Julius Wolff
Der wilde Jäger
Julius Wolff

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VII.

Der nächste Schuß

Auf der Treseburg beim Frühtrunk
War des Grafen Ingesinde
Morgens wiederum versammelt.
Alle saßen, Jäger, Burgwart,
Frau Agnete mit den Mägden
Und des Fräuleins hübsche Zofe
Um den Eichentisch im Thorthurm.
Aber nicht wie sonst klang heute
Neckisch Plaudern in der Runde;
Allen durch den Sinn ging etwas,
Das sie drückte und dem Keiner
Doch recht Worte leihen konnte.
Was zunächst lag, war die Hetzjagd,
Die, soviel sie davon wußten,
Gar nicht günstig abgelaufen,
Und doch schien sie mehr zu kümmern
Noch, was nicht sie davon wußten;
Unbestimmte, trübe Ahnung
Füllte ihnen die Gedanken
Grübelnd, rathend. Ihrem Unmuth
Gab zuerst Agnete Ausdruck,
Als sie sprach: »Ist gar kein Wunder,
Daß den Zweiundzwanzig-Ender
Ihr nicht abgefangen gestern!
Lahme und verschlagne Gäule
Habt ihr nun im Stall zur Strafe,
Daß ihr heil'gen Blutstag jagtet.«
»Nun, den Gäulen wird's nicht schaden,
Hatten lang genug gestanden,«
Sagte Valentin, »nur Rothwang
Hat das Knie sich aufgeschunden,
Wohl an einem Wurzelstocke;
Doch ich kühl's ihm, in zwei Tagen
Kann das Fräulein wieder reiten.«
»Und wie steht's mit ihrem Fuße,
Elsbeth?« frug Agnete wieder.
»Ach! der Fuß ist nicht das Schlimmste,
's sitzt wo anders noch,« sprach diese
Nach dem Herzen deutend, »glaub' fast,
Daß die Nacht sie nicht geschlafen,
Sieht so abgehärmt und bleich aus
Und hat rothgeweinte Augen.«
»Drum! mir war, ich hörte seufzen,
Wie ich heut an ihrer Thüre
Just vorbeikam,« sprach Agnete.
»Also hast gehorcht mal wieder?
Alte, könnt' ich dir die Ohren
Doch verstopfen!« drohte Gerhard.
»Wird sich auch wohl wieder geben,«
Meinte Valentin, »nur Eines
Möcht' ich wissen, was dem Grafen
Draußen in der Nacht begegnet,
Und begegnet ist ihm etwas;
Wunsch und Wille sind verschüchtert,
Fressen nicht, thun dumm und störrisch,
Grad' als wenn die Flederwische,
Wenn sie nach dem Blocksberg reiten,
Drüber hin geflogen wären.«
»Als ich heute früh,« sprach Tile,
»Trat ins Kämmerlein zum Grafen,
Ihm die Kleider hinzulegen,
Schlief er noch und sprach im Traume,
Wode! Wode!' klang's, 'da ziehn sie!
Midden in den Weg! vorüber!'«
»Sprach er? dann sei Gott ihm gnädig!«
Rief erschrocken Meister Gerhard,
»Dann ist ihm das Nachtgejaide
Heute Nacht im Wald begegnet;
Wer das sieht mit eignen Augen,
Um den steht es schlimm da oben.«
»Zieht doch sonst nur in den Zwölfen
Zwischen Weihnacht und Dreikönig,«
Sagte Ludolf. »Eben deshalb
Steht es schlimm,« erwidert' Gerhard,
»Für den Grafen, weil er's jetzt sah,
Und er hat's gesehn, verlaßt euch!«
»Habt die Nacht doch nicht gesponnen,
Mädchen?« fragte schnell Agnete,
»Wißt doch, wenn der Wode zieht
In der Nacht, darf nichts rundum gehn,
Keine Spindel und kein Rad
In der Mühle und am Karren.«
»War auch jede Thür verschlossen,
Wenzel?« forschte Gerhard weiter,
»Wo drei Thüren in der Richte
Offen stehn, hat's freien Durchzug,
Und durchs ganze Jahr im Hause
Giebt es Unheil, Streit und Krankheit.«
»Hätten es wohl schon verspüret,«
Meinte Bruno, »denn der Wode
Wirft aufs Dach dann einen Sattel
Oder eine Pferdekeule,
Die man eh' nicht wieder los wird,
Bis man auf den Kreuzweg hingeht
Und um Salz und Petersilie
Zu dem faulen Braten bittet;
Beides kann er nicht beschaffen.«
»Malt den Teufel an die Wand nicht!«
Mahnt' Agnete, »'s ist auch sonst schon
Nicht geheuer mehr im Lande;
Fragt nur Wenzel!« »Ja,« sprach dieser,
»Gestern, als ihr draußen jagtet,
War Friedriken's Schatz, der Pochknecht
Von der Silberhütte, bei uns
Und erzählte von den Bauern,
Die in hellen Haufen näher
Uns mit Mord und Brand schon kommen;
Nennen sich der arme Konrad,
Und der Bundschuh ist ihr Zeichen,
So sie in dem Banner führen.
Thomas Münzer heißt ihr Führer,
Ist vom Harze hier aus Stolberg,
Und sie wollen alle Zinsen,
Steuern, Beden, Gülten, Zehnten
Und die Frohn beseitigt wissen,
Wollen Wald und Weide theilen,
Und die Ritter auf den Burgen
Haben Schlimmes zu befahren,
Wenn sie nicht gemeine Sache
Mit dem armen Konrad machen.
Wenn sie erst den Sieg in Händen,
Wollen sie den Kaiser Rothbart
Drüben im Kyffhäuser wecken,
Daß er ihnen ihre Freiheit,
Handfesten, Gerechtsamkeiten
Wieder einsetzt und bestätigt.
Uebers ganze Reich erstreckt sich
Die Verschwörung schon, im Elsaß,
In der Schweiz, im Breisgau, Bruchrain,
Schwaben, Thüringen und Franken
Hausen kühnlich die Rebeller.«
»Schlimme Botschaft!« brummte Gerhard,
»Seht nach Rüstzeug, Wehr und Waffen,
Daß wir sie mit blut'gen Köpfen
Von dem Burgwall niederwerfen,
Wenn sie, uns zu schatzen, kommen.« –


