Julius Wolff
Der wilde Jäger
Julius Wolff

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VI.

Die Hirschjagd.

Frau Sonne, Frau Sonne,
Am Himmel herauf!
Allleben und Wonne
Erwecke dein Lauf!
Daß Jeder sich rühre,
Soviel er vermag,
Erleuchte und führe
Und segne den Tag!

Ihr Schläfer, erwachet!
Der Nebel verraucht,
Der Ost ist entfachet,
In Gluthen getaucht.
Schon glänzen die Gipfel,
Weit schimmert das Thal,
Es röthet die Wipfel
Der blitzende Strahl.
Trennt euch, die verborgen
In Minne vereint,
Daß euch nicht der Morgen
Ins Kämmerlein scheint.
Und blinzelt und senket
Die Wimper und lacht,
Schweigt stille und denket
Der seligen Nacht.

Wohlauf nun, Gesellen,
Zum Jagen hinaus!
Es duftet im Hellen
Wie blumiger Strauß.
Ein Trunk aus dem Kühlen,
Dann fröhlich zu Holz!
Das Leben zu fühlen,
Ist Waidmannes Stolz!

So grüßet aus des Bergfrieds Nischen
Des Thürmers Lied den neuen Tag,
Und in den frohen Weckruf mischen
Sich Staargeschwätz und Lerchenschlag.
Das Frühroth drückt sein Rosensiegel
Aufs graue, moosige Gestein,
Und in der Fenster hellem Spiegel
Goldfunkelnd glänzt der Wiederschein.
Im Burgstall fahren die Genossen
Nun hurtig in das Jagdgewand,
Sehn nach den Rüden, nach den Rossen
Und nehmen ihre Wehr zur Hand.
Die Mägde tummeln sich, die raschen,
Und Frau Agnete packt zurecht
Den Imbiß in die Satteltaschen
Und Krüge auch in Rohrgeflecht.
Wulfhild erhebt sich von dem Pfühle,
Längst schon entflohn des Schlummers Haft,
Und stählet in des Bades Kühle
Des schönen Körpers Jugendkraft.
Gequält von Ungeduld, ersehnte
Der Graf den Aufbruch, weil die Nacht
Halb schlaflos ihm zu lang sich dehnte
Und halb in böser Träume Macht:
Vergeblich einen niedern Hügel
Strebt' er hinan in losem Sand;
Dann riß ihm im Galopp der Zügel
An schwindeltiefen Abgrunds Rand.
Ein Bär verfolgt' ihn, angeschossen,
Er stieß ins Horn, das gab nicht Laut,
Jach fuhr er auf und sah verdrossen,
Daß immer noch der Tag nicht graut.
Dann ließ er bei dem Hirsche nieder,
Den Fang zu geben, sich aufs Knie,
Und aufgeschreckt erwacht' er wieder
Von seinem eignen Halali!
Er reißt das Fenster auf und bietet
Dem frischen Morgenhauch die Brust:
»Du jagst schon, Wind! wie festgenietet
Bin ich mit meiner heißen Lust!«
Er horcht; – auf seinem Botengange
Rauscht unten leise nur der Fluß;
Er drückt die Armbrust an die Wange,
Doch Dämmerung versagt den Schuß.
»Will es denn heute niemals tagen?
Verdammter Schneckenschritt der Zeit!
Licht will ich haben, jagen, jagen,
So lang ein Hirsch im Walde schreit!«
Um keines Augenblickes Spanne
Fliegt schneller durch den Raum das Licht,
Doch endlich sieht die höchste Tanne
Der Sonne strahlend Angesicht.
Da tönt vom Thurm des Wächters Rufen;
Bald hört der Graf nach dem Gesang
Im Hof Gestampf von Rosseshufen
Und lockend eines Hornes Klang.
Er steigt hinab; aus Aller Munde
Schallt ihm ein Waidmanns Heil! er nickt,
Schaut, jagdgerüstet, in die Runde,
Und wie die Tochter er erblickt,
Küßt er sie auf die Stirn und schreitet
Zum Hengst, der Ungeduld verbüßt,
Die Erde scharrt, die Nüstern weitet
Und wiehernd seinen Herrn begrüßt.
Das ist ein Thier ganz ohne Gleichen!
An Stirne, Brust und Hüften breit,
An Gliedern hoch und lang an Weichen,
Ein mächtig Roß zu Jagd und Streit.
Die Adern schwellen fast zum Springen,
Voll Muth und Trotz die Augen drohn,
Als trüg' er unsichtbare Schwingen,
Des freien Sturms leibhaft'ger Sohn.
Kaum sitzt der Graf, so steigt der Rappe,
Springt um und rast in tollem Lauf,
Wulfhild und Albrecht, Magd und Knappe
Schau'n sorgend zu dem Grafen auf.
Doch der, gelassen, ohne Regung,
Gleicht einem Bild von starrem Erz,
Ihm bleibt in wildester Bewegung
Ein unerschütterliches Herz.
Wunsch kämpft gewaltig, schnaubend, wühlend,
Knirscht in den Zügel, schaumumweht,
Bis er, die Hand des Meisters fühlend,
Gebändigt unter'm Reiter steht.
Nun geht's zu Holz, und sein Geleite
Führt frohen Muths der Ritter an,
Der Junker an Wulfhildens Seite,
Die Andern reiten Mann bei Mann.
Nur Ludolf fehlt; den Hirsch zu spüren
Zog er voraus mit allem Heil,
Doch Valentin und Bruno führen
Für ihn und Tile, der am Seil
Die flinke Meute hält gekoppelt,
Zwei leere Gäule noch am Zaum;
Wie Tile auch den Schritt verdoppelt,
Er folgt den Ungestümen kaum.
Wohlauf zur Jagd! nur dieses Eine
Fühlt freudeathmend jede Brust,
Thau blitzt im Morgensonnenscheine
Und aus den Augen Waidmannslust.

