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2. Eine romantische Geschichte.

»Unsere bewunderte Künstlerin – begann der Premier-Lieutenant – heißt mit ihrem wirklichen Namen – so erzählt man sich nämlich – Olga Pankowska – ist die Tochter eines galizischen Grafen und mütterlicherseits mit einem der ältesten russischen Fürstengeschlechter verwandt.«

»Also richtig die alte Zigeunergeschichte!« fiel Baron Hohenort ungläubig lachend ein. »Wenn solch ein Reiterkind von Mutter Natur mit ungewöhnlicher Schönheit begabt wird, sich leidlich geschickt und nöthigenfalls auch passabel vornehm – in ihren Rollen – zu benehmen weiß, so muß es irgendwo auf hohem alten Adelsschlosse zur Welt gekommen sein.«

»Wenn Sie geneigt sind, weiter zu hören, so werden Sie früh genug widerrufen müssen,« sagte der Premier-Lieutenant. »Fortfahren!« riefen die Uebrigen und der Premier-Lieutenant nahm den Faden seiner Erzählung wieder auf.

»Olga Pankowska kam auf die Welt, ohne daß sie eigentlich ein vollgültiges Recht dazu hatte.«

»Darf man denn nicht geboren werden?« meinte der Fähndrich.

»Gewiß, aber Olga ward geboren, ehe ihre Aeltern kirchlich eingesegnet werden konnten, und diese kleine Fatalität veranlaßt die schöne Mutter unseres Wunderkindes, sich auf einige Zeit ins Ausland zu verfügen. Der Herr Papa sollte inzwischen die erzürnten Aeltern der geflüchteten Tochter versöhnen, dieser Verzeihung erwirken und die Erlaubniß ermitteln, mit Olga wieder zurückkehren zu dürfen. Der alte Fürst scheint aber ein sehr verdrießlicher oder hitziger Herr gewesen zu sein. Graf Pankowsky – so sagt die Geschichte – fand einen höchst unfreundlichen Empfang; es gab harte Worte, die bald in Beleidigungen übergingen, und endlich durch das Abfeuern zweier scharf geladener Pistolen in einem finstern Wäldchen geschlichtet wurden. Die beiden Schüsse hatten Viele gehört, von den beiden Schützen sah man aber nur einen wieder nach dem Schlosse des alten russischen Fürsten zurückkehren. Pankowsky war gefallen. Die Beseitigung seiner Leiche blieb ein Geheimniß, von der geflüchteten Fürstentochter und ihrer zu ungelegener Zeit auf die Welt gekommenen Olga hörte Niemand mehr etwas. Erst nach dem Tode des grämlichen Fürsten, der seit jenem Meisterschusse wenig Ruhe gehabt haben soll, ließ die nunmehr etwas weichherzig gewordene Fürstin nach der verschwundenen Tochter forschen. Ein vertrauter Kammerdiener erhielt den Auftrag, den Schlupfwinkel der Verschwundenen zu ermitteln und diese der tief Betrübten wieder zuzuführen. Zum Unglück hatte die Geflüchtete nicht Zeit gehabt, so lange auf den Versöhnungsruf der fernen Mutter zu warten. Krank und elend, war sie, nachdem sie alle Pretiosen, die sie besaß, der Erhaltung ihres Kindes gewidmet, in einem Kloster der Lombardei gestorben. Dem Beichtvater entdeckte die Unglückliche auf dem Sterbebette ihren Stand und Namen, übergab ihm dann Olga, und schloß unter Thränen und Seufzen die lebensmüden Augen. Der gutherzige Beichtvater vertraute das achtjährige Mädchen der Aebtissin an, die es denn auch erzog und, wie sich von selbst versteht, die älternlose Waise dem Dienst der Kirche zu weihen fest entschlossen war. Der Kirchendienst aber behagte dem kleinen Wildlinge nicht. Eines Tages wußte das Kind sich fortzuschleichen, um nie wieder ins Kloster zurückzukehren. Diese betrübende Nachricht überbrachte der Kammerdiener nebst einem eigenhändigen Briefe der Aebtissin der trauernden Großmama Olga's, die sich denn damit zufrieden geben mußte und nun hoffentlich längst schon unter ihren Ahnen der dereinstigen Auferstehung entgegenschlummert.«

»Nun und Olga?« unterbrach Baron von Hohenort den jetzt pausirenden Erzähler. »Wohin wandte sich das lebenslustige Kind? Wer nahm sich seiner an, als es die kluge Einsicht gewonnen hatte, das Leben im Kloster eigne sich nicht für sein weltlich klopfendes Herz?«

