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7. Vater, Mutter und Tochter.

Die bemoosten Zinnen von Schloß Tannensee funkelten im Gold der Abendsonne. In dunkler Bläue wölbte sich der Himmel über dem weitläufigen Park, dessen äußerste Buschpartieen mit dem düstern Tannenwalde zusammenliefen, welchem das Schloß wohl seinen Namen verdanken mochte. Etwa in der Mitte des Parkes befand sich ein kleiner See mit einer Insel, der von einigen meistentheils wasserarmen Bächen gespeist wurde, die von den hügeligen Waldhöhen, welche im Süden das alte Schloß umgaben, herabrieselten.

Der See lag schon im Schatten, und im dunkeln Laub der ihn umrauschenden Buchen zeigten sich die blitzenden Lichtfunken schwärmender Leuchtkäfer. Auf dem klaren, von keinem Windhauch gekräuselten Wasserspiegel schaukelte ein Nachen, den ein kräftiger Mann in Livrée dem Ufer zusteuerte. Weiche melodische Klänge einer Guitarre verhallten zitternd über dem See und klangen fast wie die melancholisch fallenden und steigenden Töne einer Aeolsharfe. Als der Kahn an's Ufer schaukelte, sprang mit gazellenartiger Behendigkeit ein junges Mädchen an's Land, das an blauem Seidenband die Guitarre um den schneeigen Nacken trug, und von Zeit zu Zeit in vollen kräftigen Accorden die Saiten erklingen ließ. An dem fein geschnittenen Profil des von schwarzglänzenden Locken umspielten Kopfes, den ein breiter Strohhut bedeckte, erkennen wir das Urbild des Miniaturportraits, welches der Rittmeister besitzt, und wissen, daß wir die Comtesse Bianca von Tannensee vor uns haben. Die Kleidung Bianca's war weiß, duftig, geschmackvoll, aber so einfach, daß Viele sie zu einfach gefunden haben würden.

Im Schlosse hörte man eine Glocke in langen Pausen erklingen. Die einzelnen Schläge dieser Glocke klangen fast unheimlich, sie mußten aber eine Bedeutung haben, denn Bianca achtete offenbar auf dieselben und es war wohl anzunehmen, daß sie ihrem monotonen Rufe folgte.

Gräfin Mathilde von Tannensee hatte diese eigenthümliche Art, ihrer Tochter, wenn sie im Park weilte, was freilich sehr häufig geschah, den Wunsch zu erkennen zu geben, daß sie zurückkehren solle in's Schloß, schon seit Jahren eingeführt. Die Glocke rief aber so lange, bis Bianca der Mutter auch wirklich sichtbar wurde.

Eine Freitreppe, mit Statuen geschmückt, die ihre Entstehung keinem Phidias verdankten, führte vom Park zur Schloßhalle hinauf. Sie war fast ganz von Epheu umrankt und auf dem oberen Theile durch eine Veranda überdacht. Hier, wie auf den Treppenstufen, standen in passenden Zwischenräumen exotische Gewächse in wohlerhaltenen Kübeln. Man sah es diesen Gewächsen an, daß sie der pflegenden Obhut eines tüchtigen Gärtners anvertraut waren. Die monotonen Rufe der Glocke ließen sich noch hören, als Bianca schon diese Treppe hinaufstieg. Erst beim Betreten der Veranda verstummten sie.

Bianca blieb zögernd unter der Veranda stehen, denn die harte, rauhe Stimme eines Mannes, den sie nicht kannte, schallte ihr entgegen und machte sie ängstlich. Da sie aber gleich darauf auch die Stimme ihrer Mutter vernahm, die zwar immer traurig, aber doch sanft klang, trat sie, noch einen Accord auf der Guitarre greifend, in die Schloßhalle.

