Ernst von Wolzogen
Die tolle Komteß
Ernst von Wolzogen

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Zehntes Kapitel.

In welchem zwei Kavaliere sich aussprechen, der Künstler zu malen und – Dummheiten zu machen beginnt, Fräulein Bandemer groß dasteht, und eine sehr merkwürdige Unterhaltung im Pferdestall stattfindet.

Am andern Morgen nach dem Frühstück sollte die Gräfin ihre erste Sitzung haben. Schon über dem Kaffee hatte ein lebhafter Meinungsaustausch über die zu wählende Stellung und Kleidung stattgefunden, und hernach war die ganze Gesellschaft im Begriff, in das Atelier mit einzudringen, um dem Künstler mit ihrem wohlgemeinten Rat zur Seite zu stehen, als Graf Bencken den guten Einfall hatte, die Herrschaften darauf aufmerksam zu machen, daß zu viele Zuschauer Herrn Fink doch wohl stören dürften. Zu seiner Entlastung schlage er den Cousinen einen kleinen Ausflug zu Pferde vor.

»Aber weißt du denn nicht, wie es Ma neulich mit dem Hengst ergangen ist?« rief Vicki. Und da er es in der That gestern ganz überhört hatte, was Komteß Marie ihm von ihrem Unfall erzählte, so mußte sie ihm die Begebenheit noch einmal schildern.

Vetter Emich bedauerte mit den üblichen Redensarten seine kühne Base, welche sich selber scherzend als »Amazone z. D.« bezeichnete.

»Wie steht es denn mit dir, Vickichen? Machst du mir nicht vielleicht das Vergnügen?« wandte sich Karl Egon Emich mit wohlgefälligem Lächeln an die jüngere Schwester.

»Ach, ich reite ja gar nicht mehr! Den Pony haben wir abgeschafft – dem war ich zu schwer geworden! Und 24 auf ein großes Pferd läßt mich Mama nicht hinauf: sie sagt, es wäre schon reichlich genug, wenn eine von uns sich den Hals bräche.«

»Schließe dich doch Herrn von Norwig an,« schlug Komteß Marie vor. »Er hat, seit ich krank bin, Potrimpos gehörig herangenommen. Er soll jetzt schon ganz traitabel sein. Vielleicht macht es dir Vergnügen, ihn einmal zu probieren. Es wäre mir sehr lieb, wenn bei dieser Gelegenheit Obotrit sich auch einmal gehörig auslaufen könnte; er hat die acht Tage fast gar keine Bewegung gehabt.«

Herr von Norwig erklärte sich gern bereit, den Grafen zu begleiten und das Anerbieten wurde von jenem kühl, wenn auch höflich angenommen.

Die beiden Herren empfahlen sich, um sofort ihre Pferde satteln zu lassen, während die Damen samt dem alten Grafen und dem Maler sich in das Atelier verfügten.

Auf dem Wege dahin bot der Graf seiner immer noch leidenden Tochter den Arm und sagte, als sie etwas hinter den andern zurückgeblieben waren: »Weißt du, Marie, du hast da eine ungemütliche Partie arrangiert.« Und er berichtete ihr wortgetreu, was sein Neffe ihm gestern nacht für Andeutungen über einen möglichen Streit mit Norwig gemacht hatte.

Die Komteß blieb überrascht stehen: »Ah, das wäre doch eine unangenehme Geschichte, wenn die beiden hier aneinander gerieten! Was soll denn Herr von Norwig unserm harmlosen Vetter Emich angethan haben?«

»Gewiß irgend eine Narrheit von seiner Erlaucht,« spottete der Graf. »Beruhige dich nur: Norwig ist viel zu taktvoll und gewandt, als daß er es hier zu Thätlichkeiten kommen ließe. Ich bin übrigens äußerst begierig, Näheres von dieser verstorbenen Frau von Norwig zu erfahren. Emich ist ja merkwürdig zugeknöpft.«

»Warum frugst du denn Herrn von Norwig nicht selbst danach?«

»Ich fürchte, ich würde da einen wunden Punkt berühren,« entgegnete er. »Nach den Andeutungen, die er gelegentlich machte, scheint es mir, als ob er eine recht 25 unkluge Heirat zu bereuen hätte – und weißt du, von seinen Dummheiten spricht man nicht gern unter Männern.«

»Könntest du ihn nicht wenigstens einmal fragen, ob er nicht ein Bild von seiner Frau besitzt?« beharrte die Komteß. »Diese Aehnlichkeit mit unserm Fräulein Sophie ist doch eine zu merkwürdige Sache – Emich schwört ja darauf.«

»Ha ha – was ihr Frauenzimmer euch doch immer für Gedanken macht! Du wirst mir am Ende gar einreden wollen, daß sie leibhaftig die verstorbene Frau von Norwig sei?«

»Nun, ich muß gestehen, die Sache hat für mich etwas Unheimliches, etwas unangenehm Romanhaftes. Vielleicht ist Fräulein Bandemer eine Schwester der Frau von Norwig und er hat irgend welche Beziehungen zu den Leuten, die sie uns empfohlen haben.«

»Ei, was tausend! Du hast ja eine blühende Phantasie!« scherzte der Graf. »Ich kann dir nur sagen, daß mich meine Menschenkenntnis vollständig im Stich gelassen haben müßte, wenn ich unserm Norwig solche Intriguen zutrauen wollte.«

»Du hältst ihn dessen nicht für fähig?«

»Herr von Norwig ist ein Edelmann!« versetzte der Graf ernst.

Ein freudiges Rot bedeckte für einen Augenblick die bleichen Wangen der Komteß und sie schritt eine Weile schweigend und nachdenklich neben ihrem Vater einher. Kurz vor der Thür des Hubertussaales blieb sie nochmals stehen und sagte lächelnd: »Du mußt mir aber den Gefallen thun, ihn nach dem Bilde seiner Frau zu fragen. Die Photographie von Fräulein Bandemer hast du ja in Verwahrung.«

»Ich?« Der Graf stellte sich ganz verwundert.