Ernst gemeint war Gerhards Warnung;
Als beendet war das Frühmahl,
Gingen sie, die Waffen mustern
Und die Riemen an den Panzern,
Schärften Spieß' und Hellebarden,
Schnitten hartes Holz zu Pfeilen,
Schmiedeten auch Eisenspitzen,
Und Agnete schätzt' und zählte
Den Gehalt der Vorrathskammern,
Auf wie lang es reichen könnte,
Falls die Burg belagert würde.
Wenzel nur, dem die Natur
Wie zum Trost und zur Entschäd'gung
Für die Mißgestalt des Zwerges
Mancherlei Geschick und Gaben,
Klugen Rathschlag und ein immer
Sorglos heitres Herz gegeben,
Stieg vergnügt hinauf zum Bergfried,
Ließ dort auf der Mauerkrönung
Von der lieben Morgensonne
Sich den hohen Buckel wärmen
Und sang vor sich hin ein Lied.


Ein wohlbekanntes Brüderlein
Fuhr auf und ab die Straßen,
Beliebt im Land bei Groß und Klein
Und lustig aus der Maßen.
War ein vielkund'ger Fabelschmied
Mit Lügen und mit Lehren,
Und keine Jungfer, wenn er schied,
Konnt' einen Kuß ihm wehren.
Das Dom das Dom das Dedededelein
Das wohlbekannte Brüderlein.

Sein Lied stand nicht auf Pergament,
Er nannte nichts sein eigen,
Nicht Hind, nicht Kind, nicht Losament,
Nichts, als ein' alte Geigen.
Wenn er die strich, so fielen dicht
Zum Zechen ihm die Batzen,
Und trank er nicht, so sang er nicht,
Dann pfiff er was den Spatzen.
Das Dom das Dom das Dedededelein,
Das wohlbekannte Brüderlein.

Drei Würfel zucket er und lacht:
Zink, quater, sechs ums Häufel!
Da war um Halbermitternacht
Das Tagelohn zum Teufel.
Ei! rief er da, das riecht ja fein
Nach Finkenfahn und Rupfen,
Da muß ich armes Brüderlein
Wo anders unterschlupfen.
Das Dom das Dom das Dedededelein,
Das wohlbekannte Brüderlein.

