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2.

Nach dieser Unterredung mit seiner Gattin vertiefte sich Strahleck mit dem ihm zur Gewohnheit gewordenen Eifer wieder tagelang in seine juristischen Geschäfte, mit denen er sehr überladen war. Routinirt in seinem Fache, verstand er eine Menge Dinge rasch zu erledigen, ohne daß es ihm große Mühe kostete. Unwichtiges übergab er Accessisten, die sich unter seiner Leitung ausbildeten, und so gelang es ihm fast immer, in kurzen Zwischenräumen Zeit auch zu geselligen Vergnügungen, die er sehr liebte, und zu unterhaltenden Gesprächen zu gewinnen.

Inzwischen vergaß die Justizräthin nicht, im Interesse ihrer Tochter die ersten vorbereitenden Schritte zu thun. Es konnte der aufmerksamen Mutter nicht entgehen, daß Justine dem interessanten Legationsrathe gewogen war, und wenn sie an die glänzende Zukunft dachte, die unter besonders glücklichen Umständen ihrem einzigen Kinde vielleicht schon in sehr kurzer Zeit beschieden sein konnte, schlug ihr Herz lauter vor Freude und Entzücken. Der Entschluß der glücklichen Mutter stand fest. Justine sollte die Gemahlin des Legationsraths Mandelsdorf werden. Sie wollte das mit seltenen Gaben des Körpers und Geistes reich ausgestattete Kind am Hofe der Tuilerien unter Herzögen, Marschällen, Marquis und Grafen als bevorzugte Schönheit und geistreiche Frau bewundert sehen.

Strahleck fragte nicht direct, in wiefern seine Andeutungen von Laura benutzt worden seien. Es war überhaupt nicht die Art des ziemlich ernsten Mannes, sich nach einem gegebenen Auftrage sogleich wieder zu erkundigen. Er ließ es lieber an sich kommen und ward durchaus nicht verstimmt, wenn Andere ihn, selbst zur Unzeit, an eine von früher her datirende Angelegenheit wieder erinnerten.

Ohnehin war der Justizrath in den letzten Wochen sehr zerstreut, in Folge einer Angelegenheit, die man ihm schon vor längerer Zeit übergeben hatte. All' feine Rechtskenntniß, seine ganze juristische Erfahrung reichte nicht aus, um sich ein klares Urtheil zu bilden, und das beunruhigte den Justizrath sehr, während es ihn noch ungleich mehr verdroß.

Der Fall betraf eine Erbschaft. Vor beinahe hundert Jahren war ein armer Zimmergeselle, Namens Ehrlich, aus Verdruß über das geringe Glück, das er auf vierjähriger Wanderschaft gemacht hatte, zu Schiffe gegangen, um in ferner Welt sein Heil zu versuchen. Josua, wie er mit seinem Taufnamen hieß, konnte zur Nothdurft lesen und schreiben, weiter aber gingen seine Kenntnisse nicht. Sein Handwerk nur verstand er aus dem Grunde, so daß er wohl hoffen durfte, er werde, blühe ihm das Glück nur einigermaßen, sich ganz gut durch seiner Hände Arbeit ernähren können. Ehrlich hatte noch zwei Geschwister, einen Bruder Elias – der alte Ehrlich, Schuhmacher seines Zeichens, war Mennonit und liebte die biblischen Namen – welcher des Vaters Handwerk ergriff, und eine Schwester Mirrha. Beide Geschwister verheiratheten sich und zeugten Kinder, von denen die meisten starben, einige wenige aber am Leben blieben und sich später wieder da- und dorthin zerstreuten. Da kein einziger Nachkomme des frommen Mennoniten sich besonders hervorthat, so machten sie auch keinerlei Aufsehen. Der alte Schuhmacher segnete das Zeitliche in hohen Jahren, auch Elias starb und Mirrha zog, nachdem sie eine Reihe Jahre in glücklicher Ehe gelebt hatte, mit ihrer Tochter, die auswärts einen Bräutigam fand, ganz fort. Weder von ihr noch von ihrer Tochter verlautete späterhin etwas, so daß schon nach fünfzig Jahren die ganze Familie völlig in Vergessenheit gerieth.

