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11. Bekenntnisse.

Am andern Tage ward es früh wieder lebendig im Schlosse. Graf Erhardt, der sonst gewöhnlich erst gegen Mittag seine Appartements verließ, wenn er nicht gerade für längere Zeit ausritt, schellte heute seinem Kammerdiener sehr früh. Dieser erhielt von ihm ein Billet mit dem Auftrage, dasselbe der Gräfin so bald wie thunlich zu überreichen. Gräfin Mathilde ließ den Kammerdiener ihres Gemahls zwar vor, war aber doch über die frühe Stunde, welche dieser zur Uebersendung eines Billets wählte, verwundert. Mehr noch überraschte sie das Begehren des Grafen, der zwar in den gemessensten Ausdrücken, aber doch in so entschiedenen Worten, daß eine ablehnende Antwort darauf kaum gegeben werden konnte, um eine Unterredung unter vier Augen bat. Es kostete Mathilde einige Ueberwindung, ihre Antwort dem Grafen ebenfalls brieflich zuzustellen. Sie lautete natürlich bejahend. Graf Erhardt zögerte jedoch geraume Zeit, ehe er sich in den Flügel des Schlosses, wo die Gräfin und Bianca wohnten, verfügte. Er mußte einen peinvollen Kampf mit sich selbst kämpfen, um vollkommen gerüstet vor seiner Gemahlin erscheinen zu können. Endlich hatte er hinreichende Gewalt über sich gewonnen, und abermals war es der Kammerdiener, welcher den Auftrag erhielt, den Grafen anzumelden.

Gräfin Mathilde empfing den finstern, ihr seit Jahren völlig entfremdeten Mann in ihrem Boudoir. Es war dies ein hohes Zimmer mit nur zwei Fenstern. Die Morgensonne erhellte das alterthümliche Gemach, dessen innere Einrichtung von Glanz und Reichthum zeugte, in traulicher Weise. Im viel verzierten Kamin brannte ein lustiges Feuer, weniger, um Wärme in dem Gemache zu verbreiten, als um es traulicher erscheinen zu lassen. Ein Schrank, dessen Thüren halb offen standen, zeigte eine ausgewählte kleine Handbibliothek. Zwischen diesem Schranke und einem sehr kostbaren Secretair, welcher eine gelungene Nachbildung des sterbenden Fechters trug, lehnte eine jetzt bestäubte Harfe; denn die Gräfin, in früheren Jahre eine geübte Harfenspielerin, hatte schon längst das ihr liebe Instrument nicht mehr berührt. Bianca aber zeigte wenig Lust, die Harfe zu erlernen, und hielt sich, schon der Bequemlichkeit wegen, lieber an die leichter zu handhabende Guitarre. Ueber dem Kamine hing ein Bild, das ein schwarzer Flor jedem neugierigen Auge vollständig verbarg.

Die Begrüßung des Grafen und der Gräfin war so förmlich wie immer. Beide nahmen dann an den Fenstern einander gegenüber Platz.

»Wir sind allein und ohne Zeugen?« begann nach kurzer Pause fragend Graf Erhardt die Unterredung.

»Ganz allein,« erwiderte kühl die Gräfin.

»Es ist beschlossen,« sagte darauf der Graf, »daß unsere Tochter Bianca übermorgen vor den Traualtar treten soll, um dem Rittmeister Enno von Birkenfeld vermählt zu werden. Nach getroffenem Abkommen billigen wir Beide diese Verbindung. Sie darf von uns als eine in jeder Beziehung erwünschte bezeichnet werden, um so mehr, als auch die Herzen der Verlobten, nicht blos ihre Lippen das bindende Ja frei und gern aussprechen werden. Nicht Alle, welche sich vermählen, vermögen dies ohne Bangen und Zagen zu thun.«

»Sehr wahr!« hauchte die Gräfin vor sich hin, während ihr verschleiertes Auge in die Weite schwärmte und absichtlich vermied, dem fest auf sie gerichteten Blicke des Grafen zu begegnen.

»Verzeihen Sie, Mathilde, daß ich diesen Punkt berühre,« fuhr der Graf fort. »Es muß geschehen, denn es wäre möglich, daß noch, vor der Vermählung unserer Tochter Todte erständen und Rechenschaft forderten von den Lebenden.«

Bei diesen mit eigenthümlichem Ernst gesprochenen Worten fiel doch Mathilde's Blick auf das Antlitz des ihr gegenübersitzenden Grafen. Sie erschrak vor dem finstern Ernst seiner Züge.

