Julius Wolff
Der wilde Jäger
Julius Wolff

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XIV.

Die Erstürmung der Burg.

Klarer, kühler Herbsttag heute.
Wenn der Wind fährt in die Bäume,
Ist's nicht mehr ein üppig Wühlen
Und ein wonnig Untertauchen
In des weichen Sommerlaubes
Flüssig Wogen, Wippen, Wiegen;
Rasselnd klingt es schon und prasselnd,
Wenn er jetzt die Zweige schüttelt
Und die hartgewordnen Blätter
An einander schlägt, es knittert,
Pfeift und knackt schon in den Aesten,
Auch schon welke Blätter wirbeln
Durch die Luft, und rothe Beeren
Glänzen an halb kahlen Sträuchen.
Um die Treseburg im Thale
Ist's lebendig; Spieße starren,
Schwerter, Hakenbüchsen, Kolben,
Sensen selbst, und all das Werkzeug,
Das des Landmanns Hand voll Schwielen
Schwingt im friedevollen Kampfe
Mit der heimatlichen Scholle,
Ist zur fürchterlichen Waffe
In derselben Hand geworden,
Die mit der Verzweiflung Nothschrei
Sich zum Himmel reckte schwörend,
Jede Burg im Land zu brechen.
Und da sind sie, denen längst schon
Schreckenskunde weit vorausging,
Und die hinter sich nur Wüstung
Und verkohlte Trümmer ließen,
Die zum Bund verschwornen Bauern.
Trummenschlag und Pfeifen tönten
Durch das Thal, und in den Dörfern
Läuteten zum Sturm die Glocken.
Da aus allen Hütten schlüpften
Sie herbei, leibeigne Knechte,
Freie Bauern, Bergmannsknappen,
Hungernde, verdorbne Leute;
Was zu des gemeinen Mannes
Sache hielt, der ausgesogen,
Bis aufs Blut gepreßt, gequält war,
Das rottirte sich zusammen.
Ach! es war ein bös Gesindlein,
Bunt bewaffnet und bekleidet;
Der in abgerißnem Kittel,
Der in ritterlichem Schmucke
Oder zugestutztem Meßkleid,
Pickelhaube oder Gogel,
Lodenwamms und Pluderhose,
Eisenschurz und Krebs und Armzeug.
In dem wüsten Durcheinander
War viel Toben und Gelärme,
Und mit Hut- und Becherschwenken
Grüßten die am Fuß des Berges
Jede Handvoll frischen Zuzugs,
Der von Nirgendheim, Fehlhalde,
Bettelrain und Hungerberge
– Also hießen sie's – daher kam,
»Loset, was ist für ein Wesen?«
Rief man ihnen schon entgegen,
»Können vor Pfaffen und Adel nit genesen!«
War die Antwort, und dann schrien sie:
»Hei! wir woll'n im Lande brennen
Bei den Junkern, daß der Herrgott
Auf dem Regenbogen blinzeln
Und die Beine an sich ziehn soll!«
Mitten in dem hellen Haufen
Flog ein Fähnlein frei im Winde,
Darauf waren Christi Leiden,
Papst und Kaiser abgebildet,
Vor dem Kreuze kniet' ein Bauer,
Und darüber war ein Bundschuh.
Hauptmann dieses Bauernhaufens
War der Köhler Bertram Volrat,
Trug den Sturmhut auf dem Kopfe,
Büffelwamms mit Panzerärmeln,
Einen breiten, kurzen Degen
Und hielt handlich in der Rechten
Einen Feuerspieß. Die Augen
Blickten sicher, thatentschlossen,
Und sein Wort fand stets Gehorsam.
Treulich ihn zur Seite schwebte
Wie ein guter Engel Waldtraut,
Die, als sie die Burg verlassen,
Seinen Spuren schnell gefolgt war
Und sich nicht mehr von ihm trennte.
Wenig Wochen eines Lebens
Voller Gräuel und Gefahren
Hatten Waldtrauts ganzes Wesen
Sehr verändert, und zur Jungfrau
War die holde Mädchenknospe
Aufgeblüht in Sturm und Wetter.
