe nach vor allen Anwesenden.

Der Graf ging ihm entgegen und reichte ihm die Hand: »Ach mein lieber Herr Büchting – was verschafft uns das Vergnügen?«

71 »Frau Gräfin wünschten mich zu sprechen,« versetzte der Beamte einigermaßen erstaunt. »Hinrich sagte, daß er mich gleich mitnehmen sollte – und da ich gerade auf zwei Stunden dienstfrei bin . . .«

»Aber bester Herr,« rief der Graf mit einem verwunderten Blicke auf seine Frau. »Wir würden uns doch nicht erlauben, in dieser Weise über Ihre Zeit zu verfügen.«

»Na Hinrich, nu komm man driest hierrup und vertell mi mal, wo di dat gahn is.« Das sagte die Gräfin mit einladender Handbewegung.

Der alte Hinrich, der am Fuße der Treppe gewartet hatte, stolperte die Stufen herauf, machte seinen Kratzfuß, und reichte, seine vier Zähne grimmig fletschend, der Gräfin ein Paket in weißem Papier hin.

»Da is de Kuhnhahn werrer,« stotterte er. »Hei seggt, hei wull mit sonne Saken nix to dhaun hebben. Hei wihr ein'n ehrlichen Minschen, seggt hei, un dat Fröln müchten man Ehren Breif mit samt Ehren Kuhnhahn behollen.«

»Wat is dat, Hinrich? Dat is ja einen verdüwelten Snack! Wän hast du denn den Kuhnhahn brocht?«

»Je, den häw ick den Klavierstimmer Möller brocht – un do is de Breif vun dat Fröln.«

Sophie wollte den dargereichten Brief rasch ergreifen, aber die alte Gräfin war schneller als sie und riß ihn dem Alten aus der Hand. »Was ist denn das nun wieder?« rief sie mit einem vernichtenden Blick auf das Fräulein, nachdem sie die Aufschrift gelesen hatte. »Sie schreiben hier an Frau Bandemer und haben uns doch erzählt, daß Ihre Mutter tot sei!«

Norwig hing mit gespanntester Erwartung an Sophiens Lippen. Was würde sie sagen! Was bedeutete dieser ganze geheimnisvolle Vorgang, den die Vergeßlichkeit des alten Kutschers an den Tag gebracht hatte?

Das Fräulein hatte sich rasch genug gefaßt und erwiderte mit wahrhaft vornehmer Haltung: »Ich habe wohl nicht nötig, mich vor allen diesen Herrschaften zu rechtfertigen; doch werde ich Frau Gräfin unter vier Augen jede gewünschte Aufklärung erteilen.«

72 Komteß Marie vermochte nicht mehr an sich zu halten. Sie sprang auf und rief, mit einer Handbewegung gegen Sophien, welche deutlich besagte, daß sie entlassen sei: »Herr Fink wird im stande sein, uns die nötige Aufklärung zu geben, Mama; er kennt die Familie Bandemer zur Genüge. Wir brauchen das Fräulein nicht länger zu bemühen.«

Und gleich dem Wolf in der Fabel erschien in diesem Augenblick Fink selber auf der Treppe der Veranda und ihm folgte auf dem Fuße Komteß Vicki – aber in welchem Aufzuge!

Alle Anwesenden sprangen unwillkürlich von ihren Sitzen mit Ausrufen des Erstaunens. Aber ehe noch jemand eine Frage thun konnte, rief schon Komteß Vicki äußerst vergnügt: »Mama, Mimi! Denkt euch, ich bin ins Wasser gefallen – und Herr Fink hat mich herausgeholt!« Und dann brach sie in ein unbändiges Gelächter aus und schüttelte ihre noch immer triefenden Kleider.

»Und darüber lachst du?« rief die Gräfin. »Den Tod kannst du dir holen, wenn du dich nicht augenblicklich zu Bette legst!«

»Ja, Mama, erst war ich auch sehr erschrocken, aber es ist ja glücklicherweise gar nicht tief – und dann kamen wir uns so furchtbar komisch vor.«

Vicki bemerkte jetzt erst Herrn von der Maltitz und unterbrach ihr Gelächter, um ihm eine rasche Verbeugung zu machen. »Ach, guten Tag! Verzeihen Sie, ich sah Sie nicht gleich.«

Herr von der Maltitz wurde von ihrer Heiterkeit angesteckt und sagte lachend: »Ah, Komteß, ich werde wieder anfangen, an Feen zu glauben, seitdem ich eine so reizende Wassernixe mit meinen leiblichen Augen gesehen habe.«

»Ah – das war aber hübsch gesagt!« rief Vicki geschmeichelt. »Sie bleiben doch noch, damit ich mich Ihnen auch in Civil präsentieren kann?«

»Jetzt werden keine Witze gemacht, sondern ohne Murren ins Bett gegangen!« schloß die Gräfin ziemlich unwirsch die Unterhaltung, nahm ihr Töchterchen beim Arm und führte es hinaus.

