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8.

Die Freundinnen hielten sich Wort. Von den Briefen, welche die Geheimräthin Livia Mandelsdorf erhalten hatte, ward nicht weiter gesprochen. Die Justizräthin Strahleck nahm beide in Verwahrung, ohne daß ihr Gatte etwas davon erfuhr.

Dauernde Ruhe aber wollte sich durch diese Schweigsamkeit doch weder bei Livia noch bei Laura einfinden, und es währte nicht lange, so äußerte Rudolph Mandelsdorf sein Bedenken über das auffallende Wesen seiner Mutter gegen den Justizrath.

»Ich würde mir diese Schwermuth, die sich zeitweilig ihrer bemächtigt, erklären können,« sprach er, »hätte sie Kunde von dem Schreiben erhalten, dessen Inhalt mir noch immer ein Räthsel ist.«

Strahleck erkundigte sich theilnehmend nach dem Erfolg der Nachfragen, welche der Legationsrath hinsichtlich Paul Wittebooms zu halten versucht hatte.

»Die Sache ist, wie das kaum anders sein kann, mit vielen Schwierigkeiten verbunden,« erwiderte Mandelsdorf. »Die Stellung Wittebooms als Leibdiener war eine zu untergeordnete, als daß Andere, die kein Interesse an dem Manne und seinem Wirken nahmen, sich um ihn bekümmern sollten. So kommt es, daß sich bisjetzt nur die Thatsache seines Aufenthaltes in K.** constatiren ließ. Ungefähr ward auch ermittelt, daß er zwei bis drei Jahre an diesem Orte gelebt hat, und zwar als Diener einer bejahrten Dame, die sich stets sehr zurückgezogen hielt, was den Neugierigsten Anlaß zu allerhand Vermuthungen und Glossen gab. So erklärt sich auch das Verschwinden des Briefes. Ohne Zweifel trug Paul Witteboom denselben in eigener Person nach R., von welcher K.** nur wenige Stunden entfernt ist; er warf das Schreiben hier in den schadhaft gewordenen Briefkasten, wo es unbemerkt in den Spalt glitt und für immer verschwand. Ein zweites Schreiben gleichen Inhalts an meinen verstorbenen Vater kann Witteboom nicht abgegeben haben, sonst müßte es doch jetzt mit vorgefunden worden sein. Dagegen wäre es aber auch möglich, ein zweiter Brief wäre wirklich in die Hände meines Vaters gelangt, und dieser hätte entweder das Geheimniß erkauft oder den dreisten Menschen ab und zur Ruhe verwiesen.«

»Meiner Ansicht nach,« sagte der Justizrath, »können Sie das alte Papier als eine wunderliche Rarität zu andern alten und werthlosen Papieren legen. Es sind drei volle Wochen vergangen und von keiner Seite ist irgend eine Nachfrage geschehen, die einen Zusammenhang mit dem Briefe Wittebooms vermuthen ließe. Das Geheimniß selbst aber, das er für fünfhundert Gulden vor einem halben Jahrhundert verkaufen wollte, dürfte jetzt nicht so viele Kreuzer werth sein.«

»Am liebsten vernichtete ich das ganze Schreiben,« meinte der Legationsrath, »und doch kann ich mich nicht recht dazu entschließen.«

»Nehmen Sie an,« erwiderte Strahleck, »es existire nicht mehr und die Wirkung bleibt dieselbe!«

»Nicht ganz, Herr Justizrath. Ich kann den wunderlichen Brief noch immer einsehen, wenn es mich dazu drängt, ja ich will es nicht verreden, daß ich Sie eines Tages ersuche, mir denselben zu diesem Behufe noch einmal zu geben.«

»Um sich von Neuem beunruhigen zu lassen?«

»Besitzt die Frau Justizräthin Kenntniß von Wittebooms Schreiben?«

»Welche Frage!«

»Sie verzeihen, Herr Justizrath! Seit Kurzem foltert mich dieser Gedanke, auf den mich die Haltung meiner Mutter gebracht hat. Ich fürchte, meine Mutter ahnt etwas von dem Briefe, und wenn ich annahm, sie könne nur durch die Frau Justizräthin von dessen Vorhandensein Kenntniß erhalten haben, so berechtigte mich dazu der intime und in letzter Zeit so lebhaft gewordene Verkehr zwischen beiden Freundinnen. Meine Mutter drückt etwas, darüber kann ich mir gar keine Täuschung machen, sie hat aber nicht den Muth, mich direct zu fragen oder ihren Kummer – und sie ist offenbar bekümmert – mir mitzutheilen.«

»Ueber Frauenbekümmernisse denke ich anders,« versetzte mit vielsagendem Lächeln der Justizrath. »Sie vergessen, daß alle Frauen ohne Ausnahme immer, speculiren; die es nicht thun, werfen sich auf die Intrigue, was zehnmal schlimmer ist. Erwägen Sie nun, daß meine Tochter Justine in dem Alter sich befindet, welches einer sorgenden Mutter gerechte Veranlassung geben muß, in Bezug auf deren Zukunft Pläne zu machen, und daß jeder solcher Plan mit intimen Freundinnen besprochen wird; so glaube ich Ihnen mit dieser Hindeutung einen Wink gegeben zu haben, der Ihnen auch die Verstimmung Ihrer Frau Mutter erklärlich machen kann.«

Der Legationsrath wurde nachdenklich und brach ab.

