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Humanitad

Humanitad

Mittwinter ist's nun: kahl steht Baum und Strauch
Bis auf die Tanne, wo, vom Frost getrieben,
Die Herde Schutz sucht; eis'gen Winters Hauch
Raubt ihr, die treu dem schlichten Grün geblieben,
Nicht des Herbstes goldne Prunklivrei;
Scharf ist der Wind, als gäb' Saturnus' Höhle selbst ihn frei;

In Büscheln auf den schwarzen Dornenhagen
Liegt dünnes Heu, wo an das volle Laub,
Vom Flachland kommend, angestreift der Wagen
Mit eines Sommertages süßem Raub;
Blökend stehn Lämmer an den Zaun gedrängt
Auf halbgetautem Schnee; der Hund, vor Kälte zitternd, lenkt

Vom Stall zu dem gefrornen Fluß hinab
Und kehrt betrübt zurück – das muntre Johlen
Der Hirten fehlt ihm und das Hufgetrapp;
Und oben durch die Stille krächzen Dohlen
Rings um den kalten Schober und sitzen dicht
Auf triefendem Gezweig; und unter großen Dommeln bricht

Der Fennenlöcher Eis, wie sie im Ried
Den Mond antuten, flügelschlagend, weit
Den Kopf zurückgelegt; ein Häslein flieht
Furchtsam, ein kleiner Fleck, durchs Feldgebreit;
Und eine Möwe schießt mit Krächzen rauh
Wie ein plötzlicher Schneetrieb durch des Himmels trübes Grau.

Mittwinter: – und ein lust'ger Kätner bringt
Sein Reisigbündel aus der frost'gen Scheuer,
Stampft auf den Estrich mit dem Fuß und schwingt
Die saft'gen Scheite ins verlohn'de Feuer
Und lacht, wie der jäh aufgeflammte Schein
Die spielenden Kinder schreckt; und doch – bald wird es Frühling sein.

Schon regt sich Krokus unterm Schnee versteckt
Und bald auch wird der Jungknecht mähen müssen
Den weißen Hang, von Primeln dann bedeckt,
Denn mit des Regens ersten warmen Küssen
Schmilzt eis'ger Winterharm zu Tränentau,
Die Drosseln paaren sich, Kaninchen lugt aus seinem Bau,

Dem dunklen, wo die Tannenzapfen liegen,
Und ein Schneeglöckchen niedertretend, geht's
Den moos'gen Hügel auf, und abends fliegen
Amseln uns übern Weg und länger stets
Scheint uns die Sonne: oh, wie schön zu schaun,
Tanzt grasumgürtet in der Luft der lachend grünen Aun

Lenz durch die Hecken, bis die frühe Rose
(Des Dornstrauchs holde Reu) die Scheide sprengt
Und aus der esmeraldnen sich die lose
Schauernde goldne Flammenrunde drängt,
Den Bienen so bekannt, kommen zugleich
Doch Stabwurz, Federnelken und Narzissen blütenreich.

Dann geht feldauf feldab des Sämanns Schritt
Und durch Geschrei die diebischen Krähn verjagend,
Folgt lachend hinterdrein der Junge mit,
Und die Kastanien, vollen Schmuck dann tragend,
Bestreun das Gras in Übermaß von Duft
Mit Blütenschaum, und halbgeflüstert Singen bringt die Luft.

Von Szillaglöckchen, morgenwind-geschwungen,
Weißer Jasmin, des eignen Himmels Stern,
Und Löwenmaul mit langen roten Zungen
Und samtne Heckenrosen sind die Herrn
In Gartenbeet und Waldbereich, und brach
Der späten Rose roter Blätterpanzer nach und nach

Vom Kelch und schloß Stiefmütterchen die schweren
Purpurnen Lider, zeigen ihre Pracht
Der Chrysanthemen goldene Galeeren,
Schätze ausladend von duftloser Fracht
Und Veilchen kommen überkühn nach vorn
Aus scheuem Hinterhalt und rote Beeren trägt der Dorn.

Glücklich Gefild! dreimal glücksel'ger Baum!
Bald kommt der Lenz, Maßliebchen auf dem Kleide
Und im Schwertlilienkranz, vom Waldessaum,
Bald treibt der melanchol'sche Hirt zur Weide
Am Weiher seine Herde, bald allum
Durchs grüne Laub des Mittags schwirren Bienen mit Gesumm.