»Der kleine Flüchtling sah ein,« fuhr der Premier-Lieutenant fort, »daß Eile vor Allem Noth thue. Sie vertraute sich deshalb der Schnelligkeit ihrer zart gebauten Füßchen an, die damals allem Vermuthen nach noch zierlicher gewesen sein müssen als gegenwärtig, wo sie doch auch noch begeisterte Verehrer des Schönen zum Küssen einladen können, und lief anfangs keck in die Welt hinein. Niemand hielt sie auf und so bettelte sich das Kind glücklich bis Venedig durch. Was sie in der herrlichen Lagunenstadt angefangen hat, ist nicht ganz offenbar geworden, es läßt sich aber mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie dort auf dem Markusplatze und unter den Bogengängen der Procuratien wie in Florenz, wo wir sie einige Jahre später wiederfinden, den einträglichen Handel mit Blumen studirte. Ich sage: studirte, denn wirklich gehört ein ganz eigenthümliches Studium dazu, um in Venedig, und ganz besonders in Florenz, mit Glück Blumen an den Mann zu bringen. Nicht die Blume ist es, die man empfängt und mit einigen Gracien honorirt, die Spenderin derselben verleiht ihr durch die Art, wie sie das gebundene Sträußchen überreicht, erst Werth, Sinn, Bedeutung. Auch bezahlt man bekanntlich in Florenz keine Blumenverkäuferin. Der Lohn besteht bei Empfang der Blumen in freundlich gelispelten Mille grazie, denen einige Dutzend feurige Blicke zugegeben werden dürfen. Nach einigen Tagen erst, wenn die graziöse Spenderin der duftenden Kinder Flora's sich abermals mit ihren niedlichen Gaben einfindet, läßt man in die gelispelten Grazien den feinen Silberklang gemünzter Gracien tönen, wobei man sich aber auch vergreifen kann. Ein Francescone trägt dann ebenfalls viele tausend Grazien, die auf rosigen Lippen spielen, ein, und wem das Glück wohl will, kann sogar die Erfahrung machen, daß die anmuthvolle Blumenverkäuferin kleine, weiche Hände hat und dem Lande classischer Formenschönheit durchaus keine Schande macht. Genug, die schöne Olga, die den Blumenhandel gründlich verstand und das Toscanische so rein und klangvoll sprach, als habe sie sich den Mund dazu aus Rom verschrieben, machte Aufsehen, fand Bewunderer. Ein Freund der Schönheit und Jugend nahm sich ihrer an, um sie auszubilden. Bald erschien sie an seiner Seite zu Roß, und die muthvolle Gracie, mit welcher die Reiterin ihr Roß zügelte, ließ errathen, daß adliges Blut in ihren Adern fließe. Carlo Feliciani bot ihr Hand und Herz und Olga würde sich nicht spröde gezeigt haben, hätte ihr Verehrer nicht das Unglück gehabt, noch vor der Hochzeit durch Meuchlerhand zu fallen. Auch Olga stand ein gleiches Schicksal bevor. Sie erhielt Kunde davon und floh. Sie verscholl nun gänzlich und außer ihr selbst und dem Manne, der sie liebt, wissen gewiß nur Wenige, welche Gelegenheit hatten, unbemerkt die Geschichte dieser Fee erzählen zu hören, daß sich in dieser Graziosa Feliciani das Blumenmädchen Olga und die nachmalige Marchesa Belmonte versteckt.«

»Se non è vero, è bon trovato!« sprach Baron von Hohenort. »Die Geschichte läßt sich leidlich gut anhören, und wer sich an das Hochromantische darin nicht stößt, der mag sich damit zufrieden geben. Was meinen Sie, lieber Birkenfeld? Glauben Sie an diese hyperromantische Vergangenheit der schönen Graziosa?«

»Kommt darauf etwas an?« erwiderte der Rittmeister.

»Je nun, wenn man sich für eine hübsche Person interessirt, will man doch wissen, wie die Verhältnisse beschaffen sind und waren, in denen sie lebte.«

»Da ich mich nun aber nicht für Graziosa Feliciani interessire, können mir diese Verhältnisse auch vollkommen gleichgiltig sein.«

»Sie interessiren sich nicht?« sprach der Premier-Lieutenant.