Diese geräumige Halle war Saal und Zimmer zugleich, und Gräfin Mathilde pflegte im Sommer jeden Fremden, deren sich auf Schloß Tannensee allerdings nicht gerade sehr viele einfanden, in diesem alterthümlichen Räume zu begrüßen. Vor Jahrhunderten mochten hier die Besitzer von Tannensee ihre Bankette und Zechgelage, vielleicht auch ihre Waffenübungen abgehalten haben.

Dem ersten Schritte Bianca's in die Schloßhalle, die vom Widerschein des Abendrothes romantisch erleuchtet wurde, folgte auf der Stelle ein zaghaftes Zurückweichen. Die Comtesse erschrak vor dem Fremden, dessen fahlbraunes, hageres, strenges Antlitz ihr gerade zugekehrt war. Größer aber noch, als der Schreck des jungen Mädchens, war das Erstaunen, ja Entsetzen des fremden Mannes, der die Hand der Gräfin Mathilde noch in der seinigen hielt.

»Was muß ich sehen!« rief er aus, die Hand der Gräfin Mathilde so krampfhaft umschlingend, daß diese vor Schmerz zusammenzuckte. »Gehen Geister um in diesen unseligen Hallen?«

»Es ist Ihr Kind, Graf Erhardt,« versetzte auf diese Aeußerung Gräfin Mathilde. »Bianca war ein Kind, als Sie vor acht Jahren Ihre große Reise antraten. Sie hat sich sehr, doch hoff ich zu ihrem Vortheil, verändert.«

Kalt und stier ruhten die Blicke des Grafen auf der erschrockenen Bianca, der sich jetzt die Mutter näherte, um sie dem ihr entfremdeten Vater, den sie nur im Bilde noch kannte, zuzuführen.

»Küsse Deinem Vater die Hand, mein Kind,« sprach die Gräfin in ihrem stets traurigen, melancholischen Tone, der nur zu laut verkündigte, daß das Herz der Gräfin keine Freudenstätte sei. »Dein Glück, Bianca, hat den Vater aus fernen Landen heimgerufen. Das vermag nur Vaterliebe, Vatersorgfalt.«

Der kühle, seelenlose Ton, womit Gräfin Mathilde diese Worte sprach, strafte sie Lügen. Sie war aber durch die Verhältnisse gezwungen, auch gegen ihre Ueberzeugung zu handeln, wenn eine unabweisbare Nothwendigkeit dies verlangte. Eine solche Nothwendigkeit war ihrer Ansicht nach jetzt vorhanden, und deshalb that sie, was die Form und die Sitte gebot. Graf Erhardt von Tannensee, ihr Gemahl, der seit ihrer Vermählung im Ganzen kaum zwei volle Monate in Schloß Tannensee gelebt hatte, war zurückgekehrt, um der Vermählung seiner einzigen Tochter Bianca mit dem Rittmeister von Birkenfeld beizuwohnen, den er nur aus Briefen kannte.

Bianca fügte sich dem Verlangen ihrer Mutter. Sie näherte sich dem Manne, den sie als Vater ehren und lieben sollte, aber mit einer Seelenangst, als werde sie von seinem Munde ein Todesurtheil hören, und wie die Mutter ihr geboten hatte, küßte sie die Hand des entsetzlich finstern Mannes und lispelte mit kaum vernehmbarer Stimme:

»Ich grüße Sie, mein Vater, in Demuth. Gott segne Sie im Schlosse unserer Ahnen.«

Graf Erhardt erwiderte keine Silbe auf diesen Gruß der jugendlich schönen Tochter, die in ihrer klaren, unschuldigen Mädchenhaftigkeit wie ein Engel des Lichtes neben einem Dämon der Finsterniß stand. Nur die Augen des Grafen ruhten brennend unverwandt auf der liebreizenden Gestalt Bianca's. Ein Sturm von Gedanken – oder waren es trübe, vielleicht gar schreckliche Erinnerungen? – versetzte den Grafen an andere fremde Orte, so daß er nicht geistig, nur körperlich auf Tannensee weilte.

