Olga Wohlbrück
Du sollst ein Mann sein
Olga Wohlbrück

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Menschen

Über sechs Jahre waren seit dem Tode der Frau Dr. Labisch vergangen.

Markus Lukas war jetzt vierundzwanzig Jahre alt. Er hatte längere Zeit im Kontor des Bremer Exporthauses Reimar Lukas gearbeitet – still und gewissenhaft, hatte sein Jahr abgedient und war dann mit einem leichten Knacks, infolge eines Sturzes vom Pferde, ins Elternhaus zurückgekehrt. Der Arzt hatte einen Aufenthalt im Süden angeraten. Herr Reimar Lukas expedierte seinen Ältesten nach Ceylon, von dort sollte er sich nach Brasilien einschiffen. Der Kaufherr gab ihm schwerwiegende Empfehlungen mit, die ihm eine glänzende Aufnahme in der ersten Gesellschaft sicherten. Markus sollte nichts tun, als sich erholen, und dem Vater ausführliche Briefe über den Stand der Plantagen und die ferneren Handelsaussichten schreiben.

Markus erwies sich auch als Korrespondent durchaus zuverlässig und gewissenhaft. Seltsamerweise vermißte der Kaufherr in den Berichten eine gewisse Wärme, wie er diese Wärme ja auch in der Arbeit vermißt und damit erklärt hatte, daß Markus eben nur seinem Pflichtgefühl nachkam, indem er sein Gebot erfüllte.

Aber daß der Anblick der wundervollen tropischen Natur, der Aufenthalt in einer von märchenhaftem Luxus umgebenen Gesellschaft so spurlos an ihm abglitt – das gab dem Kaufherrn doch zu denken.

Markus kam gebräunt und gekräftigt von der Reise zurück, mit Geschenken beladen. Frau Lukas, mit immer gleich frischem Kindergesicht auf den sehr rundlichen Schultern, forderte energisch eine genaue Schilderung des dortigen Lebens, und Markus antwortete:

»Was würdest du sagen, Mami, wenn du in den Blumen statt Tautropfen – Brillanten fändest? So war dort mein Eindruck.«

Mami, die nach wie vor mehr zur einfachen Ausdrucksweise neigte, schüttelte den Kopf.

»Versteh' ich nicht, Markus.«

Markus lächelte.

»Siehst du, Mami, dort schützen sich die sogenannten kultivierten Leute vor allem, was die Natur an Licht, Wärme, Pflanzen und Tieren mehr gibt, als bei uns. Sie haben förmlich Angst vor all dem Überfluß der Natur und tragen all ihre Künstlichkeit hinein; behängen sich mit schweren Kleidern und schweren Steinen, verdrängen die wundervollen Abende und Nächte durch elektrisches Licht, essen Kaviar statt Datteln, tanzen in überhitzten Sälen, statt im Sonnenlicht zu liegen, disputieren und diskutieren, statt zu träumen.«

»Und da hat dir also nichts von alledem gefallen, Markus?«

»Ich kannte das schon, Mami. Es war in Berlin nicht anders. Statt weißer Lakeien – dunkelfarbige Diener, und der Luxus noch gesteigert. Dafür aber auch weniger Geistigkeit. Ein Aufgehen im materiellen Genießen, und die Natur nur als wechselnde Dekoration für Picknick-Ausflüge und elegante Jagden.«

»Und die Arbeit, Markus? Die Plantagen – das großartige Getriebe...«

»Keuchende, schwitzende Leiber in staubiger Glut. Keine Menschen – Tiere. Schlimmer, elender als Tiere, denn sie haben das dumpfe Bewußtsein ihrer Niedrigkeit, ihrer schmerzenden Füße, ihres wie gebrochenen Rückgrats, das ihre Stirn zur Erde beugt...«

Mami schüttelte den Kopf.

»Hatte also Vater recht? Nichts, was dir groß und wundervoll erschien?«

Markus blinzelte mit kurzsichtigen Augen über den Rauch seiner Zigarette hinweg, und ein leises Lächeln huschte wie ein Schatten um seine schmalen jungen Lippen.

»Doch, Mami. Es gab auch Schönes und Großes ... Aber das ließ sich nicht einzwängen in förmliche Berichte an das Haus Reimar Lukas ...«

Alles wurde Leben an der rundlichen Frau mit dem lieben klugen Gesicht, Schelmerei lag in den Augen und große Mütterlichkeit. Sie hob den Zeigefinger:

»Markus, ich glaube gar...«

Aber Markus erhob sich.

»Ein andermal, Mami! Es paßt auch nicht in die Kühle eines Bremer Frühlingsmorgens.«

»Du schlechter Kerl, mit all deinen Geheimnissen!« – –

Herr Reimar Lukas verbrachte seit zwei Jahren Frühjahr und Sommer auf seinem Landsitz, den er etwa eine Stunde Wagenfahrt von Bremen entfernt gekauft hatte.

Das Haus war vom vorigen Besitzer mit all dem etwas zusammengewürfelten Mobiliar übernommen worden. Frau Lukas hatte nur für neue Vorhänge, bunte hübsche Strohmatten und leichte Korbmöbel für die glasgedeckte große Veranda gesorgt, von der aus zwei kurze Seitentreppen mit gewundener Steinrampe in den Garten hinabführten, der nach Art der englischen Gärten mit einem großen Wiesenrondell eingeleitet wurde.

Die jungen Lukasse, von denen der älteste, ein stämmiger untersetzter Junge, übrigens auch schon fünfzehn Jahre zählte, durften das Rondell »bei Todesstrafe«, wie Mami sagte, nicht betreten. Sie hatten tiefer im Garten einen Lawn-Tennis-, einen Krocket- und einen Turnplatz. Dazu hatte man ihnen einen koketten kleinen Schuppen hingebaut, in dem sie ihre Gerätschaften, Spiele, ihre Räder, Angelapparate, ja sogar ein Boot verwahrten. Und davor lag wieder eine kleine, zertrampelte Wiese, mit einem eigenhändig errichteten Zelt.

Neidlos betrachtete Markus das alles. Aber er lächelte, wenn er daran dachte, wie anders seine Kindheit gewesen. Er wunderte sich auch gar nicht, als Mami ihm berichtete, daß die Kinder sehr beliebt in der Schule wären und am Sonntag immer eine Menge Freunde herausbrächten.

Der weitgereiste »große Bruder« war wochenlang vorher mit fieberhafter Ungeduld erwartet worden. Die kurze Pappelallee, die vom Hof bis zum Teich und von dort auf die Chaussee führte, wurde mit selbstgeklebten Papierfahnen dekoriert, wobei besonders viele amerikanische Sternenbanner verwendet wurden, weil mit ihnen die Ideenassoziation von Amerika am lebhaftesten zusammenhing. Die kleinen Lukasse stellten sich den »großen Bruder« nach seiner Heimkehr als eine Art Cowboy vor, mit rotem Hemd, Revolver im Ledergürtel, großen Stulpstiefeln und sonnenschirmförmigem Panama.

Sie waren ein bißchen enttäuscht, als sie im Wagen neben dem Vater dieselbe schlanke, elegante Silhouette erblickten, die sie vom Fenster ihres Bremer Hauses hatten abfahren sehen.

Anders Mami.

Seit ihre Jungen so selbständig und kraftvoll in sich und an sich Genüge fanden, sich ihren sorgenden Händen und mütterlichen Zärtlichkeiten auf robuste Knabenweise zu entwinden suchten – empfand sie zum ersten Male seit vielen langen Jahren eine Leere. Und als sie Markus an sich drückte, und er ihre Freude in seiner warmen, etwas versonnenen Art erwiderte und sie mit Augen ansah, die eine noch reichere und eigenere Sprache redeten als seine Lippen, da fühlte sie die Leere ausgefüllt, und Markus rückte über all die vier lärmenden, robusten, selbständigen jungen Lukasse hinweg an dieselbe Stelle, wo er einst als kleiner Junge Alleinherrscher gewesen.