Im Forste folgen sie den Zeichen,
Die als der Richtung Schritt und Schnur
Ludolf mit Brüchen junger Eichen
Zurückließ auf des Weges Spur.
Sie reiten lange, und es klinget
Bald Waidgeschrei und Hiftruf bald,
Doch immer noch zu ihnen dringet
Nicht Ludolfs Antwort aus dem Wald.
Doch endlich wie ein fern Geläute
Vernehmen sie des Jägers Horn:
Hourvari! tönt's, laut wird die Meute,
Kein Roß braucht seines Reiters Sporn,
Sie sprengen jauchzend um die Wette
Mit ho! tjoho! wohlauf! wohlauf!
Durch Dick und Dünn, sind bald zur Stätte,
Und Tile folgt im schnellsten Lauf.
»Du lockst uns weit durch Forst und Gründe,«
Ruft Hackelberend, »wie mir däucht.«
»Ach, Herr!« entgegnet Ludolf, »stünde
Der Hirsch nur hier! er ist verscheucht;
Es zogen durch den Wald die Bauern
Mit Kirchenfahnen und Gesang
Zum Feste in den Klostermauern,
Und die verdarben uns den Fang.
Schuld sind allein die Walkenrieder,
Daß uns der Hirsch ins Weite fuhr,
Vor Nachmittag kommt er nicht wieder,
Doch weiß ich Wechsel schon und Spur.«
»O Pfaffen, die der Teufel siebte,
Die überall im Wege sind,
Ich tränk's euch ein, im Herrn Geliebte,
Treff' ich euch mal im rechten Wind!«
So droht der Graf, spricht dann mit Winken:
»So sattelt ab, wir haben Zeit,
Kramt aus den Imbiß, gebt zu trinken
Und macht das Lager hier bereit!«
Kommt auch die Zög'rung ungelegen,
Beginnt doch in der Mittagsgluth
Schon Durst und Hunger sich zu regen,
Und auch im Kühlen jagt sich gut.
Man läßt die Gäule ruhig grasen,
Fühlt sich im Walde stets zu Haus
Und streckt sich auf dem grünen Rasen
Im Schatten einer Ulme aus.
Gleich einer Laube hält umschlossen
Gebüsch der kleinen Lichtung Raum,
Da stehen Hasel hochgeschossen,
Hartriegel, Weißdorn, Spindelbaum.
Hier lagern nun, mit Becherstürzen
Und mit dem Imbiß bald vertraut,
Die Jäger, sich die Zeit zu kürzen,
Und Scherz und Frohsinn werden laut.
Da naht, wie sie in Ruh sich laben,
Ein fahrender Schüler ihrem Kreis,
»Nun seht doch,« ruft der Graf, »da haben
Wir Einen ja von dem Geschmeiß!
Woher, du mit zerrißnen Sohlen,
Auf irrender Kometenbahn?
Wem hast du dein Gesicht gestohlen?
Und welchem Heil'gen unterthan?«
So frägt der Ritter den Vaganten;
Der sieht sich seine Leute an,
Denkt: Wetter! der hat scharfe Kanten!
Verlaß mich nicht, Sankt Florian!
Und spricht: »Ich bin stets unter Segel,
Mein Kloster ist die weite Welt,
Kurzweil heißt meine Ordensregel,
Gesang mein Gut, der Wald mein Zelt.«
»Ei!« lacht der Graf, »ein gut Begegnen!
Derweil wir tafeln, unterdeß
Magst du uns unsre Jagd gesegnen,
Auf, lies uns eine Jägermeß!
Doch merke! kurz sind Jägermessen,
Ein Waidmann ist nicht lang zerknirscht,
Hat seine Sünden bald vergessen,
Lebt frank und frei, trinkt, lacht und birscht.«
Der Fahrende, schon nicht mehr schüchtern,
Spricht: »Fiat!« nun mit keckem Ton,
»Allein verzeiht, ich bin noch nüchtern,
Erst einen Trunk, dann den Sermon!«
Den Becher, den ihm Gerhard bringet,
Leert er auf einen einz'gen Zug,
Ein Stein, auf den er leicht sich schwinget,
Ist seine Kanzel, hoch genug,
Und seiner lauschenden Gemeine
Hält er die Predigt nun, gewürzt
Mit macaronischem Lateine
Und aus dem Stegreif leicht geschürzt.

