Ernst von Wolzogen
Die tolle Komteß
Ernst von Wolzogen

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Achtes Kapitel.

Erstes Auftreten des berühmten Universalgenies Hans W. Fink, genannt Hanswurstfink, aus Hamburg. Eine sonderbare Verwandtschaft. Der Senthiner Nachbar oder »Die Moorkultur«, und zum Schluß: »Vetter Emich oder Ein gefährlicher Gast«.

Seit den geschilderten Ereignissen waren acht Tage vergangen – acht trübselige Tage! Die Sorge um die tolle Komteß drückte ersichtlich auf die sonst so gleichmäßig ruhige Stimmung der gräflichen Familie, und selbst die heitere, urgesunde Vicki ging ernst und still im Hause umher wie eine barmherzige Schwester.

Der Graf, der seine älteste Tochter zärtlich liebte, hatte noch am ersten Tage seinen Stubenarrest unterbrochen, um hin und wieder eine Stunde an ihrem Krankenlager zuzubringen. Am Sonntag war er, dem dringenden Wunsche seiner Gattin folgend, zum heiligen Abendmahl gegangen und danach als reuiger und reingewaschener Sünder wieder in Gnaden aufgenommen worden. Die Gräfin verfehlte natürlich nicht, ihm gegenüber den Unfall, der Komteß Marie betroffen hatte, als eine Mahnung des Himmels für ihn darzustellen, der, anstatt immer noch fremden hübschen Mädchen nachzulaufen, lieber seine Töchter so hätte erziehen und behüten sollen, daß solche beklagenswerten Unglücksfälle unmöglich geworden wären.

137 Die Komteß war allerdings nach acht Tagen im stande, das Bett zu verlassen und sich langsam und vorsichtig in Haus und Garten zu bewegen, doch wurde sie noch von Zeit zu Zeit von Schmerzen heimgesucht, die nur von einem innerlichen Schaden herrühren konnten, den sie bei dem Sturze davongetragen haben mußte. Der Arzt war sich nicht recht klar über die Natur des Leidens und hatte selbst geraten, einen hervorragenden Spezialisten zu konsultieren.

Mit der neuen Woche sollte aber auch wieder neues Leben in das Schloß kommen; denn der junge Maler, der berufen war, die würdigen Züge der Gräfin Aurelie Pfungk der Nachwelt zu überliefern, der bewußte Hans W. Fink, den, wie man sich erinnern wird, Vicki schon im voraus in Hanswurstfink umgetauft hatte, erwies sich als ein liebenswürdiger Gesellschafter von nie versiegender guter Laune, naiver Offenheit und gesunder, wenn auch etwas unerzogener Ungeniertheit.

Herr Fink war ebenso wie damals Fräulein Sophie mit dem Morgenzug von Hamburg angekommen. Es wurde ihm dasselbe Zimmer eingeräumt, welches bisher der inzwischen nach dem Wirtschaftshause übergesiedelte Oberverwalter innegehabt hatte. Nachdem er sich den Reisestaub abgespült und sich in seine Sonntagstoilette geworfen hatte, welche in einem elegant geschweiften kornblumblauen Kammgarnröckchen, heller, blaugetupfter Weste und prallsitzenden, langgestreiften Hosen bestand, machte er dem Grafen seine Aufwartung und wurde in liebenswürdigster Weise begrüßt. Der Graf geleitete ihn dann sofort zu seiner Gemahlin, welche samt den beiden Töchtern in der Glasveranda mit Handarbeiten beschäftigt war. Auch die Damen empfingen ihn sehr freundlich, obwohl mit einiger Verwunderung. Sie mochten sich alle drei unter einem Maler einen blassen, langhaarigen Jüngling in Samtjackett und Schlotterhose vorgestellt haben, welcher Vorstellung 138 dieser wohlgenährte junge Mann mit dem rosigen Teint und den scharf und keck dreinschauenden blauen Augen allerdings in keiner Weise entsprach.

Der Künstler seinerseits mochte durch den ersten Anblick seines Modells sich ebenfalls ein wenig enttäuscht fühlen, indem die gute Gräfin, wie sie so über ihre runden Brillengläser hinweg in drolliger Betroffenheit zu ihm hinauf äugte, einen vom malerischen Standpunkte aus nicht eben begeisternden Eindruck machte. Herr Fink begrüßte die Damen mit drei sehr eilfertigen und nicht eben hoffähigen Bücklingen, welche Komteß Vicki fast so erstaunlich vorkamen, wie die sagenhaften Ehrenbezeigungen der Fidji-Insulaner.

Eine der ersten Fragen der Gräfin war, ob sie ihm wohl mit einem kleinen Frühstück dienen könne.

»Ja wohl, Frau Gräfin, das ist eine famose Idee – ich habe nämlich einen schauderhaften Hunger!« rief Fink vergnügt. –

Es war erstaunlich, welchen Appetit der junge Musensohn entwickelte. Die Herrschaften, welche schon geluncht hatten, bekamen vom Zusehen fast neuen Hunger. Trotzdem seine Kauwerkzeuge so stark beschäftigt waren, bestritt Hanswurstfink auch noch den größeren Teil der Unterhaltung, lieferte seinem hochgeborenen Publikum, während er zwei weiche Eier verzehrte – und zwar aus freier Hand, den Eierbecher stolz verschmähend – einen kurzen Abriß seines Lebens, erzählte ihnen, während er eine Hammelkotelette vertilgte, wie er in Paris beinahe mit Rochefort ein Duell gehabt hätte, und während des Käses, wie er in Sizilien Theaterdirektor gewesen sei. Seine Zuhörer kamen aus dem Lachen fast nicht heraus, und besonders Komteß Vicki war ganz außer sich vor Vergnügen und Erstaunen.