Herr Reimar Lukas trat auf die Veranda heraus.

»Nun, wie ist's, Markus, bist du so weit? Der Wagen wartet!«

»Selbstverständlich, Papa!«

Herr Lukas, der nie gesprächig gewesen, war während dieser Morgenfahrten besonders schweigsam. Und Markus liebte dieses Schweigen an ihm, liebte das Schweigen, das um diese Morgenstunde auf der breiten, von Birken gesäumten Chaussee lag.

Und Herr Reimar Lukas freute sich seines ruhigen, in sich abgeschlossenen Sohnes, der würdig den Namen Lukas verkörperte.

»Ist das nicht Rykerts Wagen?«

»Ja, Papa, ich glaube. Übrigens hört man's am Gerassel!«

Markus konnte selten ein Lächeln unterdrücken, wenn er mit seinem Vater an »Rykerts Karrete« vorbeifuhr. Es war ein alter, schäbiger Landauer mit zwei fetten, bockbeinigen Schimmeln bespannt, die um zwanzig Minuten länger nach der Stadt fuhren, als der Lukassche Braune. Aber Rykert war eigensinnig und wollte nichts von neuem Fuhrwerk wissen, trotzdem er über eine Million Jahreseinnahme verfügte.

Wenn sich Herr Lukas beim Frühstück im Ratskeller mit leiser Ironie nach dem Befinden seiner Schimmel erkundigte, lachte Rykert vor sich hin:

»Dank' ooch, Herr Lukas, dank' ooch! Ein paar Jährchen werden sie's noch machen. Länger, als ich vielleicht, und werden mich hinausführen zu meiner letzten Fahrt.«

Rykert hatte dann jedesmal ein Tränlein im Auge, denn er war sehr wehleidig, wenn er an das Ende dachte oder daran, daß an seiner alten Ordnung etwas gestört werden könnte.

Er war ein kleiner, sehr runzeliger Mann, mit scheuen Bewegungen und hastigem, ängstlichem Sprechen. Es war immer, als müsse er jeden um Verzeihung bitten, daß er der reiche Rykert sei. Wenn er zu Fuß ging, drückte er sich an den Häusern entlang, niemals sah man ihn auf der Sonnenseite gehen, und im Ratskeller saß er in der dunkelsten Nische. Ging er mit jemandem aus, so blieb er immer einen halben Schritt zurück, und wollte man ihm beim Eintreten den Vortritt lassen, so weigerte er sich entschieden, voranzugehen, und schlüpfte gleichzeitig mit dem anderen durch die Tür, so daß er sich ganz klein und schmal machen mußte.

Über seine Frau wußte man wenig. Die einen sagten, sie wäre eine Dame von Adel, die anderen, sie sei eine Künstlerin gewesen. Frau Rykert war jedenfalls eine hohe, imposante Erscheinung, sehr kühl und unnahbar, die ihrem großen, aber fast spartanisch einfach gehaltenen Hause mit vieler Würde vorstand.

»Eine Dame«, sagte Herr Lukas, wenn er von ihr sprach.

Und im übrigen wäre er der letzte gewesen, der dem Stammbaum einer Frau, die für ihn »Dame« war, nachgeforscht hätte. Seit zwei Jahren stand das Haus Lukas mit dem Hause Rykert auf Besuchsfuß. Die Nachbarschaft der Landsitze und die gelegentlichen gemeinsamen Frühstücke der Herren im Ratskeller hatten die Annäherung bewirkt. Man war beiderseits wohlhabend genug, um ein paar Millionen mehr oder weniger nicht als Verkehrshindernis zu betrachten. Und wenn Rykert auch wirklich der Reiche, so war Herr Lukas der vornehme der beiden. Rykerts Vermögen war noch sehr neu.

Mit krankhafter Besorgnis vermied er alles, was wie Parvenütum aussehen konnte, und verfiel damit ins andere Extrem. Man sagte ihm Geiz nach, weil er das schlechteste Fuhrwerk hatte, die einfachsten Anzüge trug und die billigsten Weine auf seinen Tisch stellte. Mit seinem Sohne Bernhard stand er auf gespanntem Fuße.

Das war ein sehr eleganter und sehr schöner Mensch, der den größten Teil des Jahres in London, Paris und an der Riviera zubrachte, zwei Monate im Jahre Zigaretten im väterlichen Kontor rauchte und diese Zeit im übrigen nur dazu verwendete, beim Vater eine größere Anleihe zu machen.

Der Lukassche Braune hatte die beiden Schimmel bald eingeholt.

Rykert hob den Strohhut und verneigte sich hastig ein paarmal mit dem Oberkörper.

»Morgen, Herr Lukas! Morgen!«

»Morgen! Um zwölf im Ratskeller, nich?«

»Jawohl, Herr Lukas, jawohl ... um zwölf.«

Herr Reimar Lukas und sein Sohn grüßten nochmals, um doppelt höflich zu sein, als sie eine Dame an Rykerts Seite gewahrten.

Auch die Dame neigte den Kopf, den ein in den Farben sehr diskreter, in der Form sehr moderner Hut beschattete. »Das wird seine Tochter Kamilla sein«, sagte der Kaufherr. »Sie hat beinahe zwei Jahre in Paris bei der Marchesi studiert und ist wohl jetzt zurückgekehrt.«

Um zwölf trafen sich die Herren in der dunkelsten Nische des Ratskellers. Weit sichtbar war der Tisch als »Stammtisch« bezeichnet. »Millionentisch« wurde er von einigen eingeweihten Bremern genannt, die die reichsten Kaufherren ihrer Stadt von Ansehen kannten.

Rykert aß jeden Morgen sein Beefsteak à la tartare. Der Kellner brachte es ihm bereits angerichtet, mit einer extra fein zubereiteten Mayonnaise als Überguß.

»Daß Sie dieses rote Zeug vertragen!« sagte Herr Lukas kopfschüttelnd.

Aber Rykert stürzte sich mit wahrer Gier darauf.

»Im Winter muß ich immer warmes Ochsenblut trinken, das ist noch schlimmer!«

Markus vermied es, die dünnen, bläulich weißen Lippen des kleinen Mannes anzusehen. Er sah sie fortan immer von Blut gefärbt, wie die eines Vampirs.

»Tja ... meine Tochter kommt auch noch her. Sie hatte Besorgungen in der Stadt. Da kommt sie gerade.«

Rykert sprang hastig auf, wobei die Gabel und seine Serviette zur Erde fielen, und ging einer schlanken, großen Dame entgegen, die sich mit von der Sonne geblendeten Augen im dämmerigen Gewölbe umsah.

»Ach – da bist du, Papa!« Ein ruhiger, tiefer Mezzosopran. Langsam und sicher trat sie näher.

Rykert stellte vor:

»Meine Tochter Kamilla ... Herr Reimar Lukas ...«

Der Kaufherr ergänzte mit einer eleganten Gebärde:

»Mein Sohn ...« Sie neigte ruhig den Kopf, ohne die Hand zu reichen.

»Darf ich Ihnen die Pakete abnehmen?« fragte Markus höflich.

»Bitte!«

Sie überließ ihm die vielen, durch ein Hölzchen verbundenen Päckchen, ohne ihn anzusehen, und wendete sich an den Vater:

»Was ißt du? Beefsteak tartare? ... Schön, mir auch.«

Und während sie sich mühte, die langen dänischen Handschuhe aus den unzähligen schmalen Gold- und Silberreifen herauszuziehen, die ihren Arm umschlossen, konnte Markus sie ungestört beobachten.