»Ja, ja, gestehe es nur, Papa. Mama hat sie bestimmt nicht – siehst du, du wirst ganz rot.«

»Aber ich versichere dich . . . Mama hat sie gewiß nur verlegt!« stotterte der Graf. Und dann traten sie in das Atelier, wo Fink und Vicki bereits beschäftigt waren, die vorteilhafteste Stellung für die Verewigung der Gräfin auszuwählen. – –

Graf Bencken trabte bereits mit dem Oberverwalter 26 durch die Kastanienallee. Die beiden schwiegen sich zunächst gründlich gegeneinander aus, bis sie, im Walde angekommen, ihre Pferde in einen gemächlichen Schritt übergehen ließen. Da endlich begann Herr von Norwig: »Ich glaube, wir fühlen es beide, daß wir uns über gewisse Dinge miteinander auszusprechen haben.«

»Allerdings,« näselte der Graf, indem er eine möglichst trotzige Miene aufzustecken suchte. »Ich denke, ich bin wohl derjenige, welcher hier zunächst um Aufklärung zu bitten hat.«

»Sie, Graf?« Norwig blickte überrascht auf.

»Ohne Zweifel,« versetzte jener und ließ seinen langen blonden Schnurrbart durch die Finger laufen, als gedächte er durch seine vornehme Ruhe den Gegner von vornherein einzuschüchtern.

»Ah, Sie machen mich neugierig,« rief Norwig ironisch. »In solchen Fällen pflegt sonst der Ehemann der berechtigte Fragesteller zu sein.«

»Halten Sie das, wie Sie wollen,« versetzte der Graf hochfahrend. »Jedenfalls frage ich Sie jetzt, wie Sie dazu gekommen sind, meinen Namen in Ihren Ehescheidungsprozeß zu verwickeln. Sie müssen wissen, der Assessor, dem Ihre Klage zur Behandlung zuging, war ein guter Bekannter von mir. Er hat mir, natürlich unter Diskretion, mitgeteilt, Sie behaupteten Beweise in Händen zu haben, daß ich unerlaubte Beziehungen zu Ihrer Frau Gemahlin . . .«

»Und ist dem vielleicht nicht so?« unterbrach ihn Norwig hart. »Sie haben ja die tolle Zeit auf Passenhofen zum Teil mit erlebt, Ihnen kann es doch wohl nicht so unbegreiflich sein, daß ich mich von der Frau zu trennen wünschte, deren Verschwendungssucht mich von Haus und Hof vertrieben und deren kokettes Wesen mich ihren Verehrern gegenüber in eine unerträglich würdelose Stellung brachte. Sie hat es aber immer verstanden, ihr Spiel so zu halten, daß man ihr nicht in die Karten sehen konnte. Ich kann wohl sagen, ich schrie nach einem Scheidungsgrund wie Richard der Dritte nach einem Pferde. Und da schrieb mir einer unsrer gemeinschaftlichen Bekannten nach New York, daß Ihr Verhältnis zu meiner Frau dem ganzen Regiment 27 bekannt sei, ja, daß Sie zum Beweise Ihres Sieges sogar gewisse Trophäen vorgezeigt hätten. Ich sage Ihnen, bester Graf, ich hätte Ihnen um den Hals fallen können, wenn ich Sie drüben gehabt hätte!«

Graf Bencken hielt mit einem kurzen Ruck sein Pferd an. Sein Gesicht war dunkelrot vor Zorn, er führte mit der Reitpeitsche einen wütenden Hieb nach einem Zweige, der ihm im Wege war und knirschte: »Das ist ja aber eine niederträchtige Verleumdung! Das hat mir sicher niemand anders eingerührt, wie Kamerad von Bock!« Und nun berichtete er wahrheitsgemäß die ganze harmlose Geschichte von den Ballschuhen und erzählte weiter, daß von Bock, der ihn immer zur Zielscheibe seiner Neckereien gemacht, unglücklicherweise einmal dieses kostbare Souvenir in einer seiner Schubladen entdeckt und daraufhin das Märchen von seinem Liebesglück unter den Kameraden verbreitet habe. Die Beteuerung seiner Unschuld hätte ihm aber so wenig Ruhe vor den übermütigen Anzapfungen verschaffen können, daß er schließlich alles zugegeben habe, um nur von den ewigen schlechten Witzen verschont zu bleiben. »Es war Ihr Glück,« schloß er, »daß das Gericht Ihre Klage zurückweisen mußte, weil Sie keinen festen Wohnsitz mehr in Deutschland hatten. Wenn man meinen Namen in einer öffentlichen Verhandlung bloßgestellt hätte, so wäre ich, hol' mich der Deibel! nach Amerika gereist, expreß um Ihnen den Hals zu brechen.«

»Nun, wenn Sie es so auffassen, Graf, dann bitte ich Sie um Verzeihung,« sagte Herr von Norwig ruhig. »Sie werden mir zugeben, daß ich in meiner Lage nicht anders handeln konnte. Uebrigens pflegt man dergleichen Schelmenstücke unter Kameraden doch im allgemeinen nicht so streng aufzufassen.«

»Oho, da muß ich doch bitten! Ein Graf Bencken wird sich niemals an fremdem Eigentum vergreifen!«

»Diese Gesinnung ehrt Sie, Graf. Kommen Sie, lassen Sie uns Freunde sein! Ich bedaure aufrichtig das Mißverständnis . . .«

Karl Egon Emich schlug, wenn auch etwas zögernd, in die dargebotene Hand ein und sagte, immer noch lebhaft 28 erregt: »Jetzt, da Sie revoziert haben, vergebe ich mir nichts, wenn ich Ihnen auf Ehrenwort versichere, daß zwischen mir und Ihrer Frau Gemahlin auch nicht das Geringste vorgefallen ist, was Ihnen Grund zur Eifersucht geben könnte. Im Gegenteil, sie hat mich immer – entschuldigen Sie den Ausdruck – effektiv scheußlich behandelt!«

»Und glauben Sie nicht, daß sie andren Herren bessern Grund gegeben hat, sich ihrer Gunst zu rühmen?« forschte Norwig vorsichtig.

