Julius Wolff
Der wilde Jäger
Julius Wolff

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XV.

Die wilde Jagd

Im Bodethal der Abend dunkelt,
Rauh bricht des Herbstes Zeit herein
Mit feuchtem Dunst, nur schüchtern funkelt
Verstreuter Sterne Dämmerschein.
Und einsam ist es, nicht mehr winket
Gastlich vom Berg das Grafenschloß,
Und kein erleuchtet Fenster blinket
Von Kemenat' und Thurmgeschoß.
Nicht mehr durchs tiefe Waldesschweigen
Tönt friedlich eines Hornes Klang,
Wie er sich sonst als Schlummerreigen
Allabendlich hernieder schwang.
Wo lang ein stolz Geschlecht gesessen
An seinem fest gebauten Herd,
Am Waidwerk seine Zeit gemessen
Mit Armbrust, Habicht, Hund und Pferd,
Da starren ausgebrannte Mauern
Und öde Giebel, rauchgeschwärzt,
An die ein Denkmal ohne Dauern,
Die hier gelebt, geliebt, gescherzt.
Zerstört, verwüstet und gebrochen
Die Treseburg vom Felsen ragt,
Ein ausgehöhlt Gerüst von Knochen,
Vom Zahn des Raubthiers abgenagt.
Es sprengte selbst der Steine Fugen
Des Feuers zehrende Gewalt,
Die Dach und Fach und Zinnen trugen,
Im Thurme klafft ein breiter Spalt.
Der Wind erwacht, und die schon ruhten,
Die Flammen lodern neu empor,
Es tritt in rothen Feuersgluthen
Der Bergfried aus der Nacht hervor.
Rauch hebt sich von den Trümmern wieder
Aus Schutt und glimmendem Gebälk
Und mischt sich wie ein schwarz Gefieder
In das zerrissene Gewölk.
Zuweilen blickt mit mattem Flimmer
Des Mondes Sichel wohl heraus,
Doch balde löscht den blassen Schimmer
Ein finstrer Schatten wieder aus.
Undeutliche Gestalten ziehen,
Lufttraber, scheu und körperlos,
Bald hier, bald dort, sie winken, fliehen,
Verschwinden in des Dunkels Schoß.
Und immer stärker wird das Wehen
Um Bergeshaupt und Felsenwand,
Und über das Gebirge gehen
Sturmschritt die Wolken in das Land.
Aus seinen Träumen aufgerüttelt,
Daß er dem Nachtgesange lauscht,
Regt sich der dunkle Wald und schüttelt
Die stolzen Kronen, braust und rauscht.
Es biegt im Blasen, Zausen, Schwellen
Sich Zweig und Laub, tief umgelegt,
Wie langgeschwungne Meereswellen,
Gedrückt, zur Seite hingefegt. –
Der du im Frühlingssturm die Schaaren
Der Knospen brachst mit deinem Hauch,
Kommst, Wodan Wunschwind, du gefahren
Im blätterstreuenden Herbststurm auch? –
Herauf, hernieder wird ein Wogen,
Es stiebt und rollt und knarrt und pfeift,
Als käme da vom Himmelsbogen
Ein Riesenfittig hergeschweift,
Und furchtbar bricht mit Wuth und Schrecken
Auf einmal los des Sturmes Macht,
Ein Lärm, die Todten aufzuwecken,
Erfüllt das Thal und tobt und kracht.
Die Lüfte beben, schüttern, sausen,
Sie donnern an das Felsgestein,
Ins Ungeheure wächst das Brausen,
Die Windsbraut heult, Alraune schrei'n.
Dazwischen ruft's wie Menschenstimme,
Jedoch so fürchterlicher Art,
Als hätte in Vernichtungsgrimme
Das Schrecklichste sich aufgespart,
Es diese Nacht daher zu senden
Hier zwischen Erd' und Himmelszelt,
Das Dasein der Natur zu enden,
Die andre, unbekannte Welt.
Bald ist's ein Jauchzen übermüthig,
Das gellend durch den Sturm sich bricht,
Und bald ein Stöhnen schmerzenswüthig
Wie Angstschrei auf dem Hochgericht,
Wahnsinnig Kreischen, heisres Krächzen
Und ohrzerreißender Gesang,
Und dann ein Fluchen, Jammern, Aechzen,
Hohnlachen, Spott und Schellenklang.
Und endlich Jagdgeschrei ertönet
Und Roßgewieher, Rüdenlaut,
Verstimmter Hifthornschall erdröhnet,
Daß staubgebornen Wesen graut. –

