Julius Wolff
Der wilde Jäger
Julius Wolff

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X.

Der Wildschütz.

Nun sagt doch: welchen Zauberreigen
Trieb denn im Wald die Sommernacht,
Daß jedes Blatt noch an den Zweigen
Und jede liebe Blume lacht?
Ward euch von Elfen und Kobolden
So närrisch Zeug denn aufgeführt,
Daß eure Aehren, Rispen, Dolden
Vom Schellenklingeln baß gerührt?
Habt in den Augen noch die Thränen,
Vom Weinen nicht, das seh' ich ein,
Argwöhnen könnte man und wähnen,
Es schritt ein Schenk durch eure Reih'n
Mit einem nimmerleeren Kruge,
Der, Nimmersatte, euch getränkt
Und auch den Kleinsten nicht im Fluge
Durch vornehm Uebersehn gekränkt.

O heil'ge Morgenfrühe! trunken
Wird selber, wer dein Reich durchzieht
Und deinen Glanz, dein Blühn und Prunken
Mit eignen offnen Augen sieht.
Das ist 'ne Pracht im Waldessaale,
Ein Leuchten und ein Farbensprühn!
Wer das nicht sah beim Morgenstrahle,
Der sah noch niemals echtes Grün.
Der frohe Waidmann darf es schauen,
Den fragt nur, wie es um ihn steht,
Wenn er beim ersten Morgengrauen
Mit seinem Hund zu Holze geht.
Der Köhler sieht es auch beim Schichten
Des runden Meilers, den er baut,
Wenn oben in den hohen Fichten
Sein wilder Nebelvetter braut.
Der Spielmann aber, wie kein Andrer
Sieht der's, der hier um Herberg frug
Beim grünen Wirth, ein müder Wandrer
Den leichten Mantel um sich schlug,
Dem's goldig von den Saitensträngen,
Ach! aber dünn im Beutel klingt,
Der Alles sieht voll Geigen hängen
Und mit den Vögeln Wette singt.

Grüß Gott, du sprenglicht Vögelein
Im losen Federhemde!
So treffen sich die Vogelfrei'n
Zu Haus und in der Fremde.
Schleppst auch kein Ränzel voll und schwer,
Hast Täschlein nicht im Kleide,
Wer singt, der sorget nimmermehr
Um fette Schnabelweide.

Wo mir und dir ein Tröpflein blinkt,
Da giebt's auch was zu brudern,
Ein' Spielmannskehle, die nicht trinkt,
Ist wie im Trocknen rudern.
Schau, du im bunten Kamisol,
Wo sich die Zweige biegen,
Ich aber kann wie du so wohl
Im Traum zur Tränke fliegen.

Doch soll um Eines, mit Verlaub,
Nichts in der Welt uns bringen:
Wir woll'n für unsern Durst im Staub
Und doch von Herzen singen,
Sei's auf den Bergen, sei's im Thal
Und sei's im kühlen Keller,
Es fängt uns Beide doch einmal
Der alte Vogelsteller.