»Wenn ich dergleichen von einem Kameraden wüßte, würde ich ihn selbstredend nicht verraten,« versetzte der Graf. »Aber ich kann Sie versichern, daß Frau von Norwig im Regiment ebenso berühmt war wegen ihrer pikanten Koketterie, wie wegen ihrer unerbittlichen Grausamkeit. Uebrigens doch fabelhaft, wie dieses Fräulein Bandemer Ihrer Gattin ähnlich sieht!«

»Nicht wahr, fabelhaft? Ich war auch vollständig baff, als ich sie zuerst hier sah.«

Damit ließen sie den Gegenstand fallen und galoppierten als gute Freunde querwaldein. –

Meister Hans W. Fink hatte unterdessen seine Arbeit begonnen. Man war nach vielfachen Versuchen dahin übereingekommen, daß die Gräfin vor einer dunkeln Gardine stehend dargestellt werden sollte, das Haupt in stolzer, freier Haltung etwas nach links gewendet und die rechte Hand auf einen Tisch gestützt, auf welchem die heilige Schrift und ihr so hochgeschätzter Grolmus sichtbar sein sollten. Als Kostüm war ein hochschließendes schwarzes Seidenkleid, nebst einem kostbaren Brüsseler Shawl um die Schultern, gewählt worden; dazu als Schmuck ein großes Brillantkreuz und im Haar eine Brillantagraffe mit einem kleinen Federtuff. Das Format war durch das betreffende Gegenstück in der Ahnengalerie gegeben: Kniestück in Lebensgröße.

Die Gräfin hatte endlich die richtige Stellung eingenommen und blickte mit starrem Ernst, als sollte sie photographiert werden, nach dem gegebenen Augenpunkt hin. Der Künstler runzelte die Stirn, betrachtete sie eine ganze Weile mit vernichtenden Blicken über die quer vorgehaltene flache 29 Hand hinweg und dann huschte seine Kohle mit leicht schrapendem Geräusche über die große Leinwand hinweg.

Schon nach kaum fünf Minuten stieß die Gräfin einen lauten Seufzer aus und rief in komischer Verzweiflung: »Ach du barmherziger Himmel! Das ist doch mehr, als ein armer schwacher, sündlicher Mensch vertragen kann! Ein Stuhl, ein Stuhl! Mir zittern schon die Kniee. Und Ihr gräßlicher Punkt, Herr Fink, der schwimmt mir schon als wie so'n großer schwarzer Walfisch vor den Augen herum!«

Unter großem Gelächter brachte man einen Stuhl herbei und vergönnte der armen Gräfin eine kleine Erholungspause. Fink tröstete sie damit, daß sie sich später setzen dürfe, sobald er die Umrisse festgestellt habe und an die Ausführung des Kopfes gehe. Auch brauche sie durchaus nicht den »gräßlichen Punkt« so krampfhaft ins Auge zu fassen.

Nach Verlauf einer kleinen Stunde, die durch mehrfache kurze Ruhepausen unterbrochen worden war, erklärte der Künstler die Zeichnung für fertig und gestattete der Gräfin sozusagen das Gerippe ihres künftigen Bildnisses in Augenschein zu nehmen.

»Herr Jemine!« rief die Gräfin lachend aus: »So schwarz haben Sie mich gemacht? Wissen Sie, wie ich aussehe? Wie ein Geist im Drillichanzug, der eben durch einen Schlot gefahren ist! Na, ich danke! Wie wollen Sie denn bloß die schwarzen Striche nachher wieder wegkriegen, wenn Sie mich austuschen? Ueberhaupt habe ich gedacht, daß so'n richtiger Künstler gleich ordentlich mit Oel und Farbe zu malen anfängt. Wenn Sie sich das alles vorher aufzeichnen, dann ist es ja gar keine Kunst mehr.«

Der Graf war besorgt, daß sich der Künstler durch die gutmütig derben Scherze seiner Gemahlin beleidigt fühlen könnte und beeilte sich ihr auseinanderzusetzen, daß auch die berühmtesten Maler nicht so ohne weiteres zu »tuschen« anfingen. Aber Hanswurstfink war durchaus nicht gekränkt, sondern rief vielmehr äußerst belustigt: »Frau Gräfin haben ganz recht. Man muß es bloß können, dann ist es gar keine Kunst mehr.«

Die Zeichnung wurde einstimmig für gelungen erklärt. 30 Ehe aber mit der Malerei begonnen wurde, rief man den Grafen ab und auch Komteß Marie zog sich zurück, um sich draußen im Garten ein wenig in ihrer Hängematte auszustrecken. Meister Fink blieb also mit der Gräfin und Vicki allein. Letztere hatte ein Buch herbeigeholt, um der Mama die Langweile der Sitzung durch Vorlesen zu verkürzen. Da die gräfliche Bücherei nur einen sehr geringen Vorrat an Werken der schönen Litteratur der Gegenwart besaß und dieser auch schon zu oft gelesen war – selbstverständlich wies er nur Namen wie Ebers, Dahn, Freytag und den heimischen Fritz Reuter auf! (Spielhagen war als demokratisch, Paul Heyse als unmoralisch ausgeschlossen, alle übrigen unbekannt!) – so wurde in den seltenen Fällen, wo eine litterarische Unterhaltung begehrt ward, zu den Werken der klassischen Periode gegriffen, von denen der Vater des Grafen einst eine stattliche Sammlung angelegt hatte. Und unter diesen waren die Lieblinge der Gräfin wiederum nicht die eigentlichen Klassiker selbst, sondern vielmehr zwei Damen, welche im Gefolge derselben in die Litteraturgeschichte gekommen sind, nämlich: Karoline von Wolzogen und Johanna Schopenhauer!