Nachdem die Ueberreste des Essens abgetragen waren, 139 begab sich der junge Künstler an die Einrichtung seines Ateliers. Zu diesem Zwecke war der angrenzende Hubertussaal ausersehen worden, eine Wahl, die Finks vollen Beifall fand. Eine Staffelei hatte er gleich mitgebracht, es handelte sich nur darum, einen erhöhten Sitz für das Modell herbeizuschaffen und die Beleuchtung zweckentsprechend zu gestalten. Zu diesem Ende mußte ein Fenster durch einen Vorhang verdunkelt, andre durch Fortnahme der Gardinen frei gemacht werden. Vicki, welche dem Künstler bei seinen Anordnungen dienstfertig zur Hand gegangen war, rief sich zur Ausführung dieser Maßregeln das Fräulein Sophie zu Hilfe, weil ihre ältere Schwester noch unfähig war, sich rasch und ungehindert zu bewegen. Da inzwischen auch der Graf und seine Gemahlin sich an ihre Geschäfte begeben hatten, so befand sich Fink, als das Fräulein eintrat, mit den beiden jungen Damen allein im Saal.

»Komteß Numero drei?« wandte er sich fragend an Vicki, nachdem er seinen pflichtschuldigen Kratzfuß vor der Eintretenden vollzogen hatte.

»O nein, dies ist Fräulein Sophie Bandemer,« belehrte sie ihn lachend, »die Dame, welche meiner Mama in der Wirtschaft und mir beim Englischsprechen hilft.«

»Hallo! Fräulein Sophie Bandemer?« rief Fink, »die junge Dame, die so lange in Amerika war und zuletzt bei Frau Konsul Wuvermann in Hamburg?«

Das Fräulein zuckte kaum merklich zusammen und erwiderte, mit einem mißtrauischen Blick den jungen Künstler messend: »Allerdings, die bin ich.«

Fink reichte ihr seine Hand hin, in die sie zögernd die ihre legte und schüttelte sie vertraulich. »Ih, dies ist ja famos, liebe Cousine!«

Das Fräulein wurde doch etwas blaß bei der ganz unerwarteten Entdeckung einer Verwandtschaft, von der sie nicht die geringste Ahnung hatte und stotterte mit einem etwas 140 verlegenen Blick nach der jungen Komteß hin: »Ich wüßte nicht, Herr . . .«

»Fink, Hans Wilibald Fink, Kunstmaler in Fett, Wasser und andern Chemikalien; einziger Sohn vom ollen Fink in Hamburg, alter Wandrahm 9 – wissen Sie nicht? Nanu! Sie werden doch vom ollen Fink gehört haben – vom ollen Teerfink?« Und zur Komteß gewendet fügte er erklärend hinzu: »Mein Alter handelt nämlich mit Teer, Farben, Bürsten, Pinseln und anderm Schiffskram. Daher der sogenannte Funke meines Genius. Die große Pinselführung ist mir angeboren.«

»Nein, ist das aber komisch,« rief Vicki, in die Hände klatschend, »daß Sie hier im Hause eine Verwandte treffen müssen!«

»Ja, die Welt ist eben riesig klein,« lachte Fink. »Man ist eben nirgends sicher, weder vor seinen Gläubigern noch vor seinen engsten Cousinen. Mein Vater und Frau Bandemer haben nämlich ein und dieselbe Tante – das heißt gehabt. Sie hielt eine Matrosenkneipe in Kuxhaven. Bei einer großen Keilerei kriegte sie einmal ein Stück von dem eisernen Ofen an den Kopf, welchen die Rauhbeine als Projektil benutzten – und das konnte sie nicht vertragen! Ihre Mama ist doch damals auch zur Erbschaftsregulierung nach Hamburg gekommen. Es muß ein höllischer Spaß gewesen sein! Mein Alter hat mir die Geschichte oft genug erzählt, wie Ihre Mama, weil nichts Bessres zu kriegen war, schließlich mit einem alten Papagei abgezogen ist, der nichts sagen konnte, wie immer nur: »Give her a kiss! Give her a kiss! Katherine wants money!«

Komteß Vicki mußte über diese Geschichte lachen, daß ihr die Thränen über beide Wangen liefen, während Fräulein Sophie weniger davon erbaut zu sein schien. Sie biß sich leicht auf die Lippen und ihr Herz klopfte so 141 heftig, daß ihr die Ohren klangen. Sie konnte sich jetzt durch jedes Wort verraten und mußte doch irgend etwas sagen.

»Ach ja, ich entsinne mich noch recht wohl des drolligen alten Vogels,« brachte sie endlich mit einem gezwungenen Lächeln heraus, welches dem unbequemen Vetter andeuten sollte, daß sie von seinem Gedächtnis für intime Familiengeschichten nicht sonderlich entzückt sei, und dann fügte sie kühl und gemessen hinzu: »Ich kann mich aber nicht entsinnen, Ihren Herrn Vater jemals gesehen zu haben.«

»Nicht? Das ist doch aber merkwürdig,« rief Fink, ihr erstaunt in die Augen sehend. »Ich denke, Sie sind damals, als Sie nach Amerika gingen, bei meinem Vater abgestiegen? Er hat Sie doch noch auf das Schiff gebracht! Es ist freilich zehn Jahre her . . .«

»Ja, und ich habe ein so schlechtes Gedächtnis,« fiel Sophie rasch ein. »Jetzt besinne ich mich übrigens, daß mich allerdings ein alter Herr in Hamburg empfing und auf das Schiff begleitete, aber es war mir gänzlich entfallen, daß dies ein Onkel, oder vielmehr – wie soll ich sagen? – eine Neffe einer Tante meiner Mutter gewesen sei. Ich habe so wenig Sinn für so entfernte Verwandtschaften.« Dies letzte sagte sie recht spitz und mit deutlichem Nachdruck.

Doch das focht den unbarmherzigen Vetter wenig an, und er schwatzte munter weiter: »Mein Alter wollte Sie schon in Hamburg gern aufsuchen, aber da waren Sie schon von Wuvermanns fort. Der junge Wuvermann hatte mir nämlich so viel Schönes von Ihnen erzählt« – bei diesen Worten suchte er mit einem vielsagenden, schalkhaften Blick Sophiens Auge – »na, und wie das so manchmal kommt – vor meinem Alten habe ich ja keine Geheimnisse! – kurz und gut: da kam die Verwandtschaft zu 142 Tage, und mein Alter kriegte Lust, sich mal bei Ihnen nach Tante Riekens Papagei zu erkundigen. Ihrer Mutter sehen Sie übrigens nicht die Spur ähnlich – wir haben zu Hause noch ein altes Photogramm von ihr – freilich von Anno Toback!«

»Man hat mir immer gesagt, daß ich eigentlich nur meinem seligen Vater ähnlich sähe,« versetzte Fräulein Bandemer rasch und trotzig. Sie mußte sich auf den glücklichen Zufall und auf ihre oft bewährte Dreistigkeit verlassen, ob ihre Antworten mehr oder weniger der Wahrheit entsprechend ausfielen. Daß diese letzte recht unglücklich geraten sei, merkte sie sofort an dem eigentümlichen Gebaren ihres verwünschten Vetters.