Wohl unter eim Wachholderstrauch
Liegt's Dedelein begraben,
Uns' Herrgott wird mit ihm ja auch
Ein billig Einsehn haben.
Da lehnt im Gras ein Quaderstein,
Von Immergrün umzogen,
Darauf seht ihr zwei Maßkrüglein
Und einen Fiedelbogen.
Das Dom das Dom das Dedededelein,
Das wohlbekannte Brüderlein.


Einsam in der Kemenate
Saß Wulfhild, die bleiche Wange
Auf die Hand gestützt, und blickte
In das Thal hinab zur Bode,
Deren Wellen blinkend hüpften,
Lustig nebenander zogen
Oder gegenander kämpften,
Sich umschlangen und vermischten
Und zu einer dann vereinigt,
Um die glatten Kiesel schäumten,
Und wo hin und wieder flatternd
Sich ein Bachstelzpärchen mühte,
Schon die zweite Brut zu füttern.
Halb nur sah sie das, denn trübe
War ihr Blick umflort, und manchmal
Schwellten Seufzer ihren Busen.
Aus den Lippen, die im Schmerze
Leise zuckten, rang sich's flüsternd:
»Hörtest du doch auf zu schlagen,
Glühend Herz! wozu noch hoffen?
Ach! das Glück, die Lust und Wonne,
Die so oft in süßen Träumen
Sehnend du dir ausgesponnen,
Ist dahin, verweht, verloren.
Dachtest, ihn einst zu besitzen,
Dachtest, ihm dich zu ergeben,
An der Brust des Hohen, Edlen,
In des heißgeliebten Mannes
Starken, ritterlichen Armen
Alle Seligkeit der Liebe
Zu empfinden, zu genießen, –
Doch er liebt dich nicht; vergebens
Alle Hoffnung; alle Träume
Schal und leer; er liebt dich nicht. –
Gestern, als wir heimwärts ritten,
Hielt ich innig ihn umschlungen,
Einmal war es, niemals wieder,
Niemals, niemals! o wie klopfte
Heiß und voll mein Herz an seines!
Doch verschlossen blieb das seine,
Meine Liebe fand nicht Einlaß.
Starr und kühl, ein fühllos Steinbild,
War in meinen Armen Albrecht,
Kühl wie Nachtthau Blick und Wort,
Kalt sein Herz, er liebt mich nicht. –
Albrecht! Albrecht! o wie faß' ich's?
Hörst du nicht durch diese Wände
Meiner Seele Ruf und Sehnen?
Albrecht, kannst du mich nicht lieben?«
Und ihr Angesicht verhüllend
Brach sie aus in heiße Thränen.
»Wie war das, was Waldtraut sagte?«
Frug sie wieder sich besinnend,
»Als sie mir das Sträußchen schenkte,
Drum ich bat, – wer Hornkraut trägt,
Wird verschmäht? So war's, so war es,
Und verschmäht wird meine Liebe.
Wie? verschmäht? nein wahrlich, nimmer
Laß' ich mich verschmähn; kein Ritter
Soll sich damit rühmen; lieber
Brich in Stücken, Herz! doch ahnen,
Ahnen darf er nichts; fort, Thränen!
Lächelt, Augen! und du – schweige!«


Einsam war auch Junker Albrecht;
Doch aus seinem Antlitz strahlte
Herzensseligkeit und Hoffnung.
Hatte in dem Kämmerlein
Auf dem Tische einen Korb stehn
Mit zwei Tauben, denen lächelnd
Fast mit Zärtlichkeit er zusah,
Wie sie rucksend von dem Futter,
Das er ihnen streute, pickten;
Füllte ihnen auch das Näpfchen
Frisch mit Wasser, und dann setzt' er
An den Tisch sich hin und schrieb,
Schrieb ein Brieflein, also lautend:
»Herzlieb Röslein auf der Heiden!
Die zwei Tauben, die Du sandtest,
Sind sammt Deinem trauten Schreiben
Sicher mir zu Handen kommen,
Stehn hier vor mir munter kröpfend,
Und sogleich schon soll die Eine
Mit dem Brieflein, so ich schreibe,
Wiederum zu Dir zurück fliehn.
Schau' nur aus wie weiland Noah
Aus der Archen, wann sie ankommt,
Und die Liebesgöttin selber
Schütze sie vor Falk und Habicht!
Meinst, lieb Röslein, Dein Geselle
Würd' gefangen hier gehalten
Auf der Burg in goldnen Netzen,
Ganz verstrickt schon und bezaubert
Von der Muhme schönen Augen?
Sorge nicht! in Stät' und Sälde
Bin und bleibe ich Dein eigen;
Und wenn in dem bunten Walde
Erst die Blätter wieder fallen,
Sattle ich mein Roß zur Heimfahrt,
Kehre bei Euch ein und halte
Bei Euch Rast manch frohe Tage,
Und Dein Mündlein rosenlachend
Soll mit süßem Minnesolde
Mich entschäd'gen für mein Darben
Und mir lohnen meine Treue.
Nun gehab' Dich wohl, lieb Röslein!
Gottes Engel mögen schützend
Ueber Dich die Schwingen breiten!« –
Dann mit einem seidnen Faden
Band er das gefaltne Blättchen
Einer Taube untern Fittig,
Ließ sie aus dem Fenster fliegen,
Und ihr lächelnd nachschau'nd rief er:
»Grüß' mir's Röslein auf der Heiden!«