73 Auch Meister Fink zog sich zurück, um seine Kleider zu wechseln. Fräulein Sophie schlüpfte, ohne weiter beachtet zu werden, hinter ihm in den Hubertussaal und holte ihn im Hausflur mit einigen raschen Schritten ein. Sie blieb an seiner Seite, während er die Treppen hinaufstieg, und flüsterte ihm zu: »Sie scheinen Ihr Versprechen recht bald vergessen zu haben!«

Da versetzte er, unbekümmert ob jemand sie hören mochte, laut und barsch: »Haben Sie ein Recht, mir Vorwürfe zu machen? Ich weiß jetzt, wie ich mit Ihnen daran bin, Sie falsche Heuchlerin Sie!«

»Still doch, still! Wie können Sie so schreien!«

Aber Fink ließ sich nicht abhalten, mit noch lauterer Stimme fortzufahren: »Nein, ich werde nicht schweigen. Meinetwegen mag es das ganze Haus hören, was ich von Ihnen denke. Eine Person, die sich nicht scheut, einen in Ehren graugewordenen alten Mann nichtswürdig zu verleumden, bloß um dem Sohne einen Tort anzuthun, von der wird man auch wohl sonst nicht viel Gutes zu erwarten haben.«

Sie waren auf dem oberen Flur angekommen, gerade vor dem Schlafzimmer der Komtessen. Sophie schritt rasch an ihm vorüber, um ihm zu entfliehen. Doch er war mit einem Sprunge an ihrer Seite, umfaßte mit hartem Griff ihren Arm und rief: »Oho, dageblieben! Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen! Ich will Ihnen nur offen gestehen, daß es mir doch noch sehr zweifelhaft scheint, ob Sie wirklich die Tochter der Tante Bandemer sind. Sie könnten zwar mit ihren verdammten Redensarten den Teufel betrunken machen, aber seit dieser Niedertracht glaube ich Ihnen kein Wort mehr. Mir scheint dieser Graf Bencken ein besseres Gedächtnis für alte Zeiten zu haben, wie Sie!«

Da that sich die Thür des Schlafzimmers auf, die alte Gräfin erschien darin und rief, ihre ganze Würde zusammennehmend: »Ich muß mir solche lauten Auftritte in meinem Hause ernstlich verbitten. Gehen Sie auf Ihr Zimmer, Fräulein. Ich werde Sie rufen lassen, wenn ich Zeit für Sie habe.«

74 Sophie gehorchte schweigend; Fink aber trat rasch auf die Gräfin zu und suchte ihre Hand zu fassen mit den Worten: »Verzeihen Sie, Frau Gräfin; ich weiß, daß ich mich sehr unpassend benehme; aber diese Dame hat sich in einer zu empörenden Weise . . .«

Die Gräfin entzog ihm ihre Hand und unterbrach ihn: »Schon gut, schon gut! Mit Ihnen möchte ich nachher auch noch ein Wort sprechen; aber jetzt ziehen Sie sich gefälligst erst mal trockene Beinkleider an.« Sie warf ihm einen bedeutsamen Blick zu und begab sich wieder in das Zimmer zurück.

Komteß Vicki lag bereits im Bett, als ihre Mutter wieder eintrat. »Was hat er gesagt, Mama? Hat er es der alten falschen Person tüchtig gegeben?« erkundigte sie sich eifrig.

Die Gräfin nahm auf dem Rande des Bettes Platz und sagte streng: »Du hättest Ursache, nicht so vorlaut zu sein. Fräulein Bandemer that nur ihre Pflicht, indem sie mir mitteilte, wie sehr du dich vergessen hast.«

»Das brauchte sie dir gar nicht erst mitzuteilen,« rief Vicki, ohne sich durch den strafenden Blick ihrer Mama einschüchtern zu lassen; »das hätte ich dir schon selbst gesagt; denn ich liebe ihn so furchtbar, daß ich nicht ohne ihn leben kann! Ach Mama, du mußt uns deinen Segen geben, oder ich gehe ins Wasser.« Vickis Augen glänzten in hellem Feuer, sie richtete sich auf und umschlang leidenschaftlich den Hals ihrer Mutter.

Die Gräfin ließ das ruhig geschehen und sagte ganz trocken: »Du kommst ja eben aus dem Wasser – was willst du denn da schon wieder drin?«

»O, ich suche mir die tiefste Stelle aus. Man kann sehr gut ertrinken in unserm Teich.«

»Ich will dir was sagen, Kind,« versetzte die Gräfin, indem sie sich aus der Umarmung Vickis befreite: »Ich weiß eine viel bessere Abkühlung für dich: du wirst mal ein bißchen verreisen. Ich werde heute noch an Tante Auguste schreiben, ob sie dich für ein Jahr oder je nachdem, längere oder kürzere Zeit, gebrauchen kann.«

75 »Wie!« rief Vicki entsetzt: »Ich soll zu Tante Auguste ins Krankenhaus? Doch nicht etwa als Schwester? Immer in schwarzer Wolle und den gräßlichen weißen Hut auf dem Kopf!«