Hoch oben von den Sperberklippen
Da wettert's in das Thal herab,
Da pfeift es um die Felsenrippen,
Da wühlt es um ein einsam Grab.
Versammelt sind des Sturms Gewalten,
In Wolkenschleier eingehüllt,
Da wogt's und wimmelt's von Gestalten,
Und ringsum ist der Wald erfüllt.
Nachtjäger sind es, die hier warten,
Beweglich hin und wieder irrn,
Als ob voll Ungeduld sie harrten,
Und ruhlos durcheinander schwirrn.
Sie beugen sich aufs Grab und lauschen,
Es zu betreten wagt kein Fuß,
Und schaudervoll ist, was sie tauschen,
Haß und Verwünschung ist ihr Gruß.
Die Eiche schlägt mit ihren Zweigen
Tief um sich wie mit Schwertes Wucht
Und scheuchet von des Grabes Schweigen
Der Friedensbrecher wüste Zucht.
Doch trotzig kehrt nach jedem Streiche
Zum Kampf zurück der Schemen Drang,
Und ehern dröhnt es aus der Eiche
Im Sturmgebraus wie Glockenklang:

Laßt ruhen die Todten
Nach alten Geboten.
Ihr sollet nicht richten
Mit rächenden Schlägen
Und sollet nicht wägen
Mit falschen Gewichten
Das irdische Thun.
Einst wird es verkündigt
In strahlendem Licht
Am jüngsten Gericht,
Was Einer gesündigt,
Hier lasset ihn ruhn
Im Schatten der Nacht,
Ich halte die Wacht!

Die Geister horchen, flüstern, säuseln
Und huschen hin und her geschwind,
Und dann gleich dürrer Blätter Kräuseln
Fährt's in sie wie ein Wirbelwind.
Sie schwingen sich ums Grab im Kreise,
Umtanzen es in wirrem Knäu'l,
Und höhnisch zu der tollen Weise
Ertönt ein schauerlich Geheul.

Huiho! er ist unser!
Wir lassen ihn nicht!
Er hat sich verschworen,
Er hat sich verflucht,
Den Himmel verloren,
Die Hölle gesucht.
Begraben, begraben,
Das waren wir auch,
Wir wollen ihn haben
In Flammen und Rauch.
Wir wollen ihn hetzen
Und treiben und zerrn
Und wollen ihn setzen
Uns selber zum Herrn.
Er muß mit uns reiten
Durch ewige Zeiten,
Jahrtausende schwinden,
Ruh' soll er nicht finden.
Huiho! zu jagen,
Am Fluche zu knagen,
Wach' auf! steh' auf!
Zu unstätem Lauf
Mit grus'ligem Schalle,
Verdammt sind wir Alle!
Huihui! wach' auf!
Huihui! steh' auf!
Huiho! hip! hop!
Huiho! hui! hui!