Von Josua Ehrlich, dem ausgewanderten Zimmergesellen, hatten weder dessen Eltern, noch später die Geschwister je wieder eine Nachricht erhalten. Sie erfuhren nur durch Hörensagen, daß Josua zur See gegangen sei, und da keine Kunde mehr von ihm eintraf, auch angestellte Nachforschungen erfolglos blieben, so nahm man an, er möge auf dem Meere gestorben oder verunglückt sein.

Da erhielt die Obrigkeit der Stadt, wo der alte Ehrlich gelebt und gewirkt hatte, eines Tages durch consularische Vermittelung die Anzeige, daß auf Java eine Dame in hohem Alter verstorben sei mit Hinterlassung eines colossalen Vermögens. Die Verstorbene war eine geborene Ehrlich, und zwar die älteste Tochter jenes ausgewanderten Josua, der wider alles Vermuthen auf Java sein Glück durch Uebernahme von Bauten gemacht, später sich reich verheirathet hatte und in hohen Jahren verstorben war. Aus den hinterlassenen Papieren, die man bei der alten Dame fand, ergab sich, daß Josua Ehrlich schon lange vor seinem Tode, als sein Vermögen bereits weit über eine Million Gulden betrug, dies in zwei gleiche Hälften getheilt und zu Gunsten seiner nächsten Verwandten darüber verfügt hatte. Nach längerem Suchen in dem mit allerhand Seltsamkeiten überfüllten Landhause, welches die alte Dame bis zu ihrem Tode bewohnt hatte, entdeckte man auch ein förmliches Testament Josua Ehrlichs. In diesem Testamente hatte der schon längst Verstorbene seine in Europa verbliebenen Geschwister und deren Kinder zu Erben der vollen Hälfte seines baaren Vermögens eingesetzt, während die andere Hälfte nebst seinen erworbenen und höchst beträchtlichen Besitzungen auf Java mit Allem, was sich an Werthsachen darin vorfände, seinen eigenen Kindern und deren Nachkommen verbleiben sollte.

Dies Testament war in Form allen Rechtes abgefaßt, von dem Erblasser unterschrieben oder vielmehr unterkritzelt, so daß an dessen, Gültigkeit Niemand zweifeln konnte. Zugleich ward aber auch die Entdeckung gemacht, daß die letztwilligen Verfügungen Josua Ehrlich's niemals zur Ausführung gekommen waren!

Zwischen dem Tode des reich gewordenen Zimmergesellen und dem Ableben seiner Tochter lag ein Zeitraum von weit über fünfzig Jahren. Zwei Josua später geborene Kinder waren in zartem Alter gestorben, die älteste Tochter aber, die den Vater überlebte, hatte sich nie verheirathet. Auch die Familie, welcher Josua Ehrlich sich auf Java durch Heirath verband, war in allen ihren Gliedern ausgestorben, so daß mit dem Tode der alten Dame die ganze Familie für erloschen gelten mußte, wenn nicht etwa in Europa noch Abkömmlinge der Ehrlich am Leben waren. Die letztere Annahme hatte viel Wahrscheinlichkeit für sich, da ja zwei Geschwister Josua's im Vaterlande zurückblieben. Gerade um diesen seinen nächsten Blutsverwandten ein besseres Loos zu bereiten und womöglich Allen reichliche Mittel zu gutem Fortkommen in die Hand zu geben, hatte der gutherzige, auf so Unerwartete Weise reich gewordene älteste Bruder das Testament verfaßt.

Unvorhergesehenen Umständen mußte es zugeschrieben werden, daß Josua Ehrlichs letzter Wille nicht hatte vollstreckt werden können. Aus Europa war trotz zweimaliger Meldung von Josua's Tode keine Nachricht nach Java gelangt. Man mußte zuletzt annehmen, sämmtliche Nachkommen der Familie Ehrlich seien ausgestorben. Später schien in Folge der politischen Stürme, welche Europa damals heimsuchten und alles Bestehende in Frage stellten, eine Wiederholung des Aufrufes an die etwaigen Erben Josua's unterblieben zu sein.

So ward nun die einzige noch lebende Tochter des reichen Bauherrn Universalerbin des großen Vermögens ihres Vaters, das sich während ihres ferneren Lebens, obwohl sie keineswegs sparte, mehr als verdreifachte. Aus den Erzählungen Josua's wußte sie, daß die Familie, ihres Vaters von jeher in drückenden Verhältnissen gelebt hatte, weshalb sie dessen Absicht, diesen ihren fernen Verwandten einen ansehnlichen Theil seiner Glücksgüter zu vererben, nur billigte. An ihr als Tochter beging der Vater dadurch keinen Raub. Es verblieb ihr genug, um verschwenderisch leben zu können. Und da sie auch das gute Herz des Vaters ererbt hatte, so gab sie in einem an die Behörde gerichteten Schreiben kurz vor ihrem Tode den Wunsch zu erkennen, man möge nach ihrem Ableben noch einmal den Spuren der Anverwandten ihres Vaters in Europa nachforschen.