Komteß Vicki hatte der ersteren unsterblichen Roman »Agnes von Lilien« erwischt, welcher bekanntlich einst für ein Werk Goethes gehalten wurde und auch thatsächlich von den feinsten Gefühlen und der erhabensten Langeweile strotzt. Mit Todesverachtung und jenem eigentümlich singenden mecklenburgischen Tonfall, welcher sich im pathetischen Vortrage einer blühenden Sprache besonders drollig ausnimmt, jagte sie die ersten zwanzig Seiten hindurch. Sie saß dabei im Angesichte der Gräfin, schräg hinter der Staffelei, und zeigte so dem Maler ihr überall sanft abgerundetes Profil. Ohne nach ihm umzublicken, empfand sie doch sehr wohl, daß er sie eifriger betrachtete, als ihre Mama; und obwohl dies eigentlich recht tadelnswert an dem jungen Manne war, dieweil er doch dafür bezahlt wurde, daß er sich mit den würdevollen Zügen seines Modells künstlerisch beschäftigen sollte, so fühlte sich Komteß Vicki dennoch durch diese aufmerksame Unaufmerksamkeit sehr geschmeichelt und außer stande, durch einen Willensakt die aufsteigende Glut in ihren Wangen zu 31 verbannen. In holder Befangenheit las sie: »In dieser Verwirrung hielt ich immer den Arm fest, bis er sich von meiner Hand los machte und meine Taille umfaßte.«

Sie schlug ängstlich die großen Augen zu ihrer Mama empor, um zu erforschen, ob diese es auch für anständig halte, daß ein junges Mädchen dergleichen in Gegenwart eines jungen Mannes vortrage. Welch ein Anblick bot sich ihr da! Sie konnte ein ganz leises Kichern nicht unterdrücken. Karoline von Wolzogen war doch wirklich noch klassisch genug gewesen, um die Mama binnen zehn Minuten in sanften Schlummer einzulullen! Da war kein Zweifel möglich – die Zahngarnitur schwebte . . . doch nein, drücken wir es poetisch aus: Morpheus' Fahne flatterte stolz vom Turm!

Aber die plötzliche Stille schien der Schlummernden sofort empfindlich zu werden. Sie zuckte leicht zusammen, zog die bewußte Flagge schnappend ein und öffnete mit dem Ausdruck träumerischen Staunens die Augen. »Sehr hübsch, sehr hübsch!« nickte sie beifällig. »Es ist alles so poetisch!«

Und mit verdoppeltem Eifer, in einem noch geschwinderen Tempo als bisher, nahm Komteß Vicki ihre Vorlesung wieder auf: »Süßer Moment des Lebens, wo Sinn und Geist zuerst in der holden himmelanstrebenden Flamme emporfliegen, wie allgegenwärtig bist du einem zartfühlenden Gemüt! Ich war anständig erzogen, in der höchsten Reinheit und Keuschheit des Sinnes und der Einbildung. Dies war der erste Mann, gegen den ich meine volle Weiblichkeit empfand. (Vickis Wangen blühten purpurn.) Ich fühlte mich in seiner Gegenwart von jenem magischen Gewebe umsponnen, das die Blicke der Liebe zu erzeugen scheinen, und in dem all unser Thun zarter, feiner und bedeutender wird. Bei seiner Berührung bebten meine Nerven, und eine hohe Heiligkeit schwebte um sein Wesen, die schauernd meinen Busen beklemmte. In diesem namenlosen, süßen Gemische der ersten Regungen des Herzens stand ich sprachlos und versuchte nicht der süßen Gewalt, die mich umwand, zu entfliehen. ›Fallen Sie nicht, liebes Kind,‹ sagte er sanft . . .«

Hier ließ die Vorleserin das Buch plötzlich in ihren 32 Schoß sinken, denn sie hatte von dem Podium her, aus welchem ihre Mutter thronte, deutlich jene sanfte Musik vernommen, welche den Schlummer des Gerechten so harmonisch zu begleiten pflegt. Sie wollte sich geräuschlos erheben, als Hanswurstfink ihr leise zurief: »Ach bitte, Komteß, bleiben Sie nur einen Augenblick so sitzen! So – das Kinn etwas mehr rechts – und den Mund ein klein wenig geöffnet.«

Sie gehorchte ohne Widerrede und verharrte unbeweglich in der angegebenen Stellung, bis der Künstler sie aufforderte, heranzutreten.

Zaghaft begab sie sich hinter die große Leinwand und sah auf den ersten Blick nichts weiter, als einige mißfarbene Kleckse und Streifen, welche, einer Gewitterwolke ähnlich, über dem Haupte ihrer Mutter schwebten. Dagegen hielt Fink ihr nun plötzlich ein kleines Skizzenbuch vor die Augen, in welchem sie sich selbst mit überraschender Aehnlichkeit in leichter Bleistiftzeichnung dargestellt sah: mit etwas vorgebeugtem Rücken und übereinander gelegten Knieen im Stuhle sitzend und lächelnd den Blick von dem Buche erhebend.

»Ach, Herr Fink,« flüsterte sie, »so schnell haben Sie das gemacht! Sehe ich denn wirklich so aus?«

»Ungefähr wohl – nur noch viel, viel reizender,« schmeichelte er.

Das Komteßchen war sehr verwirrt. »Meinen Sie wirklich?« stammelte sie. »Ich darf das doch wohl behalten?«

»O nein, das gehört mir,« erwiderte er, seinen Mund ihrem Ohre nähernd: »Das verkaufe ich nur sehr teuer.«

»Nein, Sie werden doch nicht?« sagte Vicki ängstlich.

»Doch, doch. Aber Sie sollen den Vorzug haben. Es kostet ja nur eine Million – so viel haben Sie sich doch gewiß schon von Ihrem Taschengelde zurückgelegt!«

»Ach, Sie sind recht schlecht, Herr Fink. Sie wollen sich über mich lustig machen,« schmollte das Komteßchen. »Ich möchte ja gerne das Bildchen bezahlen, aber . . .«

»Wirklich? Dann schenken Sie mir doch etwas, was ungefähr eine Million wert ist.« Fink sah sie mit seinen lustigen grauen Augen schmachtend an.

33 Und das kluge Komteßchen verstand diesen Blick, wandte das Köpfchen scheu zur Seite und streckte abwehrend die Hände gegen ihn aus.