Und der Graf? stand er noch aufrecht
Unter seiner Sünden Last?
Trug ihn noch die feste Erde
Und beschien ihn noch die Sonne
Nach dem ungeheuren Frevel?
Müde von der langen Hetzjagd
War er mitten in der Nacht
Heimgekehrt zur Burg und hatte
Auf sein Lager sich geworfen,
Wo ihn tiefer, schwerer Schlummer
Schnell umfing und erst am Morgen
Wieder freigab. Das Erlebte
Stand ihm dunkel und verworren
Anfangs nur in der Erinn'rung,
Doch es dämmerte allmälig
In ihm auf, und bald besann er
Sich auf Alles klar und deutlich.
Reue? nein! die blieb ihm ferne;
Was er in der Nacht gethan,
Wünschte er nicht ungeschehen,
Dünkt' ihm recht von einem Manne,
Der nur eigner Kraft vertrauet,
Der nichts hofft und auch nichts fürchtet,
Weder Gnade noch Vergeltung.
Vor dem hellen Licht des Tages
Schwand der Schrecken auch des Spukes,
Der im Thale ihm begegnet
Und ihm jetzt fast traumhaft vorkam.
Nur daß er den Hirsch nicht abfing,
Aergerte den trotz'gen Waidmann.
»Willst es heute gleich versuchen,
Ob dein Bolzen nun gefeit ist
Durch den Schuß aufs Kreuz im Walde
Und du triffst, worauf du zielest,«
Sprach er zu sich, nahm die Armbrust,
Wies den Bogenspanner Bruno,
Der wie sonst ihm folgen wollte,
Mürrisch ab, pfiff auch dem Hund nicht,
Sondern ging allein zu Holze.
Einsam strich er durch die Waldung,
Sich verwundernd, daß kein Wild ihm
In den Schuß kam. Einen Adler
Sah er hoch nur in den Lüften,
Viel zu hoch für sein Gewaffen,
Doch es schien ihm von Bedeutung,
Daß der königliche Räuber
Grade über seinem Haupte
Weite Kreise zog und Ringe.
»Zeichnest über meinem Kopf wohl
Einen Heil'genschein, Geselle?
Etwas hoch zwar, schon im Himmel,
Doch du weißt wohl auch, ich trage
Gern recht hoch mein Haupt!« so lacht' er.