»Ja, das sollst du allerdings. Es scheint mir höchste Zeit, daß du dir das Leben auch einmal von einer andern Seite ansiehst. Ich habe geglaubt, du wärst noch ein richtiges Kind und habe dich ruhig austoben lassen. Ich habe auch gar nichts dagegen einzuwenden, wenn du einen jungen Herrn gern leiden magst und vergnügt mit ihm herumstrolchst. Aber sich gleich so mir nichts dir nichts mit ihm abküssen und hinter dem Rohr im Teich verkriechen, daß euch kein Mensch finden kann, und Koboltz ins Wasser hineinschlagen, und dann schließlich noch um meinen Segen bitten – das geht mir denn doch ein bißchen zu weit!«

Vicki brach in Thränen aus: »Aber Mama, was soll man denn anders machen, wenn man sich liebt? Man muß sich doch wenigstens küssen – es sieht ja sonst zu dumm aus!«

»Wenn du erst ein paar Jahre älter geworden bist, wirst du erst einsehen, wie dumm die ganze Geschichte sich ausnimmt – mit oder ohne Küssen, das bleibt sich ganz gleich!« versetzte die Gräfin, welche Mühe hatte, der Naivetät ihrer verliebten Vicki mit dem nötigen Ernste zu begegnen. Und dann fuhr sie fort, indem sie dem weinenden Mädchen mütterlich auf die Wangen klopfte: »Du bist wirklich noch eine so dumme Dirn, mein Kind, wie es sich für sechzehn Jahre kaum noch schickt. Ich will nicht, daß du dein Probejahr als Schwester für eine Strafe ansehen sollst. Ich will dir nur Gelegenheit geben, dich in Werken der christlichen Liebe zu üben und dabei einsehen zu lernen, daß auch ein junges Mädchen von Adel, das es sonst nicht nötig hätte, sich nützlicher und ernster – und außerdem Gott wohlgefälliger beschäftigen kann, als wenn es zu Hause wie so ein junger Hund in den Tag hineinlebt, und sich von jedem leichtsinnigen Künstler abküssen läßt!«

»Aber Mama,« rief Vicki mit dem Brustton der Ueberzeugung: »Mein Hans ist kein leichtsinniger Künstler! Er 76 ist ein so erfahrener, edler Mann – schon zweiunddreißig Jahre alt! Und ein Philosoph – ich sage dir, ein Philosoph! Weißt du, was er gesagt hat? Außer der Liebe wäre alles fauler Zauber in der Welt! Und das Leben hätte so verwünscht wenig Spaßhaftes, daß man immer dankbar mitnehmen müßte, was einem von Liebe am Wege blüht – ja, am Wege blüht, hat er gesagt!«

»Na, das ist ja recht nett!« rief die Gräfin, und ihre vollen Wangen schaukelten dabei – es war nicht ganz klar, ob vor Entrüstung oder Vergnügen. »Ein recht gemütlicher Philosoph, das muß ich sagen! ›Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht, pflücket die Rose, eh' sie verblüht!‹ Dein Hanswurstfink nimmt aber auch mit Gänseblümchen vorlieb, scheint's! Solche Bescheidenheit findet man heutzutage wirklich selten!«

Vicki war sehr empört und schluchzte laut auf: »O Mama, dein Spott wird dich noch gereuen! Du wirst es sehen, ich überlebe es nicht acht Tage, wenn du Hans und mich auseinander reißt!«

»Na, na, tröste dich nur,« beruhigte die Gräfin: »ihr sollt beide ganz bleiben; und jetzt wirst du erst mal eine schöne Tasse Fliederthee trinken. Wenn du erst ordentlich in Schweiß kommst, wird dir schon leichter ums Herz werden. Du glaubst nicht, wie verliebten Leuten das Schwitzen gut bekömmt – ich weiß es aus Erfahrung.« Sie gab Vicki einen Kuß auf die Stirn, klopfte ihr noch einmal zärtlich die glühenden, weichen Wangen, und überließ sie dann sich selbst. –

Draußen auf dem Korridor überlegte die Gräfin einen Augenblick, welchen Teil ihres Richteramtes sie nun zunächst erledigen wolle. Sie entschloß sich, zunächst den Maler und Philosophen Hans W. Fink zu verhören, und stieg bedächtig die Treppen nach dem obern Stockwerk hinauf. Sie klopfte kräftig an seine Thür und rief laut: »Herr Fink, haben Sie schon die Hosen an?«

Der Künstler öffnete ihr selbst und sagte, daß er eben im Begriff gewesen sei, hinunter zu gehen.

»Nein, bleiben Sie noch einen Augenblick,« versetzte 77 die alte Dame: »Wir können uns ja hier auch ganz gut aussprechen.«

Fink verbeugte sich zuvorkommend und bot ihr einen Platz auf dem Sofa an, indem er die darauf nachlässig hingeworfenen feuchten Kleidungsstücke hastig zusammenraffte und in die Ecke auf die Erde schleuderte.