Doch welche Hindernisse vermöchte der Erwerbssinn eines jungen Malers nicht zu besiegen! Ehe sie sich dessen versah, hatten ihre warmen, weichen Kinderlippen ihm schon eine Million bar ausbezahlt.

»Sind Sie mir böse?« flüsterte der Kühne ihr zärtlich ins Ohr.

Da legte sie ihre Hände vor das glühende Gesicht und schüttelte ziemlich energisch den Kopf.

In diesem Augenblicke erhob die Gräfin aufseufzend ihr Haupt und Vicki begann, noch während sie hinter der Leinwand hervor und nach ihrem Platze sprang, den Faden der Lektüre wieder aufzunehmen, wo sie ihn vorhin hatte fallen lassen.

Mit lauter, wenngleich bebender Stimme deklamierte sie: »›Fallen Sie nicht, liebes Kind!‹ sagte er sanft, als ich endlich seinen Arm wegrückte, und umfaßte mich von neuem . . .«

»Ich weiß nicht, was das ist?« sagte die Gräfin, nach einiger Zeit die Vorlesung unterbrechend: »Kommt das vom Malen oder vom Lesen – ich werde so merkwürdig müde. Ich wäre beinahe eingeschlafen.«

Meister Fink machte den Vorschlag, die Sitzung auf ein Weilchen zu unterbrechen und sich ein wenig zur Erholung im Parke zu ergehen. Beide Damen stimmten dem mit Vergnügen zu und man begab sich ungesäumt hinaus. Sie fanden Komteß Marie mit einem Buche beschäftigt in der Hängematte, welche zwischen zwei Stämmen des Tannenganges angebracht war.

»Nun, Meister Fink,« sprach sie den Künstler freundlich an: »Wie benimmt sich Mama als Modell?«

»Vortrefflich,« erwiderte jener. »Komteß Vickis Vorlesung fesselte die Frau Gräfin derartig, daß sie vor atemloser Spannung kein Glied zu rühren wagte.«

»Leisten Sie zur Abwechslung auch mir einmal ein wenig Gesellschaft?« frug die Komteß.

»O gewiß, mit dem größten Vergnügen,« erwiderte er 34 artig, und als Vicki mit ihrer Mama außer Hörweite gekommen waren, fügte er hinzu: »Haben Sie inzwischen das Photo von Fräulein Bandemer gefunden?«

»Darauf dürfen wir uns nun keine Hoffnung mehr machen – das hat mein Vater an sich genommen, und der gibt ein hübsches Mädchengesicht sicher nicht wieder heraus. Aber wozu sind Sie denn Maler! Für Sie ist das gewiß eine Kleinigkeit, solch ein Gesicht mit ein paar Bleistiftstrichen festzuhalten.«

Fink versprach, es versuchen zu wollen und fügte hinzu, daß er durch den merkwürdigen Zwischenfall mit dem Grafen Bencken nur noch neugieriger darauf geworden sei, hinter den Roman des angeblichen Fräuleins Bandemer zu kommen. Ob sie nicht vielleicht wisse, was für eine Geborene die verstorbene Frau von Norwig gewesen sei?

»Frau von Norwig ist weder eine Geborene noch auch eine Gestorbene, so viel ich weiß,« erwiderte Komteß Marie. »Aber Herr von Norwig scheint Ursache zu haben, sie als für sich nicht mehr vorhanden zu betrachten, nachdem sie geschieden sind. Ich sage Ihnen das im Vertrauen, weil es doch vielleicht als ein Fingerzeig für Ihre Erkundigungen bei Frau Bandemer dienen könnte. Hier im Hause soll es aber niemand wissen. – Wären Sie vielleicht so freundlich, mir Ihren Arm zu reichen, um mich nach den Ställen zu begleiten?«

Er erfüllte gern ihre Bitte und sie schritten langsam, in lebhafter Unterhaltung den Hofgebäuden zu. Es war ganz einsam dort, kein Mensch zu sehen und außer den Mastschweinen auch kein Tier daheim. Als sie nach dem Pferdestall gehen wollten, kehrten gerade die beiden Herren von ihrem Spazierritt zurück und Fink war froh, sich nun mit seiner Arbeit entschuldigen zu können – um seine Vicki wieder aufzusuchen.

Als er so eiligen Schrittes in den Park zurücklief, begegnete ihm Fräulein Sophie. Er wollte mit einem leichten Gruß an ihr vorüber, doch sie verstellte ihm den Weg, indem sie boshaft lächelnd ausrief: »Ah – Sie sind wirklich ein großer Künstler, lieber Vetter!«

35 »Sehr schmeichelhaft!« erwiderte er trocken. »Sie haben wohl die Kohlenskizze gesehen?«

»Nur ganz flüchtig und von weitem.« Und da er ein fragendes Gesicht machte, fuhr sie langsam, jedes Wort betonend, fort: »Ich hatte die Frau Gräfin um Auskunft zu bitten und da ich mich gerade im Garten befand, so mußte ich natürlich den Weg nach Ihrem Atelier über die Veranda nehmen. Sie haben vielleicht bemerkt, daß sich dort eine Glasthür befindet! Ein Blick durch diese Glasthür überzeugte mich, daß ich in jenem Augenblick die Herrschaften nur stören würde. Ich zog mich daher mit derjenigen Diskretion, welche mir in meiner Stellung zukommt, zurück. Aber ich hatte gerade genug gesehen, um, wie gesagt, Sie bewunderungswürdig zu finden. Es wird die Frau Gräfin vielleicht auch interessieren zu hören, daß Sie nicht allein auf, sondern auch hinter der Leinwand so viel Talent entwickeln.«

Fink biß sich auf die Lippen und zupfte an seinem blonden Bärtchen. »Nun, was ist da weiter?« rief er leichthin. »Unter lieben Verwandten drückt man schon mal ein Auge zu über solche kleinen . . .«

»Scherze, wollen Sie wohl sagen,« ergänzte sie strenge. »Ich möchte doch lieber ein andres Wort wählen. Mit den Gefühlen eines so unschuldigen, treuherzigen Mädchens leichtsinnig spielen . . .«