Tiefe Ruhe war im Walde;
Nur der Vöglein muntre Stimmen
Ließen sich darin vernehmen,
Finkenschlag und Taubengirren,
Des Pirols melodisch Flöten
Und des Spechtes knarrend Hämmern.
Saftig Laub hing ohne Regung
Und wie schwebend an den Reisern,
Dunkle Schatten, helle Lichter
Spielten auf den formenreichen
Blättern und den braunen Aesten.
Hochbetagte Eichen streckten
Ihre Arme mit dem jungen
Leuchtenden Johannistriebe
Weithin um sich und wie schützend
Ueber ihre kleinern Brüder,
Eberesche, Pfaffenhütlein,
Vogelkirsche und den Ginster.
Ueberall dazwischen blühten
Und darunter holde Blumen,
Wilde Rosen, Silberdistel,
Fingerhut und Königskerze;
Blaue Glockenblumen nickten,
Lang geschweifte Farrenwedel
Hoben sich aus Kraut und Gräsern.
Alles wuchs und prangte freudig
In des Lebens Kraft und Fülle
Dicht beisammen; Jeder gönnte
Raum dem Nachbar und Gedeihen.
Und wie sich am Licht die Zweige
Innig durch einander schlangen,
Eins ins Andre übergriffen,
Also reichten sich im Boden
Auch die Wurzeln treu die Hände
Und verflochten sich wie Finger;
Wurde Einer ausgerodet,
Mußten viele Andre mit ihm,
Denn sie theilten Grund und Boden,
Wind und Sonne als Gefreunde. –
Durch den schönen, stillen Frieden
Wonneathmender Natur
Schlich der Graf, der Friedelose.
Quält' ihn auch nicht sein Gewissen,
Weil es schwieg, weil's taub und todt war,
Hatt' er doch auch keine Freude
An dem Grünen und dem Blühen
Und dem lust'gen Vogelsange;
Ihm war die geschmückte Erde
Ein Revier nur, drin zu jagen.
Mordlust war es nicht, noch Habsucht,
War unbändige Begierde,
Leidenschaft, die ihn gepackt hielt
Und ihm wie ein hitzig Fieber
Tag und Nacht im Blute tobte,
Daß ihm alles Wollen, Wünschen,
Alles Denken sich und Träumen
Immer nur aufs Jagen kehrte
Und ihn rastlos hetzt' und spornte
Wie von bösem Geist getrieben.

Stundenlang streift durch den Forst hin
Schon der Graf und späht und lauert
Ungeduldig, doch vergeblich.
Endlich da – da hinter'm Strauchwerk
Regt sich's, – wieder jetzt, – schleicht vorwärts,
Weit ist's, und er sieht das Wild nicht, –
Muß ein Reh sein; doch die Armbrust
Ist ja sicher jedem Schuß jetzt.
Eilig zielt der Graf, drückt ab, –
Da – was hört er? Schmerzensaufschrei!
Das war keines Wildes Klagen,
Menschenlaut war's! – durch die Dickung
Eilt der Graf und – findet Waldtraut
Blutend in den Strauch gesunken,
Der sie rings mit seinen Zweigen
Wie mit Armen hält umfangen.
Schreckensbleich steht Hackelberend:
»Ha! genarrt, genarrt vom Teufel!
Mit dem Schusse auf den Bildstock
Hat die Hölle dich betrogen!«
Wenig gilt ein Menschenleben
Dem Vielwagenden, doch dieses
Liegt ihm nahe wie auf Erden
Nur noch eines außer seinem.
Zitternd trägt der starke Waidmann
Die Ohnmächtige zum Bache,
Um die Wunde ihr zu kühlen.
O des Glückes! einen Streifschuß
An der Schulter nur entdeckt er,
Den er knieend ihr verbindet.
Er bemüht sich ängstlich, zärtlich
Um das Mädchen, tröstet, bittet,
Wie sie nun die Augen aufschlägt,
Ihm zur Treseburg zu folgen,
Wo sie schwesterliche Pflege
Von Wulfhilde finden solle,
Bis sie wieder ganz geheilt sei.
Waldtraut weigert sich, zum Vater
Will sie, der sie bald vermissen
Und in Sorgen suchen würde.
Er verspricht ihr, gleich dem Köhler
Botschaft in den Wald zu senden,
Und mit guten Worten weiß er
Ihr Vertrauen zu erschmeicheln.
Seine heißen, dunklen Augen
Blicken nun so mild und innig,
Daß ihr alle Scheu vor'm Grafen,
Den von je sie nur gefürchtet,
Schwindet und bald wundersame,
Unerklärliche Empfindung
In ihr aufwacht, die sie mächtig
Hinzieht zu dem finstern Manne,
Und geneigt schon seinen Bitten,
Schwankt sie kaum noch, widersteht nicht
Dem geheinmißvollen Zuge,
Und – wohnt auf der Burg nicht Ludolf?
Also folgt sie, an des Grafen
Brust gelehnt, der sanft sie leitet.
Wie erstaunt man auf dem Burgstall,
Als die Beiden also nahen!
Niemals sah man an des Strengen
Lederwamms die kleinste Blume
Oder nur ein grünes Blättchen,
Womit sonst wohl frohe Menschen
Gern sich schmücken, und so war's doch,
Dieses Bild: Der Graf mit Waldtraut!
Herzlich wird sie aufgenommen
Von Wulfhilde und den Andern;
Alle kannten ja und liebten
Dieses wunderholde Waldkind.
Wulfhild nimmt sie nun in Pflege,
Und Agnetens Rath und Heilkunst
Ist geschäftig, ihr die Schmerzen
Schnell zu lindern. Aber Ludolf
Grollt dem Grafen um den Schuß,
Und ihm danken möcht' er wieder,
Weil er nun mit der Geliebten
Unter einem Dache hauste.
Hackelberend gab ihm Auftrag
An den Köhler und verschloß sich
Einsam in dem Thurmgemache.