Und wie es duftet allerwegen!
's ist wie ein starker Würzewein,
Der Haupt und Herzen strömt entgegen
Frisch, klar und kühl zur Brust hinein.
Und nicht genug mit dem Entzücken
An Grün und Gelb und Roth und Blau
Mit funkelnden Juwelen schmücken
Muß allesammt sie noch der Thau.
Im Blätterschoß, an Gräserspitzen,
Im vollen Kelch, am nackten Reis,
Ein Blinken überall und Blitzen,
Wo sich's ein sonnig Plätzchen weiß.
Hier wasserhelle Perlen zittern,
Geschliffne Steine dort im Laub,
Krystallgeschmeid und Silbersplittern,
Goldkörner, Diamantenstaub.
In wundervollen Farbenspielen
Rundum, rundum ist's ausgesät,
Und nach des Wandrers Augen zielen
Die Strahlen all, wohin er späht.
Die Spinne selbst, die aufgehangen
Ihr Netz in stetem Häschertrieb,
Hat ein paar Tröpflein aufgefangen
In ihrem weitgeflochtnen Sieb.
Hoch trabt der Fuchs mit flinken Läufen,
Sein Jagdwild ist ja längstens wach,
Er fühlt's naß auf den Balg sich träufen,
Im Strich schleppt die Standarte nach.
Der Hirsch, der von der Saat des Bauern
Die Nacht geäst an Waldes Rand,
Ging schon beim ersten Morgenschauern
Zu Holze auf gewohnten Stand.
Er streifte mit den hohen Stangen
Durch Dickung schleichend das Geäst,
Und wie dem Fuchs hat's thaubehangen
Auch ihm die braune Haut durchnäßt.
Das wird ihm kühl, er thut sich nieder
Auf freiem Platz im jungen Hau,
Daß ihm die Morgensonne wieder
Den Rücken trockne von dem Thau.

Der Graf mit seinen Waidgesellen
Schon früh um Stämm' und Sträucher biegt,
Das Hauptschwein wollen sie umstellen,
Es nur verspüren, wo es liegt.
Sie streifen einzeln, ohne Hunde,
Doch so, daß noch vernehmlich sei
Für Jeden aus des Nachbars Munde
Im Nothfall Hift und Waidgeschrei.
Da schlüpft auch durch das Kraut, das nasse,
Der Köhler, der im Walde haust,
Doch fern von seiner Meilergasse
Birscht er, die Armbrust in der Faust.
Der edle Hirsch, dem es von oben
Zu warm wird schon im Tageslauf,
Hat sichernd langsam sich erhoben
Und sucht sein schattig Raumbett auf.
Da trifft ein Pfeil ihn; wie von Winden
Verfolgt, flieht er in Waldes Schoß,
Doch eilig seine Kräfte schwinden,
Und nieder kniet er in das Moos.
Die Waffe, die den Pfeil gesendet,
Verbirgt der Köhler, folgt dem Schweiß
Und findet schon den Hirsch verendet
Als seines guten Schusses Preis.
Ein freier Ort ist's, gut verstecket,
Wohin der Tod den Hirsch gejagt,
Im Halbkreis von Gebüsch verdecket,
Von einer Klippe überragt.
Die Haut mit scharfem Messer ritzend
Zerwirkt der Schütz den Hirsch in Ruh,
Und oben auf der Klippe sitzend
Schaut lüstern ihm das Füchslein zu.
Dem funkeln bei der Augenweide
Die Lichter schon, er leckt den Bart
Und hofft, es werde vom Gescheide
Ihm eine Mahlzeit aufgespart.
Der Kühler steht und schaut mit Sinnen
Das warme Herz des Hirsches an, –
»Halt, Volrat! rühr' dich nicht von hinnen!
Sonst schieß' ich dich danieder, Mann!«
Der Graf ist's, auf gespanntem Bogen
Den Pfeil, die Hand am Drücker schon;
Volrat, der Alles schnell erwogen:
Begegnet ruhig seinem Drohn:
»Ihr seid es, Herr? habt fein gewittert!
Drückt ab! wenn's denn mal seien muß,
Nur sorgt, daß Euch die Hand nicht zittert,
Herr Graf, sonst war's Eu'r letzter Schuß!«
Der Köhler in des Platzes Mitte
Umspannt des blut'gen Messers Schaft,
Der Graf geht ihm mit festem Schritte
Entgegen, Kraft mißt sich an Kraft.
Zwei Augenblicke schweigend stehen
Die Beiden, und der Graf beginnt:
»Es kann vor Recht noch Gnade gehen,
Ich bin nicht feindlich dir gesinnt.«

»Ich aber Euch! und Gott mag richten!
Graf Hackelbernd und Gnade? nein!
Laßt uns die alte Rechnung schlichten,
Mann gegen Mann, wir Zwei allein!«