»Salvete, fratres in Sancto Huberto!
Spitzet die Ohren, credite experto! –
Ihr Waidleut vor mir in der Rund,
Ihr müßt mich ansehn zu dieser Stund
Für einen heil'gen Apostolum,
Der zu den Heiden ist ausgesandt,
Um Euch den malum Diabolum,
So der Jageteufel genannt,
Der sich wie Kletten an Euch hängt,
Wie in den Baum die schmarotzende Mistel
In Eure Seele sich bohrt und drängt,
Auszutreiben mit Wort und Epistel.
Denkt, daß ich von der Klerisei
Ein hochwürdiger Bischof sei
In partibus infidelium,
Der mit der Schrift hier vor Euch stünd,
Daß er in Andacht Euch verkünd
Ein köstlich Waldevangelium.
Aber der Text und das richtige Thema
Dünken mich ein gar schwierig Problema.
Ist ein verzwickter casus hier,
Sintemalen die Jägermessen
In Psalterium und Brevier
Von denen scriptoribus leider vergessen.
Nirgend ein Benedicite
Steht darin, wann ich zum Jagen geh,
Und ob es nöthig, das Rauchfaß zu schwingen
Und nach Stund und Gelegenheit
Dazu Prim, Terz und Sext zu singen,
Vesper, Complet und Nonenzeit;
Drum muß ich ad exercitium nostrum
Reden wie mir gewachsen das rostrum.
Wie komm' ich Euch nun am besten nah
Cum omni mea rhetorica?
Seid gewiß, das laß' ich Euch gern,
Große Jäger vor dem Herrn,
Doch Euch zu fragen nach Eurem Credo,
O miserere! potius abscedo
.
Was glaubt denn der Waidmann? gar nichts glaubt er,
Allem Gethier das Leben raubt er,
Denket, Hirsche und Häsulein
Laufen für ihn nur waldaus, waldein,
Daß sie auf seine tabula
Kommen wie lupus in fabula.
Jäger meinen, das müßte so sein,
Und es fällt ihnen nimmer ein
Ihrer eignen Sünden Gewicht,
Sehen den Wald vor Bäumen nicht,
Fluchen und würfeln und schwingen den Speer,
Trinken die größten Fässer leer,
Et dum Spelmanni upblasunt trumpum,
Tollunt laetissime kannem et humpum,
Quartum semper excipit quintus
Ad infinitum dum nihil est intus,
Danzant super mensas et benkias,
Turbant tabernas, cauponas et schenkias
,
Schmähen und ärgern ecclesiam scissam,
Kommen niemals ad sanctam missam,
Und zur Beichte gehen sie auch nicht,
Kennen der heiligen Kirche Brauch nicht,
Opfern nicht auf dem Altar des Herrn,
Schicken ins Kloster kein Wildpret gern,
Meinen, wir könnten es nicht vertragen
Und verdürben uns nur den Magen
An Wildschweinskopf, Schnepf und Fasan,
Rehbock, Rebhuhn und Auerhahn,
O schnöder Irrthum! errare humanum!
Non nocet ecclesiae donum profanum
.
Ist aber gar kein Wunder nicht,
Seid auf ganz andere Dinge erpicht.
Waidleut vulgo venatores
Habent amores plus quam mores
,
Und es ist auf dem Erdenrund
Sicher vor ihnen kein Mädchenmund,
Libido, favor et osculum
Dünket sie Alles ein flosculum,
Wie man sich etwa ein Blümlein pflückt
Und damit Hut oder Wamms sich schmückt.
Jäger, was Ihr auch immer jagt,
Hütet Euch, daß Ihr zuviel nicht wagt
Und nicht gerathet auf falsche Spur
Um eine liebe Kreatur.
Achtet auf Eure Wege und Stege,
Kommt keinem Andern nicht ins Gehege,
Jeder hat Wildbann und Gejaid
Gerne für sich bei seiner Maid,
Keiner trägt gerne offen und frei
An seiner Stirne ein Hirschgeweih.
Haltet drum Eure Zunge im Zaum,
Ohren im Walde hat jeder Baum,
Wie man hineinschreit, so schallt es heraus,
Aber Euch dünket es summa laus,
Plenissimo tractu
, in vollen Zügen
einer dem Andern was vorzulügen
Und die unglaublichsten Jagdgeschichten
Flott in das Blaue hinein zu dichten,
Schosset zehn Enten mit einem Pfeil,
Bandet drei Bären mit einem Seil,
An jedem Finger obendrein
Hängt Euch ein schmachtendes Mägdelein.
O miserere! Alles umsunst!
Kommet nicht in des Himmels Gunst! –
Steht Euch das klar vor den oculis,
Lasset doch ab von den poculis,
Sag's Euch ins Antlitz, dico in vultum,
Machen im Kopfe Euch magnum tumultum.
Ergo lasset das Saufen sein,
Saufet in specie nicht immer allein;
Sondern so Einer bei geistigem Trank
Sitzt auf dem skemelo oder der Bank
Et cum bibendi diabolo ficht,
Sorg' er für Beistand und Gegengewicht.
Dazu, als ich Euch rathen kann,
Tauget vor andern ein geistlicher Mann,
Der bei den größten Krügen und Kannen
Jeglichen Spiritum wisse zu bannen.
Naht aus dem Kloster ein frommer pater
Oder etwan auch ein jüngerer frater,
Ein studiosus, poëta, Scholar
Oder verfahrener Schüler gar,
Ladet ihn ein! Ihr dürft zu Zween
Schon ein paar Kännlein weiter gehn,
Denn was Ihr thut des Herrn Geweihten,
Solches wird Euch für ewige Zeiten
Als sacrificium angeschrieben,
Sollt wie Euch selber den Nächsten lieben,
Aber versteht sich, mit Unterschied!
Amen! jetzt singen wir ein Lied.«