Bald steht die Lichtung bunt von Amarant,
Dem Liebeskraut, holde Maiglöckchen zählen,
Nonnen in ihrem schneeigen Gewand,
Die weißen Perlen ab, und Nelken schwelen
Mit Mitrenknospen Düfte in den Wind,
Waldrebe bindet jeden Zaun mit gelbem Sterngebind.

Bräut'gam der Erde, Lenz, freigeb'ger du!
Der seine Hörner gibt dem jungen Bock,
Ihr Kälbchen gibt der atemsanften Kuh
Und seidenweichen Blust dem Rebenstock,
Wo ist nun das Nepenthe, sprich, das man
Aus Feldmohnwurzeln und schönbeer'gem Alraun einst gewann?

Einst war's, als jeder kleine Vogel mich
Einstimmen ließ in seinen Sang und alle
Saiten des jungen Lebens freudig sich
Zur Antwort regten in noch süßrem Schalle
Bei jedem Waldidyll, – ward ich seither
Ein anderer oder bist du selber nicht so herrlich mehr?

Nein, nein, du bist es noch: ich nur verstöre
Mit Seufzen deine schlichte Einsamkeit,
Und wie ich weine und kein Trostwort höre,
Möcht' ich, du weintest mit in Bruderleid;
Tor! soll denn jeder, wenn ihn Leid betrifft,
Verderben solchen Wein mit eignen Elends salz'gem Gift?

Du bist derselbe noch: mein Herz nur nimmt
Unlust zur Freundin sich, da Lust entfloh,
Der rauhen Macht dessen, was ihm bestimmt
Zum Knecht war, gibt es hin sein Reich, – irgendwo
Muß doch Gewißheit sein, antworten dir
Das stürm'sche Meer auch und die große Tiefe: »Nicht in mir!«

Ein einz'ger heller Brand sein, aufrecht stehn
In angebornem Adel, nicht sein Knie
Fruchtlos zu einem Fußfall beugen, den
Sein Zweck verdammt – o welche Alchimie
Lehrt dies? welcher medeische Zaubertrank
Bringt eines freien Daseins Frieden, den kein Sieg erzwang?

Der Mollakkord, in den das Lied ausklingt,
Der leise schluchzt, weil unvollendet noch
Die Weise, wenn kein Bruder Antwort singt,
Stirbt wie ein Schwan; ich Schmerzeserbe doch,
Erharr lidlosen Augs mein Leben lang,
Ein stummer Memnon, nie aufgehender Sonnen Licht und Sang.

Verlöschte Fackel, dunkler Thujenhain,
Die Aschenurne in des Freundes Händen,
Das traute XAIPE auf dem attischen Schrein, –
Wär' dies nicht besser, als zurück sich wenden
Zum alten ruhlos nagenden Siechtum, sag',
In stummer Jammerhöhle dumpf hinbringen Tag um Tag?

Nein, denn der Gott im Mohnkranz spricht wohl bloß
Von Schlaf wie Wärter tun am Krankenlager
Und gibt ihn nicht; sein Reis ward zauberlos,
Und findet keine Antwort mehr der Frager,
Ist Tod ein Schlüssel, viel zu wenig fein,
Daß er ein Rätsel nur erschließen könnt' im Menschensein.

Und Liebe! schöner Wahnsinn, dessen hohe,
Urew'ge Macht die Seele töten kann
Mit honigsüßem Trank, dies wonnefrohe
Verderben, glücklich, wenn ich ihm entrann!
Ob auch zu stet Gedenken nimmer, traun,
Vergessen läßt die strahlenden Bogen der olympischen Brau'n,

Durch die, zu kurz nur, meine Jugend ein
So holder Rausch war in entrückten Sinnen,
Daß kluger Weisheit Warnung nur allein
Des Neides dünne Stimme schien – von hinnen,
Du Jäg'rin, tödlicher denn Artemis!
Such' andre Beute! Deiner Lust, zu sehr voll Fahr, gewiß

Zu viel schon trank ich ihrer – nein, nicht mehr!
Kehrte auch Liebe selbst den goldnen Spriet
Zu den erregten Wassern wieder her,
Wo sie mich stranden sah, – jetzt eben zieht
Zu nah vorbei der Wagen der Begier,
Fort! Fort! ein andres Leben, öder, ernster, liegt vor mir.