»Gieb mir, was mein ist, und geschieden
Sei Alles zwischen mir und dir,
Laß Waldtraut mir und zieh' in Frieden
Und schieß' im Forste Hirsch und Thier!«

»Daß Euch ein Blitz zur Hölle stieße!
Ihr habt sie, Gottesschänder? Ihr?
Hört: lieber, als ich Euch sie ließe,
Säh' ich sie todt vor Augen hier!«
Der Graf fühlt sich in Wuth erbeben,
Bläst auf dem Horn den Hagelschrei
Und wirft zum Kampf auf Tod und Leben,
Waidmesser von der Scheide frei,
Sich auf den Köhler, daß er's senke
Ihm in die Brust; der fängt ihn auf,
Und Jeder hemmt am Faustgelenke
Des Anderen der Waffe Lauf.
In heißer, blut'ger Rachgier ringend
Zerstampfen sie den ebnen Grund
Und kommen vor und rückwärts dringend
Dem todten Hirsche nah im Rund.
Den Fuß verstrickend im Geweihe
Stürzt Volrat und mit ihm der Graf,
Und Jeder, wie er sich befreie,
Kämpft furchtbar, eh' ein Stoß ihn traf.
Da kommen durch den Wald gesprungen
Schon Albrecht, Bruno, Valentin,
Nun ist der Köhler schnell bezwungen
Am Boden, und sie binden ihn.
Auch Ludolf kommt herbei geeilet
Und endlich auch der Falkenier,
Graf Hackelbernd Befehl ertheilet:
»Bringt auf die Burg den Wilddieb mir!«
Dann winkt er Albrecht auf die Seite
Und spricht zu ihm: »Du eilst voraus
Und giebst den Mädchen das Geleite,
Sie wollten zu der Alten Haus;
Du hältst sie fern die nächsten Stunden,
Bis niederwärts die Sonne geht,
Der Schuft wird auf den Hirsch gebunden,
Der auf der Burg im Graben steht.«
»Oheim!« spricht Albrecht mit Entsetzen,
»Ganz ohne Spruch vom Gaugericht
Wollt Ihr den Mann zu Tode Hetzen?«
»Schweig!« herrscht der Graf, »ich frug dich nicht!«
Und seine Zornesadern schwellen.
Doch Ludolf, der die Red' erlauscht,
Hat mit dem Junker einen schnellen,
Verständnißvollen Blick getauscht,
Und Albrecht sagt: »Zwei Wege führen
Zu Aulke hin, gern würd' ich sehn,
Ihr gäb't mir Ludolf mit zum Spüren.«
Stumm nickt der Graf; die Beiden gehn.

Sobald sie aus des Hörens Weite,
Bereden sie und halten Rath,
Wie dem Verstrickten in dem Streite
Zu helfen sei mit rascher That.
Vielleicht, daß vor dem letzten Schritte,
Bevor das Aeußerste geschehn,
Den Grafen rührte Wulfhilds Bitte
Und Waldtrauts herzergreifend Flehn.
Darauf nun bauen sie ihr Hoffen,
Daß Jene wie durch Zufalls Spiel,
Als ob sie Albrecht nicht getroffen,
Ankämen, eh' der Würfel fiel.
So soll nun Albrecht sie belehren
Mit mildem Trost und klugem Wort,
Daß nur ihr Bitten noch und Wehren
Des armen Todgeweihten Hort.
Der Weg fliegt unter ihren Füßen,
Vom Jäger scheidet Albrecht bald,
Er eilt dahin mit ernstem Grüßen,
Und Ludolf schlägt sich in den Wald.