Fink stutzte nämlich erst, machte dann heftige Anstrengungen, sich das Lachen zu verbeißen und verfolgte endlich das schöne Fräulein, solange es noch im Zimmer war, mit nicht zu mißdeutendem Argwohn im Blicke. Sie hätte ihm mit dem größten Vergnügen auf der Stelle die Augen auskratzen mögen, denn sie sah plötzlich durch diesen plumpen Musensohn das luftige Gebäude, das sie mit Hilfe des wunderbarsten Zufalls, der kecksten Lüge und der schlauesten Berechnung so rasch aufgeführt hatte, in seinen Grundfesten erschüttert. Eine so geschickte Schauspielerin sie war, glückte es ihr doch nicht, so ganz ihre Verwirrung und zornige Erregung zu verheimlichen.

Und Hanswurstfinks klare Augen schienen bis auf den Grund ihrer Seele zu schauen. Er weidete sich an ihrer Unruhe und fuhr fort, sie mit seinen Fragen zu peinigen, unbekümmert um die Anwesenheit der jungen Komteß.

Während er, auf der Leiter stehend, ihr eine Gardinenstange hinunterreichte, fragte er: »Ihre Mama hat gewiß eine rechte Freude gehabt, Sie wieder zu sehen nach so langer Abwesenheit.« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Es soll ihr ja wohl jetzt recht gut gehen. 143 Hat sie noch das Putzgeschäft da in – wo war's doch gleich?«

»Ich weiß es nicht; ich habe meine Gründe gehabt, den Verkehr mit meiner Mutter ganz abzubrechen,« versetzte sie in leicht schmerzlichem Tone.

»Oh, oh, wie ist das möglich! Sie soll doch immer eine so gefühlvolle Frau und eine so zärtliche Mutter gewesen sein. Mein Alter erzählte mir wenigstens, daß sie über Ihre ganze Kindheit ordentlich Buch geführt hat, und zwar mit so einem poetischen Schwung: ›Als ich heute früh beim ersten Morgenglühen an ihr Bettchen trat, lag mein holder Engel in seinen weißen Kissen wie ein Tautropfen auf einer Lilie.‹ So in der Art wissen Sie. Mein Alter hat mir das so schön erzählt!«

»Ich möchte Sie bitten, die Erinnerung an meine Mutter ganz beiseite zu lassen,« sagte Fräulein Sophie gemessen.

Fink machte ihr eine ironische Verbeugung, als er von der Leiter heruntergestiegen war und wandte sich dann an Vicki mit dem begeisterten Ausruf: »Meinen Alten sollten Sie kennen, Komteß! Ein schnurriger alter Kauz, aber ein richtiges Universalgenie.« Dann entwarf er in wenigen aber charakteristischen Zügen ein Porträt in niederländischer Manier, welches Komteß Vicki in der That begierig machte, den berühmten ollen Teerfinken kennen zu lernen.

Als er nach Beendigung der wichtigsten Zurichtungen hinauf gegangen war, um sein Malgerät zu holen, hatte Komteß Vicki nichts Eiligeres zu thun, als dem Fräulein Sophie um den Hals zu fallen und laut aufzujubeln: »Ach, jetzt wird's aber lustig bei uns! Was haben Sie bloß für einen reizenden Vetter! Und was der schon alles erlebt hat! Er erzählt so interessant.« Und sie wiederholte ihr, was Fink während des Frühstücks zum besten gegeben hatte.

144 Das Fräulein befreite sich sanft aus Vickis Umarmung und sagte im Tone mütterlicher Mahnung: »Ich möchte Ihnen doch raten, Komteß, sich von diesem jungen Künstler in angemessener Entfernung zu halten. Ich habe Ihnen schon angedeutet, welche tieftraurigen Gründe mich zwingen, meine Mutter als für mich nicht mehr vorhanden zu betrachten. Für diesen jungen Menschen mag das alles ein Gegenstand des Spottes sein; wie sehr mir meine Erinnerungen schon das Leben verbittert haben, davon dürfte freilich er und seine ganze Sippschaft kein Verständnis besitzen.«

»Aber Fräulein,« wandte Vicki ungläubig, ja sogar vorwurfsvoll ein, »ich kann nicht glauben, daß Herr Fink so frivol und gefühllos sein sollte! Ich finde das nun zum Beispiel ganz reizend von ihm, daß er mit solcher Liebe und Begeisterung von seinem drolligen alten Papa spricht, obschon der gewiß gar kein gebildeter Mensch ist und ganz bestimmt immer nach Teer riecht.«

In Sophiens Auge blitzte es beinahe zornig auf, als sie, das Komteßchen an sich ziehend, ihr ins Ohr raunte: »Ich muß es Ihnen doch im Vertrauen sagen – dieser joviale alte Teerfink ist ein mehr als zweifelhafter Charakter. Er hat Jahre im Gefängnis zugebracht.«

»Nein, das ist ja gräßlich!« rief das Komteßchen entsetzt.