Schon wollt' er an zu singen fangen,
Da unterbrach der Graf ihn schnell:
»Halt! mitgefangen, mitgehangen,
Jetzt mußt du trinken erst, Gesell!
Du hast uns scharf den Text gelesen,
Doch sei's in Gnaden dir verziehn,
Ein Waidmann bist du nie gewesen,
Sahst nie den Hirsch vor Hunden fliehn.
Nun ist dir wohl die Kehle trocken?
Komm, Bruder Suchtrunk, der du bist,
Lang' zu! da sind noch gute Brocken,
Lösch' auch den Durst, wenn's möglich ist.«
Das ließ er sich nicht zweimal sagen,
Geschwind saß der Bacchant beim Wein
Und trank und trank, strich sich den Magen
Und hieb mit besten Kräften ein.
Doch als er fertig war mit Prassen
Und satt, wie's selten ihm geschah,
Da konnt' er's Singen doch nicht lassen,
Und augenfunkelnd saß er da,
Ein glücklicher, zufriedner Zecher,
In seines Herzens vollem Drang
Hob er den weingefüllten Becher
Und lächelte ihn an und sang:

Wohl her, du wackrer Rebenknecht,
Du allerliebster Wein!
Putz' dir die Füß', kommst eben recht,
Geh säuberlich herein.
Du duftest wie ein Blumenstrauß,
Dein Kleid ist eitel Gold,
Und schaust so krank und fröhlich aus
Wie seliger Minne Sold.
Heisa! von meinem Heergewett
Hol' ich das Beste her,
Das ist, Herr Wein, vom Kandelbrett
Mein Trinkfaß silberschwer,
Ich schwenk' es her und schwenk' es hin,
Schau! gülden blinkt's darin.


Willkommen, Kühler, im Quartier,
Du allerliebster Wein!
Niemals soll zwischen mir und dir
Die kleinste Feindschaft sein.
Kein Truchseß war mir je so lieb
Wie, edler Mundschenk, du,
Mein Haus und Hof ich dir verschrieb,
Und was in Schrein und Truh.
Wer lebt, dem du nicht Ablaß gabst
Für Sünden groß und klein,
Du löst und bindest wie der Pabst
Die Pfaffen und die Lai'n;
Nun, heil'ge Waschung, vor dich geh
Vom Wirbel bis zur Zeh.


Gesegnet sei, du Herzenstrost,
Du allerliebster Wein!
Wir Zween ha'n manchesmal gelost,
Ob mein du, ob ich dein.
Du machtest, daß ich fechten wollt'
Mit ihrer zwanzig Mann,
Daß mit Sankt Urban ich gegrollt,
Wenn Regen niederrann.
Und Mancher, der nach Mitternacht
Zog billig von dir aus,
Sitzt Mittag wieder auf der Wacht
Vor deinem hölzern Haus,
Denn scheidet man getrost von dir,
Heißt's doch: komm wieder schier!