Erst nach Ablauf eines vollen Jahres erhielt die Behörde der Stadt, wo der alte Ehrlich gelebt und sich mühsam durchgeschlagen hatte, Kunde von den fernen Verwandten einer Familie, die längst verschollen war. Des frommen, fleißigen Schuhmachers erinnerte sich persönlich Niemand mehr, von den Zeitgenossen der Kinder desselben lebten aber noch einige Wenige in hohem Greisenalter. Aber auch diese vermochten über deren Verbleiben nur dürftige Auskunft zu geben. Indeß gelang es doch den jetzt ernstlich betriebenen Nachforschungen die eine Thatsache zu ermitteln, daß ein Sohn von Elias Ehrlich vor einigen dreißig Jahren nach Canada ausgewandert sei. Diese Thatsache ward constatirt, nach Java berichtet und vorläufig Arrest auf die Erbschaft gelegt. Die Enkel und Urenkel des Mennoniten, dessen Sohn Josua so reich geworden war, konnten ja noch leben. Endlich war auch Mirrha und ihre mögliche Nachkommenschaft noch übrig, der man jetzt ebenfalls nachspüren mußte.

Zu diesen weitläufigen Schritten bedurfte man Zeit. Außerdem war die Betreibung der Nachforschung selbst mit vielen Mühen und endlosen Schreibereien verbunden. Es schien deshalb zweckmäßig zu sein, die interessante Erbschaftsangelegenheit, die voraussichtlich kaum in Jahren sich würde ordnen lassen, einem tüchtigen Juristen zu übertragen, und so gelangte sie in die Hände des Justizraths Strahleck.

Wieder vergingen Monate, ohne daß es gelingen wollte, die muthmaßlichen Erben des fabelhaften Vermögens, das mit jedem Tage noch mehr anwuchs, zu ermitteln. Von Mirrha Ehrlich ließ sich gar keine Spur entdecken. Unbemittelt und unangesehen von Haus aus, hatte sich Niemand um das Mädchen und ihre Schicksale bekümmert.

Strahleck gab jedoch die Hoffnung nicht auf. Je länger er sich mit den Nachforschungen nach den Abkömmlingen der Ehrlich beschäftigte, desto interessanter wurde im die Sache, und selbst, wenn Jahre darüber vergehen sollten, war dies für ihn persönlich kein Verlust. Mochten sich für das einstweilen von der Behörde gewissenhaft verwaltete Vermögen die rechtmäßigen Erben finden oder nicht, ihm mußte für sein treues Bemühen doch immer eine sehr anständige Gratification ausgezahlt werden, welche unter den obwaltenden Umständen einem Vermögen gleichkommen konnte.

Einige Wochen nach dem vertraulichen Gespräch Strahlechs mit seiner Gattin in Folge des Ballfestes beim englischen Consul ward dem Justizrath durch Letzteren ein Schreiben zugefertigt, das aus Quebec kam. Dies Schreiben enthielt die ersten leisen Andeutungen, daß in dem weiten Nordamerika sich irgendwo noch Verwandte der auf Java verstorbenen Tochter des ehemaligen Zimmergesellen Josua Ehrlich aufhalten könnten. In Quebec selbst hatte vor langer Zeit ein Deutscher dieses Namens als Tischler sich niedergelassen. Er stammte aus der Geburtsstadt des Josua, der auf Java zu so enormen Reichthümern gelangt war. Mein nach der Gewohnheit der meisten naturalisirten Amerikaner war auch dieser Ehrlich bald weiter westwärts gezogen, und zwar, wie mit Bestimmtheit behauptet ward, zunächst nach Michigan. Es hatten sich mehrere Deutsche mit zwei Canadiern verbunden, um in dem neu aufblühenden Staate einen Holzhandel anzufangen, von dem sie sich großen Gewinn versprachen. Dem Schreiben ward schließlich die Versicherung beigefügt,, daß man bereits das Erforderliche, angeordnet habe, und daß man seiner Zeit über das Weitere Bericht erstatten werde.