Die Andern mit dem Wildschütz langen
Nun endlich auf dem Burgstall an,
Mit Mühe wird der Hirsch gefangen
Im Netz, man wirft ihn nieder dann,
Verschränkt ihm fesselnd alle Viere,
Schleift aus dem Graben ihn mit Macht,
Dann wird zu dem erboßten Thiere
Der Köhler aus dem Thurm gebracht.
Dem Alten selbst, der in der Dauer
Des langen Dienstes viel erfuhr,
Läuft übers Herz ein kalter Schauer,
Und Gerhard spricht: »Herr, meinen Schwur
Halt' ich, was immer Ihr beschließet,
Doch frag' ich als Eu'r ältster Knecht:
Wie wär' es, wenn Ihr diesmal ließet
Dem Mann noch Gnade gehn vor Recht?«
»Im Thurm verschmachten soll in Ketten,
Wer murrt, und wär's der Aeltste hie!«
Bricht los der Graf. – »Kann dich nicht retten,
Bertram,« spricht Gerhard, »beug' dein Knie!«
»Vor Dem? der Hirsch hier hat ein beinern
Kreuzlein in seinem Herzen drin,
Doch Dessen ganzes Herz ist steinern,
Vorwärts!« ruft Volrat, »legt mich hin!«
Bleich stehn die Waidgeselln und zaudernd,
Der Graf stampft wüthend: »Wird es bald?!« –
Waldtraut, wo bleibst du? flichtst du plaudernd
Und lachend Kränze dir im Wald? – –
Nun ist's geschehen; festgebunden
Der Köhler auf dem Hirsche liegt,
Der angstvoll, wie gehetzt von Hunden,
Mit seiner Last bergabwärts fliegt.

Im Walde lauernd unterdessen
Harrt Ludolf einsam in der Schlucht,
Da, wo nach menschlichem Ermessen
Der Hirsch hinwenden muß die Flucht.
Wenn Albrecht Wulfhild nicht gefunden,
Und wenn vergeblich Waldtrauts Flehn, –
So grübelt er; langsam wie Stunden
Ihm die Minuten hier vergehn.
Da oben war's, wo zwischen Eichen
Ihn selbst der rauhe Köhler band;
Doch Waldtrauts Vater ist's, ausstreichen
Will er die Schmach mit eigner Hand,
Er bückt sich nieder, um zu lauschen:
Der Vogel, der ein Aestchen knackt,
Der Blätter Fall, des Windes Rauschen
Erschreckt ihn, daß ihn Zittern packt.
Ihm ist so bang zu Muth geworden
Wie Einem, dem's im Sinn nicht liegt
Zu retten, nein! der nur zu morden
Schon die gespannte Armbrust wiegt.
Er horcht und horcht und hört nur klopfen
Sein eignes Herz bewegt und schnell,
Und wie dort Tropfen fällt auf Tropfen,
Fühllos wie Pendelschlag, im Quell.
Jetzt! jetzt! herauf vom Thale klingt es,
Es rauscht und donnert, schlägt und kracht,
In Sturmeseile näher dringt es, –
Mit deiner ganzen Seele Macht,
Schütz, halte fest! wie sich auch thürmen
Hoffnung und Furcht! – Da kommt's gebraust,
Der Jäger fühlt's vorüber stürmen
Mehr, als er's sieht, er schießt, – da saust
Vorbei der Hirsch und ach! verloren
Ist der nun, den er retten will,
Fern tönt das Rauschen ihm zu Ohren,
Doch horch! – auf einmal Alles still.
»Getroffen!« jubelt er, »gerettet!«
Und springt hinan und fliegt und schwebt,
Da liegen Hirsch und Mann gebettet
Im grünen Gras, und Volrat lebt! –

Nicht viele Worte giebt's zu sagen,
Wie aufrecht schon der Köhler steht,
Doch Hand ruht fest in Hand geschlagen,
Und Aug' in Auge übergeht.
»Nimm hin,« spricht Volrat, »was ich habe,
Waldtraut sei dein! nur Eins versprich –
Nein! hörst du's? Rache! krächzt der Rabe,
Bei Thomas Münzer findst du mich!«


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