»Na, aber thun Sie mir den einzigen Gefallen, Fräulein Bandemer,« fiel er ärgerlich ein. »Wer sich ohne Sünde fühlt, der werfe den ersten Stein auf mich! Sollten Sie in dieser Beziehung so gar nichts zu verschweigen haben? Sie wissen, der junge Wuvermann schenkte mir großes Vertrauen!«

»Drohen Sie mir nur immerhin damit. Glauben Sie, daß man den Prahlereien eines leichtsinnigen jungen Menschen hier mehr Glauben schenken würde, als mir?« versetzte Sophie verächtlich. »Ich wüßte wirklich nicht, warum ich Sie schonen sollte, Sie, der Sie gleich in der ersten Stunde mich vor der Komteß bloßstellen wollten und nachher mit der Großen den Kopf zusammenstecken, um irgend eine Bosheit gegen mich auszuhecken, die ich Ihnen nie im Leben etwas gethan habe.«

36 Dem kecken Künstler wurde es bei diesen Worten doch etwas bänglich zu Mute. Es war ganz richtig, was sie da sagte und es kam noch dazu in einem so überzeugenden Tone beleidigten Stolzes heraus, daß er an seiner Meinung über sie irre zu werden begann. Wenn sie der Gräfin wirklich verriet, wozu er ihren Schlummer mißbraucht hatte, so waren jedenfalls die schönen Tage von Aranjuez-Räsendorf vorüber und er mußte das Kastell, das er so glorreich erstürmt hatte, als Ritter von der traurigen Gestalt wieder verlassen. Der Verräterin hinterher gleichfalls aus Rache einen Makel anzuhängen, wäre unter solchen Umständen einfach eine Gemeinheit gewesen. Seine Lage war wirklich eine recht peinliche. Endlich erwiderte er, sich zu einem Lächeln zwingend: »Ja, liebe Base, Sie müssen aber doch gestehen, daß Ihre verkehrten Antworten gestern es mir einigermaßen zweifelhaft machen mußten, ob Sie wirklich die Tochter meiner Tante Bandemer wären – vom Vater will ich schon gar nicht reden, denn da dürfte am Ende die Auswahl doch zu groß sein!«

»Nun, wenn Sie das Alles wissen, dann wundert es Sie noch, wenn ich mich stelle, als ob ich von meinen Eltern nichts wüßte? Habe ich mich darum aus dem Sumpfe emporgerungen, bin ich darum so lange heimatlos in der Welt herumgeirrt und habe unsägliche Leiden auf mich genommen, um mich nun, nachdem ich mich endlich in reinere Sphären durchgekämpft und mich des Umgangs edler Menschen würdig gemacht habe, durch die Erinnerung an die unselige Vergangenheit wieder hinausstoßen zu lassen in die trostlose Winternacht?!«

Fink hatte dieser Rede mit offenem Munde zugehört. Er war tief erschüttert und streckte seiner heldenhaften Cousine in ehrlicher Wallung die Rechte entgegen. »Ja, ich sehe es, ich habe Ihnen schweres Unrecht gethan. Aber Sie verzeihen mir, nicht wahr, Sophie? Und – was das andre betrifft: Ich wäre ja nicht wert, ein Künstler zu heißen, wenn mir ein solches himmlisches Geschöpfchen nicht den Kopf verdrehen sollte.«

Etwas zögernd legte Fräulein Bandemer ihre Hand in die seine. »Nun, es sei,« sagte sie, wehmütig lächelnd. 37 »Fassen Sie es als eine Warnung auf, lieber Vetter! Aber da wir nun unter uns sind – können Sie mir wohl sagen, wo meine Mutter jetzt wohnt? Ich habe seit vielen Jahren nichts mehr von ihr gehört und es könnte mir doch unter Umständen erwünscht sein . . .«

»Sie betreibt seit fünf Jahren ein Putzgeschäft in Lüneburg – seit ihr Mann, der Wachtmeister, gestorben ist. Sie soll ja auf ihre alten Tage eine ganz brave, fromme Frau geworden sein – wie das so manchmal vorkommt! Ein gutes Herz hat sie ja immer gehabt.«

Sophie dankte ihm für die Auskunft, ermahnte ihn nochmals dem Komteßchen gegenüber zur Selbstbeherrschung und empfahl sich mit einem sanften liebenswürdigen Lächeln.

Vetter Fink schaute noch eine ganze Weile wie verzaubert hinter ihr drein, kraute sich bedenklich rings um sein kurzgeschorenes blondes Haupt herum und murmelte endlich in gelinder Verzweiflung vor sich hin: »Nun brate mir einer einen Storch! Entweder ist diese Base Sophie ein riesig respektables Frauenzimmer, oder ich bin ein riesig respektabler Esel. Hm – ja, mein Alter hat ganz recht: die Erziehung macht es nicht, es kommt nur auf dem Schenie an!«

Indem er nun so nachdenklich dem Schlosse zuschritt, stieß er auf den alten Grafen, welcher ihn vertraulich unter den Arm nahm und zu einer kleinen Besprechung ihm auf sein Zimmer zu folgen bat. Dort angelangt, reichte er ihm zunächst eine wundervolle La Carolina und begann dann nach vielem Räuspern mit großer Heimlichkeit sein Ansinnen vorzubringen.

»Würden Sie vielleicht die Güte haben, mir in Ihren Mußestunden ein kleines – ganz kleines Aquarell, Pastell oder was Sie wollen, nach einer Photographie anzufertigen? Das heißt – ich meine – ich habe nämlich eine kleine exquisite Sammlung schöner Frauenköpfe – eine Liebhaberei von mir, der ich ganz im stillen fröne. Sie werden begreifen – unsre Damen denken nicht immer objektiv genug, um die Kunst um ihrer selbst willen zu schätzen. Sie hängen so sehr am Gegenständlichen, haha! Eine alte Bemerkung, aber sehr richtig. Ueber den Preis werden wir uns wohl einigen.«

38 Meister Fink verbeugte sich und drückte seine Bereitwilligkeit aus, die kleine Arbeit zu übernehmen. Selbstverständlich gratis.