Sie hatte schöne, regelmäßige Züge, blutleer, wie aus Elfenbein geschnitzt. Die Brauen kanteten in geraden Strichen eine niedere, schmale Stirn ab, unter der heraus zwei große grüne Augen seltsam ruhig hervorleuchteten. Dunkelblondes Haar fiel in großen, natürlichen Wellen auf die weißen, schmalen Schläfen.

Der Duft eines aufreizenden Parfüms ging von ihr aus.

»Mir scheint jetzt, als wäre ich wieder in Ceylon«, sagte Markus und führte ihre Handschuhe ans Gesicht. »Welches Parfüm benutzen gnädiges Fräulein?«

»Eine eigene Mischung.«

Markus hielt noch immer ihre Handschuhe fest. Sein Gesicht schien etwas bleicher, seine schlanken Finger bebten leicht.

»Das hätte ich mir eigentlich denken können. Es ist unheimlich, wie nahe einem Vergangenes durch einen bestimmten Duft gebracht werden kann.«

Ein kaum merkliches Lächeln erhellte für einen Augenblick ihr strenges Gesicht und gab ihm einen entzückenden Liebreiz.

»Die Mischung wurde mir in Paris von einem Missionar, der lange in Indien gelebt hatte, verraten. Die einheimischen Frauen salben sich an großen Festtagen mit den Ölen. Man sagt dort, sie würden dann unwiderstehlich und sehr glücklich in der Liebe. Aber sie hüten ihr Geheimnis.«

Markus pochte das Blut in den Schläfen.

»Ich hatte eine kleine Freundin auf Ceylon. Wenn sie abends durch den Garten ging bis zur Hängematte, in der ich lag, dann duftete alles um mich herum. Auch sie hat ihr Geheimnis nicht verraten, so sehr ich sie darum bat. Aber sie schenkte mir am letzten Tage ein Brusttuch, das ganz getränkt war von dem Duft. Ich gab es in ein Kästchen, und wenn mich die Sehnsucht nach jenen Tagen packt, dann hebe ich den Deckel.«

»Wissen Sie, was das beweist?«

»Nun?«

»Daß Frauen in der Liebe stärker sind als Männer. Sie müssen mir noch vieles von ihrer kleinen Freundin erzählen.«

Erst jetzt fiel es Markus auf, daß er bis heute noch überhaupt zu keinem von der Indierin gesprochen, dem schlanken, goldbraunen Kind, in dessen Armen er zum Manne geworden und das er zum Weibe gemacht in einem unbeschreiblichen Rausch traumhafter, plötzlich erwachter Sinnlichkeit.

Die kleine Maloya war Nichte eines Plantagenaufsehers. Sie lief herum zwischen den Feldern am Abend, wenn alles zur Ruhe gegangen war, als suche sie ein Lager, auf das sie sich niederstrecken könne. Und wenn die Schatten der Nacht sich tiefer auf das Dickicht der Palmen senkten, und der Mond aufging, dann ließ sie ihr schmutzigbraunes Röckchen herab, das ihr kaum die schmalen Fesseln deckte, und stieg in die klare Flut des Sees, der wie ein mondbeschienener Spiegel im Schweigen der Nacht dalag.

Und sie schwamm mit ihren schlanken, braunen Gliedern, kunstlos, wie Katzen schwimmen, mit gurgelnden Lauten kindlicher Freude.

So erblickte Markus sie zuerst, als er sich, um dem Summen der Moskitos zu entfliehen, mit erregten Nerven, übermüdet vom heißen Wachen, von seinem Lager erhob und, nur mit einem rohseidenen Morgenanzug bekleidet, den Weg nach dem See einschlug.

Er freute sich auf das einsame Untertauchen im mondhellen Wasser – hastig warf er den Anzug ab und glitt schwimmend in großen, klassischen Bewegungen durch die Flut. Und plötzlich hörte er gurgelnde, lachende Laute ... wie eine köstliche Bronze ragte der Körper der kleinen Maloya aus dem Schilf empor.

»Was machst du da?« rief er herüber.

Und sie antwortete, ebenfalls englisch, nur mit dem drolligen Akzent ihres Stammes:

»Was die Fische machen: ich schwimme. Darf ich nicht?«

»Doch, du darfst ... komm, schwimm an meiner Seite!«

Er dachte keinen Augenblick daran, baß sie beide zwei junge, nackte Menschenkinder waren, allein in stiller, schweigender Nacht. Und ihr knospiger, brauner Mädchenleib schmiegte sich vertrauensvoll in seine Hand, als er sie das »richtige Schwimmen« lehrte. Entzückt folgte er den wundervollen Bewegungen ihrer schlanken Arme, den Biegungen ihres fast kindlichen Körpers. Und so viel Schönheit lag über den beiden jungen Menschen, daß kein unreiner Gedanke sich in die Keuschheit dieser Stunde drängte.

»Danke, Herr, jetzt kann ich gut schwimmen«, sagte das Mädchen.

Sie stieg nun aus dem Wasser und ließ ihre langen, schwarzen Haare wie einen Mantel um ihre Gestalt herabfallen. Man sah nur noch die kleinen braunen Füße und die edelgeformten Knie, wenn sie beim Gehen durch die Haarwellen durchschimmerten.

»Wie weiß du bist, Herr!« sagte sie, als er vom Schilf noch halb bedeckt am Ufer entlangschritt.

»Dein Körper leuchtet im Monde. Darf ich dich anfassen?«

Und wie ein kleines Kind tippte sie mit ausgestrecktem braunen Finger auf Markus' Schulter.

Da überkam ihn plötzlich sein erster großer, köstlicher Rausch. Er umschlang sie mit starken Armen, und wie sie sich lachend zurückbog, küßte er sie auf ihre breiten, festen, weißen Zähne.

So hatte es angefangen  ...

Markus hielt noch immer Kamillas Handschuhe. Er war sehr bleich  ...

»Wie findest du Fräulein Rykert?« fragte Mami abends.

Ihr Gesicht war voll gespannter Aufmerksamkeit, beinahe etwas unruhig.

Markus sagte:

»Sie ist sehr schön. Sie ist groß und von unbeschreiblicher Distinktion. Wenn sie da ist, muß ich an die wundervollsten Stunden meines Lebens denken. Ich glaube, sie ist ganz anders, als alle anderen Frauen.«

Die gute, kleine Frau Lukas seufzte schwer auf.

»Der Vater wünscht, daß der Verkehr mit Rykerts ein recht lebhafter wird.«

Es lag beinahe etwas Lauerndes in ihrem Ton und darunter etwas wie Angst. Markus stand mit dem Rücken zu ihr. Sie konnte nur sein fein geschnittenes Profil sehen und den tiefen Mundwinkel, der ihn so viel älter erscheinen ließ, als er wirklich war. »Hast du gehört, Markus?« fragte sie.

»Ja ...«

Sie trat auf ihn zu und strich ihm mit ihrer weichen, kühlen Hand über die Stirn.

»Dein Kopf ist so heiß, Markus, und du riechst so merkwürdig...«

»Das ist ihr Parfüm, Mami. Es setzt sich einem in den Kleidern und in den Poren fest!«

»Es macht Kopfschmerzen!«

Frau Lukas ging ein paar Schritte auf der Veranda und blieb dann plötzlich wieder stehen.

»In den Gerichtsferien muß Kurt Labisch herkommen. Es taugt nichts für dich, hier allein zu sein. Hier wird dir alles zum Gespenst.«

Markus lächelte.

»Du kluge, kleine Mami!«

Sie fuhr fort:

»Kurt könnte so eine Partie gebrauchen. Es heißt, sie bekommt zehn Millionen mit.«

Markus zuckte die Achseln.