»Sie sprechen in Räthseln,« sagte sie leise wie vorhin.

»Ich hoffe, Alles, was räthselhaft war in unserm Leben, werden die nächsten Stunden, schon enträthseln,« begann Graf Erhardt von Neuem. »Damit es aber Tag werde, Tag in der Gegenwart, wie in der Vergangenheit, muß ich noch einmal trauriger Ereignisse gedenken, die leider so schwer auf uns Beiden, Mathilde, lasteten.«

Die Gräfin faltete die Hände und sah den ernsten Gatten angstvoll, ja mit der Miene des Entsetzens an, ohne zu sprechen.

»Sie hatten eine Schwester,« sagte sanfter und in leiserem Tone der Graf. »Haben Sie ihrer nicht mehr gedacht seit – seit jenem Unglückstage?«

»Arme, geopferte Flora!« rief klagend die Gräfin aus. Graf Erhardt zögerte einen Augenblick, dann fuhr er fort:

»Ich liebte Flora, Sie wissen es, Mathilde, Sie wissen es seit –«

»Seit wir vor den Altar traten!« lispelte Mathilde.

»Sie waren sich so ähnlich, daß man Sie scherzend Zwillinge nannte, und nicht selten – eben auch zum Scherz – ihre Namen verwechselte, um heitere Täuschungen hervorzubringen, die zu den anmuthigsten Verwickelungen Anlaß gaben. Mein Vetter, Graf Hannibal, lernte Sie und Flora zu ein und derselben Zeit kennen, wie ich. Auch er liebte Ihre Schwester, ohne daß ich eine Ahnung davon hatte. Meine Mutter wünschte mich vermählt zu sehen, und bezeichnete Sie, Sie, Mathilde und Ihre Schwester Flora als diejenigen Persönlichkeiten, von denen jede ihr als Schwiegertochter gleich angenehm sein würde. Mein Herz entschied sich für Flora – Sie wissen es – und dennoch, dennoch reichte ich Ihnen, Mathilde, die Hand vor dem Altare!«

»O, wäre es nie geschehen!« sprach innerlich zusammenschaudernd die Gräfin. »Ich glaubte Ihren Schwüren und noch, noch weiß ich nicht, weshalb Sie mich so furchtbar, so gewissenlos hintergingen!« »Ich handelte unrecht, Mathilde,« erwiderte Graf Erhardt. »Zu spät sah ich es ein. Aber die Leidenschaft riß mich fort und das Bedürfniß nach Rache.«

»Nach Rache! Weshalb und an wem wollten Sie sich rächen?«

»Mit den heiligsten Schwüren hatte Flora gelobt, mein Weib sein zu wollen. Ich glaubte ihren Schwüren, als seien sie ein Evangelium. Da... es war am Tage vor meiner Werbung um Ihre Hand, Mathilde... traf ich Flora im Arm meines Vetters!...«

Des Grafen Stimme zitterte, als er stammelnd diese Worte sprach, während Gräfin Mathilde ihre Augen verhüllte.

»Die Verachtung ließ mich schweigen,« fuhr Graf Erhardt fort. »Mein Entschluß stand fest; ich wollte die Treulose, ohne daß sie eine Ahnung von meinem Vorhaben hatte, strafen, ich wollte durch mein Handeln sie tödtlich verwunden!... Mein Plan gelang vollständig; die Verlobung mit Ihnen verjagte Flora für immer... sie trieb sie meinem Vetter in die Arme trotz des Verbotes ihrer damals noch lebenden Mutter... Unserer Vermählung wohnte die geistig Gebrochene bei... Sie werden sich der schrecklichen Scene während der Trauung, wo sie, ohnmächtig, meinen Namen ausstoßend, und wie eine Wahnsinnige mit ihrem zeternden Nein unser Ja zerreißend, zusammenbrach, noch schaudernd erinnern... Dieses Nein Flora's, dieser Schmerzensschrei eines liebenden Herzens verwandelte meinen Haß in Mitleid... Sie drangen mit ungestümen Fragen in mich, entrissen mir eine Antwort, die Ihr Glück für immer zerstörte und ...meiner Mutter den Tod gab!... Da ereilte uns die Nachricht von Flora's Verschwinden... Sie war entführt, nicht geflohen... Ich errieth den Frevler, der sich der Unglücklichen, durch mich unglücklich Gewordenen bemächtigt hatte, setzte ihnen nach, ereilte sie...«

Die Stimme des Grafen verlor sich in unverständliches Gemurmel, während die Gräfin sich einer Prophetin gleich erhob.