Eine abermalige Anrede seiner Gattin, auf deren Wink Bianca sich schüchtern zurückgezogen hatte, brachte Graf Erhardt wieder zu sich selbst.

»Bianca hat dieser Stunde schon längst mit sehnsüchtigem Erwarten entgegengeharrt,« sprach sie. »Das Kind fühlte sich glücklich, in dem Gedanken, ihren geliebten Vater als Braut begrüßen zu können. Wie sehr bedaure ich, daß Sie, angegriffen von der Reise, gerade in diesem Augenblicke so verstimmt sind.«

Der Graf fühlte sich getroffen. Wie aus einem Traume erwachend, ergriff er zum zweiten Male die Hand seiner Gattin, berührte sie kaum fühlbar mit seinen Lippen und versetzte:

»Vergeben Sie mir, Mathilde! – Ich war in der That abwesend, aber es wird vorübergehen, und Bianca soll nicht Ursache haben, sich über ihren Vater zu beklagen. Wo ist das Kind geblieben?«

Die Gräfin bedeutete ihrem Gemahl, daß sie Bianca befohlen habe, sich zu entfernen.

»Sobald Sie das Bedürfniß fühlen werden, Ihre Tochter zu sehen und zu sprechen, wird sie Ihnen mit freudigem Jauchzen entgegenhüpfen.«

Graf Erhardt bot darauf mit ceremoniöser Galanterie seiner Gemahlin den Arm, stieg mit ihr die breite bequeme Wendeltreppe hinan und geleitete sie in ihr Wohngemach.

»Eine Stunde wünsche ich allein zu sein, um mich zu sammeln,« sprach er, die melancholische Frau wieder verlassend. »Nach einer Stunde werde ich Bianca rufen lassen. Ich wünsche, daß sie vorbereitet wird, mich gebührend zu begrüßen. Ich liebe Bianca und wünsche ihr Glück.«

Der Graf entfernte sich; kein heiterer, liebevoller Blick, nur bange Seufzer folgten ihm.

Im Schlosse, auf Treppen und Corridoren ward es nun lebendig, denn die Diener des Grafen, vier an der Zahl, alle Ausländer, packten den Reisewagen ihres Herrn ab, und schafften eine Anzahl Koffer und andere Reise-Utensilien in die für Graf Erhardt eingerichteten Zimmer.

Die Dienerschaft der Gräfin verhielt sich völlig unthätig. Sie war sehr unzufrieden, daß der Graf, der für Alle ein völlig Fremder war, sich mit lauter Leuten umgeben hatte, die kein Wort deutsch verstanden. Es fehlte daher gleich in den ersten Minuten nach des Grafen Ankunft auf Schloß Tannensee nicht an heimlichem Geflüster, an spitzen und beißenden Bemerkungen, die großentheils dem »fremden Volke« galten, das seine Gespräche mit lebhaften Gesten, die sich fremdartig und deshalb komisch ausnahmen, begleitete. So bildeten sich gleich von Anfang an ganz in der Stille zwei einander feindlich gegenüber stehende Parteien auf Tannensee, von denen die seit jeher daselbst wohnende auf Seiten der Gräfin und deren Tochter, die andere fremde auf Seiten des finstern Grafen stand, welchen die deutsche Dienerschaft für wenig besser als einen Eindringling hielt.

Gräfin Mathilde ließ ihre Tochter rufen. Sie mußte mit ihr sprechen, ehe Bianca ein zweites Mal vor ihren Vater trat. Der erste Empfang derselben Seitens des Grafen war zu auffallend, zu abstoßend gewesen. Es mußte diesem eine Unterredung zwischen Mutter und Tochter folgen, diese Unterredung aber hatte auch bis dahin mit Stillschweigen Uebergangenes zu berühren, um ein Verständniß zwischen Personen, die einander von Natur so nahe standen, und sich doch wieder so völlig fremd warm, anzubahnen.