»Das ist keine Frau für Kurt!«

»Für dich?«

Kaum hörbar kamen die zwei Wörtchen von den Lippen der kleinen, runden Frau. Markus aber fuhr zusammen, als hätte man neben ihm aus einer Pistole geschossen.

»Was ist das für ein Unsinn, Mami?«

Sie hatte ihn noch nie so außer sich gesehen. Seine Augen waren ganz dunkel unter den finster zusammengezogenen Brauen.

»Sag' das nie mehr, hörst du! Nie mehr! Es ist so häßlich von euch – so kleinlich, immer nur das eine zu sehen in allem – alles einfangen zu wollen in plumpe Worte ... kannst du den Duft einfangen, kannst du? Du spürst ihn und weißt nicht mal, woher er kommt! Laßt das doch ein für allemal, laßt das!«

Er ging die wenigen Stufen hinunter in den Garten, ohne sich umzusehen.

Frau Lukas blieb kopfschüttelnd, sorgenvoll auf der Veranda zurück.

Der Diener knipste das elektrische Licht an und schloß die Tür, die ins Zimmer führte, um den Nachtfaltern den Einflug zu wehren.

»Befehlen gnädige Frau den Tee hier?«

»Ja ...«

Und da Herr Reimar Lukas gerade vor der Veranda stand, beugte sie sich über die Brüstung in den Garten.

»Hast du Markus gesehen?«

»Ja, er lief an den Teich. Diese Abendbäder werden ihm noch schlecht bekommen. Er hat den Maßstab verloren für klimatische Unterschiede.«

Frau Maria Lukas lachte wieder.

»Wie gut du das wieder gesagt hast, Reimar. Das ist es nämlich.«

»Was?« fragte er ziemlich verständnislos.

»Nennt man es nicht Tropenkoller, Reimar?«

Und sie stieg hinunter in den Garten zu ihrem Manne. Aus den geöffneten Fenstern der Kinderzimmer klang ein vierstimmiger Kanon.

Herr Reimar Lukas drückte den Arm seiner Frau fest an sich.

»Was glaubst du, Maria, kann das Haus Lukas bestehen auch ohne Markus?«

»Wie meinst du das, Reimar?« Sie sah ihn erschrocken an. Er beruhigte sie mit einem Lächeln.

»Nicht im bösen, Maria. Aber ob Reimar Lukas' Nachfolger Markus oder Erich heißt – der Ehre des Hauses gilt's wohl gleich.«

Die kleine Frau Lukas schwankte zwischen Weinen und Lachen.

»Du mußt nicht glauben, Reimar, daß es Erichs wegen ist, wenn ich froh bin.«

»Das weiß ich«, antwortete der Kaufherr ruhig. »Aber laß nur allem Werdezeit. Markus gibt sich Mühe. Mühelos soll ihm nichts in den Schoß fallen.«

Die kleine Frau Lukas schmiegte sich vertrauend an ihren großen, ernsten Mann, und sie wandelten ruhig Seite an Seite in den schmalen Gartenalleen, während der Diener auf der erleuchteten Veranda den Teetisch herrichtete und die Lichter in den oberen Zimmern allmählich erloschen.

Am nächsten Sonntag machten die Damen Rykert Besuch.

Markus kramte in allerlei alten Briefen und Papieren, als er die Rykertsche Karrete heranrasseln hörte. Sie bog in den Hof ein und nahm die Auffahrt wie ein großes Hindernis. Er sah Kamilla an der Seite ihrer Mutter.

Beide Damen saßen sehr gerade und vornehm in dem alten, gräulichen Kasten, und als Kamilla sich auf den Arm des Dieners stützte, der ihr aus dem unbequemen Wagen half, ward ein nicht sehr kleiner, aber edel geformter Fuß unter dem Saum ihres weißen Libertykleides sichtbar.

Markus fühlte wieder das leise Beben in den Gliedern, das ihm damals im Ratskeller alles Blut zu Herzen gejagt hatte, und die warme Sommerluft, die durch die Ritzen seiner herabgelassenen Jalousien hereindrang, schien ihm wieder erfüllt von dem vertrauten Duft. Dann saß er an Mamis Seite, den beiden Damen gegenüber.

Mami machte krampfhafte Anstrengungen, Frau Rykert zu unterhalten, die aber alle an ihrer unnahbaren, verschlossenen Art abprallten.

Kamilla saß lässig zurückgelehnt im Sessel und hielt ihre grünen Augen in stiller, aufmerksamer Höflichkeit auf die lebhafte kleine Hausfrau gerichtet.

Der Kaffee wurde auf der Veranda serviert. Der Kaufherr fragte mit liebenswürdiger Ironie, wie lange die Extrapost mit den Schimmeln gebraucht habe, um hierher zu kommen.

Kamilla lächelte.

»Ich begreife ja überhaupt nicht, daß man heutzutage noch per Wagen fährt. Die Abhängigkeit von den Tieren – «

» – wird durch die Abhängigkeit von der Maschine ersetzt«, ergänzte Herr Lukas mit kaum merklichem Spott.

»In gewissem Sinne ist alles Abhängigkeit. Es kommt nur darauf an, die Grenzen so weit wie irgend möglich auszudehnen.«

Die kleine Frau Lukas machte ganz runde Augen. Sie blickte hilfesuchend zu ihrem Gatten hinüber. Aber er lächelte nur eigen und gar nicht entsetzt über Ansichten, die ihm aus dem Munde einer Frau höchst unsympathisch hätten sein müssen.

»Ergänzung ist alles im Leben«, sagte er. »In der Ergänzung liegt die Harmonie!«

»Unterwerfung ist Harmonie«, sagte Frau Rykert herb. »Meine Tochter war zu lange selbständig.«

»Zu lange nicht, aber lange genug, um den Wert der Selbständigkeit zu schätzen.« »Vielleicht zeigst du Fräulein Rykert den Garten und deine Sammlung, Markus?« schlug Frau Lukas hastig vor.

Kamilla erhob sich mit leichtem Lächeln.

»Gewiß. Ungezogene Kinder schickt man am besten vom Tisch. Also gehen wir ... Herr ...«

»Markus«, fiel der Kaufherr ein.

In seinem sonst so strengen Blick lag Wohlgefallen an dem schönen, eigenartigen Geschöpf. Die kleine Frau Lukas konstatierte es mit heimlichem Befremden.

»Also gehen wir, Herr Markus.«

Kamilla raffte mit einer eleganten Bewegung die kurze Schleppe ihres weißen Kleides zusammen und schritt langsam zum Garten hinab.

Vom Spielplatz her schallte das Lachen und Schreien der jungen Lukasse herüber.

»Wollen Sie sehen, wie die Kinder spielen?« fragte Markus.

Sie zuckte kaum merklich mit den geradlinigen Brauen.

»Muß es sein? Nein? Dann lassen wir's lieber. Ich mache mir nichts aus Kindern, und ich verstehe es nicht, mich mit ihnen zu unterhalten.«

»So geht es mir eigentlich auch«, meinte Markus lächelnd. »Schon seit der Schule, da ich selbst noch ein Kind war. Meine kleine Mami war und blieb mein einziger Spielgefährte.«

»Das ist wohl Ihre Stiefmutter?«

»Das Wort hat einen unschönen Klang, der nicht zu unserem Verhältnis paßt.«

»Sie geben viel auf Äußerlichkeiten?«

Er blieb stehen. Seine lichten Augen ruhten zum ersten Male unbefangen, prüfend auf ihren wie aus Elfenbein geschnitzten Zügen.

»Sehr viel«, sagte er endlich mit starker Betonung.

»Sie müssen mir jetzt von Ihrer kleinen Freundin erzählen.« Das klang beinahe wie ein Befehl.