Und nun griff Graf Pfungk endlich nach seiner Brieftasche und holte daraus das sorgfältig in Seidenpapier eingewickelte Porträt des Fräuleins Bandemer hervor.

Fink konnte sich nicht enthalten zu lächeln. »Also das ist meine Vorlage!« rief er.

»Pst, nicht zu laut!« warnte der Graf. »Sie müssen zugeben, das Fräulein ist sehr hübsch, es ist nur verzeihlich, daß meine Frau etwas eifersüchtig . . . ha ha! Sie als Künstler werden begreifen, wie ein objektives Interesse für die Schönheit . . . Kurz und gut, meine Frau vermißt das Porträt bereits und wenn ich es ihr nicht bald wieder unter ihre Papiere praktiziere, so könnte ich in den Verdacht kommen – Sie verstehen.«

»Vollkommen,« lachte Fink. »Ich will versuchen, ob ich das kleine Kunstwerk heute noch zu stande bringe. Da ich ja das lebende Modell vor Augen habe, so bin ich auch um die Farben nicht verlegen.«

»Vortrefflich, lieber Fink, vortrefflich! Zur Belohnung sollen Sie auch einmal meine Privatgalerie zu sehen bekommen. Aber kein Wort zu den Damen, nicht wahr?«

Der Künstler gelobte unverbrüchliches Schweigen und empfahl sich in demselben Augenblick, als Graf Bencken zur Thür herantrat.

»Ah, da bist du ja!« rief der alte Herr seinem Neffen entgegen. »Hast du Herrn von Norwig auch gesund und heil wieder mitgebracht?«

»Jawohl, cher oncle; wir sind sogar als gute Freunde zurückgekommen: Er hat sich sehr anständig aus der Affaire gezogen.«

»Ich habe es nicht anders von ihm erwartet,« sagte Graf Pfungk befriedigt. »Darf man jetzt auch noch nicht wissen, um was es sich handelte?«

Graf Bencken spielte etwas verlegen mit seinem Kneifer und versetzte zögernd: »O, nur kleine Mißverständnisse von früher her. Herr von Norwig hat nämlich auch in unsrem 39 Regiment gestanden, ehe er sich auf sein Gut zurückzog. Er galt immer für so eine Art Gelehrten unter uns und hatte manchmal eine Manier, uns das fühlen zu lassen, die mir ganz besonders fatal war. Du weißt, die Gelehrsamkeit ist nie meine starke Seite gewesen; das Lernen ist mir immer schwer geworden, seit ich damals als Junge auf den Kopf gefallen bin.«

»Ja, ja, armer Kerl!« lachte der Oheim. »Du bist allerdings unschuldig zu deinen Bildungslücken gekommen. Es liegt auch wohl in eurer Familie: Dein Papa behauptete ja immer, das viele Studieren sei unschicklich für einen Edelmann; das erzeuge bloß revolutionäre Ideen. – Kommt Norwig auch bald nach?«

»Marie hält ihn noch oben im Stalle fest – sie bekümmert sich ja höllisch um die Wirtschaft! Ich bin vorausgeeilt, weil ich, offen gestanden, einen kolossalen Hunger habe.« – –

Komteß Marie war mit Herrn von Norwig im Pferdestall zurückgeblieben, nachdem ihr Vetter sowie der Knecht, der das Absatteln besorgt hatte, hinausgegangen waren. Sie hatte ermüdet auf der Futterkiste Platz genommen und eine lange Zeit schweigend zugesehen, wie die beiden Reitpferde wohlgefällig ihren Hafer zermalmten. Ein schwerer Seufzer hob ihre Brust.

»Was ist Ihnen, Komteß? Sie scheinen bewegt,« brach Norwig das Schweigen und trat ihr teilnahmsvoll näher.

Sie antwortete nicht, aber ihr Busen wogte heftig, wie wenn sie mit aller Kraft gegen eine gewaltige Erregung zu kämpfen habe. Plötzlich sprang sie auf, so rasch, als hätte sie ihre Leiden auf einmal abgeschüttelt, trat mit ein paar großen Schritten in den Stand des Hengstes und rief, das erschrocken zur Seite springende Tier heftig mit der flachen Hand auf den Hals schlagend: »Schämst du dich nicht? Schämst du dich nicht? Abscheuliche, gefühllose Bestie du! Kannst du mich wiedersehen und dabei so gefräßig dein dummes Maul voll nehmen?!«

Potrimpos stieg vor Schreck in die Höh', soweit seine Kette ihm Spielraum ließ. Es war ein ängstlicher Anblick. 40 Die Komteß konnte leicht von den zappelnden Hufen getroffen werden. Norwig war mit zwei Sprüngen ihr zu Hilfe geeilt. Er stellte sich breit vor sie und suchte das Tier zu beruhigen, während er sprach: »Was thun Sie, Komteß! Ich bitte Sie, drücken Sie sich vorsichtig hinaus. Wie können Sie das nervöse Tier so reizen!«

»Sie haben recht, es ist lächerlich, es ist unsäglich albern von mir,« keuchte sie mit fliegendem Atem. »Aber können Sie sich nicht vorstellen, wie mir zu Mut ist – mir, die ich mit meinem Pferde wie verwachsen war und nun vielleicht verdammt bin, mein ganzes Leben lang meine Röcke auf dem schmutzigen Boden nachzuschleifen, wie die erste beste alte Kaffeeschwester!?«

»Aber ich bitte Sie um Gottes willen, beruhigen Sie sich doch, teuerste Komteß,« sagte Norwig, indem er sich zu ihr wandte. Potrimpos hatte sich scheu zur Seite gedrückt und blickte ängstlich fragend nach seiner Herrin. »Kommen Sie, ich bringe Sie sicher hinaus.« Und er nahm sie sanft bei der Hand, um sie aus dem gefährlichen Stand hinauszugeleiten.