Größer schien sie, voller, reifer,
Und inmitten aller Roheit,
Die sie auf den Rachezügen
Stets vor Augen hatte, war sie
Reines Herzens doch geblieben,
Selbst die kecksten der Gesellen
Ehrten sie wie eine Heil'ge.
Alles bot sie auf, das Schicksal
Von der Burg Graf Hackelberends
Abzuwenden, doch vergeblich.
Allzu tief und fest gewurzelt
War der wilde Haß der Bauern
Auf den Ritter, und die Bitten,
Selbst die heißen Thränen Waldtrauts,
Sie verklangen und verhallten
Wie des Vögleins banges Klagen,
Wenn der Sturm braust. Sie erreichte
Endlich nur, daß man das Leben
All der andern Burgbewohner
Und vor allen ihres Ludolfs
Und Wulfhilds versprach zu schonen.
Dennoch wollte sie beim Kampfe
Selbst zugegen sein, um muthvoll,
Wenn es galt, mit ihrem Leibe
Die Bedrohten noch zu schirmen.

Abend war es, Feuer brannen,
Daran Kuh und Kälber schmorten
Aus dem Kloster Himmelgarten,
Das man neulich erst geplindert
Und dann eingeäschert hatte.
Bauern lagen dran und schürten,
Zechten vom geraubten Weine,
Würfelten um Beutestücke
Oder sangen wüste Lieder.
Volrat ließ die Trommel rühren,
Hielt Gemeinde, und zum Ringe
Trat ein Jeder, dem's beliebte,
Von den Rottenmeistern aber
Und den Führern fehlte keiner.
Volrat sprach: »Ich sandt' ans Burgthor,
Gütlich Uebergabe fordernd,
Freien Abzug Jedem bietend
Außer Einem, doch sie weigern's.
Also morgen mit dem Frühsten
Wollen wir das Nestlein stürmen.«
»Hauptmann,« sprach ein Knecht, »sie sagen,
»Hackelberend sei gestorben.«
»Nein, bei Gottes Bart! ich glaub's nicht!
Wenn der Teufel ihn schon hätte,
Würden sie das Thor wohl öffnen,«
Rief der Köhler, »fragt nur Hartmann,
Den zur Burg hinauf ich sandte,
Der hat ihn in seiner Rüstung,
Die uns Allen hier bekannt ist,
Selber auf der Wehr gesehen.
Ihr von Wendefurt und Stiege,
Altenbraak und Hasselfelde,
Die am meisten ihr gelitten
Von der Grausamkeit des Wilden,
Stürmt zuerst, ich werd' euch führen.«
Sprach ein Bauer aus Allrode:
»Willst du nicht vorher dem Grafen
Den Artikelbrief noch senden,
Ob er nicht gemeine Sache
Mit uns macht und sich uns anschließt?«
»Kennst ihn noch nicht besser, Schnecke?«
Höhnte Volrat, »wenn's ein Hirsch wär',
Ja ein Schmalthier nur, das Bess'rung
Seines Daseins von ihm heischte,
So bedächt' er sich am Ende,
Doch ein ringer Mann gilt nichts ihm,
Drum soll ihm auch nichts vergunnt sein,
Als zu sterben, doch ich sag's euch:
Keiner rühr' ihm an das Leben,
Das ist mein nach Glimpf und Fug!
So verkündet euren Rotten
Und damit Wohlhin!« – Sie thaten,
Wie ihr Hauptmann kurz befohlen.

Auf der Burg gab's trübe Stunden,
Falkenier und Bogenspanner
Waren kaum von dem Begräbniß
Mit dem Hengst zur Burg gekehret,
Als die ersten Bauernschaaren
Sich schon sammelten im Thale,
Und es blieb den Burggenossen
Nicht der Schatten eines Zweifels,
Was bevorstand, Jeder wußte,
Welchen Krieg die Bauern führten.
In dem großen Thurmgemache
Saßen Abt, Wulfhild und Albrecht,
Als der Falkenier mit Ludolf
Und dem Bogenspanner eintrat,
Um der Bauern nahen Anmarsch,
Den sie selbst gesehn, zu melden.