Gegen Abend wandte Ludolf
Seinen Weg zum Köhler Volrat,
Ihm von Waldtraut zu berichten.
In derselben Richtung schritt er
Zwischen Burg und Meilerstätte,
Die er immer eingeschlagen,
Wenn er die Geliebte suchte,
Und an Aulke's Worte dacht' er,
Die ihm aus der Hand geweissagt.
War nun die Verwundung Waldtrauts
Erst das Vorspiel? War's der Anfang
Der Erfüllung schon von Allem,
Was die Alte prophezeite?
Mit des Köhlermeisters Sippe
Sollt' er nahe sich berühren,
Und es sollte Blut dann fließen.
Nah genug schon stand er Waldtraut,
Und nun war auch Blut geflossen.
Doch das Schlimmste stand noch aus,
Denn von Händeln sprach die Alte,
Brand und Rauch und Mord und Todtschlag,
Nicht von ihm begangen, aber
Wieder ohne ihn nicht möglich.
So voll trüber Ahnung ging er
Grübelnd durch das stille Laubholz
Da sprang plötzlich aus der Dickung
Auf ihn zu der Köhler Volrat,
Einen langen, schweren Baumpfahl
In der Hand, Zorngluth im Antlitz
Und von Haar und Bart umflattert,
Daß er groß und schrecklich aussah
Wie der wilde Mann vom Harzwald,
»Bube! Hab' ich dich?« so schrie er,
»Jetzt, wenn dir dein Leben lieb ist,
Sag', wo hast du meine Tochter?«
Ludolf wich vor dem Ergrimmten,
Der ihm drohend in den Weg trat,
Einen Schritt zurück und sagte:
»Grade sucht' ich Euch, um willig,
Eh' Ihr früget, Euch zu melden,
Was geschehen ist mit Waldtraut,
Aber jetzt sollt Ihr erst glimpflich
Fragen, eh' ich Euch Bescheid geb'.«
»Willst du mir noch trotzen, Bürschchen?«
Schnob der Köhler, »wart', ich lehr' dich!«
Und er hob den Baum zum Schlage,
Seine blanke Wehr zog Ludolf,
Die ihm Volrat aus der Hand schlug
Mit dem Pfahle, dann am Kragen
Packte ihn der Köhler schüttelnd:
»Bube! wo ist meine Tochter?« –