»Frau Gräfin haben Ursache, über mich ungehalten zu sein,« eröffnete er das Gespräch. »Ich habe keine andre Entschuldigung für mich, als mein Künstlerblut und die unwiderstehliche Anmut Ihrer Komteß Tochter.«

Dies ehrliche Geständnis und die Art, wie es vorgebracht wurde, beeinflußte unwillkürlich die Gräfin zu gunsten des Verbrechers.

»Nun, es freut mich, daß Sie wenigstens nicht leugnen,« begann sie, indem sie das erste beste Blatt Papier vom Tische nahm und sich damit Kühlung zufächelte. »Ich hoffe, Sie bereuen auch aufrichtig, was Sie gethan haben!«

»Offen gestanden, nein!« platzte Hans heraus. »Es war zu schön!«

Die Gräfin ließ die Hand mit dem Papier in ihren Schoß sinken und starrte den offenherzigen Maler wie ein Meerwunder an. Endlich sagte sie: »Nun freilich, bei Ihrer Windhunds-Philosophie braucht man sich über solche Verstocktheit nicht zu wundern. Aber sagen Sie mal, was denken Sie sich eigentlich dabei, wenn Sie solchem dummen Ding, wie Vicki ist, einreden, daß außer der Liebe alles fauler Zauber wäre?!«

Hans lächelte und erwiderte: »Das ist allerdings meine feste Ueberzeugung, Frau Gräfin; und Sie werden mir zugeben, daß . . .«

»Gar nichts gebe ich zu, als daß Ihre sogenannte Philosophie der richtige faule Zauber ist! Ihre Ansichten gehen mich freilich nichts an, und ihr Künstler werdet wohl alle nicht viel taugen; aber das möchte ich Ihnen doch begreiflich machen, daß man einem jungen, unerfahrenen Mädchen nicht solche Dinge in den Kopf setzt. Ihr mögt euch dabei ganz wohl befinden, wenn ihr als Schmetterlinge von einer Blume zur andern flattert, aber für ein junges Mädchen ist 78 solche Liebe ein zu gefährliches Spielzeug. Solch armes Ding ist im stande und grämt sich sein Leben lang über so eine Dummheit, die ihr am andern Tage schon vergessen habt. Anständige junge Mädchen lieben nicht auf Probe – die wollen gleich geheiratet werden! Denn unglückliche Liebe macht sie alt und dann kriegen sie so leicht keinen Mann mehr. Es ist etwas Schreckliches, so eine alte Jungfer, die sich von verliebten Erinnerungen nährt und dabei immer noch unverrichteter Sache herumläuft! Ihr Männer könnt das freilich nicht begreifen – ihr seid nun einmal eine andre Sorte Menschen.«

»Ich gebe zu,« versetzte Fink nachdenklich, »daß Ihre Schilderung unter Umständen zutreffen mag, wenn es sich um ein sentimentales Mädchen handelt. Aber von Komteß Vicki glaube ich das nicht. Die Sentimentalität liegt ja auch gar nicht in der Familie – Sie, Frau Gräfin, haben wenigstens nichts davon, Sie mit ihrem goldnen Humor – ich müßte mich sehr irren, wenn Komteß Vicki den nicht auch geerbt hätte.«

»Ach was! Lustigkeit und kindliche Unvernunft sind noch kein Humor; den haben höchstens alte Frauen wie ich, die schon etwas im Leben durchgemacht haben und wissen, worauf sie sich verlassen können, wenn ihnen die Welt einmal zu verdreht vorkömmt,« sprach die Gräfin. Und dann fügte sie noch hinzu: »Aber Sie haben doch wenigstens nicht den romantischen Gedanken gehabt, etwa mit dem Kinde durchzugehen nach Gretna-Green, nicht wahr?«

»O nein, wahrhaftig nicht! Das habe ich der Komteß auch gleich gesagt.«

»Na, das ist schön, dann wird sich ja die Sache vielleicht noch zurechtziehen,« sagte die Gräfin, indem sie sich erhob. »Von Rechts wegen hätte ich Sie gleich ersuchen müssen, Ihren Koffer wieder zu packen – aber ich kann doch nicht gut mein Bild in dem jetzigen traurigen Zustande zum ewigen Gedächtnis Ihrer . . . Philosophie hier herumstehen lassen! Meine Tochter wird daher morgen das Haus verlassen, und Sie müssen mir versprechen, nicht wieder durch heimliche Briefe oder sonstwie mit ihr anzufangen. Geben Sie mir Ihre Hand darauf.«

79 Hans Fink war sehr bewegt, als er nach kurzem Zögern ehrlich einschlug. »Ich verspreche es,« sagte er. »Nur eins erlauben Sie mir wohl! Daß ich die Zeichnung, die Sie eben in der Hand hielten, der Komteß als Andenken lassen darf?«

Es war das Bild der lesenden Vicki, und die Gräfin konnte sich nicht enthalten, bei dessen Anblick auszurufen: »Ach wie reizend, wie sprechend ähnlich! Ja, das mögen Sie ihr gerne schenken.«

Dann gingen sie zusammen hinunter.

Unterdessen hatten sich die Herrschaften von der Veranda in den Park begeben. Graf Pfungk ging mit Herrn von der Maltitz und seinem Neffen voraus, während Komteß Marie, von Herrn von Norwig geführt, langsam folgte.