»Warum ... was soll ich Ihnen erzählen? Es ist doch alles längst vorbei!«

»Was nennen Sie – längst?«

»Monate können zu Jahren werden durch einen Tag!«

Die untergehende Sonne tauchte die Gestalt des jungen Mädchens wie in Purpur. Er schloß geblendet die Augen, und die aufreizende Duftwelle wogte so stark über ihn hin im leichten Wehen der blühenden Zweige, daß ihm das junge Blut brausend zu Kopf stieg.

»Geben Sie mir Ihre Hand«, bat er leise.

Sie reichte ihm ruhig lächelnd die Linke. Und es nahm sich aus, als wollten sie beide in graziösem Menuett die kleine Allee hinabtänzeln. Aber plötzlich ließ er ihre Hand los und lehnte sich an einen Baumstamm, beschämt, unfähig, zu sprechen.

»Was ist Ihnen, Markus?«

»Ich liebe Sie«, sagte er einfach, während sich fahle Blässe auf seine Wangen legte.

Sie lächelte nicht mehr. Kerzengerade stand sie vor ihm, und ihre grünen Augen senkten sich in die seinen, fast ausdruckslos in ihrer schweren Ruhe.

»Ich glaube es Ihnen, Markus. Aber die anderen würden es nicht glauben oder mißverstehen. Nehmen Sie sich zusammen!«

»Verzeihen Sie ... Ich werde nicht mehr darüber sprechen.«

»Doch ... Sie können darüber sprechen ... So meinte ich es nicht.« Er führte sie im Garten umher, im Park. Er erzählte von seiner Kindheit. Sie hörte schweigend, zerstreut zu.

»Haben Sie nicht ein Bild von Ihrer kleinen Freundin?« fragte sie plötzlich.

Eine leichte Röte stieg ihm in die Schläfen.

»Nein ... Doch ... Keines, das ich Ihnen zeigen könnte.«

Aber einen Augenblick später holte er seine Brieftasche heraus und zog eine nicht auf Karton geklebte Photographie hervor, eine Liebhaberaufnahme, wie er sie auf seinen Reisen zu machen pflegte. Das Bildchen stellte die kleine Indierin dar, wie sie mit spitzen Zehen auf einem Stein stand und aus dem Schilf emporragte. Eine schöne, kleine Statuette von unendlicher Keuschheit in der reinen Linie ihrer knospigen Gestalt.

»Wollen Sie mir das Bildchen schenken?«

Er zuckte zusammen, aber sein Zögern währte kaum die Dauer eines Gedankens.

»Was mein ist – gehört Ihnen«, sagte er.

Und die Stimme wurde ihm heiser dabei und die Augen dunkel vor übermächtiger Erregung. Denn es war das Teuerste, was er besaß.

»Ich darf damit machen, was ich will?«

Markus senkte schweigend den Kopf zum Zeichen der Zustimmung.

Sie waren längst, ohne es gewahr zu werden, aus dem Park herausgetreten und wandelten langsam am Ufer des Teiches, der mit seinem klaren Wasser wie ein kleiner See dalag.

Schlanke rosige Wölkchen und hellgrüne Streifen wie leichte Bänder schwebten verstreut über der stillen Fläche.

»Es darf Ihnen aber gewiß nicht leid sein«, sagte sie noch leiser und ließ ihre tiefen grünen Augen nicht ab von ihm.

»Nein ...«

Es klang wie erstickt, und halb wendete er sich ab.

Sie aber streifte einen Ring mit schimmerndem, mandelförmigem Opal vom Finger und wickelte ihn in das kleine Bild, riß sich eines ihrer langen Haare ab und knüpfte es um das Bildchen mit dem Opalring. Dann stieg sie die Stufen zum Badehaussteg hinauf, streckte, am äußersten Ende angelangt, den Arm aus über das Geländer und ließ das Päckchen herabfallen in das klare Wasser, das es wie ein Trichter aufsog  ...

Ein kaum hörbarer, plätschernder Laut, dann leichte, stahlblinkende Kreise, einer immer größer als der andere, bis die Wasserfläche ruhig und still blieb wie zuvor, und nur schlanke, rosa Wölkchen und hellgrüne Streifen wie leichte Bänder darüber hinschwebten.

»So senkt man Tote ins Meer!« sprach Kamilla Rykert und kam zurück zu Markus.

»Ich weiß – so geschah es meiner Mutter, als sie heim wollte aus Amerika!«

Sie sahen einander an. Beiden klopfte das Herz.

Markus saß seinem Vater gegenüber im dunklen Bremer Arbeitszimmer.

Nichts hatte sich darin verändert seit jenem Tage, da der kleine Knabe zitternd auf der Ecke des Stuhles gehockt und der Vater ihm mit wenigen kurzen Worten alles genommen, was seinem jungen Leben Bedeutung und Inhalt gewesen.

Der Kaufherr sprach langsam, eindringlich, nicht ohne Achtung für die strenge, selbstüberwindende Zucht, die Markus die sechs Jahre über bewiesen.

»Du kannst dem Schicksal danken, daß es dir Brüder gegeben, die die Bürde der Verantwortung für unser Haus auf ihre Schultern nehmen können. Du brauchst nicht zu leugnen, daß dir die Jahre hier wie eine schwere Gefangenschaft erscheinen, die nur durch deine Reise unterbrochen wurde. Du hast diese ›Gefangenschaft‹ mit Anstand ertragen, und sie hat dich vielleicht gelehrt, in Freiheit zu leben. Schon darum sind diese Jahre keine verlorenen!«

Der Kaufherr beugte den ergrauten, bedeutenden Kopf über ein Schriftstück, das vor ihm lag. Markus bemerkte zum ersten Male einen müden, welken Zug um seine energische Lippenlinie. Dieser Zug rührte ihn mehr, als ihn jemals die Tränen einer Frau gerührt hatten. Das waren Linien, die das Leben jenen eingräbt, die nie ein Wort der Klage aussprechen, die ohne rechts oder links zu sehen, auf dem Pfad der Pflicht einherschreiten.

»Ich habe dir eine Aufstellung deines Vermögensanteiles gemacht. Im selben Maße, wie deine Brüder durch ihre Existenzen dir die Verantwortung für unser Haus abnehmen, hat sich dein persönliches Besitztum verringert. Du bist wohlhabend, Markus – was man wohlhabend nennt in bürgerlichen Kreisen – du bist ein Bettler gegen ... Kamilla Rykert.«

Markus machte eine heftige Bewegung.

»Laß mich ausreden!«

Es war der alte Ton, der keinen Widerspruch ertrug. Markus suchte seine Nervosität zu verbergen, indem er eine Zigarette aus der Tasche holte, – aber der Vater sagte:

»Nicht rauchen jetzt.«

Und in altem Gehorchen legte er die Zigarette nieder.

»Du sollst dich nicht betäuben, dich selbst nicht belügen, du sollst klar und nüchtern wissen, was du tust, wenn du den Weg der Freiheit betrittst. In deine persönlichen Empfindungen mische ich mich nicht hinein. Fräulein Rykert ist dir sympathisch, es liegt kein Grund vor, daß du sie nicht zu deiner Frau machst. Wenigstens habe ich bisher keinen Grund finden können.«

Er betonte das »ich« auffällig, und ein leises Lächeln schürzte seine schmalen Lippen.