»Nicht für Signora Graziosa? ...Und fehlen doch selten im Circus? ... Birkenfeld, ich bitte, lassen Sie sich nicht auslachen!«

»Da ich ein Freund schöner, gut dressirter Pferde bin und wohl auch behaupten darf, von der edlen Reitkunst etwas zu verstehen, so besuche ich den Circus gern und oft,« erwiderte der Rittmeister. »Auch macht es mir Vergnügen, ein schönes Mädchen, wie Signora Graziosa, mit so feinen Manieren die Zügel führen zu sehen. Ich bemerke dabei ausdrücklich, daß ich sie weniger als florentinische Blumenspenderin, wie als Amazone bewundere, wenn sie auf ihrem Achilles so meisterhaft die Schule reitet.«

»Anstellerei!« warf der blonde Fähndrich ein, die Spitzen seines dünnen Schnurrbartes nach oben drehend. »Sie müßten kein Mann sein, wenn Sie an Graziosa nicht etwas mehr als ihre Reitkunst entzückte.«

Der Rittmeister wechselte die Farbe und heftete einen sehr ernsten Blick auf Appenzell.

»Sie werden erlauben, Appenzell,« sprach er in kühlem, aber bestimmten Tone, »daß ich meinem Geschmacke nachleben darf. Signora Graziosa ist gewiß schön, aber sie gefällt mir nicht.«

»Parbleu!« rief der Premier-Lieutenant. »Rittmeister von Birkenfeld, bedenken Sie, was Sie da sagen.«

»Ich wiederhole allen Ernstes,« fiel dieser abermals ein, »Signora Graziosa Feliciani, deren Anmuth und Schönheit ich willig anerkenne, gefällt mir nicht und darf mir nicht gefallen.«

»Darf nicht?« sagte der Premier-Lieutenant ganz erstaunt.

»Darf ich?« wandte sich Baron von Hohenort fragend an Birkenfeld.

»Von Herzen gern!« erwiderte der Rittmeister.

Der Baron stand auf.

»Sie erlauben, meine Herren,« sprach er, »daß ich Ihnen in meinem Freunde, dem Rittmeister von Birkenfeld, einen glücklichen Bräutigam vorstelle.«

Die Meisten der Anwesenden glaubten, der Baron, der sich gern einen Scherz erlaubte, wolle sie foppen; die ernste Miene des Rittmeisters aber belehrte sie bald, daß es sich hier um einen bloßen Scherz nicht handeln konnte.

»In der That?« sagte der Premier-Lieutenant. »Sind Sie wirklich gesonnen, sich die Flügel so frühzeitig von ein paar schönen Händen binden zu lassen?«

»Den Beweis, daß dies meine Absicht ist, hoffe ich Ihnen demnächst durch Uebersendung meiner Verlobungskarte liefern zu können,« erwiderte der Rittmeister. »Ich glaube, die Vermählung eines Birkenfeld mit einer Gräfin von Tannensee wird man keine Mesalliance nennen.«

»Gräfin von Tannensee!« wiederholte der Premier-Lieutenant. »Beim großen Manöver im vorigen Herbst lag General von Haustein auf Schloß Tannensee.«

»Ich war sein Adjutant,« bemerkte der Rittmeister, »verkehrte häufig im Schlosse und hatte dabei das Glück, die Erbin von Tannensee kennen zu lernen. Vor wenigen Tagen habe ich das Jawort ihrer Aeltern erhalten.«

»Champagner!« rief der junge Fähndrich. »Auf Ihr Wohl und Ihr Glück, Herr Rittmeister, müssen nothwendig einigen Flaschen die Hälse gebrochen werden.«

Birkenfeld wollte nichts davon hören, mußte sich aber, da auch die Uebrigen dem jungen Appenzell beistimmten, doch dem Verlangen Aller fügen und bald füllten sich die geschliffenen Kristallgläser mit dem perlenden Weine.

»Die Familie von Tannensee,« nahm der Premier-Lieutenant das Wort, nachdem er mit Birkenfeld angestoßen und sein Glas geleert hatte, »zerfällt, wenn ich nicht irre, in zwei Linien, von denen die jüngere erst vor etwa zwei Decennien nach Brasilien ausgewandert ist. Man behauptete damals, sie habe diesen von der ganzen vornehmen Welt auffällig befundenen Schritt der vielen Mißhelligkeiten wegen gethan, in denen sie schon seit undenklichen Zeiten mit der älteren Linie lebte. Was an diesen Gerüchten wahr sein mochte, was erfunden, soll damals Vielen gar arges Kopfzerbrechen gemacht haben.«

»Ich erinnere mich, ebenfalls davon gehört zu haben,« versetzte der Rittmeister. »Bei meiner Anwesenheit und meinen späteren Besuchen auf Tannensee gestehe ich aber offen, daß ich nicht mehr daran gedacht habe. Die junge Gräfin, jetzt meine Braut, ließ Gedanken an Vergangenes nicht aufkommen. In allzu freundschaftlichen Beziehungen mit jener ausgewanderten Familie mögen die Tannensee's allerdings nicht stehen, denn es war von ihr und ihren Schicksalen niemals die Rede.«

»Ja, die fatalen Schicksale!« sagte der Premier-Lieutenant. »Wenn es keine Schicksale gäbe, wie viel angenehmer wäre dann das Leben!«

Baron von Hohenort lachte.