Öder – ja, jener Arm langt nimmer vor
Aus Weingerank, zieht meine Seele nimmer,
Süß zaudernd, durch das wirre Grün empor,
Andren schmückt jener Aureole Schimmer,
Denn ihrer bin ich, die nicht Liebe kennt,
Der auf weiß makelloser Brust das Gorgozeichen brennt.

Mag Venus gehn, daß sie den Knaben locke,
Den Mund ihm küsse, wühl' in seinem Haar,
Wieder mit Netz und Speer im Jägerrocke
Adonis ziehn zum Stelldichein, fürwahr,
Nichts gilt mir mehr ihr Zauber, noch so hold,
Und ob ich auch ihr schönstes bestes Schloß gewinnen sollt'.

Ja, selbst wenn ich der lachende Hirte wär',
Der über Tenedos und Trojas Mauern
Von Idas Höhn in einem Wölkchen her
Die Kön'gin kommen sah und ihr in Schauern
Zu Füßen kniete, nein, nicht Kypria
Reicht' ich den Apfel, nicht um eine neue Helena.

Steig' du denn auf, Athena, silberlicht,
Höchste, und ist mein Mund des Wohllauts bar,
Gib du ein Lied ihm: bracht' ein Sänger nicht
Auch Schwert und Leier deiner Glorie dar
Wie Äschylus am Tag von Marathon?
Gebar uns Miltons England nicht in ihm noch einen Sohn?

Und doch, betreten kann ich nicht den Hof,
Nicht leben ohne Sehnsucht, Furcht und Zähren,
Noch, die der strenge attische Philosoph
Vordem gelehrt, die weise Stoik nähren,
Selbstsicher, ungebeugten Haupts zu sehn,
Wie all die eitlen Phantasien der Welt vorübergehn.

Die Stirn so klar, die Lippen so beredt,
Die Augen, der Äonen Spiegel, ruhn
Im eigenen Kolonos, Weisheit steht
Längst im Verfall und kinderlos ist nun
Mnemosyne; selbst in der Nacht Gewirr,
Die sie zu sichrer Flucht sich schuf, flog Pallas' Eule irr.

Nachklimm' ich jetzt nicht mehr der Wissenschaft,
Und ob sie uns den Mond vom Himmel hol'
Durch wundersam geheime Zauberkraft;
Die Muse auch der Zeit entrollte wohl
So läss'gem Aug' ihr bunt Gewebe nie;
Oft in Polymnias Buch zwar les' ich gern das Epos, wie

Asien mit seinen Myriaden gegen
Die kleine Stadt stritt und mit weißem Schild
Und rotem Busch, juwelbesetztem Degen
Der Meder goldgepanzert durchs Gefild
Zwischen den Pappeln hinritt und der See
Auf Artemisiums Vorgebirg, bis er Thermopylä,

Den schmalen Engpaß an den steilen Schroffen,
Und näherzu dann sah die kleine Schar
Sorgloser Löwen beim Gelag! Betroffen
Stand er, daß solche Tollwut möglich war,
Und schlug sein Zelt und blieb zwei Tage noch
Am schilf'gen Strand des Staunens voll, um Mitternacht dann kroch

Über den Berg er auf verratnen Steigen
Und überfiel vom Herbstwald hinterrücks
Eurotas Krone, Spartas bestes Eigen,
Und weiter zog er, sicher seines Glücks,
Die kleine Bucht von Salamis sein Ziel,
Wo Gott ein arges Netz bereit ihm hält – doch schon zu viel!

Der griechische Rhythmenfall ermüdet nur.
Kann ich, zu fern so heldisch großer Zeit,
Sie wärmer lieben? Gleich dem Rad der Uhr,
Das Mittag schlägt und selbst in Dunkelheit
Niemals die Sonne sieht, so kann ich nie
Mit Augen schaun, was flüchtig mir vortäuscht die Phantasie.

O gäb' ein Leben, groß, unselbstisch schlicht,
Gewißheit uns! sprecht ihr, einsame Höhn
Helvellyns – eure Felsenstille bricht
Nur der kristallne Bach, kein Kampfgedröhn –
Wo ist er, der mit eines Heil'gen Kuß
Seines Jahrhunderts blut'gen Mund geküßt, der Genius?

