Julius Wolff
Der wilde Jäger
Julius Wolff

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V.

Waldesruh.

Gerhard war am frühen Morgen
Zur Bestätigung des Hirsches
Für die nächste Jagd mit Ludolf
Wohlgemuth zu Holz gegangen,
Und im Forste hatten Beide
Sich getrennt, um einzeln Jeder
Zu verspüren und dann später
Sich am Silgenstieg zu treffen.
Als die Sonne hoch gestiegen,
Langte bei dem Stelldichein
Gerhard an und ließ gemächlich
In dem duft'gen Waldesschatten,
Wo ein Bächlein kühlend rauschte,
Auf bemoostem Stein sich nieder.
»Jugend hat mehr Glück, als Alter,
So beim Birschen wie beim Minnen,«
Brummt' er, »hab' nichts Rechts gefunden.
Was wird's sein? ein Vierzehn-Ender,
Der so dicht geschränkt beim Kirchgang;
War kein Schritt von einem Kronhirsch,
Wie der Graf durchaus ihn fordert.«
Aus der alten, blankgetragnen
Waidmannstasche langt' er jetzo
Sich sein Frühstück, und bedächtig
Es von rechts und links betrachtend
Schnitt er tapfer ein und spießte
Stück für Stück sich auf das Messer.
Wie's ihm schmeckte! stillvergnügt
Blickt' er vor sich hin und machte
Mit der Hand und mit dem Kopfe
Sinnbegleitende Geberden
Zu dem innern Selbstgespräche,
Das mit manchem leisen Ausruf
Hm! und Ho! verlautbar wurde.
Um die kleinen, hellen Augen,
Die gutmüthig und doch schalkhaft,
Klug und wachsam um sich schauten,
Spielten jene list'gen Falten,
So man Krähenfüße nennet.
Was von seinem Angesichte
Vor dem grauen Knasterbarte
Sichtbar, war braunroth von Farbe,
Sonderlich die breite Nase.
Muskelkräftig war der Körper,
Und hier unter'm Büffelwammse,
Das viel glatter war vom Alter,
Als die borkenrauhen Hände,
Schlug ein ehrlich treues Herz,
Weich und mitleidsvoll, doch furchtlos.
Plötzlich, einen wackern Bissen
Auf der Messerspitze, horcht' er:
»Du? du wärst mir auch ein Braten,
Rauhschwanz!« lacht' er auf zur Buche,
Wo es knackte und ein Eichhorn
Sprang und auf ihn nieder äugte.
»Siehst wohl, daß ich hier zu thun hab',
Bist drum sicher vor der Armbrust!«
In den Schatten seines Schwanzes
Setzte sich das Eichhorn oben,
Daß der weiße Bauch herabschien,
Und dann kletterte und rutschte
Wie gejagt es durchs Geäste.
Jetzt vernahm im Buchenlaube,
Das den Boden unverweslich
Fast bedeckte, Gerhard endlich
Ludolfs raschelnd laute Schritte
Und sah auch schon zwischen hohen,
Weißlich grauen Buchensäulen
Ihn daher gewandelt kommen,
Rief ihn an mit Jägerschrei:
»Hoho! lieber Waidmann, sag' mir an,
Was wittert dich heut auf der Vorsuch an?«
Ludolf rief zurück mit Freuden:
»Hoho! lieber Waidmann, das will ich dir sagen,
Ein jagbar Hirsch und ein hauend Schwein,
Was kann mir hoho! Besseres gesein!«
Wieder frug nun Gerhard weiter:
»Waidmann, lieber Waidmann hübsch und fein,
Was geht hochwacht vor dem edlen Hirsch gen Holze ein?«
Und von Ludolf kam die Antwort:
»Der helle Morgenstern, der Schatten und der Athem fein
Gehn hochwacht vor dem edlen Hirsch gen Holze ein!«
Und dann setzt' er sich zu Gerhard,
Dem er zu berichten hatte
Von des Wildes frischer Fährte,
Und als was er's angesprochen.
Sprach von Wiedergang und Wechsel,
Schritt und Schrank und Zwang und Thauschlag
Und vom Schloßtritt auch im Raumbett,
Dann vom Wenden und vom Blenden
Und vom hohen Himmelszeichen,
Wie der Hirsch mit seiner Krone
Schon die Blätter und die Zweige
Abgeknickt und umgewendet,
Und der zweiundsiebzig Zeichen
Dies und jenes noch erwähnt' er,
Dran ein hirschgerechter Jäger
Kennt die Spur des edlen Hirsches.
Kurz, nach den genauen Maßen
Schien's ein Zweiundzwanzig-Ender,
Den der Jüngere verspüret,
Und der Alte war zufrieden.
Doch nach kurzem Schweigen fing er
Wieder an mit altem Waidspruch:
»Lieber Waidmann jung, thu mir kund,
Was macht den edlen Hirschen wund
Und den Jäger gesund?«
Ludolf stutzte, doch schnell sprach er:
»Der Jäger und sein Leithund
Machen den edlen Hirschen wund,
Und eine schöne Jungfrau macht den Jäger gesund.«
Mit verschmitztem Augenzwinkern
Fragte Gerhard lachend weiter:
»Lieber Waidmann, sag' mir an,
Was ist weißer, dann der Schnee?
Was ist grüner, dann der Klee?
Was ist schwärzer, dann der Rab?
Und klüger, dann der Jägerknab?«
Aber Ludolf blieb nichts schuldig:
»Der Tag ist weißer, dann der Schnee,
Die Saat ist grüner, dann der Klee,
Die Nacht ist schwärzer, dann der Rab,
Schöne Mädchen klüger, dann der Jägerknab.«
Damit stand er auf und wollte
Wieder in den Forst sich wenden.
»Wo hinaus noch?« fragte Gerhard.
»Nach dem Eisen will ich sehen,
Ob sich nicht ein Fuchs gefangen,«
Sagte Ludolf. »Ja,« sprach Gerhard,
»Sonderlich die jungen Füchse
Lassen leichtlich sich bethören,
Doch die alten Füchse wittern's,
Wenn's im Wald nicht recht geheuer,
Aber warnen ist vergeblich;
Nun so geh mit Waidmanns Heil,
Daß, so Gott walt', dir Gutes werde zu Theil!«
Ludolf sprach zum Gegengruße:
»Lieber Waidmann, gleichfalls Heil,
Daß Gott dir und mir gebe alle gute Weil!«
Gerhard rief dem schon Entfernten
Lustig nach: »Laß dir im Walde
Auch kein altes Weib begegnen,
Denn das bringt dem Jäger Unglück!«
»Werd' mich hüten!« lachte Ludolf. –
»O, ein Hirsch von zwanzig Enden
Und 'ne Maid von siebzehn Jahren
Machen Jägerherzen klopfen,«
Sprach so vor sich hin der Alte,
»Bin ja auch mal jung gewesen.«