»Vollenden Sie, Graf Erhardt,« sprach sie mit einer Entschlossenheit, welche diesem seine volle Selbstbeherrschung wiedergab, »und wenn Sie geendigt haben, dann, dann hören Sie mich!«

»Soll ich noch einmal den unseligen Ausgang des Duells erzählen?« fuhr der Graf fort, »noch einmal die Kämpfe erwähnen, die erst mit unserer geheim gehaltenen Scheidung endigten und mich in ein freiwillig gewähltes Exil trieben? Aber die Vorsehung wollte nicht, daß Wuth und Eifersucht mich zum Mörder meiner, einst Verlobten, zum Mörder... meines Weibes machen sollten!...«

»Ihrer Gattin?« rief Mathilde, noch tiefer erschüttert.

»Vor Gott war Flora mein Weib,« sagte der Graf ernst und ruhig. »Ich gehörte ihr, sie mir zu; der sie umschlingende Arm meines Vetters nur zerriß den Bund, den die Kirche noch nicht gesegnet hatte.«

»O weh, weh mir Armen!« schluchzte Gräfin Mathilde, und heiße Schmerzensthränen entströmten ihren Augen.

»Fassen Sie sich, Mathilde,« sprach der Graf in milderem Tone weiter. »Die traurigen Mittheilungen sind vorüber, jetzt folgen beruhigendere. Die Vorsehung wachte über mich, als ich in blinder Zorneswuth meinen Vetter zu tödten strebte und mein Degen die minder Schuldige traf.«

»Die Unschuldige!« fiel die Gräfin ein. »Sie selbst hat mir ihre Unschuld offenbart.«

»Mathilde!... Und Sie schwiegen? Sie konnten schweigen?« .

»Ich schwieg, weil alles Sprechen nutzlos gewesen wäre. Die Kunde von Flora's gänzlicher Schuldlosigkeit erreichte mich spät, sehr spät!...«

»So wissen Sie, daß Ihre Schwester lebte?« »Ich wußte es, aber ich erhielt diese Nachricht erst nach Jahren!«

Der Graf erhob sich und reichte Mathilde, seiner längst von ihm geschiedenen Gattin, die Hand.

»Mathilde, sprach er in versöhnlichem Tone, »ich muß dennoch glauben, daß die Vorsehung über uns Alle wunderbar gewacht hat. Darf ich ganz offen sein, damit fortan kein Schatten mehr auf unser Thun, kein Schatten auf den Lebensweg derer fällt, die wir Kinder nennen und für deren Wohl' zu sorgen unsere Pflicht ist?«

»Halten Sie nicht zurück, Graf Erhardt,« erwiderte Mathilde. »Ich fühle mich stark genug, um auch das Schlimmste zu ertragen.«

Der Graf erfaßte den Schellenzug zunächst dem Kamin.

»Dann wage ich, Todte in verjüngter Gestalt erscheinen zu lassen,« lautete seine entschlossene Antwort, indem draußen schon hell rufend die stark angezogene Glocke erklang.

Mathilde wußte die Worte des Grafen nicht zu deuten; es vergingen einige Minuten unter gegenseitigem Schweigen, dann ward die Thür geöffnet und ein bildschönes junges Mädchen, das die Gräfin, wäre sie anders gekleidet gewesen, für Bianca gehalten haben würde, trat ins Zimmer. »Himmel, meine Schwester!« rief erschrocken und doch froh bewegt die erstaunte Gräfin aus. »Es ist Flora, wie sie lebte ...«

»Als sie vor Gott mein Weib ward,« ergänzte der Graf. »Nicht Flora, Ihre unglückliche Schwester, die wiedergefundene Tochter der schuldlos Geopferten steht vor Ihnen!«

Während dieser letzten Worte hatte die Gerufene ihre Kniee gebeugt und war vor Mathilde niedergesunken. Es war Graziosa Feliciani ...

Die Bewegung raubte Mathilden einige Secunden fast die Besinnung. Sie sah und hörte nichts; sie achtete auch nicht auf die Worte, welche Graziosa an sie richtete. Ihre Hand ergriff eine grünseidene Schnur, die auf den Kaminsims herabhing. Ein leiser Zug daran entfernte den schwarzen Flor von dem Bilde und das Ebenbild der Knieenden sah auf Mathilde und Graziosa herab.