Bianca trat mit verweinten Augen vor die Mutter. Gräfin Mathilde umarmte ihr Kind, küßte ihr wiederholt die freie Stirn und legte dann beide Hände auf das dunkle Gelock Bianca's, als wolle sie das Haupt des geliebten Kindes segnen.

»Dem Vater, mein liebes Kind,« begann die Gräfin nach einer Weile, während Bianca am Herzen der Mutter still weinte, »Dein Vater wünscht Dich zu sprechen. Er hat Dir wahrscheinlich Wichtiges mitzutheilen. Dir auch viele Fragen vorzulegen. Höre ihm aufmerksam zu und sei in Deinen Antworten wahr und unbefangen. Dein Vater kann keinen Widerspruch ertragen, selbst den nicht, welchen das Herz oft gebieterisch fordert.«

Sie schwieg einige Zeit, dann fuhr sie mit sichtbarer Erregung fort:

»Vor zwanzig Jahren war ich glücklich, wie Du. Ich liebte und glaubte mich wieder geliebt. Das Herz des Mannes aber, dem ich mein volles Vertrauen schenkte, dem ich das Glück meines Lebens rückhaltslos preisgab, war ein zwiefach getheiltes. Zu spät erst erfuhr ich, daß seine Liebe nicht unwandelbar sei. Nach schweren Kämpfen, nach unsäglichem Kummer trennten wir uns, nicht offen vor der Welt – denn zeitliche Rücksichten geboten vorsichtiges Handeln – nur vor Gott ... Graf Erhardt von Tannensee, Dein Vater, verließ mich, ehe Du geboren wurdest. Er ging auf Reisen und ich hörte nichts von ihm. Durch Dritte kannte ich aber seinen Aufenthalt, so daß es mir möglich ward, ihn Deine Geburt wissen zu lassen. Um die Welt zu täuschen und jedes etwa auftauchende Gerücht gleich im Entstehen zu ersticken, wohnte er Deiner Taufe bei. Geschäftsreisen – so hieß es – führten ihn dann wieder außer Landes. Zweimal noch sah ich den Grafen seitdem, zum letzten Male, als Du confirmirt werden solltest. Damals war er froher, als jetzt, wo das Leben und dessen Täuschungen auch an ihm nicht spurlos vorüber gegangen sind ... Jetzt, meine Tochter; wird Dir die Trauer verständlich sein, die mein steter Begleiter ist. Ich trage den Wittwenschleier seit meiner Vermählung und bin doch nicht Wittwe ... Dir, mein Kind, Dir steht ein gleich trauriges Loos nicht bevor, denn Du hast ... Du hast ... keine Schwester!«

Gräfin Mathilde's Stimme erstickte bei diesen Worten in Thränen. Bianca, von dieser Eröffnung erschüttert, küßte der trauernden Mutter die Augen und sprach milde Worte, wie sie ungeheuchelte Kindesliebe ihr eingab. Sie hatte längst geahnt, daß ein düsteres Zerwürfniß den Vater stets fern halten möge, aber sie wagte nicht, einem Geheimnisse nachzuforschen, das ein bloßes Erkennen nicht zu ändern vermochte. Jetzt, wo sie den Schmerz der Mutter tief empfand, steigerte sich in demselben Grade ihre Liebe zu der Unglücklichen, als ihre Abneigung gegen den ihr völlig fremd gewordenen Vater sich mehrte. Ihre Entschlossenheit wuchs; sie fühlte sich muthig genug, dem Manne gegenüber zu treten, der so schwere Schuld auf sich geladen, der ihrer Mutter jede Lebensfreude vergällt hatte ... Aber war ihre Mutter auch ganz aufrichtig, ganz wahr gegen sie? ... Diese Seufzer, diese irrenden Blicke, dieses schmerzensreiche Lächeln, das so oft ihrem Antlitz den Schimmer einer Märtyrerin verlieh, verbarg es nicht noch schwerere Leiden? ... Die Mutter sprach von einer Schwester! Bianca hatte nie eine Tante gekannt! ... Auch bemerkte sie, daß ihre Mutter sich selbst ob dieser Aeußerung tadelte.