Das Fräulein fuhr boshaft lächelnd fort: »Es scheint, der Apfel ist nicht weit vom Stamm gefallen. Aus den paar Scherzen, die Sie mir da von ihm berichten, geht doch ziemlich deutlich hervor, daß er so eine Art Hochstaplerleben geführt hat. Wer in aller Welt hat ihn denn nur Ihren Eltern empfohlen?«

»O, er hat Bekannte von uns gemalt. Papa hat die Bilder gesehen, wie er zuletzt in Berlin war. Es sollen ja auch in Hamburg so viele junge Mädchen aus den besten Ständen bei ihm Unterricht nehmen.«

145 »Ja ja – da sieht man wieder recht, wie Dreistigkeit und Verlogenheit es immer noch am weitesten bringen!« seufzte die schöne Stütze. »Wenn ein junges Mädchen, das sich in fremden Häusern sein Brot verdient, in dieser mehr als ungenierten Art und Weise auftreten wollte, so würde man ihm sicherlich bald genug die Thür weisen. Bei einem jungen Manne findet man das nicht nur ganz in der Ordnung, sondern womöglich gar noch entzückend, himmlisch, amüsant.«

Das Komteßchen schaute sehr betrübt darein. »Es scheint, ich mache es nie einem recht. Wenn wir hier Besuch haben von unsern Gutsnachbarn, und die jungen Herren wollen mit mir eine Unterhaltung anfangen, dann bemühe ich mich immer, mich recht anständig und reserviert zu benehmen, weil Mama immer schilt, daß ich noch viel zu kindisch und vorlaut für mein Alter wäre. Aber wenn ich nun nichts sage, dann kommt Mama und pufft mich heimlich und sagt, ich soll doch nicht dasitzen, als wenn ich ein Schaf verschluckt hätte. Und wenn ich mich dann mal wieder nach Herzenslust amüsiere über einen netten jungen Mann, dann werde ich erst recht gescholten.«

»Ich will Sie ja durchaus nicht schelten,« begütigte Fräulein Bandemer, »dazu habe ich ja gar kein Recht in meiner bescheidenen Stellung. Aber ich glaube es Ihnen doch schuldig zu sein, Ihnen einem Menschen von so freien Sitten und so weitem Gewissen gegenüber etwas vorsichtige Zurückhaltung zu empfehlen.«

»Ach, mein Gott, er ist ja doch ein Künstler! Da nimmt man es nicht so genau; das habe ich immer gehört!«

»Sollten Sie dann nicht auch gehört haben, daß diese Künstler die Nachsicht, die man gegen sie übt, besonders dazu mißbrauchen, unerfahrene junge Mädchen zu bethören?«

Die weise Sophie sagte dies beinahe feierlich.

146 Und dem armen Komteßchen wurde ordentlich ängstlich zu Mut. »Ach Gott, ach Gott, das ist ja gräßlich!« rief sie. »Glauben Sie wirklich, daß dieser auch so ist? Wenn er mich nun auch zu bethören anfangen wollte! Wie macht er denn das wohl? Ich habe solche Angst, daß ich am Ende nichts davon merke, wenn Sie mir nicht einen Wink geben. Sind Sie denn schon mal bethört worden?«

Fräulein Sophie hatte eigentlich die größte Lust, dem großen Kinde laut ins Gesicht zu lachen, doch sie zwang sich ernst zu bleiben und nahm wieder die Maske der Wehmut vor, welche sie so gut kleidete: »O mein teures, süßes Kind! Möge Sie Gott bewahren so hold, so schön, so rein!« rief sie mit schwungvoller Rührung aus und küßte wiederholt das wohlgepolsterte Händchen der großen kleinen Komteß. »Mich haben die herben Erfahrungen meiner Kindheit nur allzufrüh gereift und gegen die Arglist der Männer gefeit. Aber fragen Sie mich nicht nach solchen Dingen. Schweigen Sie auch gegen die Ihrigen über die unangenehmen Dinge, die vorhin in dem Gespräch mit meinem sogenannten Vetter zu Tage kamen. Sie versprechen mir das, nicht wahr?«

Vicki versprach es, obwohl sie einigermaßen betrübt darüber war, daß sie die merkwürdige Entdeckung Hanswurstfinks samt der Geschichte mit dem alten Papagei für sich behalten sollte. Aber die feierliche Warnung des Fräuleins hatte einen solchen Eindruck auf sie gemacht, daß sie, sobald sie nur die Schritte des wiederkehrenden Fink nahen hörte, mit dem Ausruf: »Nein, mit dem abscheulichen Menschen will ich nicht wieder allein zusammen sein!« hinaus in die Veranda und von da in den Park lief.

Sie hatte bei diesem eiligen Hinausstürzen gar nicht bemerkt, daß ihre Schwester, noch immer in ein Buch vertieft, einsam auf der Veranda saß.

Es war eine von Komteß Vickis vielen nachlässigen 147 Gewohnheiten, die Thüren nicht hinter sich zu schließen. Und so war auch diesmal die Glasthür halb offen geblieben, so daß Komteß Marie jedes Wort, welches dadrin im Atelier gesprochen wurde, deutlich hören konnte.

So vernahm sie denn, wie Fink hereintrat und sein Bedauern äußerte, die Komteß nicht mehr vorzufinden.

»Glauben Sie vielleicht, daß Ihre geschmackvollen Erzählungen von dem ollen Teerfinken und von Tante Rieke mit ihrem unanständigen Papagei eine wohlerzogene junge Dame so zu fesseln vermöchten?« sagte das Fräulein verächtlich.

»Na na, verehrte Base, haben Sie sich man nicht so!« versetzte der andere gutlaunig. »Die kleine dicke Komteß kommt mir gar nicht so vor, als ob sie so albern wäre über jeden kleinen drolligen Snack gleich in Ohnmacht zu fallen. Ein reizendes Mädel, die lütte Gräfsche! O wir werden schon gut miteinander auskommen! Die ist ganz mein Genre!«

»Wenn Sie nur mit Ihrer Dreistigkeit nicht vorher Schiffbruch leiden, Herr Vetter,« höhnte Sophie.

»Sagen Sie mal – Sie sind doch nicht etwa die Gouvernante von diesen beiden ausgewachsenen jungen Damens? Da könnten sie allerdings was profitieren! Der junge Wuvermann hat mir nämlich von Ihrem Talent und Ihrer vielseitigen Bildung großartige Dinge erzählt!«

Dem Fräulein Sophie schien vor Zorn die Stimme zu versagen – wenigstens vermochte Komteß Marie draußen von ihrer Antwort nichts zu verstehen. Die Rolle einer Lauscherin widerstrebte ihrem feinen Empfinden auch so sehr, daß sie sich mit absichtlichem Geräusch erhob und rasch in den Saal eintrat. Der junge Maler lachte in diesem Augenblick laut auf, wie wenn er dadurch eine Drohung seiner schönen Base höhnisch abwiese. Und diese schöne Base kehrte der unerwartet Eintretenden ein von grimmiger Wut und offenbarer Tücke 148 verzerrtes Antlitz entgegen, welches auch nicht eine Spur von der weltentsagenden Demut und holdseligen Bescheidenheit aufwies, die es sonst verklärte.