»Sie haben meine Zeilen erhalten?« eröffnete Norwig das Gespräch.

»Ja,« sagte die Komteß; »ich danke Ihnen für Ihren Vorschlag. Aber eine Frage müssen Sie mir jetzt gleich beantworten: Ist Ihre Frau eine geborene Bandemer?«

»Keineswegs,« erwiderte er. »Ich heiratete meine Frau unter dem Namen Josephine Schweichel, unter welchem sie auch aufgetreten war. Ihre Papiere waren vollständig in Ordnung. Ihre Eltern habe ich allerdings nicht mehr gekannt, doch hat mir Josephine verschiedene Briefe ihres Vaters gezeigt, aus welchen hervorging, daß er gleichfalls Schauspieler und überdies ein Mann von originellem Geist gewesen ist, wenn auch ohne eigentliche Bildung. Auch die Mutter soll Schauspielerin gewesen, aber schon gestorben sein, als Pepi noch ein Kind war.«

»Und wie kommt die Frau jetzt zu diesem neuen Namen?«

»Das ist mir selbst ein Rätsel, Komteß. Sie weigert sich auf das allerbestimmteste, mir darüber Auskunft zu geben; behauptet aber, daß man ihr keinerlei Fälschung nachweisen könne, und daß es ganz in ihrem Belieben stehe, ob sie sich hier in Deutschland als Frau von Norwig oder als Frau Bandemer aufhalten wolle.«

»Ich bin fest überzeugt, daß sie sich ihre neuen Papiere auf irgend eine unrechtmäßige Weise angeeignet hat. Wir 80 werden ja nun durch Herrn Fink erfahren, ob sie wirklich dieselbe Sophie Bandemer ist, auf die ihre Papiere ausgestellt sind.«

Norwig blieb verwundert stehen. Er begriff nicht, was der Maler mit dieser Sache zu schaffen hätte und die Komteß mußte ihn erst über dessen Beziehungen zur Frau Bandemer aufklären.

»Sollte sich mein Verdacht bestätigen,« fuhr die Komteß fort, »so würden Sie ja eine neue Waffe gegen sie in die Hand bekommen. Sie würden dann doch kaum mehr zögern, die Scheidungsklage wieder aufzunehmen.«

»Ich fürchte, ich würde damit wieder nicht durchdringen,« seufzte Norwig. »Denn nach den Erklärungen, die mir Graf Bencken heute morgen gegeben hat, fällt der entscheidende Punkt der Klage fort.« Er teilte ihr in Kürze den Inhalt des Gespräches mit ihrem Vetter mit. »Und an Urkundenfälschung oder dergleichen glaube ich auch nicht recht. Sie muß doch irgend welche Beziehungen zu dieser Frau Bandemer haben – wie würde sie sonst wagen, ihr zu schreiben?«

»Ach, was fällt mir da ein!« rief die Komteß, wieder stehen bleibend: »Fink ließ ja Andeutungen fallen, nach welchen Fräulein Sophie mit dem Sohne des Hauses, in dem sie in Hamburg in Stellung war, sehr intime Beziehungen angeknüpft habe, und ich erinnere mich, daß in dem Empfehlungsschreiben der Frau Konsul Wuvermann diese Beziehungen als Grund der Entlassung angedeutet wurden.«

»Herr Fink würde mir allerdings einen wichtigen Dienst erweisen, wenn er über diesen Punkt sichere Thatsachen mitteilen könnte; aber Sie begreifen: da ich es um jeden Preis verhindern möchte, daß irgend jemand außer Ihnen meine wahren Beziehungen zu diesem angeblichen Fräulein auch nur ahne, so kann ich natürlich Herrn Fink nicht selbst um eine derartige Auskunft angehen.«

»Verlassen Sie sich ganz auf meine Diplomatie,« sagte die Komteß, indem sie sich fester an seine Seite schmiegte und ein zartes Rot der Begeisterung ihre Züge verschönte: »Ich will thun, was menschenmöglich ist, um Sie von Ihren unwürdigen Fesseln zu befreien!«

81 Er küßte ihr bewegt die Hand und sagte leise: »O, teuerste Komteß, ich fürchte, das wird eine Aufgabe sein, die selbst Ihre Liebe nicht zu lösen im stande sein wird. Ich habe kaum noch eine Hoffnung, als die eine, daß Sie mich nicht verachten möchten, wenn Sie erst mein Manuskript gelesen haben werden.«

»Mein Gott, was werde ich erfahren!?«

»Lassen Sie mich die wenigen Stunden meiner Henkersfrist genießen. Sie wissen nicht, wie unendlich kostbar sie mir sind!« flüsterte Norwig, ihren Arm zärtlich an seine Seite pressend. »Das Bewußtsein, daß Sie mich geliebt haben, wird mir den Glauben an mich selbst erhalten, auch wenn vielleicht Schande und Verbannung meiner warten sollten.«

Längere Zeit vermochte keins von beiden ein Wort zu finden, um sich der Stimmung ängstlicher Spannung zu entreißen. Er fühlte ihr Herz gegen seinen Arm schlagen und ihre ruhelos beweglichen Nasenflügel verrieten ihre heftige Erregung.