»Haben Sie neuerdings wieder Nachrichten aus England oder Amerika erhalten?« sagte er. »Der englische Consul theilte mir neulich mit, daß nunmehr Aussicht zu baldiger Abwickelung der Erbschaftsangelegenheit vorhanden sei.«

»Allerdings,« erwiderte Strahleck. »In dieser Sache ist der so spät angekommene Brief des verstorbenen Ehrlich für mich ein wahrer Retter in der Noth geworden. Ich brauche nicht einmal das seither Ermittelte geheim zu halten, da ich bereits die meisten Papiere besitze, die zu schließlicher Erhebung der Erbschaft beigebracht werden müssen.«

»Die Nachkommen der Ehrlich sind also gefunden?« fragte Mandelsdorf mit lebhafter Theilnahme. »Leben sie in der Residenz oder in nächster Nähe?«

»Im Gegentheil,« versetzte Strahleck. »Von dem schönen Gelde wird wenig genug hier bleiben oder überhaupt hieher kommen. Die Ehrlich sind als solche ausgestorben, das kann ich seit vorgestern, wo ich ein höchst wichtiges Document erhielt, beweisen. Was von den Nachkommen derselben übrig ist, führt entschieden den Namen Honest, und diese Honest sind nicht allein Bürger, sondern auch Eingeborene der amerikanischen Freistaaten. Der Methodistenprediger, dessen ich früher schon erwähnte, ist der Urenkel des armen alten Ehrlich, dessen Enkel mit Weib und Kind nach Canada auswanderte. Ich besitze, wie gesagt, alle darauf bezügliche Papiere, und sollte sich nicht noch ein anderer Zweig ausfindig machen lassen, so dürfte die Erbschaft binnen Jahr und Tag endlich ihren Herrn finden.«

»Wenn nun aber inzwischen noch andere Honest sich melden oder später Ansprüche auf die Erbschaft erheben?« meinte Mandelsdorf. »Eine solche Möglichkeit ist doch immer noch vorhanden.«

»Ich bin auf Alles vorbereitet,« erwiderte der Justizrath, »und sehe deshalb mit Gleichmuth jedem solchen allerdings sehr wahrscheinlichen Ansprüche entgegen. Wie gesagt, meine Papiere überheben mich jeder ferneren Mühe. Nur muß ich noch einem Zweige der Ehrlich, nämlich dem von Mirrha abstammenden, nachforschen. Dies ist mir bisjetzt zu meinem großen Bedauern nicht gelungen. Mirrha verheirathete sich nämlich gegen den Willen ihres überfrommen Vaters, und zwar mit einem wohlhabenden Manne, der ein großer Freidenker war. Um den väterlichen Vorwürfen, vielleicht auch möglichen Verfolgungen, zu entgehen, flüchtete das junge Paar und legte wahrscheinlich vor Überschreitung der niederländischen Grenze seinen Namen ab, um später – der Himmel weiß, wo – unter anderm Namen wieder aufzutauchen. Schade, daß der Spalt im Briefkasten, der mir bereits so treffliche Dienste geleistet hat, nicht auch ein Blättchen ans Licht des Tages brachte, das mir den Weg zeigen könnte, die Spuren Mirrha Ehrlichs auffinden zu lassen.«

»Wozu?« sagte der Legationsrath. »Sie haben mehr gethan, als man billigerweise von Ihnen verlangen konnte. Weshalb das düstere Labyrinth, aus dem Sie ein glücklicher Zufall rettete, noch einmal betreten? Ein Erbe genügt für Sie; finden sich später noch andere Berechtigte ein und können sie ihre Ansprüche rechtsgültig darthun; so überlassen Sie es ruhig dem frommen Methodistenprediger und seinen Kindern, sich mit diesen Nachzüglern abzufinden.«

»Etwas Anderes wird mir auch kaum übrig bleiben,« meinte Strahleck, »indeß will und darf ich als rechtlicher Mann doch kein Mittel unversucht lassen, von dem ich mir einen Erfolg versprechen könnte. Ein solches habe ich noch in petto, und dieses letzte werde ich anwenden, sobald ich mich vergewissert habe, daß Niemand dadurch compromittirt wird.«

»Nun dann, viel Glück, Herr Justizrath!« sagte Mandelsdorf. »Künftigen Sonnabend habe ich wohl das Vergnügen, Sie nebst Frau Gemahlin und Fräulein Tochter beim Bankdirector Orlemann zu sehen?«

Der Justizrath bejahte durch eine freundliche Kopfneigung. »Bis dahin ist auch der entscheidende Staatsrath abgehalten worden,« setzte er hinzu. »Wer weiß, was man sich dann in allen Cirkeln der Gesellschaft Neues und Erfreuliches zu erzählen hat!«

Rudolph Mandelsdorf machte bei diesen Worten Strahlecks eine so tiefe Verbeugung, daß ihm der Justizrath nicht in's Auge blicken konnte.

»Der Diplomat soll von dem Juristen überrascht und wo möglich überholt werden,« sagte Strahleck, die Thür seines Arbeitszimmers hinter sich schließend. »Bestätigt sich meine Vermuthung, so will ich einen Triumph, den ich meiner Spürkraft zu danken habe, auch triumphirend genießen.«


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