Ludolf lenkte seine Schritte
Durch den stillen Wald, doch schneller,
Als sein Schatten, den die Sonne
Vor ihn warf an lichten Stellen,
Eilten vor ihm her beim Birschgang
Die Gedanken, die nicht immer
Auf des Fuchses Fährte blieben.
Ueberallhin lauscht' und späht' er,
Summte sich auch wohl ein Liedlein.

Ein Jäger ging zu birschen
Durch Gras und grünen Klee,
Nicht Bär, nicht Luchs und Hirschen,
Ach! nur ein braunes Reh.
Das hatte blaue Aeugelein,
Und wild war's allerdings
Und hatt' ein rothes Mündelein,
Und auf zwei Füßen ging's.

Das Lächeln seines Grußes,
Dem Jäger lag's im Sinn,
Die Fährte seines Fußes
Stand ihm im Herzen drin.
Wo schleichest du, mein Rehlein schlank?
Wo steckst du im Verhau?
Du knicktest ja in Schritt und Schrank
Kein Gräschen um im Thau.

So wank' ich denn und schweife,
Wohin mein Herz mich führt,
Ob nicht auf Such' und Streife
Die Liebe dich verspürt.
Dann werfe ich wie ein Geflecht
Um dich die Arme rund
Und geb' den Fang nach Jägerrecht
Dir auf den Rosenmund.