Behüt' dich Gott, mein Schwurgesell,
Du allerliebster Wein!
Und halte mir die Augen hell
Und Herz und Nieren rein.
Mach', daß ich auf den Füßen bleib',
Was auch die Glocke schlägt,
Und ziemlich geh' zu meinem Weib
Und weiß, was sie mich frägt.
Behüt' dich Gott vor Reif und Frost,
Vor Sturm und Hagelstein,
Du ganze Labung, halbe Kost,
Du allerliebster Wein!
Zeuch' hin, Gesell! nach dir ich späh',
Drum halt' dich in der Näh'!

Dann stand er auf, sich zu bedanken,
Nahm Abschied mit vergnügtem Sinn,
Ging seines Weges ohne Wanken
Und schwand im dichten Wald dahin. –
Nun ist's auch Zeit; die Jäger steigen
Ein Jeder wieder auf sein Thier
Und reiten All' in tiefem Schweigen
Durchs grüne, schattige Revier.
Bald finden sie vom edlen Hirschen
Gerechte Fährte, Zwang und Tritt,
Nun heißt's nicht mehr behutsam birschen,
Nun sattelfest im scharfen Ritt!
Schnell losgekoppelt wird die Meute
Und auf der Fährte angelegt,
Daß zeichnend, spürend nach der Beute
Sie klingend durch das Dickicht fegt.
Und hinterdrein zum Hirschen eilet
Mit Herzenslust die Jägerei,
Die rechts, die links, getrennt, vertheilet,
Wer ihn zu sehn der Erste sei.
»Hochda! hochda! da fleucht er, da fleucht er!«
Ruft Bruno überlaut und froh,
»Fornahin! fornahin! da zeucht er, da zeucht er,
Der edle Hirsch! hallo! hallo!«
Und stößt ins Horn, das weithin hallet,
Und Antwort kommt von fern und nah,
Von Hift und Waidgeschrei erschallet
Ringsum der Forst: hochda! hochda!
Nun geht es vorwärts in Gewittern
Waghalsig über Stein und Strauch,
Es horcht der Wald, die Lüfte zittern,
Bald Sporn, bald Dorn trifft Rosses Bauch.
Stolz stiegt der Hirsch, wirft in den Nacken
Das zweiundzwanziger Gewicht,
Die Zweige rauschen, die Aeste knacken,
Wie prasselnd er den Wald durchbricht.
Hier tönt ein Horn und dort ein Rufen:
»Da schleicht der Hirsch! hierher! hierher!«
Dazwischen dröhnt's von Rosseshufen,
Laut wird die Meute mehr und mehr.
Und heißt es auf der einen Seite:
»Da fleucht er über Weg und Steg,
Daß Gott meines schönen Buhlen pfleg'!«
Klingt's lustig wieder aus der Weite:
»Da lauft er über Wasser und Grund,
Mich freut meines Buhlen rother Mund!«
Der bläst, der schreit, der hetzt die Hunde:
»Juch! hetze fürder! schenk' Schirm und Schall!
Hast Recht, trauter Knecht! Gesellmann, gieb Kunde,
Hetze hierher die guten Hunde all!«
Waldein, waldein in tollem Jagen,
Hallo! hallo! der ganze Troß,
Wie grüne Wogen die Büsche schlagen
Zusammen über Mann und Roß.
Bald schwindet der im tiefen Schatten,
Im vollen Trupp jetzt, jetzt allein,
Bald sprengt der über lichte Matten,
Die Stahlwehr blitzt im Sonnenschein.
Und überall ein Brechen und Biegen
Vor Reitern dort und Reitern hier,
Die Farben schimmern, die Locken fliegen,
Den Flügel führt der Falkenier,
Albrecht läßt sich vom Schweißfuchs tragen,
Auf ihrem Rothwang schwebt Wulfhild,
Und Allen voran mit Wetten und Wagen
Der Graf mit dem Rappen rasend und wild.
Die Rosse triefend im Kampfe dauern,
Die Rüden hetzen mit heulendem Schall,
Scheu flattern die Vögel, die Wipfel schauern,
Die Blumen und Gräser beugen sich all.
Heiß tobt die Jagd über Klippen und Dämme,
Wo ist er? wo ist er, der Hirsch? ho! ho!
Sie biegen haarscharf um die hemmenden Stämme,
Da kommt er! da kommt er! hallo! hallo!
Die Wangen glühen, die Herzen klopfen,
Hochda! hochda! hetz! hetz! giff! gaff!
Die Augen blitzen, die Stirnen tropfen,
Trara! trara! hift! hift! kliff! klaff!
Es kreiset der Wald, es tanzen die Bäume,
Huhu! dock! dock! hallo! und hoho!
Sie sausen und brausen, durchfliegen die Räume,
Dar! dar, lululu! dorido! dorido!
Und immer der Hirsch fürüber, fürüber
Mit gabliger Krone am stolzen Geweih,
Bergauf und bergunter, herüber, hinüber,
Und All' hinterdrein mit juchhe! und juchhei!
Bald klinget es nahe, bald klinget es ferne,
Die Hörner, die Hunde, das Roß und der Mann,
Ob am Himmel die Sonne, ob Mond oder Sterne,
Sie wissen es nicht, sie jagen hindann.