»Sie ist todt, längst schon,« lautete der Gräfin Antwort auf die Frage Bianca's nach dieser ihr nie zu Gesicht gekommenen Schwester. »Du warst ein Kind, als sie starb.«

»War sie auch nicht glücklich?« fragte die Tochter ahnungsvoll.

»Gewiß, sie war es!« versetzte sehr bestimmt die Mutter.

Bianca wollte weiter forschen, aber das Auge ihrer Mutter ruhte mit so flehendem Blicke auf ihr, daß sie ihre Neugierde bekämpfte. Was konnte es auch fruchten, den Lebensspuren einer längst Abgeschiedenen, von deren Existenz sie bisher nicht einmal eine Ahnung gehabt hatte, nachzuforschen! Sie unterdrückte daher jede fernere Frage, deren mehrere sich ihr aufdrängten, um bei gelegenerer Zeit, vielleicht nach der abermaligen Abreise des Grafen, dessen Aufenthalt unter den obwaltenden Verhältnissen kaum von sehr langer Dauer sein konnte, von Neuem dieses trübselige und schmerzende Thema zu berühren.

Die Stunde war inzwischen verflossen, und ein Diener des Grafen meldete, daß der Herr Graf Comtesse Bianca zu sprechen wünsche.

Bianca erbebte leise, die Mutter aber sprach ihr Muth ein.

»Du darfst ruhig sein, mein Kind,« sprach sie. »Graf Erhardt wird es seine einzige Tochter nicht entgelten lassen, daß er die Mutter derselben nicht lieben konnte!«

Gräfin Mathilde gab Bianca das Geleit bis in den Flügel, wo die Zimmer des Grafen völlig abgeschieden von den Gemächern seiner Gemahlin lagen. Der Kammerdiener des Grafen öffnete der Comtesse die Thür und hob die schwere Portière, um ihr das Eintreten zu erleichtern.

Mitten im Zimmer, das Gesicht der Thür zugewandt, saß Graf Erhardt von Tannensee an einem großen Tische. Zwei silberne Armleuchter erhellten das Gemach und der Glanz ihres Lichtes brach sich auf einer Menge seltener Kostbarkeiten, welche auf dem Tische ausgebreitet lagen.

Als der Graf seine Tochter gewahrte, stand er auf und ging ihr entgegen. Er sah jetzt viel freundlicher aus und Bianca entdeckte mit Vergnügen Spuren von Aehnlichkeit mit sich in den harten männlichen Zügen. In diesen Familienzügen erkannte sie den Vater, und ein süßes Beben durchzuckte sie.

»Sie haben mich rufen lassen, mein Vater?« sagte sie, die Augen senkend und die sehr förmliche Umarmung, zu welcher sich der Graf jetzt herbeiließ, sanft erwidernd.

»Um Dir zu beweisen,« versetzte Graf Erhardt, »daß ich auch in der Ferne stets auf Dein Wohl bedacht war, habe ich mir angelegen sein lassen, die Wünsche zu befriedigen, welche gewöhnlich jeder Braut besonders am Herzen liegen. Diese Kleinodien sind Dein. Ich weiß, daß ich Dir damit eine Freude mache, und da ich wünsche, daß Du glücklich werden mögest, ich aber nur sehr kurze Zeit auf Tannensee verweilen darf, weil andere größere Pflichten mich wieder abrufen, so ist mir daran gelegen, von Dir zu erfahren, ob Du zufrieden bist, oder ob Du noch andere Wünsche hegst. Sei offen und fordere ohne Scheu! Ich bin bereit zu gewähren, was ich vermag.«

So sprechend führte der Graf seine Tochter an den Tisch, um ihr all' die Herrlichkeiten zu zeigen, die in schimmernder Fülle hier vor ihr ausgebreitet lagen.