Balde kam er auf die Schleppe,
Wo den Fuchs er waidlich kirrte,
Fand das aufgestellte Eisen
Und betrachtet es mit Unmuth.
»Was ist das?« begann er staunend,
»Angenommen ist der Anbiß,
Hier zwei Tröpflein Schweiß, auch Wolle,
Rothes Fuchshaar – das, beim Kukuk!
Geht nicht zu mit rechten Dingen.
Wer hat mir den Fang gelöset
Und so ungeschickt das Eisen
Wieder aufgestellt? nein wahrlich!
Das that nimmermehr ein Waidmann.«
Wie er noch darüber nachsinnt,
Ist es ihm, als hört' er's kichern
Ganz in seiner Nähe, und da
Hinter'm dicksten Buchenstamme
Lugt hervor vergnügt und neckisch
Ein lichtbrauner Mädchenkopf.
»Waldtraut! Schelm, du bist's gewesen!«
Ruft er, und mit flinken Sätzen
Ist er bei ihr, aber Waldtraut
Springt behende wie das Eichhorn
Um den Buchenstamm und lacht,
Daß es weithin klingt im Walde.
Und dann wirft sie grüne Blätter
Ihm entgegen: »Nimm das Kräutlein,«
Ruft sie, »ist für dich gewachsen,
Schabab heißt es, Schabab! Schabab!«
Und schabt Rübchen mit dem Finger.
Gerne möchte er sie fangen,
Schleicht und lauert um die Buche,
Doch vorsichtig um die Ecke
Lauscht bald rechts, bald links sie schelmisch
Und ist immer auf dem Sprunge,
Lacht und spottet: »Schabab! Schabab!«
Lange so im Kreise jagen
Sich die Beiden um die Buche,
Daß die Wangen ihnen glühen.
Endlich hascht er sie und küßt sie
Auf den athemlosen Mund;
Sie umschlingt mit beiden Armen
Seinen Nacken und giebt herzlich
Ihm zurück den frischen Waldkuß.
»Jetzt den Fuchs her! sonst gefangen
Mußt du mit!« droht er mit Lachen.

»Fuchs her? Füchslein läßt dich grüßen,
Sieh mal da, um jenen Hügel,
Nein, da nicht! um diesen war es,
Daß das Füchslein lustig trabte,
Als ich es gelöst vom Eisen;
Lauf' ihm nach, am Ende fängst ihn.«

»Was? Du ließest ihn entwischen?
Hast ihn mir verprellt für immer?
Mädchen! sage, was zur Strafe
Fang' ich mit dir an, du Irrwisch?«

»Denkst, ich werde meine Freunde
Gegen euch im Stiche lassen?
Was im Walde lebt und athmet,
Ob es Haare trägt, ob Federn,
Blätter, Blüthen oder Fühler,
Allen bin ich eine Schwester,
Und sie wissen's; wenn mir Einer
Wollt' im Walde Böses anthun,
Käm' ein Heer gleich von Beschützern
Mir zu Hülfe, darum half ich
Auch dem Füchslein aus der Klemme.«
»Diesmal sei dir's noch verziehen,«
Spricht er, »werd' das Eisen künftig
Besser zu verstecken wissen.«
Die Geliebte sanft umschlingend
Schritt er fröhlich mit ihr plaudernd
Durch den Wald. Die Sonnenstrahlen
Brachen durch die hohen Wipfel,
Wie auf einem Wappenschilde
Sich ein schräger, goldner Balken
Von dem dunklen Grunde abhebt,
Und darinnen schwebt' und flirrt' es
Von Millionen Sonnenstäubchen.
Und buntschillernde Insekten,
Deren Panzerkleid und Flügel
Schier in allen Farben spielten,
Schwirrten summend auf und nieder,
Regungslos auf einem Punkt jetzt
In der Luft wie festgenagelt,
Und jetzt pfeilschnell seitwärts fahrend,
Wenn ein Andres ihnen nah kam.
Um die grauen Buchenstämme
Streiften wandelbare Lichter,
Und die saftgefüllten Blätter
Leuchteten so klar durchschienen,
Daß darin die vielverzweigten
Feinsten Aederchen erkennbar.
In des Moses dichtem Hochwald,
An der Halme schlanken Masten
Und durch das Geäst der Flechten
Kletterten gehörnte Käfer,
Stahlblau oder bräunlich glänzend.
Wie von Luft und Sonne trunken
Taumelten die Schmetterlinge
Ueber offnen Blumenkelchen,
Ruhten darauf aus, noch einmal
Schläfrig ihre Schwingen regend
Und dann hoch zusammenschließend,
Ihrem Duftrausch hingegeben.
Wo auf unbewachsne Stellen
Niederfiel ein heller Schimmer,
Blitzt' und funkelt' es wie Streusand;
An den Steinen aber blinkten
Stücklein Quarz und Glimmerblättchen
Wie Krystall und blankes Silber.
Eidechs sonnte sich daneben,
Und mit langen, dünnen Beinen
Stieg herüber eine Spinne.
Tiefe Stille war im Walde,
Heitre, sel'ge Mittagruhe,
Und ein goldig Flimmern wogte
Durch das Grün hin, wonnevoll
Wie verklärten Traumes Lächeln,
Und auf mattem Lufthauch schwebten
Leis' daher verirrte Töne
Wie aus grenzenloser Ferne,
Wundersam und nicht zu deuten.
Nirgend war ein Wild zu sehen,
Auch die tausend Vöglein saßen
Schlummernd oben in den Zweigen.
Ueber jedes Auge senkte
Süß und gerne sich die Wimper,
Nur nicht über die, aus denen
Liebe eins ins andre strahlte.