Sprecht ihr, Rydalische Lorbeern, wo ist er,
Die ihr ihm Schatten gabt, der edle, reine,
Der milde König ohne Krone, der
Aus engstem Kreis sich hob ins allgemeine,
Wo eins sind Pflicht und Liebe? Er sah klar
Die Urgesetze, und Gewißheit ward ihm offenbar.

Uns narrt das Wissen, wir zitieren groß
Der griechischen Schulen schmetternde Parolen,
Doch folgen wir? Das Schwert, das, fleckenlos,
Die heidnische Hydra schlug, ward stumpf an Bohlen
In unsrer Hand, wer nimmt den Weg empor
Zu jenen Alten noch, leiht ihnen ein ehrfürchtig Ohr?

Wohl sah ich solchen, aber, Ichabod!
Der letzte liebe Sohn Italias, der,
Ein Mensch, um Gottes Sache litt den Tod,
Für stets unauferstanden schlummert er.
O hüt' ihn treu, du meines Giotto Turm,
Marmorne Lilie du der Lilienstadt! laß nicht vom Sturm,

Rauh brüllend, stören seinen Schlaf und vom
Trüb aufgewühlten Gold des Arnostroms
Nicht überfluten ihn, kein Stolzrer klomm
Empor als Sieger jene Straße Roms,
Als Rom noch Rom war, denn zur Seite schritt
Freiheit wie eine Braut ihm und Geheimnistum entglitt

In seine tiefste Zelle; bleich, erschrocken,
Ein wunder Aar, der wank im Winde schwebt,
Floh schreiend vor dem Schall der Totenglocken,
Mit dem Vergessen Dynastien begräbt,
Ein Greis mit ihm, der rost'ge Schlüssel trug,
Als zu Roms heil'gen Herzen ging des großen Triumvirn Zug.

Sein heiligst Herz, die Höhn kannt' er von Rom,
Trieb von des Löwen Lager den Schakal,
Nun ruht er tot am ätherhohen Dom,
Den Brunelleschi übers Arnotal
Stolz in der Luft hing – o Melpomene,
In dein schwermütig Rohr hauch deiner Klagen süßeste!

Hauch in das Tragische solche Melodien,
Daß Freude neidisch wird, der Musen Schar
Ihre geheime Macht vergißt, um ihn
Klagend, der auf Roms herrlichstem Altar
Die Flamme Marathons der Welt entfacht
Und in ein sonnvergessen Land der Sonne Licht gebracht!

Turm meines Giotto, woll' ihn treulich hüten,
Und eine junge Florentinerin mag
Des Abends kommen mit den Wunderblüten,
Die blühn in Vallombrosas dunklem Hag,
Das Marmorgrab zu kränzen, ihm erbaut,
Des Seele wie ein großer Stern, von Menschen unerschaut.

Ein großer Stern, dessen Kometenlauf,
Vom Sturm getrieben zu dem äußersten Rand,
Wo Chaos an die Schöpfung grenzt und auf
Das Nichts der Cherub seine Schwingen spannt,
Der ewig singende, dahin entwich
In eine Leere mondlos – dennoch, ob er auch vergeblich,

Er ist nicht tot, die all Gedenken raubt,
Noch läßt ihn unbedroht die finstre Möre;
Erhebt, ihr ew'gen Tore, euer Haupt!
Jauchzt höher, Silberhörner, eure Chöre!
Denn jene Mutter roter Hurerein,
Die er gehaßt, mußte, mit Gott und ihrer Schmach allein,

In ihre dunkle Höhle sich verkriechen.
Die mörderische – was aber frommt das je?
In München auf dem Marmorfries die Griechen,
Die jungen, sterben lächelnd, doch die See,
Die an Ägina brandet wild und rauh,
Spiegelt nicht ihre Schönheit; so ward unser Leben grau,

Weil ideallos, will ein Stern entlohn
Am Himmel fackelgleich, löscht ihn der grimme,
Schnellfüß'ge Tag, und kein Trompetenton
Erweckt den stummen Staub zu mächt'ger Stimme,
Der einst Mazzini war! Wohl, Niobe
Im steinernen Schmerz hat ihre Söhne, doch Italias Weh!