»Lassen Sie mich hier niedersitzen – ich bin erschöpft!« sagte sie endlich, als sie sich einer Bank näherten, von welcher aus sich ein prächtiger Ausblick auf die sanfte Hügellandschaft darbot. Die andern Herren kehrten sich auch gerade um und beeilten sich, der leidenden jungen Gräfin Gesellschaft zu leisten.

Dort fanden auch die Hausfrau und Meister Fink die Herrschaften noch versammelt, als sie bald darauf in den Park hinauskamen. Natürlich erkundigte man sich angelegentlichst, wie Komteß Vicki das unfreiwillige Bad bekommen sei.

»O, ich danke, ganz gut,« versetzte die Gräfin. »Ich habe ihr sogar den Kopf noch einmal nachträglich gewaschen.«

»Nun, das nenne ich mir ein Komteßchen, das sich gewaschen hat!« rief Herr von der Maltitz lachend. »Entschuldigen Sie, gnädigste Gräfin, daß ich den Scherz auf Ihr Fräulein Tochter anzuwenden wagte. Ich muß gestehen, ich habe nie etwas Entzückenderes erlebt als diese Scene, die mir die Bekanntschaft der Komteß verschaffte. Meinen Sie 82 nicht, Herr Fink, daß das ein reizendes Genrebild abgeben müßte?«

Hanswurstfink pflichtete trübselig lächelnd bei, und der Senthiner wandte sich wieder an die Gräfin mit der erneuten Versicherung, daß er durch Komteß Vickis Erscheinung auf das angenehmste überrascht worden sei. Er habe ein Kind erwartet, und eine vollkommene junge Dame in ihr gefunden. – Kurz vor Sonnenuntergang verabschiedete sich der Gast, freilich ohne Vicki »in Civil« gesehen zu haben. –

Als die Gräfin mit ihrem Gemahl allein war, machte sie ihm pflichtgemäß Mitteilung von dem ebenso kurzen als pikanten Roman, der sich im Laufe dieses Tages im Schoße ihrer Familie abgespielt hatte, und unterbreitete ihm das Urteil, das sie gegen Vicki gefällt hatte, zur väterlichen Bestätigung. Es wurde dem guten Grafen recht schwer, der Verbannung seines Lieblings zuzustimmen. Das drollige Mädchen hatte so viel Sonnenschein im Hause verbreitet – es würde nun Winter werden, solange es ihm fern blieb! Doch gegen die Entschlüsse seiner Gemahlin richtete er erfahrungsmäßig wenig aus. Da die Gräfin ihres Bildes wegen an Räsendorf gefesselt war, so fiel ihm selbst das Amt zu, die Verbannte zu geleiten. Uebrigens bot ihm die Aussicht, einige Tage der Freiheit in der Reichshauptstadt genießen zu dürfen, in seinem Vaterschmerze einigen Trost. Die Tante Auguste, welche fortan Vicki zu Werken der christlichen Liebe anleiten sollte, war eine Schwester der Gräfin, Oberin eines bekannten Berliner Krankenhauses im Westen der Stadt, und gleich ihrer jüngeren Schwester keine sauertöpfische Frömmlerin, sondern vielmehr eine heitere und sehr thatkräftige alte Dame.

Zum Schluß ihrer Unterredung bemerkte die Gräfin noch, daß Vicki ihr einen entschiedenen Eindruck auf Herrn von der Maltitz gemacht zu haben scheine.

»Das ist dir also auch aufgefallen?« versetzte der Graf. »Ein sehr angenehmer Mann, unser Herr Nachbar – sehr thätig und solide – gute Gesinnungen – allerdings nur kleiner Adel; aber alt und sehr respektabel – eine Maltitz 83 war, glaube ich, sogar einem Kurfürsten von – ja, wo war's doch gleich? – morganatisch angetraut; ihre Kinder wurden ja bekanntlich gefürstete Grafen von Dings da . . . mein Gedächtnis ist zu schlecht für solche Sachen!«

»Ist mir auch sehr gleichgültig,« sagte die Gräfin. »Jedenfalls sind die Verhältnisse recht dürftig – und dann die Verwandtschaft! Denke doch nur, einer von den Brüdern ist ja Schriftsteller und hat natürlich eine skandalöse Heirat gemacht, wie man munkelt! Mit solchen Leuten kann man sich doch nicht liieren!«

Damit war dieser Gegenstand vorläufig erschöpft. Die Gräfin begab sich in ihr Zimmer hinüber, um nunmehr das Fräulein Sophie vor ihren Richterstuhl zu ziehen. –

Das Verhör gestaltete sich wesentlich anders, als die Gräfin erwartet hatte. Denn nicht schuldbewußt und ängstlich, sondern voll edlen Stolzes trat Fräulein Sophie vor ihre gestrenge Herrin hin und erklärte den Umstand, daß sie ihre Mutter verleugnet habe, ungefähr mit denselben Worten, welche sie erst heute früh dem Vetter Fink gegenüber gebraucht hatte. Was ihre abscheuliche Verleumdung betraf, so gab sie zu, daß die Wahl des Mittels eine unglückliche gewesen sei, betonte jedoch, daß die Verirrung der Komteß ja nur zu deutlich bewiesen habe, wie sehr bei der Unerfahrenheit des jungen Mädchens eine eindringliche Warnung am Platze gewesen sei.