Unter eine hohe Eiche
In den kühlen Schatten setzte
Ludolf sich mit Waldtraut nieder.
Ludolf lehnte mit dem Rücken
An dem Stamme, Waldtraut aber
Streckte in das weiche Moos sich,
Und ihr Haupt in Ludolfs Arme
Und auf seinen Schoß ihm legend
Blickte sie mit blauen Augen
Zu ihm auf zutraulich, zärtlich,
Wie ein Kind schaut aus der Wiege,
Nestelte von ihrem Mieder
Auch das Sträußchen los und steckt' es
An das Wamms dem jungen Waidmann.
Und er blickte zu ihr nieder
Tief und tiefer in die Augen,
Auf die schwellend rothen Lippen,
Die ihm hold entgegen blühten
Wie die duftigsten der Blumen.
Ach! es waren Zauberblumen,
Und er wagte viele Male
Wohl den Kuß auf Mund und Wangen
Seiner kleinen Waldprinzessin.
Doch kein Donnerschlag ertönte,
Nicht verwandelt ward die Süße
In ein grauslich Ungeheuer,
Blieb in Lieblichkeit und Anmuth
Nach wie vor sein herzig Mädchen.
Da von fern rief's: Kukuk! Kukuk!
»Horch!« sprach Waldtraut, »laß uns zählen.«
Aber grade über ihnen
Rief es lockend: Kwickwickwick!
Und nicht lange währt's, da klang es
In der Eichenkrone leise:
Kwawawa! – und Kwickwickwick!
Lautete dieselbe Antwort
Rasch und kichernd, und der Vogel
Schrie wie toll jetzt: Kukukuk!
Und sein Weibchen lachte wieder.
So ging hin und her die Zwiesprach,
Und ein Flattern, Flügelschlagen,
Kukukrufen, Lachen, Girren,
Leise bald, bald laut und heftig,
Daß wie oben die zwei Vögel
Kosend lachten, die zwei Menschen
Unten auch mit lachen mußten.
Nun von dannen flog der Kukuk,
Und sein graues Weibchen folgte.
»Weißt du auch, was das bedeutet?«
Fragte Waldtraut. »Nein!« sprach Ludolf.
»Nun dann sag' ich dir's auch nimmer,«
Neckte jene, und vergeblich
Drang er in sie, zu verrathen,
Was der Kukuksgruß bedeute.
»Lange ruft er nicht,« sprach Waldtraut,
»Und es ist des ganzen Jahres
Schönste Zeit doch, wenn der Bauch gugt,
Aber hat er sich an Kirschen
Dreimal satt gefressen, schweigt er.«
Da flog ihr ein siebenpunktig
Schwarz und roth Marienwürmchen
Auf die Hand, und schelmisch frug sie:
»Weißt du denn, was das bedeutet?
Brauthandschuhe auf die Hände,
Drauf sich niederläßt das Thierlein!
Aber ich mag keine anziehn,
Wüßt' es gar nicht anzufangen,
Auf die Finger sie zu zwängen,
Selten hab' ich's nur gesehen,
Daß sich Menschen damit quälen;
So das Fräulein, wenn sie reitet,
Und ich denke mir, sie thut es
Des gestickten Zaumes wegen.«
Um die Hand kroch ihr der Käfer,
Und sie wandte sie; da glitt er
Jählings in die hohle Fläche
Und blieb auf dem Rücken liegen;
Aber schleunig half ihm Waldtraut
Wieder auf die Beine. »Laß doch!«
Sagte Ludolf, »laß ihn zappeln,
Ob er sich allein kann umdrehn.«
»Wie?« sprach Waldtraut, »zappeln lassen?
Einen armen Käfer umdrehn,
Wenn er also hülflos daliegt,
Heißt ja sieben Sünden sühnen!«
»Sieben Sünden!« lachte Ludolf,
»Sag' mir, welche Sünde, Liebchen,
Hättest du auf dem Gewissen?«
»Meine neu'ste ist,« sprach Waldtraut,
»Daß ich hier die Zeit verplaudre,
Sieh doch nur mal auf zur Sonne,
Mittag ist's, ich muß von dannen,
Denn Großmütterchen kommt heute
Aus dem Thal herauf zum Meiler.«
Sie erhoben sich und gingen
Hand in Hand durchs Waldesschweigen.