Kein Halt, kein Rast, kein Athemschöpfen,
Im Fluge glückt's dem Reiter kaum,
Sich lüftend nur das Wamms zu knöpfen,
Die Gäule sind bedeckt mit Schaum.
Doch als die Sonne sinkt, da endet
Der Kräfte Maß bei Mann und Roß,
Und mit den heisern Rüden wendet
Sich heimwärts der erlahmte Troß.
Von Allen nun im Wald verlassen,
Folgt Albrecht mit Wulfhilde nur
Auf Pferden von den besten Rassen
Des Ritters unentwegter Spur.
»Merkst du's nun, wie der Vater jaget?«
Fragt sie bei seines Hornes Schall,
»Er hetzt nun, bis es wieder taget,
Der Hirsch muß oder Wunsch zu Fall.«
Und Albrecht spricht im scharfen Ritte:
»Find'st in der Dämm'rung dich zurecht?
Hab' Acht auf deines Rothwangs Tritte
Und auf der Wurzeln bös Geflecht!«
»Ach, Albrecht!« ruft sie, »sieh am Himmel
Den hellen Stern! der kennt mein Loos,
Der weiß –«, da stürzt der Apfelschimmel
Und wirft Wulfhilden in das Moos.
Dann rafft er sich empor und strebet
Zurück in zügellosem Lauf,
Doch Albrecht springt herzu und hebet
Die zitternde Wulfhilde auf.
Am Fuß ein wenig nur verletzet,
Lehnt sie sich lächelnd an ihn an.
Er stützt sie mit dem Arm und setzet
Sie sanft auf seinen Schweißfuchs dann.
Wulfhilde aber will nicht leiden,
Daß neben ihr der Vetter geht,
»Er trägt zu schwer nicht an uns Beiden
Im Schritt, komm, sitze auf!« sie fleht.
Wie er sich hinter sie nun schwinget
Und sicher in den Zügel greift,
Sie mit den Armen ihn umschlinget,
Daß sein Gesicht ihr Goldhaar streift.
Sie fühlet seinen Athem, schmieget
Sich innig nah an seine Brust,
Ihr Busen wallt und wogt, sie lieget
Beseligt so in stiller Lust.
Weit ist der Weg, doch Beide schweigen
Und reiten so durch Waldesnacht,
Gedanken nur und Wünsche steigen
Empor zur hohen Sternenwacht.