Die Gräfin mußte zugestehen, daß die Handlungsweise des Fräuleins erklärlich und ihre Absicht eine gute zu nennen sei. »Aber wissen Sie,« fuhr sie fort, »mag Ihre Absicht auch noch so löblich gewesen sein, die Jesuiterei ist mir in den Tod zuwider! Gelogen ist gelogen – und wenn Sie dadurch einem das Leben retten können! Das heißt: jeder Mensch lügt ja bei Gelegenheit mal ein bißchen, aber es ist doch ein großer Unterschied, ob ich damit einem andern die Ehre abschneide oder bloß eine eigne kleine Dummheit damit vertuschen will. Und was die Geschichte mit Ihrer Mutter anbetrifft, so hatten Sie es wahrhaftig nicht nötig, erst unsern Herrn Bahnhofsinspektor mit Ihren parfümierten Billets-doux zu Heimlichkeiten zu verleiten. Habe 84 ich Ihnen vielleicht den Eindruck gemacht, als ob ich Sie entgelten lassen könnte, was etwa Ihre Eltern verbrochen haben mögen? Wir wollen uns ja nicht verheiraten! Was geht mich also Ihre Familie an – wenn ich nur weiß, daß ich mich auf Sie selbst verlassen kann! Aber nach dem, was mir Herr Fink eben erzählt hat, scheint es mir doch recht zweifelhaft, ob Sie überhaupt die sind, für die Sie sich ausgeben.«

»Ich muß gestehen,« erwiderte Sophie, »daß Herr Fink mit Erfolg bemüht gewesen ist, sich für die Kränkung seines Vaters an mir zu rächen. Wenn Frau Gräfin in mir eine gemeine Betrügerin sehen wollen, so bleibt mir nichts übrig, als um meine Entlassung zu bitten.«

»Und was wäre damit bewiesen?« frug die Gräfin ruhig. »Mögen Sie mit Ihrer Mutter stehen wie Sie wollen, das können Sie doch wenigstens von ihr verlangen, daß sie Ihnen schriftlich Ihre Echtheit bestätigt.«

»Ich bin für meine Mutter seit einem Jahrzehnt beinahe verschollen gewesen,« wandte Sophie ein, »sie wird mich kaum aus meiner Handschrift erkennen können, denn die war damals noch recht kindisch. Einzelheiten über ihre Familie und das Leben ihrer Tochter könnte ich ja auch auf anderm Wege erfahren haben – wie sollte sie mich also erkennen, ehe sie mich mit eignen Augen gesehen hat?«

»Da haben Sie allerdings recht,« bestätigte die Gräfin. »Es bleibt also nichts andres übrig, als daß Sie Ihre Mutter hierher kommen lassen. Die Reisekosten will ich gern tragen.«

»Frau Gräfin werden, nach den Andeutungen, die ich machte, ermessen können, wie peinlich es mir sein muß, diese Frau hier im Hause als meine Mutter anzuerkennen – ganz besonders während der Anwesenheit des Herrn Fink. Vielleicht gewähren mir gnädige Frau einige Tage Urlaub, damit ich mich ihr selbst in Lüneburg vorstellen kann. Ich bringe Ihnen dann die schriftliche Bestätigung zurück . . .«

»Die können Sie sich ja auch selbst schreiben,« warf die Gräfin kühl ein.

85 »Und wenn ich die Handschrift meiner Mutter amtlich beglaubigen lasse, würde das Frau Gräfin genügen?« rief das Fräulein tiefgekränkt mit herausfordernd erhobenem Haupte.

Die Gräfin gab zu, daß dies genügen dürfte, doch wolle sie erst das Urteil des Grafen einholen, ehe sie den Urlaub gewähren könne. Mit diesem Bescheide entließ sie das Fräulein. –