Als sie über Busch und Bäumen
Schon den Rauch des Meilers sahen
Und sich eben trennen wollten,
Stand, wie aus dem Grund gestiegen,
Köhler Volrat vor dem Paare.
Finster war sein rußig Antlitz,
Groß und mächtig die Gestalt
Mit dem Knochenbau der Glieder,
Daß im Walde beim Begegnen
Man sich vor ihm fürchten konnte.
Waldtraut fuhr in Schreck zusammen
Und ließ schnell die Hand des Jünglings.
Aber drohend schalt der Köhler:
»Was schaffst du bei meiner Tochter?
Treff' ich euch noch mal zusammen,
Sollt ihr's wahrlich Beide fühlen!«
»Meister Volrat, Euer Kind ist
Fast in meinem Schutz so sicher
Wie in Gottes Hut,« sprach Ludolf.
»Weiß mein Kind noch selbst zu schützen,«
Brauste Volrat, »und ich rath' euch
Jägervolk, mir fern zu bleiben!«
»Laßt mich, Volrat,« sagte Ludolf,
»Rath mit gutem Rath Euch lohnen.
Warnen möcht' ich Euch vorm Grafen;
Er ist auf der Spur dem Wildrer,
Der in seinem Forste birschet,
Und hat ihm den Tod geschworen.«
Volrat zuckte nur ein wenig,
Und dann lacht' er wild und höhnisch:
»Spare deine Weisheit, Milchbart!
Selber mag dein Graf sich hüten
Und ein ziemlich Einsehn thun,
Eh' der Bauer mit dem Ritter
Seine aufgehobnen Späne
Rechtlich oder fechtlich schlichtet;
Läßt der Bundschuh erst sein Fähnlein
Offen hier im Harze flattern,
Möcht's zu spät sein.« Und dem Jäger
Seinen breiten Rücken kehrend
Herrscht' er Waldtraut zu: »Nun vorwärts!«
Zitternd stand das holde Mädchen,
Helle Thränen in den Augen;
Einen stummen Blick voll Wehmuth
Und voll Liebe, den der Jäger
Wohl verstand und ihr zurückgab,
Schenkte sie ihm noch; dann ging sie.