Noch immer jagt mit Wunsch und Wille
Der Graf tief in den Wald hinein,
Um ihn und hinter ihm wird's stille,
Er weiß es nicht, daß er allein.
Die goldne Abendsonne blitzet
Roth durchs Gebüsch, er sieht es nicht,
Er fühlt nicht, wie der Dorn ihn ritzet
Und Zweige schlagen sein Gesicht.
Der Wald wird dunstig, und es dämmert,
Erloschen ist der Sonne Gluth,
Er merkt es nicht, es flammt und hämmert
Heiß in den Schläfen ihm das Blut.
Der Mond geht auf mit sanftem Schimmer,
Scheint dunkelroth tief durch den Wald,
Der Ritter sieht ihn nicht, nur immer
Jagt er und jagt und hat auch bald
Schon nahe vor sich, was er hetzet,
Das stolze, königliche Thier,
An das er Leib und Leben setzet
In unersättlicher Begier.
Jetzt dicht am Kloster geht's vorüber,
Die Kirchenfenster, hoch und lang,
Sind hell erleuchtet, und herüber
Tönt durch die Stille Meßgesang.
Da in der Responsorien Pause
Stößt in das Horn der Graf im Nu
Und bläst und schmettert der Karthause
Laut gellende Fanfaren zu.
Und lacht und höhnt: »Verfluchte Glatzen!
Bin binnen Glockenschall nun da!
Nun laßt euch in den Ohren kratzen
Hans Hackelbernds Halleluja!«
Dann wieder in die blut'gen Flanken
Drückt er dem Hengst die Sporen ein,
Und vorwärts, vorwärts ohne Wanken
Dem Hirsche nach braust er waldein.
Und Wille heult in Wuth und Grimme,
Als brennt's im Forste lichterloh,
Und furchtbar tönt des Grafen Stimme:
»Wunsch! Wille! hetz! hallo! hallo!«
Wie eine Windsbraut saust und dringet
Die Hetzjagd durch den Wald mit Macht
Wie Felsenstürzen kracht und klinget
Es donnerähnlich in der Nacht.
Auf einmal doch erschrocken hemmet
Der Hengst den rasend schnellen Ritt,
Streckt starr die Füße vor und stemmet
Sich steif zurück, thut keinen Schritt.
Er klammert zitternd mit den Hufen
Sich an den Grund und schnaubt und stampft,
Vorwärts bringt ihn nicht Sporn, nicht Rufen,
Sein Auge quillt, sein Athem dampft.
Der Graf steigt ab; auf alle Viere
Streckt Wille sich, ihn lockt kein Wort,
Wie festgezaubert sind die Thiere
An den geheimnißvollen Ort.
Uralte Bäume, Waldesriesen,
Und hohe Felsen stehn am Hang,
Im schmalen Grunde feuchte Wiesen,
Drauf niemals eine Sichel klang.
Da kommt's – da kommt's in weitem Bogen
Durch Mondesglanz und Nebelduft,
Hat's Fleisch und Blut, dies Wall'n und Wogen?
Ist's Truggebild von eitel Luft?
Es lebt, bewegt sich tausendfaltig
Wie Menschenleiber, Todesreihn,
Dem Grab entstiegen schreckgestaltig, –
Eiskalten Schauer im Gebein,
Steht Hackelberend, schweißgebadet,
Er ist gebannt, er kann nicht fliehn,
Weil's bergeschwer sich auf ihn ladet;
Grad' auf sich zu sieht er es ziehn.
Er preßt sein Herz ins alte Gleise,
Blickt fest entgegen dann dem Zug,
»Das Wodansheer!« so haucht er leise
Und hält sich an des Hengstes Bug.


Vor'm Zuge wallt an langem Stabe
Ein hoher, freundlich ernster Greis,
Der treue Warner mit der Gabe,
Daß er Gelüst der Menschen weiß.
Der schüttelt langsam und bedächtig
Sein Haupt und schaut den Grafen an,
Hebt würdevoll und geistermächtig
Die Hand und deutet himmelan.
Voll unnahbarer Hoheit lenket
Sein Streitroß auf des Alten Spur
Nun ein Gewaltiger und schenket
Nicht einen Blick dem Grafen nur.
Doch wieder ihm zur Seite traben
Die beiden Wölfe grimm und greis,
Und wieder fliegen die zwei Raben
Ihm um das Haupt in engem Kreis.
Die göttliche Gemahlin reitet
Mit ihm, den Wocken in der Hand,
Lang von dem Roß hernieder gleitet
Ihr schneeweiß schimmerndes Gewand
Es folgen hünenhafte Recken
In wilden Urs und Bären Haut,
Ihr Haupt Gehörn und Thierkopf decken,
Daraus ein bärtig Antlitz schaut.
Dann Waidgesellen in Geschwadern
Und reisig Volk in Eisenwehr,
Doch leichenstarr, kein Blut in Adern,
Sie athmen nicht, sind kalt und leer.
Und in dem langen, langen Trosse,
Der schon das ganze Thal erfüllt,
Viel schöne Frauen hoch zu Rosse,
Gewandlos die, die halb verhüllt.
Sie nicken sanft und winken traurig
Mit langer, weißer Todtenhand,
Und auf sie nieder fahl und schaurig
Der Mond sieht über Bergesrand.
So schwebt der wundersame Reigen,
Nicht Hufschlag tönt, nicht Schwert, nicht Schild,
Sanglos, klanglos, in tiefstem Schweigen,
Unheimlich wie ein wandelnd Bild,
Die Nebel fließen und zergehen
Vor Angesichtern, geisterbleich,
Wie Lockenflattern, Mantelwehen
Wallt's auf und ab im Schattenreich.
Jetzt klar und deutlich die Gestalten,
Traumartig wie durch Wolkenriß,
Dann wie durch dünnen Schleiers Falten
Nur dämmernd jetzt und ungewiß.
Langsam und feierlich durchwindet
Das Abenteuer Busch und Strauch,
Aus Dunkel kommt, in Dunkel schwindet
Das Uebersinnliche wie Hauch.