Komteß Marie that, als habe sie nichts Auffallendes bemerkt und wandte sich mit der freundlichen Erkundigung an Herrn Fink, ob das Atelier nunmehr seinen Wünschen entsprechend sei. Und als er dies bejahte, forderte sie ihn auf, mit ihr einen kleinen Gang durch den Park zu machen. Fink verbeugte sich stumm und folgte ihr bereitwilligst hinaus.

»Ich habe von Kunst und Künstlern nur eine recht unklare Vorstellung,« begann die Komteß das Gespräch: »Ich weiß also nicht, ob ein Bildnismaler auch an landschaftlicher Schönheit Geschmack findet, oder ob er nicht vielleicht die Schönheit einzig im Menschen sucht.«

»Entschuldigen Sie,« versetzte Fink, »da muß ich Sie erst mal über einen Grundirrtum aufklären: für uns, was wir modernen Malers sind, ist überhaupt die sogenannte Schönheit Quarko, Quarkino. Wir begeistern uns nur für das Charakteristische!« Und dabei bohrte und fuchtelte er mit dem Daumen in der Luft herum, als knete er aus einem dort gedachten Thonkloß etwa ein furchtbares Gorgonenhaupt. »Sehen Sie, alles was so recht schön glatt und glau ist, so recht wie das große Publikum es liebt, das ist uns ein Horreur – mag es nun Menschenwerk oder aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen sein. Ja, es läßt sich nicht leugnen, daß sogar der liebe Gott in seinen Menschengesichtern manchmal recht für das große Publikum arbeitet.«

Die Komteß mußte herzlich lachen über diesen tiefsinnigen Ausspruch. Und dann sagte sie nach einigem Bedenken: »Nun, Sie mit Ihrem Haß gegen die Schönheit, was sagen Sie denn dann zu unserm reizenden Fräulein Bandemer, das allen unsern Herren hier die Köpfe verdreht?«

»Hm! Mir wird sie ihn jedenfalls nicht verdrehen. 149 Dafür bin ich meinem Vater sein Sohn!« brummte der Maler vor sich hin.

»Aber kann denn nicht ein hübsches Gesicht auch charakteristisch sein?«

»O ja, gewiß. Ihr Herr Papa zum Beispiel, der Herr Graf, der ist schön und charakteristisch zugleich. Ein wahres Fressen für den Maler.«

»Ah, das werde ich Papa wiedersagen; vielleicht läßt er sich dann auch malen. Wir haben ihn nämlich nur ganz jung, und ich finde, diese Art Köpfe werden je älter desto schöner.«

»Ganz richtig: es gibt Menschen, die sind wie die Geigen – das habe ich auch immer gesagt.«

Die Komteß blieb lächelnd stehen und sah ihn forschend an. »Von uns Weibern gilt das leider nicht. Oder glauben Sie vielleicht, daß z. B. unser schönes Fräulein Sophie Ihnen mit sechzig Jahren besser gefallen würde?«

»Ich glaube kaum,« erwiderte er, ohne sich zu bedenken. »Die ist zwar auch wie eine Geige, und zwar eine ganz schön ausgespielte; aber ich finde, sie klingt immer noch falsch – es muß im Holze was versehen worden sein.«

»Ei ei, Herr Fink, Sie sind wohl ein großer Menschenkenner? Ich habe nämlich auch schon die Empfindung gehabt, als ob diese junge Dame uns eine Rolle vorspielte, die . . .« Sie suchte nach einem Ausdruck.

»Die ihr der Herrgott nicht selbst auf den Leib geschrieben hat,« ergänzte Fink schlagfertig. »Ja das meine ich auch, Komteß, und ich glaube, wir haben recht. Ich möchte sogar beinahe darauf schwören, daß sie gar nicht die ist, für die sie sich ausgibt. Wenn man so viel in der Welt herumgekommen ist wie ich, dann weiß man, daß in der Wirklichkeit noch weit wildere Sachen passieren als wie in den verrücktesten Romanen.«

»Nun, dann kann ich Ihnen ja auch verraten, daß ich 150 sie im Verdacht habe, mit unserm Oberverwalter, einem Herrn von Norwig, den Sie ja noch kennen lernen werden, in irgend welcher näheren Beziehung zu stehen. Ich vermute, sie ist unter falschem Namen in unser Haus gekommen, nur um diesem Herrn nahe zu sein.«

»O, das wird sich schon herausbringen lassen,« meinte Fink zuversichtlich. »Mein Vater kennt die Bandemers ganz genau.«

»Ihre Papiere sollen aber ganz in Ordnung sein,« entgegnete Komteß Marie. »Wie wollen Sie ihr beweisen, daß sie nicht die Person ist, auf welche sie lauten?«

»Besitzen Sie nicht vielleicht eine Photographie von ihr? Die brauchte ich dann nur meinem Alten zu schicken und der schickte sie wieder der alten Bandemer und schriebe einfach bei: Ist das Deine Tochter?«

»Bravo, vortrefflich!« rief sie. »Sie hat ja ihr Bild zugleich mit der Empfehlung der Frau Konsul Wuvermann eingeschickt. Ich werde es meiner Mama unter irgend einem Vorwande abzulocken suchen. Aber nicht wahr, diese Verabredung bleibt unser Geheimnis? Hier im Hause schwören sie alle auf das arme unglückliche Mädchen, wie sie sich immer nennt. Ehe wir unsrer Sache nicht ganz sicher sind, dürfen wir von unserm Verdacht nichts merken lassen.«

»Meine Hand darauf, Komteß,« sagte Fink. »Ich denke, Sie werden mit mir zufrieden sein. Ich bin zwar schon alles mögliche in meinem Leben gewesen, vom Konzertmaler bis zum Afrikareisenden, aber Geheimpolizist noch nicht. So was reizt meinem Vater seinen Sohn!«

Sie schüttelten sich lachend die Hand und kehrten dann langsam nach dem Schlosse zurück. – –

Während der Hamburger Künstler sich so günstig bei den Damen des Hauses einzuführen beflissen war, fuhr der Graf mit seinem Oberverwalter zu seinem Nachbar, Herrn Wolf Dietrich von der Maltitz nach Senthin hinüber.