Schnell fuhr Albrecht hoch vom Sitze:
»Flugs die Brücke aufgezogen!
Schließt das Thor, und Jeder rüste
Sich zum Streite!« rief er herrisch.
Da schritt auf ihn zu Abt Paulus,
Und in seinen blauen Augen
Blitzte jugendliches Feuer:
»Junker, halt! ich bin der Aeltre,
Mir gebührt, hier zu befehlen,«
Sprach er mit entschiednem Tone.
»Ihr, hochwürd'ger Herr?« frug Albrecht
Staunend und mit leisem Spotte,
»Euer Kleid und Amt in Ehren,
Doch zum Kriegeshandwerk taugt's nicht.«
»Meint Ihr, Junker? nun so wisset,«
Rief der Abt, »ist aus dem Ritter
Denn einmal ein Pfaff geworden,
Kann der Pfaff zur rechten Stunde
Wieder auch zum Ritter werden;
Und vom Kriege, Junker Albrecht,
Hab' ich mehr als Ihr gesehen,
Manches Jahr saß ich im Sattel,
Manche Schlacht hab' ich geschlagen,
Und ich hoffe, nicht verlernt' ich's,
Umzugehn mit Schwert und Lanze,
O wie schlägt mein Herz vor Freuden
Und Begier, noch mal zu streiten!
Bin aus adligem Geschlechte,
Bin des Grafen Hackelberend
Jugendfreund und Waffenbruder
Aus dem blut'gen Schwabenkriege,
Egon heiß' ich, Graf von Hordorf.«
Rasch zusammen zuckte Gerhard,
Stieren Auges, offnen Mundes
Blickt' er auf den Abt und sagte:
»Herr, wie heißt Ihr? Graf von Hordorf?
Herr, von meinem gnäd'gen Ritter
Hab' ich an den Grafen Hordorf
Eine Botschaft, die er sterbend
Auf die Seele mir gebunden –«
»Ist nicht nöthig mehr, dein Ritter
Hat mir's selbst noch ausgerichtet,«
Rief der Abt, »jetzt gebt den Harnisch
Eures Grafen und sein Schwert mir!
Wird mir grade passen, mein' ich,
Hier der Helm, seht an, er sitzt ja!
So in seiner eignen Rüstung
Will ich gegen die Rebeller
Meines Feindes Burg vertheid'gen!«
Von sich warf er Kreuz und Kutte,
Ließ sich schnell von Bruno wappnen. –
Nein, kein Mönch, ein Ritter war es
Aus den Zeiten Maximilians,
Der da stand in Helm und Panzer
Hoch und kräftig; Alle blickten
Voll Verwundrung und Vertrauen
Auf ihn hin, mit dem als Führer
Däuchten ihnen Thurm und Mauern
Ihrer Burg noch eins so sturmfest.
Einzig Gerhard sah noch immer
Auf den Abt in Grimm und Mißmuth,
Ja, er schwankte eine Weile,
Ob er nicht den Burggenossen
Alles offenbaren sollte,
Was sein Ritter ihm vertraute
Von dem Grafen Egon Hordorf,
Um dann ihres Herren Todfeind,
Diesen Abt sammt seinen Knechten
Aus dem Burgstall zu verweisen.
Doch dann kam die Üeberlegung;
Vier entschlossne, tapfre Streiter
Waren in der harten Fehde
Sehr willkommene Verstärkung,
Und der Abt war waffenkundig,
Kriegserfahren, schon sein Ansehn
Wirkte mannhaft und gebietend
Auf den Falkner; darum schwieg er
Und gehorchte wie die Andern.
Schleunig ward das Thor verrammelt,
Rüstung, Waffen und Geschosse
Auf dem Burghof und der Letze
Zur Vertheid'gung ausgebreitet,
Während Wenzel auf die Bauern
Scharfe Wache hielt von oben.
Nachmittages ward des Feindes
Auffordrung zur Uebergabe
Kurz und schroff zurückgewiesen,
Und die Nacht durch blieb es ruhig.
Aber wie das Augenfunkeln
Wilder Bestien, die im Kreise
Hungernd ihre unentrinnbar
Sichre Beute schon umlauern,
Glommen, von der Burg aus sichtbar,
Rings im Thal die Lagerfeuer.