»Du darfst um ihre Hand anhalten. Du wirst keinen Korb bekommen. In deinem eigensten Interesse aber mache ich dir einen Vorschlag: es ist Rykerts Ehrgeiz, sich geschäftlich mit dem Namen Lukas zu assoziieren. Auf das unpersönliche ›Lukas & Co‹ würde Rykert gewiß mit Recht – nicht eingehen ... Auf das ›Lukas & Rykert‹ kann ich nicht eingehen – für Bremen wenigstens. Anders in Berlin. Für dort habe ich die Möglichkeit einer auf Gleichheit beruhenden Assoziierung unserer Namen erwogen. Im Grunde nur Zweigbüro – nach außen hin ein fast selbständiges Haus mit hier auslaufenden Fäden. Für Rykert bedeutet das die Erfüllung seines lebhaftesten Wunsches. Ich kann ihn nur erfüllen, wenn ein Lukas Chef dieser Firma wird. Willst du dieser Chef sein? Rykert würde seiner Tochter die Millionen dann nicht als einfach verzinsbare Mitgift geben, über die sie freies Verfügungsrecht hätte, sondern als Einlage in ein Geschäft, dessen geringere Einlage das Haus Lukas durch seinen Namen kompensiert. Hast du mich verstanden? ...«

Markus' Augen leuchteten.

»Ja. Und ich danke dir, Vater.«

Der Kaufherr hielt die Hand seines Sohnes fest in der seinen.

»Du sollst ein Mann sein, Markus – auch der Frau gegenüber, der du dienst!«

Markus hätte sich in diesem Augenblick vierteilen lassen für den Vater.

Markus war verlobt.

Er fand es lächerlich, einen fremden Herrn um etwas zu bitten, was ihm innerlich schon längst gehörte.

Aber Herr Reimar Lukas bestand auf einer förmlichen, korrekten Erledigung.

»Du sollst dir nichts leicht machen, Markus. Ich möchte es nicht, daß du dich vor einer Notwendigkeit drückst, nur weil sie dir Unbehagen schafft!«

Und so saß denn Markus dem zappeligen, kleinen Manne mit den blutleeren Lippen gegenüber und brachte seine Werbung in artigen, verständigen Worten vor.

Es fehlte dieser Stunde die Würde, die sie immerhin eindrucksvoll hätte machen können.

Rykert verbeugte sich immerwährend.

»Aber jawohl, Herr Lukas ... aber natürlich, Herr Lukas, aber bitte sehr ... Große Ehre für meine Tochter ... bitte Sie, die alte Firma ... Lukas ... Reimar Lukas ... aber, mit Vergnügen, Herr Lukas.«

Und dabei krähte er den Namen Lukas so laut, daß Markus sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte.

Es war grotesk.

Dann sprach er von der Mitgift.

»Ein paar Milliönchen kommen auch dazu, Herr Lukas, und sind nicht zu verachten, nich? Aber meine Tochter ist einfach erzogen, ganz einfach. Wir sind keine Protzen in der Familie.«

Er blähte sich auf. In dem Worte »Familie« sonnte er sich. Es war ein Wort, das auch Herr Reimar Lukas gebrauchte.

Markus drehte mechanisch seinen spiegelblanken Zylinder in der Hand.

Rykert wurde gesprächig, bekam Selbstbewußtsein als zukünftiger Schwiegervater eines Lukas.

»Meine Tochter wollte ein Auto haben. Ich hab's nicht erlaubt. Nein – es soll nicht heißen in Bremen, daß Kamilla Rykert eine Parvenü ist ...«

»Sie müssen Ihre Frau kurz halten, Herr Lukas, glauben Sie mir ... kurz halten! Die Ehe Ihres Herrn Vaters kann Ihnen als Muster dienen.«

Markus litt Qualen. Er erhob sich. Rykert hielt ihn aber noch am Knopf des eleganten, schwarzen Gehrockes fest:

»Und dann, lieber Herr Markus – ,« er neigte sich ganz intim zu ihm hinüber, »wenn Sie Differenzen haben – immer zu mir kommen. Immer zu mir. Nur keine Weiberwirtschaft. Den Brotkorb halte ich in der Hand. Und solange ich ihn halte – tanzt sie nach meiner Pfeife, verstanden? Abgemacht.«

Er schüttelte ihm kräftig die Hand und führte ihn zu seiner Frau hinüber, wobei er sich wieder nach vielen Höflichkeitsbezeugungen an ihm vorbei durch die Tür zwängte.

Frau Rykert saß im Salon in einem schwarzen Seidenkleide, obwohl es ein heißer Sommertag war.

Sie saß, wie immer, sehr gerade und hielt der Form halber eine Stickerei in der Hand.

»Herr Markus Lukas hat uns die Ehre angetan, um die Hand unserer Tochter zu bitten.«

Rykert rieb lachend die Fingerknöchel aneinander.

Frau Rykert reichte Markus ihre schön geformte, sehr hagere weiße Hand. Er küßte sie höflich.

»Jetzt bleibe ich ganz allein«, sagte sie in heftiger Ergriffenheit. Aber im nächsten Augenblick hatte sie sich wieder in der Gewalt. »Ihre Braut ist im Garten, lieber Markus, holen Sie sie herein.« – –

Die Hochzeit war auf Anfang September festgesetzt. Markus arbeitete tagsüber nach wie vor im Kontor. Die Abende verbrachte er manchmal bei Rykerts.

Kamilla war sparsam in Liebesworten und Liebkosungen. Und die feine Zurückhaltung gefiel ihm. Er legte in jedes Wort, das er an sie richtete, etwas von der scheuen Leidenschaft, auf die sein ganzes inneres Wesen gestimmt war, seitdem der romantische Überschwang der Bornholmer Tage und die kindlich frohe Sinnenlust seines Ceyloner Erlebnisses sich in seiner Liebe zu Kamilla zum höchsten und reinsten Liebesempfinden geeint hatten.

Der »Millionentisch« gab dem Bräutigam ein Frühstück, bei dem keine Flasche Wein unter 80 Mark getrunken wurde, aber es wurde dabei fast ausschließlich von Geschäften gesprochen, und nur einmal trank man auf das Wohl des »Fräulein Braut«, wobei eine kleine Stille eintrat und die Gläser sich beinahe geräuschlos aneinander legten.

Daß Markus nach Berlin zog, wurde mit leichter Verstimmung aufgenommen. Aber Herr Reimar Lukas sprach von seinen vier Jungens mit der breiten Ruhe eines Herrschers, der seines Reiches sicher ist. Man ging zur Tagesordnung über, und in der Art, wie man es tat, strich man Markus aus der Runde.

Markus zählte die Tage, die er noch in Bremen verbringen mußte, und freute sich, bei seiner Braut Verständnis zu finden.

»Paris wäre mir noch lieber, als Berlin«, meinte sie.

Er verwies sie auf den Wirkungskreis, den er haben mußte, auf seine Stellung, seine Arbeit.

Es war an einem Sonntagnachmittag, und sie saßen in der »Brautlaube«, wie die jungen Lukasse eine Laube getauft hatten, die sie selbst in aller Eile mit großem Aufwand von Nägeln, Farben und Schlingpflanzen auf dem Wege zu ihrem Spielplatz als »Verlobungsgeschenk« errichtet hatten.

Markus legte in diese scherzhaft gedachte Gabe viel Symbolik hinein.

Auch schien ihm, als wäre Kamilla ihm hier am nächsten – als wären sie beide hier zwischen den vier Lattenwänden losgelöst von allem, was sie an ihre Umgebung knüpfte. Er litt förmlich, wenn er Kamilla in der Nüchternheit ihres Elternhauses sah.

Es war wie nackt und hatte keine Geschichte. Rykerts bewohnten es seit etwa fünf Jahren. Kamillas Jugend hatte sich in Mietswohnungen abgespielt.

Sie erinnerte sich noch an die übliche Fünfzimmerwohnung mit spärlichen Möbeln, einem dunkeln Wachstuch auf dem viereckigen Speisezimmertische.