Bianca hätte nicht jung und schön sein müssen, wenn sie diese reichen Colliers, diese prächtigen Armbänder, dieses in farbigem Feuer sprühende Diadem von Diamanten nicht mit Wohlgefallen betrachtet hätte. Es waren Geschenke, würdig des alten Namens und der großen Vergangenheit der Tannensee's. Eine regierende Fürstin konnte in diesem reichen und geschmackvoll ausgewählten Schmucke vor den Traualtar treten. Das Wohlgefallen, das sich auf den reizenden Zügen seiner Tochter, die er fortwährend scharf beobachtete, zeigte, schien auch den Grafen zu erheitern. Er zeigte Bianca jedes einzelne Stück des werthvollen Schmuckes, ließ die Steine im Lichtschimmer blitzen, nannte den Ort und den Künstler, wo und bei welchem die Herrlichkeiten gekauft waren, und pries sie der Tochter an, als sei er selbst ein Juwelier und verstehe genau den Werth der Geschenke zu würdigen.

»Von Deiner Mutter habe ich erfahren, daß Rittmeister von Birkenfeld in einigen Tagen auf Tannensee eintreffen wird,« fuhr er fort, wieder Platz im Lehnstuhle nehmend, der vor dem Tische stand. »Es ist mir lieb, daß ich vor ihm angekommen bin. Das Geschäftliche läßt sich um so leichter ordnen. Uebrigens billige ich Deine Wahl. Ihr kenne die Birkenfelds. Als mein eigensinniger Vetter Hannibal von Tannensee nach Brasilien auswanderte, hatte der Vater des Rittmeisters die Absicht, die etwas heruntergekommenen Besitzungen dieser jüngeren Linie unseres alten Hauses zu kaufen. Ich habe es verhindert, um die Güter wieder zu vereinigen. Der Vetter ist ein für allemal abgefunden worden, und wenn der Rittmeister Lust hat, statt hier in diesem etwas zu mittelalterlich aussehenden Baue zu wohnen, kann er ja mit Dir das neue Schloß mit seinen, freundlicheren, modernen Räumen beziehen. Du bist im Besitz seines Porträts, hörte ich? Ihr tauschtet gegenseitig Eure Conterfei's aus?«

Bianca bejahte diese Fragen und legte unwillkürlich ihre Hand auf den Busen.

»Darf ich bitten, mich das Bild Deines Bräutigams sehen zu lassen?« fuhr der Graf fort. »Es verlangt mich doch, ihn endlich kennen zu lernen.«

Bianca reichte dem Vater das Medaillon, das sie im Busen verbarg. Es war ganz so geformt, wie jenes, welches der Rittmeister von seiner schönen Braut besaß.

Als Graf Erhardt die Kapsel öffnete, nistete sich der abschreckend finstere Zug wieder in seinem Antlitze ein, der jedes Herz von ihm abwenden mußte. Er betrachtete ziemlich lange das Bild und gab es dann seiner Tochter zurück mit den gleichgültig gesprochenen Worten:

»Ich kenne ihn jetzt. Er ist es – ich erinnere mich.«

Damit endigte aber auch die kurze Unterhaltung des Grafen mit seiner Tochter. Er gab kaum noch knappe Antworten auf einige an ihn gerichtete Fragen, und erklärte Bianca zuletzt, daß er allein zu sein und – setzte er mit Nachdruck hinzu – auch zu bleiben wünsche.

»Abends liebe ich die Einsamkeit,« lauteten die letzten Worte, die er an seine Tochter richtete.

Hierauf zog er die Glocke, befahl den beiden zugleich eintretenden Dienern in spanischer Sprache, daß sie sämmtliche auf dem Tische befindliche Schmucksachen nach den Zimmern der Comtesse bringen sollten, und gab seiner Tochter, die vor diesen Förmlichkeiten innerlich zusammenschrak, bis an die Thür das Geleit, wo er sie mit einer steifen Verbeugung ohne Gruß verließ.


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