Ungeachtet der vielfachen Kränkungen, die Fräulein Bandemer im Laufe des Tages über sich hatte ergehen lassen müssen, saß sie doch bei der Abendandacht wieder in jener demütig frommen Haltung da, die ihr so gut stand: Das Köpfchen gottergeben zur Seite geneigt, die Hände im Schoße gefaltet und die zierlichen Füße gerade vorgestreckt und übereinander gelegt. Graf Bencken, das edle Biest von Büsterloh, wähnte nicht anders, als daß das wohlgezielte Feuer seiner blauen Augen bereits eine erkleckliche Anzahl von Kernschüssen in das Herz der schönen Sophie entsendet, und daß sie jene verführerische Haltung lediglich ihm zu Gefallen eingenommen habe. Wenn sie nur einmal den Blick zu ihm erhoben hätte – seine Augen sollten dann schon eine Sprache reden, welche sie verstehen mußte! Ihre Füße kamen ihm heute womöglich noch kleiner vor als gestern, und er nahm sich im stillen selber das feste Versprechen ab, daß er ihr heute noch eine Schmeichelei darüber sagen wollte. Wenn nur seine verwünschte Schüchternheit ihm nicht wieder einen Streich spielte! Wie oft hatten sich Seiner Erlaucht schon die entzückendsten Abenteuer förmlich aufgedrängt, und doch hatte ihn stets im richtigen Augenblick der nötige Schneid verlassen. Da sein Oheim morgen früh mit Cousine Vicki nach Berlin reiste, konnte er nicht gut anders als sich ihnen anschließen. Wenn er also noch einen kleinen Sieg erringen wollte, so war keine Zeit zu verlieren. Um seinen Mut zu befeuern, schwur er sich, daß er sich selber, und zwar schriftlich, für ein Nilpferd erklären wolle, falls er nicht heute noch einen Ausfall auf seinen schönen Feind wagte. Indem er über solchen Plänen brütete, bedeckte eine verräterische Glut seine sorgfältig rasierten Wangen, und unter dem auf russisch in die Stirn frisierten, 86 schon etwas dünnen Blondhaar perlten verstohlen einige kühle Tröpfchen hervor. –

Komteß Vicki hatte nicht beim Thee erscheinen dürfen, obwohl ihr, abgesehen von ihrem Liebesschmerz, nichts Besondres fehlte. Selbst ihr inständiges Flehen, daß Mama doch wenigstens noch eine einzige, erste und letzte Tanzstunde erlauben möge, war vergebens gewesen. Schwester Marie, die sich gleich nach dem Thee zurückgezogen hatte, leistete ihr Gesellschaft. –

Als die Abendandacht vorüber war, nahm Graf Bencken einen kräftigen Anlauf, seinen Schwur zu erfüllen. Unter dem Vorwande, daß er dem Diener einen Auftrag zu geben habe, blieb er zurück und folgte dem Fräulein Sophie in den Hausflur. Aber wie fatal – das Fräulein stand am Fuße der Treppe in angelegentlicher Unterhaltung mit dem Inspektor Reusche! Er konnte doch unmöglich, ohne seiner Würde etwas zu vergeben, das Ende dieser Unterhaltung abwarten und dann dem Fräulein auf der Treppe nachlaufen! Still seufzend über sein Mißgeschick begab er sich zu seinem Oheim. –

»O mein lieber Herr Inspektor,« sagte das Fräulein, ihre schönen Augen verheißungsvoll zu dem verwirrten Ludolf aufschlagend: »Sie wissen nicht, wie sehr ich mich gerade heute nach einer Aussprache sehne. Ich habe namenlose Kränkungen erdulden müssen – da thut es so wohl, sich einer mitfühlenden Seele mitzuteilen. Aber die Frist ist zu kurz, bis Friedrich die Hausthür schließt!«

Der Inspektor wurde kühn. »Könnten wir nicht nachher? . . .« stotterte er: »Der Schlüssel der Hausthür bleibt ja innen stecken. Wenn Sie vielleicht . . .«

Das Fräulein schien mit einem Entschluß zu kämpfen. Nach kurzer Ueberlegung flüsterte sie errötend: »Ich will es versuchen. Wenn alles im Hause schläft . . . es ist ja wahrscheinlich das letzte Mal – denken Sie darum nicht schlecht von mir!«

»Wollen Sie fort von hier?« rief Ludolf überrascht. Und dann fügte er feurig hinzu: »Ich gehe mit Ihnen, Fräulein, ich folge Ihnen bis ans Ende der Welt.«

87 »Wirklich, Sie wären im stande?! Edler Mann!« Sie drückte ihm warm die Hand. »Ja, lassen Sie uns in stiller, verschwiegener Nacht alles überlegen. Erwarten Sie mich zwischen Elf und Zwölf an der Statue des kleinen Amor in der Jasminlaube. Hoffentlich gehen die Herrschaften nicht so spät schlafen! Sie können doch ungehindert aus dem Hause?«

»Ja, gewiß. Der Herr Verwalter kommt glücklicherweise heute früh herüber. Er hat mir schon gesagt, daß er heute nacht noch viel zu schreiben hätte. Er läßt auch den Schlüssel innen stecken.«

»Nun, dann ist ja alles gut. Mag jetzt kommen, was da will, da ich Ihrer Liebe gewiß bin! Auf Wiedersehen also!«

»Auf Wiedersehen!« gab Ludolf innig zurück. Und dann entfernte er sich, während das Fräulein die Treppe hinaufhuschte.

Kaum aber hatte er die Hausthür hinter sich geschlossen, da kehrte sie wieder um, als habe sie etwas vergessen. Sie eilte noch einmal in die Küche hinunter und fand dort das anmutige Lining allein, noch mit dem Auswaschen des Geschirres vom Abendessen her beschäftigt.

 


 


 << zurück weiter >>