»Ein glückliches Schicksal hat noch Niemand vermaledeit,« sprach er. »Ein volles Glas also dem glücklichen Schicksal, das wir uns Alle wünschen!«

Heiter leerte man die schaumsprudelnden Gläser.

»Wie mag es aber kommen, daß man die gräfliche Familie von Tannensee niemals, auch nicht während des Winters, in der Residenz sieht?« warf der Fähndrich ein. Er durfte diese Frage aufwerfen, denn in dem gastfreien Hause seiner Aeltern verkehrte die gesammte hohe Aristokratie.

»Man hört, Sie kennen eben den Grafen von Tannensee nicht,« versetzte der Premier-Lieutenant, als befinde er sich im alleinigen Besitz eines großen Geheimnisses.

»Ganz recht,« sagte Birkenfeld. »Man muß die Verhältnisse kennen.«

»Wie General von Haustein,« meinte der Premier-Lieutenant.

»Glauben Sie, daß man den General auf Tannensee so genau in alle Familienverhältnisse meiner zukünftigen Schwiegereltern eingeweiht hat?« erwiderte mit leichtem Lächeln der Rittmeister.

»General von Haustein besitzt Scharfsinn und seine Beobachtungsgabe,« lautete die Antwort, »und was er mir später – versteht sich ganz ohne, jede Nebenabsicht – mittheilte, läßt mich annehmen, daß er doch wirklich ziemlich tiefe Blicke in – in die Vergangenheit der Tannensee's gethan hat.«

»Zum Beispiel?« fragte Birkenfeld, während alle Uebrigen gespannt aufhorchten.

»Die Melancholie der Frau Gräfin mußte auffallen,« fuhr etwas zögernd der Premier-Lieutenant fort, »doch Sie entschuldigen, Herr Rittmeister, es ist dies, scheint mir, kein Gesprächsthema in einer so heitern Stunde.«

»Im Gegentheil,« erwiderte Birkenfeld. »Es kann mir nur angenehm sein, zu erfahren, was die Welt, d. h. die schwatzhafte Welt, die auch in den Salons unserer ersten Cirkel so trefflich vertreten ist, von den Aeltern meiner Verlobten denkt, sagt, fabelt. Wir sind unter uns, wie sie sehen; der Kellner ist dort in seiner Ecke eingeschlafen, haben Sie also die Güte und lassen Sie hören, was der General von Haustein im Schlosse Tannensee erlebt oder erfahren, oder vielleicht nur durch Calculation und Combination herausgeklügelt hat. Ich bemerke ausdrücklich, daß ich einen völlig unbefangenen, ganz objectiven Zuhörer abgeben werde.«

Der Premier-Lieutenant nahm dennoch Anstand, der Aufforderung Birkenfelds, dessen Blicke ihm nicht gefielen, zu entsprechen. Er suchte Ausflüchte, schützte die bereits späte Nachtstunde vor, und was ihm sonst gerade einfiel. Der Rittmeister jedoch beharrte auf seinem Willen, bezog sich auf die zu allgemeiner Zufriedenheit vorgetragene Erzählung von Graziosa Feliciani's angeblicher Vergangenheit, und so war denn der in die Enge getriebene Lieutenant, wenn er nicht geradezu unhöflich sein wollte, gezwungen, sich dem Wunsche des drängenden Rittmeisters zu fügen.

»Gut denn,« sprach er entschlossen, indem er Appenzell aufforderte, die Gläser auf's Neue zu füllen. »Sie wollen es und so thue ich das, wozu ich gewissermaßen gezwungen werde. Wenn Ihnen aber meine Mittheilungen nicht gefallen sollten, lieber Birkenfeld, dann – Sie sind Zeugen meine Herren – dann wasche ich meine Hände in Unschuld. Ich wiederhole nur Vernommenes, von einem Manne mir Erzähltes, den Jeder von Ihnen als makellosen Ehrenmann kennt.«

»General von Haustein ist ein Ehrenmann im weitesten Sinne des Wortes,« sprach der Rittmeister. »Dies Glas hier leere ich auf sein Wohl, und wer gleicher Meinung ist, der thue das Nämliche!«

Alle schlürften den moussirenden Wein aus und rückten dann näher zusammen, um ja kein Wort von dem ziemlich leisen Vortrage des Premier-Lieutenants zu verlieren.


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