Als es wieder Tag geworden,
Flog ein Gruß hinauf zur Veste,
Der noch nie im Thal gehört war.
Donnerähnlich, daß ein Echo
Von den Bergen wiederhallte,
Kracht' ein Schuß, und an den Bergfried
Pochte eine Eisenkugel,
Daß von dem Gemäuer bröckelnd
Schutt und Steine niederfielen.
Durch das Thal auf schlechtem Wege
Langsam nur dem Haufen folgend
Waren über Nacht im Lager
Zwei Feldschlangen eingetroffen,
Und der Stücke Meister hatte
Eins gerichtet und die Ladung
Auf die Burg als Guten Morgen
Sicher treffend abgefeuert.
Auch der Schuß des zweiten folgte,
Doch man sah nicht, wo er einschlug
Das war für die Burgbewohner
Eine böse Ueberraschung.
Unter all den guten Waffen
War kein Feuerrohr im Rüsthaus,
Denn einmal für allemale
Hatte Hackelbernd verboten,
Eines auf die Burg zu bringen,
Weil er die Erfindung haßte.
Büchsen und Karthaunen machten
Nun die Bauern, die an Zahl schon
Hundert gegen Einen standen,
Auch an Waffen überlegen,
Und wenn auch den Eingeschloss'nen
Nicht der Muth sank zur Vertheid'gung,
Gab es doch bei der Entdeckung
Ernste Mienen auch im Burghof.
Wulfhild sah das, und entschlossen
In den Kreis der Männer tretend
Sprach sie flammend in Begeist'rung:
»Hört mich an! ich kämpfe mit euch
Gegen diese Bauernhorden.
Meine Ehre und mein Leben
Will ich so wie ihr vertheid'gen,
Mit euch stehen oder fallen.
Schüttelt nicht das Haupt, Graf Hordorf!
Glaubt es mir, vom besten Schützen
Lernt' ich eine Armbrust spannen,
Lernte zielen, lernte treffen,
Und wenn's dann aufs Letzte ankommt,
Weiß ich auch den Speer zu führen.
Wulfhild heiß' ich, o verachtet
Nicht die Kraft in meinem Arme!
Keines Bauern Fell und Leben
Ist so zäh wie das des Wolfes,
Den ich einst im Kampf bezwungen.
Aus der Kemenate holt' ich
Meinen Spieß und meine Armbrust,
Legte an den Schuppenpanzer,
Leicht, stahlhart und fein von Arbeit,
Meine edle Ahnfrau trug ihn,
Und er wird auch mich beschützen.
Sehen sollt ihr, daß ein Weib auch
Streiten kann, und geht's zu sterben,
Wohl! so sei's in euren Reihen,
Nicht von eurer Seite weich' ich!«
Wie sie dastand! hehr und herrlich,
Eine stolze Schlachtenjungfrau.
Leise zitterte ihr Körper,
Und ihr Busen wogte heftig.
Doch Abt Paulus sprach mit Nachdruck:
»Jungfrau, nein! wo Männer bluten,
Ist kein Platz für Eures Gleichen.
Fügt Euch meinem Wort und schließt Euch
Mit den andern Frau'n und Mädchen
In den festen, sichern Bergfried.
Dort vertraut auf den Allmächt'gen
Und auf uns, die ohne Zagen
Euch mit unserm Leib und Leben
Schützen und beschirmen wollen.«
Wulfhild faltete die Stirne
Und – bezwang sich, doch auf Albrecht
Blickte sie wie bittend, fragend.
Der sah tief ihr in die Augen,
Zögerte und sprach bewegt dann:
»Wulfhild, thu' es mir zu Liebe!«
Heiße, dunkle Purpurröthe
Ueberzog da Wulfhilds Antlitz,
Ihre Augenlider schloß sie,
Und es schien, als ob sie wankte
Und nach Athem rang und Fassung.
»Ihm zu Liebe? Ihm zu Liebe?
War' es dennoch, dennoch möglich?
Albrecht, sprach das deine Liebe?«
Also klang's in ihrem Herzen,
Doch kein Wort kam von den Lippen.