Da hebt sich über alle Schranken
Des Sturmes Wuth, der Berg erbebt,
Die Eiche stürzt, die Felsen wanken,
Ein stolzer Mantelträger schwebt,
Umrauscht von seiner Raben Flügel
Und mit den Wölfen hoch daher,
Ein Speerschuß donnert in den Hügel, –
Und Todesstille ist umher.
Des Grabes Wölbung ist verschwunden,
Langsam im bleichen Mondenglanz
Steigt draus hervor, das Haupt umwunden
Von einem welken Eichenkranz,
Von Grau'n und Geisterhauch umwittert,
Doch von lebend'gem Odem leer
Und von Beschwörungskraft durchzittert,
In Waffenschmuck und Waidmannswehr
Ein Rittersmann; er wallt und gleitet,
Die Hand an seines Messers Knauf,
Zu einem Hengst, den er beschreitet,
Und schlägt die todten Augen auf.
Ein eisig Lächeln spielt beim Schauen
Um strengen Mund, er giebt den Sporn,
Wild zuckt es um die finstern Brauen,
Und gellend, schmetternd stößt er ins Horn
Und fährt dahin, und nach ihm geschnoben
Kommt stürmend, prasselnd in rasendem Flug,
Um Wipfel geschwebt, um Felsen gestoben
Aus flatternden Wolken ein mächtiger Zug
Von Reitergespenstern und Todesgesellen,
Von Wildrern, meineid'gem, verworfenem Troß
In Panzer und Wamms und in zottigen Fellen
Mit Spießen und Peitschen und Stahl und Geschoß,
Gerichtet, gerädert, gefoltert, geschunden,
Die Glieder verrenkt, verdreht das Genick,
Mit grinsenden Schädeln und klaffenden Wunden,
Mit fletschenden Zähnen und flackerndem Blick.
Sie preschen auf schwarzen, rauhmähnigen Kleppern
Mit geifernden Hunden zu tausend daher,
Sie schleudern und schießen mit Bogen und Schneppern,
Doch die zischenden Pfeile treffen nicht mehr.
Sie streifen und jagen und stoßen und zwängen
Sich oben und unten hindurch ohne Rast
In Strudel und Taumel und Treiben und Drängen,
Ein blutig Gesindel in wirbelnder Hast.
Es schlängelt und krümmt sich wie schuppige Drachen
Und ringelt und reckt sich in endlosem Schweif,
Speit Feuer und Flammen aus dampfenden Rachen,
Und gräßlich Geschrei ist, Gebrüll und Gekeif,
Als wären die Thore der Hölle erbrochen
Von ihrer Bewohner haarsträubenden Zahl.
Und wie die Lawine von schwindelnden Jochen
Zermalmend sich Bahn bricht ins bangende Thal,
Sprengt riesengewaltig mit lauten Fanfaren
Der Eine, der grabesentstiegene Geist
Voran den lüftedurchtosenden Schaaren,
Von fliehendem, keuchendem Wilde umkreist.
Hoch ragt er vor Allen mit Herrschergeberden,
Ein Fürst des Gebirges, ein Heros der Nacht,
So wie er gelebt und geritten auf Erden
Und Engel und Menschen und Teufel verlacht.
Ho! ewige Waidlust! er hebt sich im Bügel
Und schmettert und jauchzet und schwinget den Speer
Und hetzet und jaget mit hängendem Zügel,
Der grausige Führer vom wüthenden Heer.
Es stürmet daher in der Wolken Geleise
Und schwenkt um die Burg in stürzender Flucht,
Umsauset die rauchenden Trümmer im Kreise
Und brauset dahin in die dämmernde Schlucht.
Und wie's mit unsagbaren Schrecken verschwindet,
Ein rollendes Echo vom Felsen erschallt,
Jetzt lauter, jetzt leiser, wie's dreht sich und windet,
Bis Alles in schweigender Ferne verhallt.
Nun überall Stille, es summet und singet
Der Sturm noch allein mit ersterbendem Klang
Von Blühen und Welken, es orgelt und klinget
Gelinde wie tönender Schwanengesang.
Doch horch! es erhebt sich von Neuem das Toben
Schon näher und näher, das wüste Gebraus,
Sie kommen zurück aus dem Thale gestoben,
Der fliegende Schwarm, der entsetzliche Graus.
Und wieder, umwittert von Feuergefunkel,
Umkreisen die Burg sie, den wankenden Thurm,
Und klagend verliert sich in Schatten und Dunkel
Die wilde Jagd im verwehenden Sturm. –
Die Wolken wallen in die Ferne
Sanft fließend wie ein breiter Strom,
Schon blinken wieder goldne Sterne
Am dunkelblauen Himmelsdom.
Noch rauscht und flüstert in den Zweigen
Vom Ungemach der müde Wald,
Dann wiegt er sich in Ruh und Schweigen
Und nickt in leisen Schlummer bald.
In ihrem Frieden, roh gezimmert,
Steht eine Hütte fern am Rain,
Und aus dem kleinen Fenster schimmert
Noch eines Krüsels rother Schein.
Wer wacht dort? sind es bange Sorgen
In eines Schlummerlosen Brust?
Blüht dort vom Abend bis zum Morgen
Sturmfrei verschwiegner Liebe Lust?
's ist Aulke's Hütte; aus der Pforte
Nun treten die, so Liebe band,
Zwar auf den Lippen Abschiedsworte,
Doch fest verschlungen Hand in Hand.
Ludolf und Waldtraut sind's, zum Kruge
Ins Dorf nun will er, wo er haust,
Sie schauen nach der Wolken Fluge,
Und ob der Sturm noch immer braust.
»Die Hexen brauen böses Wetter
Auf ihrem Tanzplatz unter'm Baum,
Sie kochen welke Eichenblätter
Und schlagen mit dem Besen Schaum,«
Spricht Waldtraut; Ludolf meint: »Solch Rasen
Kommt immer, wenn das Nachtvolk jagt,
Ob sie wohl – Einen wachgeblasen?
Weißt doch, was man vom Grafen sagt;
Ob der wohl heute mit geritten
Mit Troß und Tratt im wilden Heer?«
»O schweige, Ludolf! laß dich bitten,«
Spricht Waldtraut, »nichts vom Grafen mehr!
Ihn trieb unseliges Verhängniß
Fluchbringend in des Bösen Macht,
Was uns ein heiliges Begängniß,
Hat er verspottet und verlacht,
Hat Gott gelästert und gehöhnet
Und Mensch und Thier gequält aufs Blut,
Nur seiner wilden Gier gefröhnet,
Im Herzen heiße Höllengluth.
Der große Sternenvogt da oben
Mag ihm vergeben seine Schuld,
Ihm wollen wir uns angeloben
Und unsre Liebe seiner Huld.«
»So recht, lieb Herz!« spricht er beim Scheiden,
»In treuer Liebe ich und du,
Was dann geschieht, geschieht uns Beiden,
O Waldtraut! Waldtraut! – schlaf' in Ruh!«
Sie mußt' ihn noch einmal umfangen
Mit Kuß um Kuß und Liebesmacht,
Und ihre rothen Lippen sangen
Den alten Harzspruch in die Nacht:
»Es grüne die Tanne, es wachse das Erz,
Gott schenke uns Allen ein fröhliches Herz!«


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