»Nicht, um Euretwillen sag' ich's,«
Sprach der Jäger sich befreiend,
»Doch weil Ihr des Mädchens Vater,
Die mein Liebstes auf der Welt ist,
Sag' ich Euch: Ihr irrt Euch, Volrat,
Wenn Ihr denkt, daß ich sie hehle.
Auf der Treseburg ist Waldtraut.«
»Lügner du! verdammter Schurke!«
Brüllte wüthend jetzt der Köhler,
»Sagtest du, den Roßtrappfelsen
Wäre sie hinangeklommen,
Glaubt' ich's eher, als daß Waldtraut
Eure Burg betreten sollte,
Wenn kein Räuber sie hineinschleppt.«
»Mit dem Grafen selber kam sie,
Der sie waidewund geschossen;
War ein Fehlschuß, an der Schulter
Streifte sie sein Pfeil,« sprach Ludolf,
»Auf der Burg wird sie gepflegt nun,
Kommt zurück, wenn sie genesen.«
»Wieder Lügen!« schrie der Wilde,
»Waidewund! von wem? vom Grafen?
Der trifft besser! Wild und Weiber,
Schießt nicht fehl, wohin er zielte.
Heda! kommt heran, ihr Beiden!«
Damit winkte er zwei Knechten,
Die im Kohlhäu Holz gefället
Und vom ungewohnten Lärme
Angelockt, dem Streite zusahn.
Ihrem Meister schnell gehorchend,
Liefen sie herbei. »Der Bube
Hat die Tochter mir gestohlen,«
Sagte Volrat, »und gesteht nicht,
Wo er hingebracht das Mädchen.
Habt ja Stricke, woll'n ihn binden
Zwischen die zwei jungen Eichen,
Sind noch schwank, könnt sie noch biegen,
Daß sie ihn ein wenig ausziehn!«
Nach ungleichem, kurzem Kampfe
Wurde Ludolf überwältigt
Und mit jedem Handgelenke
An der jungen Bäume einen
Festgebunden. »Willst gestehn nun?«
Frug der Köhler nochmal finster,
Ludolf schwieg; des Zornes Thränen
Rannen ihm hinab die Wangen.
»Nun, besinne dich bis morgen;
Dann will ich dich wieder fragen,
Wenn bis dahin Bär und Wölfe
Dir die Antwort nicht ersparen,«
Höhnte Volrat schon im Abgehn,
Und die rohen Knechte grinsten
Ihrem Herrn und Meister folgend.
Wie gekreuzigt stand da Ludolf,
Wehrlos, hülflos preisgegeben
Allem Raubthier, das im Walde
Nächtig schweifte; seine Kräfte
Bot er auf, sich loszureißen,
Doch umsonst, die Banden hielten.
Er sprach still ein Vaterunser
Und ergab sich in sein Schicksal,
Tief schon neigte sich die Dämmrung,
Und ihm zitterten die Knie,
Als er's hinter sich im Laube
Rauschen hört, – er kann nicht umschau'n, –
Näher kommt es, schleicht und raschelt,
Keuchen hört er's, winden, wittern, –
Sind's die Wölfe schon? »Gesellen,
Macht es kurz! Hab' von den Euren
Niemals Einen lang gequälet.«
Also spricht er, aber vor ihn
Tritt des Köhlers eigne Mutter.
»Stille, stille!« raunt die Alte,
»Will Euch helfen, junger Jäger!
Hab's mit angesehn von ferne,
Durfte nicht dazwischen treten,
Hätten mich sonst mitgenommen,
Und dann konnt' ich Euch nicht retten.
Wartet, wartet! meine Hippe,
Womit ich die Wurzeln rode,
Wird auch wohl die Stricke schneiden,
Wartet nur, ich find' sie, wartet!«
»Mütterchen, ich will schon warten,
Laufe Euch nicht fort, Ihr seht's wohl!«
Mußte Ludolf, froh der Rettung,
Die er nicht erhoffte, lächeln,
»Hier! hier ist sie! ist auch scharf noch,
Aber ach! du lieber Himmel!
Haben Euch so hoch gebunden,
Reiche nicht hinauf zum Knoten,«
Stöhnte nun die Alte wieder.
»Hebt Euch auf die Zehenspitzen,
Springt mal! denkt, Ihr wolltet tanzen,«
Sagte Ludolf. »Springen! tanzen!
Aulke tanzen!« sprach sie lächelnd
Mit dem greisen Kopfe schüttelnd,
»Habe ja in meinen Zehen
Keine Kraft mehr – hup! – es geht nicht!
Kann in meinen alten Tagen
Doch nicht auf die Bäume klettern,
Kann mich nicht mehr grade recken,
Geht nicht, Goldsohn! langt nicht, langt nicht!«
»Mütterchen, nun wartet Ihr mal,«
Sagte Ludolf, »will mal anziehn,
Daß die Bäume sich mehr biegen.«
»Feste! noch einmal!« rief Aulke,
»Einen Finkenschritt noch tiefer!
Schwuppdich! einen hab' ich durch!
Zieht mal!« – Frei war Ludolfs Linke;
»Ah! nun gebt mal her die Hippe!
So!« – und frei war auch die Rechte.
Eh' die ausgereckten Arme
Ludolf wieder bog und schwenkte,
Schlang er schnell sie um die Alte,
Herzhaft an die Brust sie pressend.
»Drückt nicht so! bin ja die Alte!
Denkt wohl gar, Ihr habt die Junge
In den Armen?« rief sie schmunzelnd;
»Geht mit Gott! doch sagt es Keinem,
Daß Euch Aulke losgeschnitten.«
»Wie ich Euch mein Leben danke,
Will ich es für Euch auch wagen!«
Sprach der Jäger. – »Gebt's der Jungen!«
Damit schwand sie in die Büsche.


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