Doch sie machte sich mit einem Ruck von ihm los, trat auf das Pferd zu, schlang ihre beiden Arme um dessen Hals und brach in ein lautes Schluchzen aus. Sie hatte ihren Kopf gegen die Mähne gelegt, ihre Thränen sickerten langsam an dem glänzenden Fell herunter. Das Tier stand wie gebannt – und dann wandte es langsam den schönen Kopf und lehnte ihn sanft an den Rücken seiner Herrin, als wollte es so für den grausamen Streich, den es ihr gespielt, um Verzeihung flehen.

Norwig selbst war von diesem Anblick so bewegt, daß er lange keine Worte zu finden vermochte. Er trat hinter die Komteß und strich ihr, selbst kaum wissend, was er that, leise mit der Hand über den Kopf. Erst nach geraumer Weile fand er Worte des Trostes: es würde gewiß nicht so schlimm werden, wie sie meine. Ihre starke Natur würde die Folgen des Sturzes überwinden. Und selbst wenn diese Hoffnung sich nicht erfüllen, wenn es ihr nie mehr vergönnt sein sollte, sich kühn zu Roß zu tummeln, so ständen ihr doch in ihrer bevorzugten Stellung so viele Möglichkeiten 41 offen, ihren heißen Drang nach kräftiger Bethätigung ihres Wesens zu stillen.

»Sie meinen es gut mit mir,« erwiderte sie und wandte ihm langsam ihr thränenüberströmtes Gesicht zu. Dann reichte sie ihm die Hand und folgte ihm gesenkten Hauptes aus dem Stand.

Sie nahm ermattet wieder auf der Futterkiste Platz und sagte, als sie etwas ruhiger geworden war: »Sie können es doch nicht begreifen, was es mich kosten würde, meiner bisherigen Lebensart zu entsagen. Weib zu sein dünkt mich das furchtbarste Los. Ich hasse mein Geschlecht! Und das habe ich bisher noch nicht empfunden: ich war zu etwas nutz; was ihr Männer könnt, konnte ich auch! Wäre ich nicht auf dem Lande geboren, so hätte ich mich vielleicht auf eine Wissenschaft geworfen, wäre Arzt geworden, wie es unter den vornehmen Russinnen jetzt so Mode ist. Aber nie hätte ich daran gedacht, mein Leben in der elenden geschäftigen Nichtsthuerei hinzubringen, zu der die Frauen unsres Standes erzogen werden, oder gar in dem stumpfsinnigen Gesellschaftstreiben, das so vielen das bißchen Gehirn einzig und allein beschäftigt. Was soll aber jetzt aus mir werden, wo ich die Gewißheit habe, daß ich mich mein Lebtag nicht wieder werde rühren können wie ein freier Mensch?«

»Aber Komteß, das ist ja nicht denkbar,« unterbrach sie Norwig: »Der Arzt hat doch gesagt . . .«

»Mich täuscht er nicht mit seinen frommen Lügen. Ich bin kein Kind mehr, das sich durch ein Bonbon betrügen läßt. Er glaubte, ich würde mich mit seinen lateinischen Ausdrücken zufrieden geben; aber ich habe sie mir wohl gemerkt und alles im Konversationslexikon nachgelesen. Seitdem weiß ich auch erst, was es heißt, ein Weib zu sein!«

»Aber teuerste Komteß, warum quälen Sie sich mit solchen Gedanken? Warum sollten denn Sie allein das Glück nicht da finden können, wo es andre Frauen suchen? Sie haben sich erst jetzt als Weib entdeckt, wenn ich so sagen darf – gut! warum sollten Sie jetzt nicht auch als Weib empfinden lernen?«

»Warum?! Fragen Sie doch meinen Spiegel?« knirschte 42 die Komteß, indem sie sich erhob und ihre beiden geballten Hände zornig an ihre Wangen legte. »Mit solchem Gesicht darf man ja höchstens Pferde lieben!« Sie lachte kurz und höhnisch auf und schickte sich an, den Stall zu verlassen.

Herr von Norwig ergriff sie abermals bei der Hand und hielt sie sanft zurück. »Jetzt lästern Sie, Komteß,« sagte er ernst. »Und das darf ich als Mann nicht dulden! Ich denke doch, daß nicht alle Männer solche Narren sein werden, wie ich einer war, als ich um eines hübschen Gesichtes willen mutwillig mein ganzes Leben zerstörte.«

Sie wandte sich rasch ihm wieder zu, legte ihre Linke auf seinen Arm und versetzte hastig, ohne Uebergang: »Herr von Norwig, seit ich erwachsen bin, sind Sie der erste Mann, der mich in Thränen gesehen hat. Ich habe Ihnen ein Vertrauen geschenkt, wie keinem bisher. Doch ich schäme mich nicht vor Ihnen – ich bin Ihnen so viel Dank schuldig, daß ich Ihnen ohne Bedenken meine ganze Seele anvertrauen könnte. Aber eins quält mich, eins drückt mir das Herz ab – Sie sind nicht ganz offen, Sie sind nicht ganz wahr! Diese Sophie Bandemer ist Ihre Frau – und Sie suchen uns alle durch Lügen zu täuschen! Warum thun Sie das?«

Er senkte das Haupt und sagte leise: »Ich bin nicht Herr meines Willens! Ich stehe unter einem furchtbaren Zwange.«

»Aber sie ist Ihre Frau, nicht wahr?«

»Ja, Komteß, Ihnen gestehe ich es – Ihnen allein!«

»Und warum die Lüge, warum? Was fesselt Sie an diese verächtliche, heuchlerische Person?«

»Das darf ich Ihnen nicht sagen,« erwiderte er nach kurzer Ueberlegung.

»Sie dürfen nicht, auch wenn . . .« Sie trat dicht vor ihn hin, ihre weitgeöffneten Augen bohrten sich in die seinen, ihr heißer Atem streifte sein Gesicht – »auch nicht, wenn ich dir gestehe, Mann, daß ich dich wahnsinnig liebe?«

»Komteß!« schrie er laut auf und stürzte ihr zu Füßen, »nun müssen Sie alles wissen.«

In der offenen Thür erschien für einen Augenblick Inspektor Reusches vierschrötige Gestalt. »Ach, entschuldigen Sie!« stotterte er und zog sich bestürzt zurück. 43

 


 


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