Wider alles Erwarten folgte diesem ersten Schreiben schon nach wenigen Wochen ein zweites, welches die Nachricht enthielt, daß man alle Ursache habe zu glauben, ein naher Verwandter Josua Ehrlichs lebe wirklich noch im Innern Nordamerika's. Dieser habe jedoch seinen deutschen Namen abgelegt und nenne sich schon seit geraumer Zeit Master Honest. Es werde sich indeß der Beweis unschwer führen lassen, daß er rein deutscher Abstammung sei, und daß er seinen ursprünglich deutschen Namen aus Nützlichkeitsrücksichten nur buchstäblich ins Englische übersetzt habe. Auch der Nachweis der Nothwendigkeit eines solchen Namenwechsels war gegeben. Master Honest, der vermuthliche Urenkel des frommen Schuhmachers Ehrlich, war in die Fußstapfen seines Urgroßvaters getreten und stand jetzt als angesehener Prediger der Mennoniten-Gemeinde zu Cincinati in hohem Ansehen. Weil fast alle Mitglieder dieser Gemeinde echte Amerikaner waren und durchaus nur einen Amerikaner als ihren Seelsorger haben wollten, würde der deutsche Name Ehrlich den würdigen Mann um allen Einfluß bei seiner ihm sonst sehr geneigten Gemeinde gebracht haben.

Justizrath Strahleck war hoch erfreut über diese Nachrichten. Sie konnten ihm nur zur Ehre gereichen und seinen Ruf als scharfsinnigen Juristen, der fast jede ihm übertragene Angelegenheit glücklich zu Ende führte, auch im fernen Auslande vermehren.

In seiner freudigen Aufregung theilte er den Vertrautesten die gemachte Entdeckung mit, nannte den Namen des aller Wahrscheinlichkeit nach glücklich aufgefundenen Ehrlich und überschlug schon im Geiste die mancherlei Vortheile, welche die Schlichtung dieser eigenthümlichen Erbangelegenheit für ihn und seine Familie haben müsse.

Einer der Ersten, welche Strahleck von dem Erfolge seiner Bemühungen in Kenntniß setzte, war der englische Consul. Hatte dieser ihm doch bereitwillig die Hand geboten und seine Forschungen nach dem verschollenen Abkömmlinge der Familie Ehrlich auf jede Weise gefördert. Der Consul theilte jedoch nicht die zuversichtliche Hoffnung des Justizraths.

»Master Honest?« sagte er, den Namen wiederholend, den ihm Strahleck als denjenigen nannte, hinter welchem sich der Urenkel Ehrlichs verbergen sollte. »Der Honest giebt es in England, wie in den englischen Besitzungen auf dem amerikanischen Continent, eine sehr große Menge. Sie sind ungefähr so verbreitet durch die vereinigten Königreiche, wie in Deutschland die Meier oder Schulze. Aus diesem Grunde, dünkt mich, bietet die aufgefundene Spur nur geringe Sicherheit, daß der ermittelte Mennonitenprediger auch wirklich der gesuchte Ehrlich und der rechtmäßige Erbe des auf Java verstorbenen Krösus ist.«

Strahleck machte Einwendungen, und zählte alle Gründe auf, die für seine Annahme sprachen. Der kühle Engländer ließ sich aber nicht überzeugen.

»Wenn Sie der entdeckte Name besticht, Herr Justizrath,« erwiderte er, »so könnte ich Ihnen leicht noch ein paar Fährten nachweisen, die zu verfolgen wohl auch der Mühe verlohnen dürfte.«

»In Ihrem Geburtslande?« fiel Strahleck ein.

»In England, in Schottland, in den Niederlanden, ja selbst hier. Ueberall leben Honest's, oder doch Personen, die mit Leuten dieses Namens verwandt sind.«

Der Justizrath lächelte, indem er versetzte:

»Wahrscheinlich sind Ihnen auch die Stammbäume dieser Familien bekannt.«

»Nicht von allen,« sagte der englische Consul. »Es gibt unter ihnen Persönlichkeiten, deren Vergangenheit sich in ein verschwommenes Dunkel verliert. Zu diesen gehören sogar einige Personen von Dinstinction, denen man häufig in den ersten Cirkeln begegnet.«

Strahleck glaubte jetzt wirklich, der Consul wolle nur seinen Scharfsinn und seine juristische Klugheit auf die Probe stellen, weshalb er sehr heiter versetzte:

»Nun, wenn dies der Fall ist und Sie wollen nur die Güte haben, mir einen Fingerzeig zu geben, so darf ich mich vielleicht doppelt freuen. Es wäre ganz angenehm, wenn ein Theil der ungeheuren Erbschaft in die Vaterstadt der Ehrlich zurückkehrte, oder gar hier blieb.«

»Ich spreche im vollen Ernst, Herr Justizrath!«

»Und ich nicht minder, Herr Consul!«

»Dann überrascht es mich in der That, daß Sie nicht ahnen, wohin meine Bemerkung zielen soll.«

»Ich bin nicht, was man im Jargon der exclusiven Gesellschaft: »von Familie« nennt,« entgegnete Strahleck etwas piquirt, »und – offen gestanden – ich fühlte auch nie ein Bedürfniß, mich in Familiengeheimnisse zu drängen, wenn es meine amtliche Thätigkeit nicht als Pflicht erheischte.«

»Sollten Sie wirklich niemals gehört haben,« erwiderte in stets gleichmäßig ruhigem Tone der englische Consul, »daß unser von der vornehmen Welt so arg verzogene Legationsrath Mandelsdorf mütterlicherseits von einer Familie Honest abstammt, und daß gerade diese Familie nicht englischen, sondern vlämischen Ursprungs ist?«

»Das erste Wort, das ich höre!« rief der Justizrath mit ungekünsteltem Erstaunen aus. »Aber wie kommen Sie, Herr Consul, zu dieser Kenntniß?«

»Auf die einfachste Weise von der Welt. In meiner Eigenschaft als Consul habe ich unter Anderem ja auch die Verpflichtung, Pässe zu visiren und mit dem Consulatsstempel zu versehen. Vor Jahren ward mir eines Tages ein solcher zu dem nämlichen Zwecke übergeben. Allzu ängstlich sind wir in England nicht, wie Sie wissen, weil wir auf sogenannte Legitimationspapiere keinen großen Werth legen. Ich visire also den Paß wie jeden anderen. Dabei lese ich zufällig den ganzen Namen seines Inhabers, und erst, als ich diesen erblicke, wird mir der Besitzer desselben interessant. Es war ein Mandelsdorf, wie ich gleich darauf von ihm selbst erfuhr, ein entfernter Cousin unseres Legationsrathes. Ein Wort gab das andere; der junge Mann sprach gern und gut, und so erfuhr ich denn gesprächsweise von ihm, daß er mit seinen nächsten Anverwandten sehr schlecht stehe und sie deshalb nicht einmal besucht habe. Dieser Bemerkung fügte er die Bitte hinzu, ich möge seiner, wenn ich mit den hiesigen Mandelsdorfs zusammenträfe, lieber nicht erwähnen. Seine Cousine möchte auffahren, denn ihre Mutter habe sich mit seiner eigenen Mutter von je her sehr schlecht vertragen, weil diese um ein Familiengeheimniß wisse, das man der Welt zu verbergen die triftigsten Gründe habe. Natürlich enthielt ich mich jeder weiteren Frage, nur einen Blick noch warf ich in den Paß, da ich flüchtig gesehen hatte, daß der junge Mann in Begleitung seiner Mutter reiste. Und da las ich denn neben dem Namen Mirrha Mandelsdorf die Worte: geborene Honest.«

»Ich habe das allerdings nicht gewußt,« erwiderte der Justizrath, »und ich bin Ihnen deshalb sehr verbunden für Ihre Mittheilung, bedeutungsvoll aber für meine Erbschaftsangelegenheit wird sie, glaub' ich, nicht werden. Nach dem Vlämischen dürfte sich, so weit meine Erkundigungen reichen, kein Nachkomme der Ehrlich verirrt haben.«

Jedenfalls war es meine Pflicht, Ihnen die Abstammung der Mandelsdorf nicht vorzuenthalten,« sagte der Consul. »Im Uebrigen wünsche ich Ihnen aufrichtig den besten Erfolg und eine Erledigung der fraglichen Angelegenheit zu Ihrer vollkommensten Zufriedenheit.«

Der Justizrath versicherte den Consul nochmals feiner Ergebenheit und bat, ihm auch ferner eine wirksame Unterstützung nicht zu entziehen, worauf er das Haus desselben in nachdenklicher Stimmung verließ.


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