»Ich war damals wohl sechs Jahre. Später zogen wir sehr oft um – vielleicht alle zwei Jahre. Die Wohnungen wurden immer geräumiger. Auch kamen jedesmal ganz neue Möbel. Ich war dann immer froh, weil ich meinen Schulfreundinnen was Neues zeigen konnte. Dann auf einmal hörte das alles auf. Papa verlangte Einfachheit. Ich bekam nie mehr Schmuck geschenkt, und Mama mußte glatte dunkle Kleider tragen, wir hörten den ganzen Tag immer nur: »Wir können es uns jetzt leisten, ganz einfach zu leben!« Daraus schloß ich, daß Papa sehr reich geworden sein müsse. Der einzig vernünftige war Bernhard. Er kehrte sich an gar keine Vorschriften. Er verspielte fabelhafte Summen. Aber Papa sagte, was draußen geschähe, sei ihm egal. Da bestand ich darauf, nach Paris zu fahren und mich im Gesang auszubilden.«

»Warst du unglücklich zu Hause?« fragte Markus.

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein. Nur langweilig fand ich es. Entsetzlich langweilig, wenn Bernhard kam – ging mir die Sonne auf.«

»Du liebst ihn wohl sehr, deinen Bruder?«

»Ich bewundere seinen Mut, sich über alles hinwegzusetzen, sich das Leben so zu gestalten, wie er will, entgegen allen Drohungen, allen Ansichten. Er ist prachtvoll – wie ein wildes, ungezäumtes Pferd. Die Menschen sind ihm gleichgültig, das Leben ist ihm gleichgültig. Nur die Stunde, in der er atmet und die ihm Neues bringt – die liebt er.«

In den Gerichtsferien wurde Kurt Labisch erwartet. Er hatte seinen Assessor gemacht, und wollte sich im Herbst als Rechtsanwalt niederlassen.

»Ich freue mich auf Kurt«, sagte Maria Lukas, indem sie eine Musterung der im Fremdenzimmer frisch aufzusteckenden Gardinen abhielt.

Markus und Kamilla spielten Schach in einer Ecke der Veranda. Aber sie spielten träge, denn die Sonne brütete auf den Fenstern, und kein Hauch regte sich in der sonntäglichen Mittagsstille.

»Kurt Labisch, ist das der, dessen Mutter – «

»So mußt du nicht sprechen, Kamilla«, schnitt Markus beinahe heftig ab.

» – dir in deiner Kindheit so nahe stand?« ergänzte Kamilla ruhig. »Du bist sehr nervös, Markus!«

»Ja, verzeih ... Ich bin wirklich nervös. Das macht die Hitze.«

Kurt Labisch brachte Leben in die brütende Sommerstille des Lukasschen Landhauses.

Sein kluges, lebhaftes Doggengesicht gefiel den kleinen Lukas' außerordentlich. Sie holten ihn jeden Morgen feierlichst »zum Balgen« ab und versicherten ihn ihrer Hochachtung für seine sportlichen Leistungen. Der Jüngste, Fritz Reimar, ein frischer siebenjähriger Bengel, sagte bei Tisch im Brustton tiefster Überzeugung:

»Der Onkel Kurt ist der Tüchtigste von uns allen!«

Markus kam abends kaum zu ein paar vertraulichen Worten. Aber die Frage: »Wie gefällt dir meine Braut?« war doch die erste, – wie Kurt es auch erwartet hatte.

»Fein, Markus, prima!«

»Mach doch keine Witze«, drängte Markus.

»... Is jar keen Witz. Fein!«

Markus nickte befriedigt.

»Also sie gefällt dir?«

»Nee.«

»Wieso nein?« fragte Markus sehr scharf und sehr hochdeutsch.

»Ja ... mein Junge, du fragst mich doch. Also! Meinem persönlichen Geschmack entspricht sie nicht. Ich muß eine Frau haben wie – na sagen wir: wie deine kleine Mami. Deine Braut is mir einfach zu fein. Die geht mit Glacéhandschuhen schlafen und steht mit Lackschuhen auf. Aber darin mögt ihr ja beide zusammenpassen.«

Markus mußte lachen.

»Ihr werdet euch noch sehr gut vertragen. Kamilla ist ein ganz eigenartiges Geschöpf.«

Kurt hielt sich die Ohren zu.

»Markuschen, tu mir einen Gefallen und sage nicht: eigenartig. Das is fürchterlich. In Bremen sagt man das vielleicht noch. In Berlin is das Wort ganz außer Kurs.«

Markus zuckte die Achseln.

»Mit dir kann man kein vernünftiges Wort mehr sprechen!«

Markus ärgerte sich, daß er Kurt um seinen Eindruck befragt hatte.

Dann gab es nur noch Tatsachen, die gemeinsames Interesse weckten. Die Zeiten der Auseinandersetzungen und Klarstellungen waren vorüber. – – –

Herr Reimar Lukas war in den letzten Tagen des August wortkarger als sonst. Es fiel Markus erst auf, als Mami ihn fragte:

»Hat Vater geschäftliche Sorgen?«

»Papa? Nein. Wie kommst du darauf?«

In dem Wort »geschäftliche Sorgen« lag eine Kleinlichkeit, die Markus in Verbindung mit dem Vater beinahe peinlich war. Das Haus Reimar Lukas kannte nicht einmal Schwankungen – viel weniger Sorgen.

Der Teetisch wurde gedeckt. Der Kaufherr trat mit müdem, überarbeitetem Gesicht aus dem Halbdunkel seines Zimmers.

»Wo sind die Kinder?«

»Hier sind wir, Papa.«

Etwas Freies und Leuchtendes lag über Markus' Gesicht, und auch Kamillas Züge waren bewegter als sonst.

Herr Reimar Lukas hatte Wohlgefallen an seiner schönen Schwiegertochter, und war von feiner, zurückhaltender Galanterie gegen sie. Ihre Ruhe und Schweigsamkeit gefielen ihm. Da lag Rasse drin – das Erbteil ihrer mütterlichen Vorfahren.

Frau Rykerts Großmutter war die Nichte eines Orléans und wurde während der Emigration nach Danzig verschlagen. Sie heiratete einen westpreußischen Edelmann, der später an seinen Jagden und seinen zwei Söhnen verarmte. Die älteste Tochter – Kamillas Mutter – trat als Konzertsängerin auf. Von der Zeit her hatte sie sich die kerzengerade Haltung und das steife Wesen angewöhnt – keiner ahnte ihre arme verhungerte und verprügelte Menschenseele dahinter.

Nur Rykert.

Er war ein großer Psychologe. Das arme vornehme Fräulein paßte ihm in die Kalkulation seiner Zukunft. Die verprügelte Seele fürs Haus, das steife Genick nach außen hin. So brachte er sie nach Bremen.

Und sie blieb still, fügsam und steifnackig – wie er sie haben wollte und wie er sie schätzte.

Die Kinder wurden anders, als er es berechnet hatte. Er hätte sie am liebsten eingestampft und neu geformt. Die vornehme Gleichgültigkeit Kamillas schüchterte ihn manchmal ein. Um sie gefügig zu machen, sprach er ihr von den Millionen, die er ihr schenken würde – im nächsten Augenblick versagte er ihr ein Paar Handschuhe.

Dem Sohne hatte er Unsummen gegeben und ihn schließlich an die Luft gesetzt, mit hämischer Bösartigkeit.

Die Mutter hatte es erreicht, daß Kamilla nach Paris kam, zu einer entfernten Verwandten, angeblich um sie Gesangsstunden nehmen zu lassen, in Wirklichkeit, um sie den seltsamen Tücken des Vaters zu entziehen.

Weil es ein vornehmer Name war, den die Großtante führte, gab Rykert nach: » Madame la Comtesse de Résillac«. Es war seine Marotte: vornehme Namen. Die Gräfin war eine siebzigjährige Greisin, voll mystischer Frömmigkeit. Sie lebte in bedrängten Verhältnissen irgendwo im fünften Stock des Faubourg St. Germain. Am Neujahrstage gaben die Orléanisten bei ihr Karten ab, sonst kümmerten sie sich nicht um sie, überließen sie ihrer alten Dienerin aus Südfrankreich.