Einen unaussprechlich süßen
Blick noch warf sie auf den Edlen,
Und dann wandte sie sich langsam
Zu den Frau'n, die um sie standen:
»Mädchen, kommt! Er will's, sie wollen's!«
Aber Elsbeth und auch Christel,
In des schweren Augenblickes
Ueberwallenden Gefühlen
Vor dem Kampf auf Tod und Leben
Alle Scheu vergessend, warfen
Sich jetzt Valentin und Tile
In die Arme, Abschied nehmend
Wie auf Nimmerwiedersehen.
Dann erst folgten sie Wulfhilde
Und den Andern in den Bergfried.
Paulus, wieder ganz ein Krieger,
Wies nun Jedem seinen Posten,
Gab Befehl und Unterweisung
Und ermahnte seine Mannen
Zur Besonnenheit und Vorsicht,
Denn es schritten die Belagrer
Schon zum Angriff und erstiegen
Siegsgewiß den niedern Burgberg.
Jetzt begann der Kampf, und balde
Hatt' er hüben auch und drüben
Sich mit Heftigkeit entsponnen.

Gegen das Gebot des Köhlers
Klomm den Berg hinan auch Waldtraut,
Barg sich hinter einer Buche,
Wo dem bittern Streit sie zuschau'n
Und auch die erkennen konnte,
Die im Burgstall auf der Letze
Sich mit Schultern, Kopf und Armen
In den Mauerluken zeigten,
Um von der gespannten Armbrust
Ihren Pfeil hinabzuschnellen.
Ach! in Aengsten schlug das Herz ihr
Wußte sie gleich, daß den Liebsten
Man zu schonen gern gewillt war,
Konnte doch von den Geschossen
Eins ihn ohne Absicht treffen
Oder auch im Handgemenge,
Wenn das Burgthor erst gesprengt war,
Ihn der Todesstoß erreichen.
Schon ward Schuß um Schuß gewechselt,
Pfeile schwirrten, Kugeln pfiffen,
Aus den Hakenbüchsen kracht' es,
Und vom Thal in langen Pausen
Donnerten die Eisenschlangen.
Um den Graben auszufüllen
Vor der Pforte, schlug man Bäume,
Packte Aeste, rollte Steine
Und warf Erde in die Senkung,
Doch gefährlich war's und Mancher
Mußt' es mit dem Leben büßen.
Von vier Seiten war nur eine
Zu vertheid'gen, die der Graben
Mit der aufgezognen Brücke
Und der feste Thorthurm schützte.
An den andern drei verbot sich
Durch des Felsens steile Höhe
Jeder noch so kühne Angriff,
Und die schmale Bergeslehne
Bot den ungeduld'gen Feinden
Wenig Raum nur zur Berennung.
Immer zügelloser drängten
Sie von unten nach und schoben
So die Vordersten ins Treffen,
Daß die wenigsten von ihnen
Deckung fanden vor den Bolzen
Der Belagerten im Burgstall
Und der Kampf auf diese Weise
Aus den Reihen der Belagrer
Viele blut'ge Opfer heischte.
Manchesmal im Lauf des Tages
Schien, geschreckt durch Tod und Wunden,
Fast erschöpft der Muth der Bauern,
Denn sie wichen, und das Schießen
Wurde schwächer, ja zuweilen
Gab es einen kurzen Stillstand
Im Gefecht, und die im Ringwall
Faßten eine leise Hoffnung,
Daß der Sturm zurückgeschlagen,
Kühlten sich die heißen Stirnen,
Ruhten selbst auch und erquickten
Sich mit einem kräft'gen Trunke,
Den die beiden Klosterbrüder
Ihnen aus dem Keller brachten.
Doch nicht lange währt's, dann ging es
Wieder los. Der Köhler Volrat
Hatte es sich zugeschworen
Hoch und fest, die Burg zu stürmen,
Um den Grafen Hackelberend,
Seinen Todfeind, zu erreichen,
Den er ohne allen Zweifel
Jetzt erst recht noch lebend glaubte,
Weil die Burg so unerschrocken
Und so gut vertheidigt wurde.