Graf Hackelbernd steht wie geblendet,
Als schon der Unholdszug verrann;
Er steigt nicht auf; wie er sich wendet,
Führt er den Wunsch zu Fuß bergan.
In seiner unbeugsamen Seele
Regt sich ein nie gekanntes Grau'n,
Ihn schnürt und würgt was an der Kehle,
Er wagt nicht rechts, nicht links zu schau'n,
Er sah auf seiner Geisterweide
Das wilde Heer des großen Wod,
Ihm hat gewinkt das Nachtgejaide,
Das deutet seinen nahen Tod.
Bald soll er vor den Richter treten,
Den er auf Erden stets gehöhnt,
O könnt' er doch nur einmal beten!
Entsündigt wär' er und versöhnt.
Sieh! auf des Berges nahem Gipfel,
Hell in des Mondes vollem Licht
Steht unter einer Linde Wipfel
Das heil'ge Kreuz hoch aufgericht,
Und mit weit ausgestreckten Armen
Des Heilands Bild am dürren Holz,
Winkt ihm das ewige Erbarmen,
Da wird zu nichte all sein Stolz.
Er ganz allein mit Wunsch und Wille,
Die stets getheilt, was er verbrach,
Im tiefen Wald, in Nacht und Stille
Ist's ihm, als ob ein Andrer sprach:
»Vor diesem Hohen, schmerzzerrissen,
Der frei von Sünde litt und starb,
Neig' dich, mein Herz! sprich, mein Gewissen,
Das in des Unheils Macht verdarb!«
Zum hohen Kreuze, ohne Zeugen,
Wankt er heran, das Haupt entblößt,
Schon will das starre Knie er beugen,
Schon ist die Seele ihm gelöst,
Da – däucht ihm – hört er ferne klingen
Die Klosterglocke leis' und tief,
Was?« ruft er, »ihr? ihr wollt mich zwingen
Zur Buße nach des Pfaffen Brief?
Nein! nein! ich will nicht vor dir knieen,
Du Zerrbild am gekreuzten Scheit,
Du bist, wie die da unten ziehen,
Auch nur ein Spuk aus alter Zeit!
Und ob Millionen zu dir beten,
Ich Einziger, ich stehe hier;
Versuch' es, mich in Staub zu treten,
Ich nehm' ihn auf, den Kampf mit dir!
Laß sehn, ob mir der Arm erlahme,
Schieß' ich herab dich, Menschensohn!
Das wird 'ne lust'ge Kreuzabnahme,
Dem Corpus Christi-Tag zum Hohn!
Ja heut, Frohnleichnam, will ich's wagen,
Du sei mein Ziel, gebenedeit!
Schuß auf den Bildstock, hört' ich sagen,
Macht fest die Armbrust und gefeit.«
Er nimmt die Waffe schnell vom Rücken
Und spannt, doch an der Schulter Rand
Fühlt er des Rappen Kopf sich drücken,
Und Wille leckt ihm warm die Hand.
»Ihr treuen Freunde wollt mich warnen,
Seid ihr mit denen da im Bund?
Nicht wahr? uns soll'n sie nicht umgarnen!«
Er klopft den Hengst, liebkost den Hund
Und steht so mitten zwischen Beiden
Zum Kreuz aufschauend: »Sag' mir, bist
Mit deinem Tod und deinen Leiden
Du mein Erlöser, Jesu Christ?
Giebt es ein Jenseits? wird gewogen
Mein Herz dort in der Ewigkeit?
Wird's? oder hat ein Narr gelogen
Von Himmel und Glückseligkeit?
O gieb ein Zeichen, winke nieder,
Ob du den Reuevollen liebst,
Ich frage niemals, niemals wieder,
Wenn du mir hier nicht Antwort giebst!« –
Jetzt deutlich an sein Ohr geschlagen,
Ein Laut, den nimmer er gesucht,
Tönt Glockenklang, vom Wind getragen, –
»Antwort vom Mönch?! so sei verflucht,
Dem Klosterschimpf und Pfaffenbräuche
Gefolgschaft sind durch alle Welt!
Ihr Götze bist du, Vogelscheuche,
Jetzt sei von meinem Pfeil zerspellt!«
Zum Köcher greift er schnell und strecket
Den Bolzen auf der Armbrust Steg,
Da zieht ein Reh, vom Ton erschrecket,
Ihm schußgerecht grad' übern Weg.
Er sieht es nicht, fest an der Wange
Liegt schon die Armbrust, und der Bolz
Trifft schrill und scharf beim Glockenklange
Laut krachend in das zähe Holz.
Der Graf fährt mit der Hand zum Herzen,
Fühlt einen Stich dort brennend heiß,
Ein Augenblick voll Todesschmerzen, –
Die Glocke ist verstummt im Kreis.
Sturm braust von des Gebirges Jochen,
Wie dumpfer Donner rollt es fern,
Und in zwei Stücke liegt zerbrochen
An Kreuzes Fuß der Leib des Herrn.
Der Graf, nun wieder fest im Bügel,
Denkt nicht an Tod und Seelenheil,
Er lenkt zur Burg des Hengstes Zügel, –
Im leeren Kreuze steckt der Pfeil.


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