Der Graf hob die Wiedergefundene auf und zeigte ihr das Portrait ihrer Mutter, die ihr nur dunkel, wie ein immer mehr entschwindender Traum, vorschwebte. Sie drückte dem Grafen dankbar die Hand und sagte: »Der Koffer!«

Graf Erhardt zog zum zweiten Male die Glocke. Der Kammerdiener erhielt Befehl, die Comtesse, sowie den Rittmeister zur Gräfin zu bescheiden. Daß der verloren gegangene Koffer dem Diener Jean in die Hände gefallen war, hatte der Graf gleich nach seiner Rückkehr ins Schloß in Erfahrung gebracht. Dieser Koffer gleichzeitig zur Stelle zu schaffen, ward ebenfalls verlangt.

Wenige Minuten später standen sich Bianca und Graziosa mit einem so verstummenden Staunen gegenüber, daß Beiden, die sich gegenseitig für vertauscht halten mußten, das Wort erstarb. Nur der Rittmeister, dem die wunderbare Aehnlichkeit beider Mädchen von völlig gleichem Alter abermals frappirte, fand Zeit, die Fremde mit den Worten:

»Signora Feliciani!« zu begrüßen...

Noch begriff Comtesse Bianca nichts von der Aufregung ihrer Aeltern, in die sich doch ein Schimmer von Freude mischte. Sie wußte nicht, was sie von dieser Erscheinung, die ihr so völlig ähnlich sah, daß es ihr fast schwer ward, sie nicht mit ihrem eigenen Namen anzureden, halten sollte. Erst der kleine schimmernde Koffer, den Graziosa mit großer Hast öffnete, zog ihre Aufmerksamkeit wieder etwas von ihrer schönen Doppelgängerin ab.

Graziosa entnahm demselben zuerst jenen namenlosen Brief ihrer Mutter, dessen Inhalt wir bereits kennen. Gräfin Mathilde küßte leidenschaftlich die Schriftzüge ihrer längst verstorbenen Schwester. »Es ist Flora's Hand!« sprach sie, den Brief an Graf Erhardt gebend, der ihn mit tiefer Bewegung las.

»Meine Schuld!« rief er, wieder finster vor sich hinblickend. »Meine Leidenschaft stieß sie ins Elend!«

Zwischen den Fingern Graziosa's schimmerte ein. goldener Ring.

»Es ist das größte Heiligthum meiner Mutter,« sprach sie. »Durch ihn – so steht es in dem Briefe – soll ich meinen Vater kennen lernen, wenn es Gottes Wille ist, ihn mich überhaupt finden zu lassen.«

Graf Erhardt hatte den schön gearbeiteten Reif bereits ergriffen. Er erkannte ihn als denjenigen an, welchen er Flora geschenkt hatte, als diese ihm ewig als Gattin angehören zu wollen versprach. Jetzt steckte er ihn an den feinen Finger Graziosa's, breitete die Arme aus und sprach:

»In meine Arme, Du zu lange Verwaiste! Ich erkenne in Dir meine älteste Tochter!«

Zagend und doch von glücklichen Ahnungen einer schöneren Zukunft durchbebt, folgte Graziosa dieser Aufforderung. Nur über Bianca's bisher so heitere Züge glitt ein Schatten des Mißmuths. Obwohl das rechtmäßige Kind des Grafen und die Erbin seiner Besitzungen, hatte der strenge Vater sie doch noch niemals liebevoll umarmt. Dieser Mißmuth verlor sich aber, als Graf Erhardt, die Gefühle und Gedanken Bianca's errathend, sich gleich darauf auch ihr zuwandte und mit herzlicher Innigkeit auch sie umarmte und küßte. Dann erfaßte er die Hände beider Mädchen, führte sie einander zu und sagte:

»Liebet Euch als Schwestern und versöhnt durch Eure Liebe die Verschuldungen Eures leidenschaftlichen und in seinen Leidenschaften ungerecht und lieblos handelnden Vaters!«

Das laute Geschmetter mehrerer Posthörner machte dieser aufregenden Scene ein Ende. Eine Anzahl Wagen, darunter einige elegante Equipagen vornehmer Verwandter des gräflichen Hauses, rollten in den Hofraum. Es waren neue Gäste, welche der Vermählung Bianca's mit dem Rittmeister von Birkenfeld beiwohnen wollten. Graf Erhardt empfahl sich, von Enno begleitet. Bianca und Graziosa, die sich, noch immer sprachlos vor Erstaunen, umarmt hielten, blieben allein bei Mathilde.


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