151 Die acht Tage seiner Thätigkeit in Räsendorf hatten genügt, um Norwig das Vertrauen des Grafen in seine Fähigkeiten zu sichern, und der große Dienst, den er der Komteß Marie bei ihrem Unglücksfalle geleistet, hatte selbstverständlich dazu beigetragen, sein Verhältnis zu der ganzen Familie zu einem weit mehr freundschaftlichen als geschäftlichen zu gestalten. Der Arzt hatte dem Grafen gegenüber sogar die Vermutung ausgesprochen, daß die von Norwig so wohl angewendete künstliche Atmung wahrscheinlich der jungen Gräfin das Leben gerettet hätte. Es war daher nur natürlich, daß der Graf seinen ersten Beamten seither nicht mehr wie einen Untergebenen, sondern wie einen erfahrenen Freund behandelte, welcher so liebenswürdig war, ihm die Hauptlast und Verantwortlichkeit in seiner Wirtschaft abzunehmen. Eine Folge dieses so veränderten Verhältnisses war, daß der Graf nun mit größerer Bereitwilligkeit auf die zahlreichen Vorschläge einging, welche Norwig ihm für eine zeitgemäßere und gewinnreichere Bewirtschaftung zu machen hatte. Der Graf war noch durchaus ein Landwirt nach der alten Schule, der zwar gegen die verderblichen Elementargewalten bei verschiedenen Gesellschaften versichert war, im übrigen aber seine Ernte, so gut oder so schlecht sie war, aus der Hand des Himmels unmittelbar entgegennahm. Ohne im geringsten geizig zu sein, mochte er doch nicht gern für neue Versuche Geld ausgeben und kam sich, nachdem er sich eine Lokomobile und einige andre Maschinen angeschafft hatte, vollständig auf der Höhe der Zeit stehend vor. Nun hatte Herr von Norwig ihm einen Plan entwickelt, welcher dem alten Herrn zunächst freilich beängstigend kühn und modern vorkam, jedoch, wenn die Ausführung glückte, allerdings einen recht beträchtlichen Gewinn abwerfen mußte.

Das Land, welches der Bach durchschnitt, war nämlich, soweit es tief lag, in einer Ausdehnung von mindestens hundertfünfzig Hektar auf Räsendorfer wie auf Senthiner 152 Gebiet, Moorgrund und als solcher bisher so gut wie ertraglos geblieben, da nur in den trockensten Sommermonaten das Vieh dort auf die Weide getrieben werden konnte, der Torfstich als nicht lohnend aufgegeben worden war. Dies ansehnliche Gebiet nun wollte Norwig zu einem Versuche mit der damals noch ganz neuen Moorkultur benutzen, welche er in den Vereinigten Staaten kennen gelernt hatte, und welche im wesentlichen darin besteht, daß auf den Moorgrund eine Sand und auf diese wieder eine dünne Moorschicht aufgetragen wird. Ein leichtes Umbrechen macht diesen Boden dann zur Aufnahme jeder, auch der schwersten Pflanze fähig. Die größte Schwierigkeit besteht bei solcher Moorkultur in der genauen Regulierung des Wasserstandes, welcher stets in gewisser Tiefe gehalten werden muß. Norwig durfte sich der schwierigen Aufgabe für gewachsen halten und trug deshalb kein Bedenken, den Grafen dazu zu bestimmen, daß er seinem Senthiner Nachbarn, Herrn von der Maltitz, die jenseits des Baches liegenden Moorstrecken für eine Reihe von Jahren abpachten möge, um den Versuch in großem Stile machen und besonders, um damit zugleich die auf dessen Gebiet gelegene ergiebige Sandgrube mit benutzen zu können. Der Umstand, daß der Gutsherr von Senthin, der Junker Wolf Dietrich, in ewigen Kapitalsnöten steckte und sich mühsam über Wasser hielt, schien dem Plane Norwigs, ihn zur pachtweisen Ueberlassung jener Felder zu bestimmen, überaus günstig zu sein.

Wolf Dietrichs von der Maltitz Lebenslauf glich auf ein Haar dem so vieler Gutsbesitzer, welche sich nicht eigens für die Landwirtschaft vorbereitet, sondern ihre besten Jahre in einem Kavallerieregiment ausgetobt haben. Wolf Dietrichs Vater war ein recht wohlhabender Herr gewesen, aber den vereinten Kräften seiner talentvollen Herren Söhne – es waren drei an der Zahl – hatte sein Geldbeutel auf die Dauer nicht widerstehen können. Zwar waren sie alle drei 153 recht gute Jungens und wußten eine importierte Cigarre und einen alten Medoc wohl zu schätzen, und besonders ihr Geld auf noble Weise unter die Leute zu bringen; leider aber zeigte sich keiner von ihnen geneigt, eine gewinnbringende Thätigkeit auszuüben, indem der älteste Dragoneroffizier, der zweite Assessoratsaspirant und der dritte – von dem dritten sprach man nicht gern. Er war das enfant terrible der Familie von jeher gewesen und hatte sich in beklagenswerter Verirrung in Berlin sowie im Litteraturkalender als – Schriftsteller niedergelassen! Als nun vor zwei Jahren der alte Herr von der Maltitz ganz unvermutet sich zu seinen Ahnen versammelt hatte, war dem guten Wolf Dietrich nichts andres übrig geblieben, als den Pallasch mit der Pflugschar zu vertauschen. Da die beiden jüngeren Brüder nach dem Testament von dem Besitzer des Gutes ein darauf eingetragenes Kapital von je fünfzigtausend Mark verzinst erhalten sollten, so war die Lage des älteren eine recht schwierige; denn die nur mäßig große Besitzung warf ihm nach Abzug jener Hypothekenschulden kaum so viel ab, daß er sich zur Not allein darauf durchbringen konnte. Aber in der richtigen Erkenntnis, daß eine Adelsfamilie ohne Grundbesitz oder ohne bedeutende Kapitalskraft gar zu leicht sozial oder selbst moralisch verlottere, hatte er lieber das harte Joch auf sich genommen, als den Verkauf des Gutes zugegeben, den seine jüngeren Brüder eifrig befürworteten. Ja, er hatte gar noch ein übriges gethan, und dem Dichter zur Drucklegung seiner sämtlichen Hohenstaufendramen in drei Bänden eine erhebliche Summe vorgeschossen, obwohl dieser hoffnungsvolle Sohn Apolls gleich nach dem Tode des Vaters in seinem himmelstürmenden Idealismus so weit gegangen war, eine Kellnerin zu heiraten! Aber Wolf Dietrich war ein tüchtiger, thatkräftiger Mensch; er brachte es fertig, alle seine kostspieligen Lebensgewohnheiten aufzugeben, rührte sich das ganze Jahr nicht von seiner Scholle, war sein eigner Inspektor, rauchte 154 Fünfpfennigcigarren und zog sich Lagerbier auf Flaschen ab. An der Geselligkeit des benachbarten Landadels nahm er so gut wie gar keinen Anteil.