Selber schoß er nicht, doch selber
Schien er wirklich unverwundbar.
Seines Lebens gar nicht achtend
War er überall der Erste,
Stets voran, kein Bolzen traf ihn,
Doch mit Ruf, Befehl und Beispiel
Feuert' er die Kampfgenossen
Mächtig an, nicht nachzulassen,
Stachelte sie auf mit Worten,
Sie an dies und das erinnernd,
Was dem Einen oder Andern
Hackelbernd zu Leid gethan.
Und das wirkte. Die Erbittrung
Stieg mit jeder neuen Wunde,
Die ein Pfeilschuß aus der Veste
Einem Bauern schlug; verwegen
Suchten sie mit allen Kräften
Jetzt den Graben an der Brücke
Auszufüllen, rafften, rissen,
Was beweglich, aus der Erde,
Warfen es hinab und sandten
Einen Hagel von Geschossen
Auf die Burg in blindem Wüthen.

Ruhig zielten, sicher trafen
Mit dem Stahle die Bedrohten,
Denn die wackern Waidgesellen
Sammt dem Abt und seinen Knechten
Waren lauter gute Schützen.
Alle waren unversehrt noch,
Tile nur, der allzu keck sich
Vorgewagt, hatt' einen Streifschuß.
»Hast gesehn? Potz blau!« rief Bruno,
»Das war einer von des Grafen
Schwarzen Pfeilen, ja die ziehen!«
Ludolf hatt' auf seinem Posten
Waldtraut längst erspäht, und heftig
Stritten sich ihm die Gefühle.
Angesichts der Heißgeliebten
Mußt' er hier doch für sein eignes
Und das Leben der Genossen
Schonungslos und ehrlich streiten,
Seines Ritters Burg vertheid'gen
Und das edle Fräulein schirmen
Vor den rohen Bauernfäusten.
Aber härter noch und schwerer
Wogte ihm der Kampf im Busen,
Daß er die, auf deren Seite
Waldtraut stand, erschießen sollte,
Und es bebte ihm die Waffe
In den Händen, wenn er zielte,
Bebte, weil sein Herz so klopfte.
Gerhard rief ihn an: »He! Ludolf!
Hast schon wieder fehl geschossen!
Geh' dort auf die andre Ecke,
Wo du nicht dein Mädel sehn kannst,
Und laß Velten hierher kommen.«
Er gehorchte, und kaum hatte
Er mit Valentin gewechselt,
Als den Troßknecht auf der Stelle
Eine Kugel niederstreckte.
Bruno an der nächsten Luke
Sah ihn fallen und rief wüthend:
»O verfluchtes Höllenfeuer!
Feige Memmen schießen, sicher
Vor des Bolzens weit'stem Fluge,
Mit dem schwarzen Teufelskraute
Einen braven Kerl danieder!
Ist das waidgerecht? ich würde
Mich vor einem Bären schämen,
Mit dem Rohr auf ihn zu halten!
Möchte meinen treuen Schnepper
An der Mauer hier zerschlagen,
Schützenkunst und ehrlich Fechten,
Mit euch beiden ist es aus jetzt!«
Und in Hand und Auge legt' er
Seinen Zorn und schoß und traf.
Selten nur kam aus dem Thale
Noch ein Schuß der Eisenschlangen,
Aber eine heiße Kugel
Hatt' ins Vogelhaus getroffen,
Aus dem Dache schlug die Flamme,
Und es stieg ein dunkler Qualm auf.
Draußen jubelten die Bauern,
Und der Köhler schrie herüber:
»Wollt ihr endlich euch ergeben?«
»Niemals!« rief der Abt herunter.
Wenzel lief zum Vogelhause,
Nahm den Falken ihre Fesseln,
Ließ sie fliegen, und sie schwangen
Alle sich empor zur Freiheit.
Ausgefüllt war jetzt der Graben,
Und die ersten Stöße fielen
Dröhnend, schütternd gegen's Burgthor
Und die aufgezogne Brücke.
Ein gefällter Baum ward Sturmbock,
Aexte halfen nach und Karste
Hieben, schmetterten und bohrten,
Daß in Splitter brach das Holzwerk.