Wann ihren Kindern, die nicht Götter waren
Und doch Leid trugen, graut der Ostertag?
Wer wird die Tücher finden? Wer wird klaren
Auges sie leibhaft schaun? O selig mag
Der sein, der von dem Grab abwälzt den Stein
Und ihrer Wunden blutende Rosen küßt, in Liebe dein,

Italia, unsre Mutter sichtbarlich!
Der Völker benedeitest, elendest!
Für die der Kalabrese freudiglich
Bei Aspromonte sein jung Leben läßt,
Daß diese Zeit, die Schacher treibt mit Gott,
Doch einen Mann noch für die Freiheit sterben sieht! O Spott,

Wir, ausgebrannt und kalt, sehn Manneswert
Schändlich gestäupt, Mitleid in Ketten schmachten:
Durch die sonnlosen Gassen mit dem Schwert
Schleicht Armut, unsre Kinder hinzuschlachten –
Wir sehn es stumm: wie dulden wir so viel,
Unwürdig unsres großen Erbes!? Wo ist Miltons Kiel,

Des strengen? Wo das Richtschwert, das ins Joch
Des Rechts den eignen Herrn zwang? Nach dem Tode
Des alten Führers, wo ein Führer noch?
Kein Wort mehr kommt vom schweigenden Tripode,
Und gleich verseuchter Mutter, die im Spasmus
Ein Bastardkind gebiert, zeugt unser bester Enthusiasmus

Den Judas nur der Freiheit, Anarchie
Und die der Freien Gold stiehlt und verschwendet,
Niedrige, stets gleich arme Akrasie,
Neid, der den Stachel auf sich selber wendet,
Geiz mit den Händen wie im Griff verdorrt,
Stumpfheit, den einz'gen wahren Brudermörder seit dem Mord

Kains an Abel, Geldgier, die den Mann
Toll in die Räder treibt, die ihn zermalmen,
Und ihn zur Saat macht, deren Ernte dann
Selbst einen Sämann tötet – hoch in Halmen
Steht diese Saat in England, nimmer zieht
Der Schönheit holder Fuß durch unsre Straßen von Granit.

Was Cromwell selbst geschont, ist preisgegeben
Dem stürm'schen Spiel von Wind und Schnee, entweiht
Von Wurm und Unkraut; die zu bessern streben,
Zerstören bloß: die schlimmste Hinfallszeit
Kränzt ihre Trümmer, doch sie schaffen nur,
Neue Vandalen, eine regensichre Unkultur.

Wo ist die Kunst, die Engel, die da sangen
Auf Lincolns hohem Chor, bis von so hehr
Marmornen Harmonien die Lüfte klangen
Wie Menschenlippen süßer nimmermehr
Jetzt aus dem Rohr sie locken? Wo die Hand,
Die kund'ge, die den blühnden Hagedorn zur Laube band

Auf Southwells Bogen und geschmückt sein Haus,
Der wie den Lilien auf dem Feld so hold
Auch war der Blumen Englands lieblichem Strauß?
Dieselbe Sonne scheint uns, noch entrollt
Wechselnd Natur über demselben Land
Den grün und grauen Teppich: jener Genius nur entschwand.

Und doch mag's besser sein, denn Tyrannei
Ist eine Königin, die im Inzest
Mit ihrem Bruder lebt, dem Mord, und frei
In ihr Gemach eindringen läßt die Pest,
Ihr tück'scher Fuß geht blut'gen Schandengang:
Besser drum eine Wüste und die Seele frei vom Zwang.

Holde Verbrüdrung, schlichtes Leben in
Gesunder Luft, die Schönheit ihrer Stärke,
Wenn frei der Männer, keusch der Frauen Sinn,
Mehr unsre Seele als die höchsten Werke
Der Kunst erhebt dies, als selbst Agnolos
Sibylle, brütend überm Menschenleid, blind, riesengroß,

Als Mona Lisa lächelnd durch ihr Haar,
Als Tizians Mägdlein mit dem Lilienstengel
So weiß und schlank wie er, – oh! mehr fürwahr
Ist doch als irgendein gemalter Engel
Das Leben, könnten wir den Gott nur schaun
Der in uns ist! Die Heiterkeit der alten Griechen, traun,

Die um Athenas Altar jenen Zug
Marmorner Jünglinge im Reigen schlang,
Mit zücht'gen Gliedern, Augen ohne Trug
Spiegelnd der Göttin Maß, den Volleinklang
All dessen, was wie Pol und Gegenpol
Sich ewig feind sonst wär, – sie könnte in der Spanne wohl

Von unsrer Mutter Küssen bis zum Grabe
So unser Leben umgestalten, daß
Zuletzt Versuchung heiser wie ein Rabe
Aus ihrer Grotte krächzt, und Sünde blaß,
Schamvoll von ihren Lotterbetten weicht,
Begier verstörter Augen aus dem Haus der Wollust schleicht.