Was konnte ihm unter diesen Umständen willkommener sein, als der Antrag des Grafen Pfungk, sein Moorland in Pacht zu nehmen? Dennoch aber war er klug genug, sich den Anschein zu geben, als ob er nur sehr ungern auf seinen großartigen Torfstich verzichte, und sowohl eine etwas höhere Pachtforderung als auch die Bedingung zu stellen, daß der Kontrakt auf zehn Jahre abgeschlossen werden müßte. Der Graf war wenig geneigt, diesen Forderungen nachzugeben, wurde aber dennoch, nach einer längeren Beratung mit Norwig, zur Nachgiebigkeit bestimmt, so daß, als die Herren sich verabschiedeten, das Geschäft als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Mit Vergnügen erklärte Herr von der Maltitz sich bereit, der dringenden Aufforderung, sich bald in Räsendorf sehen zu lassen, nachzukommen.

Gleich nach der Rückkehr machte der Graf dem Inspektor Reusche Mitteilung von der in Aussicht genommenen Betriebsänderung und trug ihm auf, die nötigen Vorarbeiten, besonders Brücken-, Wege- und Pferdebahnbau ohne Zeitverlust in Angriff zu nehmen. Zu des Grafen Aerger zeigte sich der brave Ludolf nicht eben entzückt von den großartigen Plänen seines neuen Vorgesetzten. Er machte sogar allerlei Bedenken bezüglich des wahrscheinlichen Ertrages dieser neumodischen Moorkultur geltend, die aber, ebenso wie der Hinweis auf das abschreckende Beispiel eines jüngst verkrachten Nachbarn, auch so eines gelehrten »Mistikers«, von dem Grafen mit Geringschätzung zurückgewiesen wurden, denn er wollte um keinen Preis vor seinem Freunde und Ratgeber als ein durch kleinliche Bedenklichkeiten leicht einzuschüchternder alter Herr dastehen.

Uebrigens war es Herrn Ludolf Reusche schon von weitem anzusehen, daß er heute ganz ungewöhnlich schlechter 155 Laune sei. Denn abgesehen von seiner erklärlichen Eifersucht gegen den so sehr begünstigten Oberverwalter, hatte dem Gleichgewicht seiner Seele eine eben erst stattgehabte Scene mit seiner bisher so bescheidentlich angebeteten Beate einen argen Stoß versetzt. Sie hatte ihm nämlich über seine offenbare Untreue ganz gehörig den Kopf gewaschen und ihm angedroht, falls er nicht die Schmach, welche das verhaßte Fräulein Sophie ihr angethan hatte, blutig zu rächen sich bereit zeige, ihn für ewige Zeiten aus ihrem Herzen verbannen zu wollen. Wie stets, spiegelten auch in diesem bedenklichen Falle Herrn Reusches Schnurrbartspitzen den Zustand seiner Seele deutlich wieder. Deren linke war nämlich spitz und keck nach aufwärts gerichtet, während die rechte traurig und aufgedröselt herabhing; gleichwie sein Mannesbusen zur einen Hälfte erfüllt war von dem kühnen Verlangen, die Gunst des berückenden Fräuleins zu gewinnen und andrerseits von dem wehmütigen Vorschmack des drohenden Verlustes seiner älteren Flamme, welche, obschon ihr Aeußeres weniger berauschend wirkte, doch immerhin ein liebendes Herz besaß und auch »'n bischen was mitkriegte!« Ludolf Reusche hatte noch nie die Knechte und Mägde so schlecht behandelt wie heute.

Da der Hausherr sowie Norwig durch den Aufenthalt in Senthin sich heute sehr verspätet hatten, so fand sich erst kurz vor dem Abendessen die ganze Familie wieder zusammen. Meister Fink war gerade beschäftigt, den alten Flügel im Ahnensaal einer Prüfung zu unterziehen, als die beiden Herren sich zu den dort versammelten Damen gesellten.

Das Instrument gab wahrhaft grausame Mißtöne von sich, so daß Hanswurstfink entsetzt davon zurücksprang, wie vor einem bissigen Kettenhund.

»Heiliger Bimbam!« rief er aus: »Wozu hat denn dieses Marterwerkzeug hier gedient?«

156 »Ja, seit Vicki mit den Klavierstunden fertig ist, ist es wohl nicht mehr gestimmt worden,« erklärte die Gräfin.

»Fertig? Was heißt das?« fragte Fink verwundert. »Haben Sie nichts mehr darauf zu lernen, Komteß?«

»O, das schon,« erwiderte Vicki lächelnd: »Wissen Sie, ich hatte bei unserm Kantor Unterricht und das ging auch zuletzt ganz schön; aber immer nur auf den weißen Tasten, denn mit den schwarzen wußte der alte Mann selber nicht recht Bescheid.«

»Ja sehen Sie, und da haben wir die Geschichte dann aufgegeben,« ergänzte die Mama. »Ein paar Choräle hat sie ja doch ganz nett spielen gelernt und das ist ja doch immer die Hauptsache. Der liebe Gott sieht ja doch mehr aufs Herz als auf die Finger.«

»Aber er hat gewiß ein sehr feines Gehör,« lachte Fink. »Denken Sie doch, wie verwöhnt er durch seine Engelchöre sein muß.«

Die Gräfin mußte ihm darin recht geben und versprechen, gleich morgen nach dem Klavierstimmer zu schicken.