Bohlen wichen aus den Fugen,
Balken stürzten, und zertrümmert
Sank das halbe Burgthor krachend
Nieder in des Thurmes Wölbung.

Heiß noch war der Kampf im Durchgang,
Der verrammelt und versperrt war,
Und zwei Klosterknechte fielen.
Nahe schon dem Ziele, räumten
Beutegierig die Erstürmer
Alles Bollwerk weg und drangen
Triumphirend in den Burghof,
Wo der Tapfern kleines Häuflein
Todesmuthig jeden Fußbreit
Ihren Siegern streitig machten.
In der Gegenwehr Verzweiflung
Schwirrte wuchtig mancher Hieb noch,
Doch der Uebermacht erliegend
Wurden Waidgeselln und Knechte
Bald entwaffnet, fast kein Einz'ger
Ohne blut'gen Riß am Leibe.
Volrat setzt' es durch, daß Keinem
Noch ein Leid geschah, wie Rache
Auch um die gefallnen Brüder
Die erhitzten Kämpfer spornte.
Albrecht aber, der den Bauern
Nimmer sich ergeben wollte,
Und in dem sie an der Kleidung
Einen adeligen Junker,
Keiner Gnade werth, erkannten,
Fiel im Kampf, zum Tod verwundet.
Nur der ritterliche Abt noch
Focht in Hackelberends Rüstung
Furchtbar mit dem Schwert sich wehrend
Wie sein Wappenthier, der Eber,
Und nicht Einer konnt' ihn fällen.
Aber jetzo drang der Köhler
Auf den Platz, wo Jene kämpften,
Und den Ritter dort erblickend
Sprang er wie ein Tiger wüthend:
»Hackelberend, mach' dich fertig!«
Auf ihn los, zerschlug den Arm ihm
Und stieß ihm die Hellebarde
Tief durch ein Gelenk des Panzers
In den Leib, daß Paulus hinsank
Und der Helm vom Haupt ihm rollte.
Da erkannte erst der Köhler
Fast bestürzt, daß einen Andern
Er gefällt hier, als er suchte.
Doch das bracht' in neue Wuth ihn:
»Wo ist Hackelberend?« schrie er
Sich zum Abte niederbeugend,
»In der Hölle wirst ihn finden,
Geh' und such' ihn!« sprach verscheidend,
Der ein Pfaff war und ein Ritter.

In den Burghof, selbst kaum wissend,
Wie sie war hinein gekommen,
Stand an Ludolfs Seite Waldtraut
Stillbeglückt, und auch der Köhler
Schüttelte die Hand dem Eidam.
Aus dem Bergfried aber brachten
Bauern die gefangnen Mädchen,
Und ein junger Riesenstarker
Trug hohnlachend auf den Armen
Die vor Scham und in Verwirrung
Fast verzweifelnde Wulfhilde.
Ihre beiden Hände hielt er
Fest umklammert wie im Schraubstock,
Doch er blutete am Halse.
»Vater, rette sie!« rief Waldtraut.
Volrat brauchte Kraft und Ansehn
Und entriß dem Ungefügen
Mit Gewalt die schöne Beute,
Sie in Waldtrauts Obhut stellend.
Elsbeth aber und die Mägde
Waren aus den kecken Armen
Ihrer Räuber nicht zu retten.
In den Burggemächern hausten
Plündernd mit Geschrei und Raufen
Nun die Sieger, nahmen Waffen,
Kostbarkeiten und Gewänder.
Andre drangen in den Marstall,
Um die scheugewordnen Rosse
Auch als Beute mitzuführen.
Da ertönten Schreckensrufe.
Aus dem Stalle war der Rapphengst
Ausgebrochen und schlug um sich,
Sprengte in den dichten Knäuel
Auf den Hof, unbändig, rasend.
Ihm entgegen trat der Köhler,
Ihn zu greifen; doch der Rappe
Bäumte sich empor und ragte
Ueber aller Männer Häupter
Wie ein wilder, schwarzer Dämon,
Und mit fürchterlichem Schlage
Des mit Eisen schwer beschuhten
Vorderhufes traf zerschmetternd
Er des Köhlers Schädel, lautlos
Brach der starke Mann zusammen.