Würde nun Leib und Geist mit allem eins,
Was gut und recht, bis nichts in Nacht und Tag
Umsonst mehr lebt, nein, selig des Vereins
Mit jedem Seufzer, jedem Herzensschlag,
Die Seele, die in ihrer Reinheit thront,
In sichrer Burg vor jedem äußren eitlen Sturm verschont,

Beruhigt heiter, nicht mehr fremd noch feind,
Dem Kampfe der Dinge zusehn, weil sie weiß:
Die Kette der Kausalität vereint
Der einzeln Daseinsformen großen Kreis
Zu einem höchsten Ganzen, das allein
Freude und heil'gern Lobpreis singt! Das sollt' ein Leben sein

In der erhabensten Allgegenwart,
Vernunft säh ihren Ausdruck hier im Triebe,
Verstand, sonst alles Hohen Widerpart,
Er liehe Feuer noch zum Brand der Liebe,
Und beide nun vereint in Harmonie,
Mystischer noch als die der Sternenkreise, klängen sie

Zusammen zur Oktave ohne Ende,
Die ihren Flug durch alle Sphären nähm',
Und sich nur jubelnder und mächt'ger fände,
Wenn sie zurück zu ihrem Meister käm', –
Dies wäre, könnte nur der Erdensohn
Erreichen sie, die letzte, die vollkommne Religion.

Oh, leicht war's, frei von Zwang sein Leben halten,
Als jung die Welt war, wir, verbannt, beraubt,
Singen ein ander Lied als einst die Alten,
Die eigne Hand entweihte unser Haupt,
In traurigem Exil, von Hof und Flur
Als Bettler fortgejagt, nähren wir wilde Unrast nur.

Die Blume scheint von allem hingegeben,
Der Menschen elendste sind wir, die bloß
Der andern Leben, nicht das eigne Leben,
Um dann, wofür wir lebten, mitleidslos
Selbst zu zerstören – anders war es, wie
Seele und Leib durchdrungen schien in mystischer Symphonie.

Wir zogen längst von jenen holden Aun
Mit müdem Fuß aufs neue Golgatha,
Wo wir die selbstgemordete Menschheit schaun,
Wie wer sein eigen Bild im Spiegel sah,
Lesen im dumpfen Vorwurf jenes Blicks,
Wie recht die rote Menschenhand sich schuf das Kruzifix.

O blut'ger Mund! O dorngekröntes Haupt!
Gefäß du unsrer Leiden allzumal!
Für uns trugst du, die nicht an dich geglaubt,
Der endlosen Jahrhunderte Todesqual,
Und wir Betörte haben nicht gewußt,
Daß wir in deiner nur durchbohrten unsre eigne Brust.

Wir selbst der Sämann und die Saat, die Nacht,
Die einbricht, und das Licht, ihr preisgegeben,
Der Speer, die Seite, die er bluten macht,
Der falsche Kuß und das verratne Leben;
Der Mond, die Tiefe haben Rast, doch wir,
Die Herren dieser Welt, sind unsre eignen Feinde hier.

Ist dies das Ende jener Urkraft all,
Die, stets die gleiche, wie sie wechseln mag,
Durch Wasserbraus, Felssturz und Feuerschwall
Vom blinden Chaos aufwärts klomm zum Tag,
Bis daß die Sonnen zogen ihre Bahn,
Die Morgensterne sangen und die Welt Mensch werden sahn?

Nein, nein! Wir sind gekreuzigt nur, und rollt's
In blut'gen Tropfen auch die Stirne nieder,
Die Nägel löst – so steigen wir vom Holz,
Die Wunden stillt – und heil seht ihr uns wieder,
Reicht nicht den Ysop, laßt schwingen nur den Spott,
Denn wisset: was rein menschlich ist, ist göttlich und ist Gott.


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