Rykert setzte der alten Dame in einer seiner generösen Aufwallungen eine Monatsrente von 500 Franks aus, auf Lebenszeit für den Fall, daß sie Kamilla auf einige Jahre bei sich aufnehmen würde.

Die fünfhundert Franks waren ein Vermögen für die alte Frau. Sie empfing Kamilla mit offenen Armen.

In Paris machte Kamilla Schulden und erfuhr mit Befremden, daß der Vater Schulden leichter zahlte, als daß er ihr freiwillig den Luxus zugestand, auf den sie Anspruch zu haben meinte.

Die Großtante wurde bald die Vertraute ihrer häuslichen Verhältnisse und stellte ihre spiritistischen Experimente in den Dienst ihrer verwandtschaftlichen Anteilnahme.

Ein Missionar, der oft zu den spiritistischen Sitzungen der alten Dame kam, hatte Kamilla eine seltsame Mischung indischer Essenzen aufgeschrieben und ihr geboten, sich stets dieser Mischung zu bedienen und ihren ganzen Willen darauf zu konzentrieren, einem Manne zu begegnen, dem diese Mischung – dem Duft nach bekannt war. »Das würde dann ihr zukünftiger Mann sein.«

Und Kamilla glaubte daran, weil dieser Glaube das einzige war, was sie von dem Druck befreite, unter dem sie lebte.

Drei Tage, nachdem Kamilla in Bremen eingetroffen war, lernte sie Markus kennen.

Markus war in Indien gewesen, er kannte den Duft ihres Parfüms. Kamilla beugte sich dem Schicksal in abergläubischer Furcht.

Das war es, was Kamilla eines Abends, kurz vor der Hochzeit, in kurzen, erregten Worten im Lichtstreifen des dunklen Musikzimmers Markus beichtete.

Da küßte er sie zum erstenmal, wie ein Mann ein Weib küßt, das er sich unter allen als sein Eigen erwählt, und sie erwachte aus ihrer starren Ruhe, sah ihn an mit ihren aufleuchtenden Augen und fragte:

»Werden wir auch glücklich sein, Markus?« – – –

Am nächsten Morgen, während Markus an des Vaters Seite zur Stadt fuhr, sagte der Kaufherr:

»In acht Tagen ist eure Hochzeit. Rykert weicht mir bei der Regelung der finanziellen Fragen merkwürdig oft aus. Es würde mich verdrießen, wenn er uns düpiert hätte.«

Markus fürchtete, ein Wort zu viel zu sagen, und blickte, ohne sich zu regen, geradeaus.

Der Kaufherr fuhr fort:

»Es wäre mir vor allem leid um Kamilla.«

Markus verfärbte sich und wendete dem Vater in heftiger Erregung das Gesicht zu.

»Du meinst doch nicht, Vater, daß ...«

Herr Reimar Lukas unterbrach die Worte des Sohnes durch einen seiner eisigen Blicke.

»Wie gefällig?«

Markus machte eine verlegene Handbewegung.

»Verzeih ...«

Der Vater hatte sein unnahbarstes Gesicht.

»Es gibt Gedanken, lieber Markus, die niemals das Bereich unserer Vorstellungen auch nur streifen dürfen. Gerade dadurch, nicht durch die Handlungen allein, unterscheiden wir uns von den ... anderen.«

Herr Lukas hatte dabei eine unnachahmliche, geringschätzige Gebärde, die alle jene »anderen« dem Straßenschmutz zugesellte, aus dem die Vögel ihre Nahrung holten.

Markus wiederholte nochmals, so leise, daß es in den weichen Schwingungen des Wagens verhallte:

»Verzeih.«

»Meine Sorge um Kamilla ist größer als um dich. Sie glaubt sich zu den höchsten Ansprüchen berechtigt, vielleicht wird sie sich mit bescheidenem Mittelmaß begnügen müssen. Der Sturz wird sie hart treffen.«

»Willst du sagen, daß Rykert...«

Der Kaufherr zuckte die Achseln.

»Es ist gut, daß ihr bald heiratet, gut, daß ihr nicht in Bremen bleibt, vielleicht wird man erst vergessen müssen, wer der Vater deiner Frau ist.«

Markus wagte kaum, den Vater anzusehen, aber in seinem Ton lag eine tiefe, gewaltsam niedergehaltene Erregung.

»Unsere letzten Ernten waren auch nicht besonders«, fuhr Herr Lukas fort. »Es war im ganzen kein erfreuliches Jahr für uns, das weißt du!«

»Und das Berliner Projekt?« fragte Markus.

»Ich bin fürs erste davon abgekommen. Du wirst also ganz deinen Neigungen leben können – wenn ihr euch mit den Mitteln begnügen wollt, die euch aus den Einnahmen des Hauses Lukas zu Gebote stehen werden. So. Nun genug fürs erste darüber. Heiratet. Macht eure Reise. Richtet euch in Berlin ein und sucht eins zu werden, damit euch die Verhältnisse nicht auseinanderreißen.«

Markus war jung. Er fühlte sich der Frau sicher, die er liebte. Das Leben erschloß sich ihm freier noch, als vordem.

»Wenn ich nun doch meinen Doktor machte, um mich der – der Kunstgeschichte zu widmen? Hättest du etwas dagegen, Vater?«

Es dauerte lange, ehe der Kaufherr antwortete. Nun war es doch so weit gekommen, daß sein Ältester sich der Tradition des Hauses entzog, und er es selbst dulden mußte, weil es besser so war.

»Geh, mein Junge, geh deinen Weg – geh ihn nur immer in unserem Sinne ...«

Am Abend vor der Hochzeit stellte Rykert einen Scheck aus für die »Hochzeitsreise«. Der Betrag kam einem stattlichen Jahreseinkommen gleich. Aber zu irgendwelchen festen Versprechungen für die Zukunft ließ er sich nicht herbei. Herr Reimar Lukas reichte den Scheck seiner Schwiegertochter.

»Eine Morgengabe deines Vaters, liebe Kamilla.«

Abends, kurz bevor das junge Paar in den Wagen stieg, der es in die Stadt zur Bahn bringen sollte, trat Herr Reimar Lukas abermals auf seine Schwiegertochter zu.

»Kamilla, jetzt bist du eine Lukas, vergiß das nie!«

Er sagte es streng. Dann nahm er ihr farbloses, schönes Gesicht zwischen seine Hände und küßte sie auf die Stirn.

Rykerts verabschiedeten sich fast gleichzeitig. Er – tänzelnd, lachend, mit vielen Verbeugungen und lauernden Blicken. Sie – wortlos, mit geröteten Augenlidern, trostlos leeren Augen und aufrecht stolzem Nacken. Mami stand unter dem gestreiften Leinendach der Auffahrt. Sie trocknete abwechselnd die Tränen und winkte mit dem Taschentuch. Kurt Labisch hob Fritz Reimar hoch in die Luft, Erich, Heinrich und Hans hatten sich eng zwischen die Eltern gedrängt, und diese hatten die Arme um sie geschlungen und ihre Hände in festem Druck vereint.

So war das Bild, das Markus Lukas mitnahm, als er am 8. September an der Seite seiner jungen Frau das väterliche Haus als Ehemann verließ.

» Ex est!« atmete Kurt auf und stellte Fritz Reimar wieder auf die Beine.

Der Kaufherr schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Sie irren, lieber Kurt. Jetzt fängt's erst an!«

Man trank noch ein Glas Sekt auf das Wohl des jungen Paares, dann erkundigte sich Kurt nach dem ersten Frühzug nach Berlin.

Mit einem leisen, etwas geringschätzigen Bedauern für Markus schlief er diese letzte Nacht unter dem gastlichen Dache des Bremer Kaufherrn. – – – –


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