Wunsch mit weitem Sprunge setzte
Ueber ihn hinweg und brauste
Stürmend durch die Bauernhaufen
Aus dem Thor den Berg hinunter,
Alles vor sich niederrennend,
Was im Weg war, Niemand fing ihn.

In des Burghofs stillstem Winkel
Stand ein Lindenbaum, darunter
Zog sich eine Bank von Rasen.
Hier lag Albrecht schweigend, sterbend.
Vor ihm kniete, mit den Armen
Ihn umschlingend und ihr Haupt
An die Brust ihm lehnend, Wulfhild.
Um sie, wie zum Schutze, standen
Gerhard, Bruno und Agnete.
Wulfhild beugt' ihr thränend Antlitz
Nah zu seinem und sprach leise,
Oft von Weinen unterbrochen:
»Was ich nie bei deinem Leben
Dir gestanden, Albrecht, will ich
Dir zum Todesabschied sagen:
Dich hab' ich geliebt so innig,
Wie dich mehr kein andres Wesen
Hätte jemals lieben können, –
Ach! du scheidest, meine Liebe
Stirbt mir nicht in meinem Herzen, –
Keinem andern Manne werde
Jemals diese Hand ich reichen, –
Noch in meiner letzten Stunde
Denk' ich dein, du Heißgeliebter!«
Leise winkt' er mit den Augen,
Und ein schwacher Druck der Hand nur
Sagte, daß er wohl verstanden.
Da auf seine Lippen drückte
Sie den ersten und den letzten
Kuß, ein mildes Lächeln schwebte
Um den Mund ihm in Verklärung,
Und sein letzter Seufzer wehte
Wie ein Lenzhauch in die Herbstluft.
Weinend lag sie an der Leiche;
Gerhard sagte: »Kommet, Fräulein!
Bruno wird den edlen Todten
Ungekränkt zur Ruhe bringen,
Aber ich mit meinem Weibe
Will Euch jetzt getreulich leiten
Nach dem Quedlinburger Reichsstift
Zur Aebtissin Gräfin Stolberg,
Die Euch wie mit Mutterarmen
Wird umfangen, so vermein' ich.«
Wulfhild hob sich, nahm von Waldtraut
Kurzen, thränenreichen Abschied
Und ging mit den beiden Alten
Aus der eingerannten Pforte.

Als sie auf den Berg gekommen
Gegenüber, der den Burgberg
Ueberragte, wandte Wulfhild
Einmal noch die Blicke rückwärts.
Hier, am Weg zum Wodansmale
Hatte sie wie oft! gestanden.
Herrlich lag, von hier gesehen,
Mitten in den grünen Bergen,
Wie ein Kleinod wohl behütet,
Ihrer Väter Burg, jetzt aber
Loderten die hellen Flammen
Draus hervor, und Wulfhild hörte
Noch von fern das wilde Jauchzen
Und den Kriegsgesang der Bauern,
Die ihr stolzes Heim zerstörten. –
Weiter schritten die Beraubten,
Und von des Gebirges Kamme
Sahen bald das weite Land sie
Und die Thürme gastlich winken
Sammt dem alten Kaiserschlosse,
Ihrer Wandrung Ziel. Da plötzlich
Hörten sie ein leises Sausen
In der Luft wie Flügelrauschen,
Und sieh da! auf Wulfhilds Schulter
Ließ sich sanft ihr Lieblingsfalke,
Ihr getreuer Blaufuß nieder.
Lächeln mußte sie in Thränen,
Und den Vogel streichelnd sprach sie:
»Kommst du wieder denn zu Handen,
Lieber, letzter, treuer Freund mir?
Nun so bleibe, komm und gehe,
Wie du magst, in Freiheit fliege
Und auf meiner Schulter sitze,
Schwebe um mich wie Erinn'rung
An die Tage meiner Jugend.«
Da erhob sich Blaufuß wieder,
Schwang sich über ihr in Kreisen,
Flog bald nahe und bald ferne
Ihr voraus und blieb bei Wulfhild.


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