Schweren Herzens, doch mit nichten
Ganz verzagend, wandte Ludolf
Seine Schritte nach der Richtung,
Wo die Burg lag, und es kreuzten
Sich ihm mancherlei Gedanken,
Wie er dieses rauhen Mannes
Neigung und Vertrau'n gewinne,
Wie er ihn vor schwerem Loose,
Das ihm drohte, wohl bewahre,
Und wie er trotz des Verbotes
Waldtraut noch zu sehn bekomme.
Dieses Alles, bangend, hoffend,
Pläne schmiedend und verwerfend,
Wog er in bedrängter Seele
Seines Weges kaum noch achtend.
Plötzlich sah er eine Alte
Langsam sich entgegen hinken.
»Ach, ja so! da kommt's, das Unglück,«
Sprach er, »davor Gerhard warnte.
Aber wider alle Regel
Ist es ja, daß erst das Unheil
Und nachher das alte Weib kommt;
Sonst begegnet es dem Waidmann
Meist in umgekehrter Folge.«
Als die Beiden sich genähert,
Blieb die Alte wartend stehen.
Von der schweren Last der Jahre
Tief gebeugt, die auf ihr ruhten,
Pflanzte sie den Krückstock mitten
Vor sich hin, mit beiden Händen,
Die stark zitterten, sich stützend,
Und den Kopf im Nackenwirbel
Ganz zur Seite drehend, schaute
Sie von unten schräg nach oben.
Aus dem welken, gelben Antlitz,
Uebersät mit tausend Falten,
Blickten eulenhaft zwei große,
Leuchtend klare, graue Augen.
Ludolf wollt' in seinem Mißmuth
Ohne Gruß an ihr vorüber;
Doch sie rief ihn an und sagte:
»Grüß' dich Gott, mein schöner, schmucker
Junger Jägersmann im Grünen!«
»Grüß' Euch wieder!« brummte Ludolf.

»Habt Ihr es denn gar so eilig?
Laßt doch Eu'r Gesicht mal sehen,
Liegt da zwischen Euren Brauen
Ein gar vielverheißend Fältlein,
Sagt doch: unter welchem Sterne
Hat die Mutter Euch geboren,
Lieber, schmucker Waidgeselle?«

»Weiß nicht, und Euch kümmert's auch nicht!«

»Nicht so bös gleich, Herzensjunge!
Kennt mich wohl nicht? bin ja Aulke,
Kennt Ihr nicht die alte Aulke?
Ja, nun zeigt mal Euer Händchen, –
Nein, die rechte, – ei! ei! sieh mal!
Sieh mal, fast dieselben Linien
Wie mein Enkelkind, die Waldtraut!
Nun, was zuckt Ihr? thaten weh Euch
Meine harten Knochenfinger?«
Ludolf schüttelte verlegen,
Lächelnd wie ein schämig Mädchen;
Doch nun lauschte er der Alten,
Als ob Weisheit und Erkenntniß
Aller Zukunft ihr zu eigen.
Diese sprach, bedächtig forschend
In die Hand des Jägers schauend:
»Lebenslinie um den Daumen
Weit auslaufend und doch kräftig,
Auch die Sonn'- und Ehrenlinie
Fest und deutlich auf dem Tische,
Martinshöhle wohl geschlossen,
Doch Saturnsberg Unheil drohend,
Aber hier der Venusgürtel
Tief und sicher, ja, das glaub' ich! –
Junger Waidmann, wollt Ihr wissen,
Was ich seh' von Eurem Schicksal?«
Ludolf nickte voll Erwartung.

»Wohl! ein langes Leben blüht Euch,
Werdet Euren Namen mehren,
Habt 'ne glückliche und gute,
Eine feste Hand in Allem,
Was Ihr angreift, und das schönste
Loos wird Liebe Euch bescheeren.
Doch hier sagt mir noch ein Zeichen,
Daß mit meiner eignen Sippe
Ihr Euch noch berühren werdet,
Aber Blut wird dabei fließen
Und Ihr selber in Gefahr sein.
Wenn Ihr die besteht, so werdet
Ihr in schlimme Händel kommen,
Brand und Rauch und Todtschlag seh' ich,
Nicht durch Euch verübt, jedoch auch
Ohne Euch nicht möglich, Jäger!
's ist genug; denn Alles wissen
Macht nicht glücklich, wißt genug schon.«
»Sagt mir Alles, Mutter Volrat!«
Flehte Ludolf, »will's Euch lohnen,
Wie ich weiß und kann im Leben.«

»Nichts da, Goldsohn! sehn uns wieder,
Sollt nicht lohnen mir und danken,
Sehn uns wieder! sehn uns wieder!«
Damit hinkte sie von dannen.
Tief erregt ging Ludolf weiter,
Sann und sann und sah nur Waldtraut
Von Gefahren rings umgeben;
Sie zu retten und zu schützen
Schwur er sich in treuem Herzen.
Doch so oft er rückwärts blickte,
Sah er auch die Alte stehen
Und mit schief gebücktem Kopfe
Nach ihm umschau'n immer nickend,
Winkend, sprechend auch und murmelnd,
Was er nicht mehr hören konnte.


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