»Ah, Sie sind wohl ein Virtuos?« wandte sich der Graf an Fink.

»Nein, durchaus nicht,« versetzte jener: »Ich spiele bloß nach dem Gehör ein paar Tänze und was man so fürs Haus braucht.«

»Ach, das ist reizend!« rief Vicki laut: »Nicht wahr, da spielen Sie uns jeden Abend ein bißchen auf? Denken Sie, ich bin doch nun so gut wie erwachsen und habe immer noch keine Tanzstunde gehabt!«

»Nun, dem ist ja leicht abzuhelfen,« sagte Fink ernsthaft. »Wenn mir die Herrschaften Ihr Vertrauen schenken wollen, so bin ich gern bereit, in meinen Mußestunden die Ausbildung der Komteß Tochter in der höheren Tanzkunst zu übernehmen.«

»Was tausend! Sie sind ja ein Universalgenie!« rief der Graf belustigt.

157 Und das Komteßchen hatte mit einem Schlage die Scheu vor diesem gefährlichen Mädchenbethörer vergessen und zappelte aufgeregt mit bittenden Händen vor ihm herum. »Ach ja, das wäre zu süß von Ihnen! Nicht wahr, Sie thun es? Sie fangen heute gleich an!«

Die Gräfin hatte zwar schon öfter dem Drängen ihrer Tochter entgegen gehalten, daß es für solchen Unfug wie Tanzunterricht und dergleichen noch immer Zeit wäre, bis sie in die Gesellschaft eingeführt würde, aber nun wurde sie von dem jungen Volk so drollig überrumpelt, daß sie nicht gut anders konnte, als lachend ihre Zustimmung zu geben. Nur, fügte sie hinzu, sei es doch wohl geboten, daß der Herr Tanzmeister, ehe ihm seine Schülerin anvertraut würde, eine Probe seiner Kunst ablege.

Fink erklärte sich hierzu sofort bereit und bat die Herrschaften zu bestimmen, was er ihnen vorführen solle. »Vielleicht ein Nationaltanz gefällig? Ein Hornpipe, ein Krakowiak? Oder vielleicht ein Pas sérieux? Vielleicht belieben die Herrschaften mir auch ein Thema zu stellen für einen pantomimischen Tanz.«

Es wurde dann unter allgemeiner Heiterkeit nach längerer Beratung beschlossen, daß Hanswurstfink pantomimisch darstellen solle, wie ein junger Maler im Hochgebirge in seinen landschaftlichen Studien durch eine kunstfeindliche Kuh unterbrochen würde, und wie er hernach, auf die Hirtin treffend, derselben zunächst heftige Vorwürfe, nachher aber eine Liebeserklärung machte. Der Allerweltskünstler entledigte sich seiner Aufgabe mit großem Geschick und mit wirklich urwüchsiger Komik. Die Kuh wurde zwar nur durch ihr Gebrüll angedeutet, doch war in dem verschiedenen Tonfall ihres Muh! die ganze Skala ihrer Empfindungen von der ernsten kritischen Bedenklichkeit bis zum Ausbruch des Vandalismus anschaulich zum Ausdruck gebracht. Komteß Vicki, als die Zunächststehende, mußte die Rolle der schönen Sennerin markieren, 158 und ihr Gebaren hierbei, zusammengesetzt aus kindlicher Lust an diesem seltenen Schauspiel, wie lieblicher Verlegenheit wirkte kaum minder ergötzlich, als Finks groteske Sprünge und Gebärden, welche den herkömmlichen Ballettstil köstlich parodierten. Endlich riß er sich gar mit großer Anstrengung sein Herz aus dem Busen und legte es der Angebeteten zu Füßen. Da diese aber steif und errötend dastand und nicht wußte, was sie damit anfangen sollte, so hob er es wieder auf und drückte es ihr kräftig in die Hände, worauf sie den Einfall hatte, es in die Tasche zu stecken – was natürlich größte Heiterkeit erregte. Zum Schluß nahm der Maler die Sennerin um die Hüfte und tanzte, einen echten Jodler singend, mit ihr im Saal herum.

Gerade als die beiden an der Thür vorüberwirbelten, trat Fräulein Sophie herein, um der Gräfin zu melden, daß der Thee bereit sei. Sie war natürlich wenig erbaut davon, daß das Fräulein ihre Mahnung zur Vorsicht so bald in den Wind geschlagen hatte, und auch Vicki verlor, sobald sie einen strafenden Blick Sophiens aufgefangen hatte, ihre Unbefangenheit und machte sich tief errötend aus Finks Armen los. Lauter Beifall lohnte die gelungene Stegreifvorstellung.

Man schickte sich an, in das Zimmer der Gräfin zu gehen, als der Diener hereintrat und mit vergnügtem Grinsen meldete, ein fremder Herr wünsche den Herrschaften seine Aufwartung zu machen.

»Was tausend! Zu so später Stunde?« rief der Graf. »Sollte das vielleicht ein Weinreisender . . .«

»Nein, das nicht gerade – es ist nur Vetter Emich,« ergänzte eine näselnde Lieutenantsstimme, und zugleich trat ein schlank gewachsener, sehr distinguiert aussehender Herr mit wundervoll gepflegtem, langem blonden Schnurrbart herein und verbeugte sich lächelnd vor der Gesellschaft.

Zufällig stand das Fräulein Sophie ein wenig abseit, 159 so daß sie nicht gleich von dem Eintretenden gesehen werden konnte, und neben ihr Herr von Norwig. Beide zuckten gleichzeitig erschrocken zusammen und Norwig flüsterte dem Fräulein zu: »So wahr ich lebe, das ist ja Bencken! Nun hast du deine Komödie ausgespielt.«

Und ebenso leise flüsterte sie zurück: »Frohlocke nicht zu früh! Wenn du nur ein Wort sagst, so bist du auch verloren!«

 

Ende des ersten Bandes.

 


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