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Panthea

Panthea

Nein, laß von Feuer uns zu Feuer streben
Zu Lust noch tödlicher von wilder Pein, –
Ich bin zu jung, ohne Begehr zu leben,
Zu jung bist du, die Sommernacht allein
Mit jenen Fragen hinzubringen, die
Orakel nicht dem Menschen lösen konnt' noch Prophetie.

Denn besser ist's zu fühlen, Lieb, als wissen,
Weisheit ist kinderloses Erbe bloß,
Einmal – zum ersten – glühend hingerissen
Ist mehr als alle Sprüche Salomos.
Tote Philosophie, was quält sie dich?
Ist nicht zum Küssen unser Mund, das Herz zum Lieben, sprich,

Das Aug' zum Schaun? Die Nachtigall im Tal,
Hörst du, wie Wasser perlt aus silbernem Krug,
Ihr Singen nicht? Der neid'sche Mensch ist fahl,
Weil er auf seinem himmelfernen Zug
Ihr Lied nicht hört, so liebesgluterfüllt, –
Sieh, wie der späte, trübe jedes Horn in Nebel hüllt!

Die weißen Lilienkelche, goldner Bienen
Schlafkammern, der gefallne Blütenschnee
Unter Kastanien, oder, sonnenbeschienen,
Knaben im hellen Bach – o willst du je
Noch mehr als dies? Genügt's dir nicht? Ach, sieh!
Mehr spenden uns aus ihrem ew'gen Schatz die Götter nie.

Unsre endlosen Sünden, unsre steten
Versuche, Jugend, die vergeudet ward,
Durch Priestermund zu sühnen, Leiden, Beten,
Machten die hohen Götter krank und hart,
Kein Ohr mehr haben sie für gut noch schlecht
Und lassen wahllos regnen auf Gerecht und Ungerecht.

Sie selber sitzen fern von Leid und Mühn,
Streun Rosenblätter auf den duft'gen Wein,
Wo Asphodill und gelber Lotos blühn,
Schlafen sie unter Rauschebäumen ein,
Des frohen Einst gedenk, eh sie gesehn,
Wie Arges Menschenherzen träumen und im Traum begehn.

Fern unterm Erzflur schaun sie das Gewimmel
Der kleinen Menschen – nur ein Fliegenschwarm,
Zurück dann zu dem lotosblühnden Himmel,
Einander küssend, kehren sie voll Harm
Und mischen tiefer sich den mohn'gen Saft,
Der sanften purpurlid'gen Schlummer bringt durch seine Kraft.

Da steht den ganzen Tag der goldne Sol,
Ihr Fackelträger, mit der hohen Leuchte,
Und spannen die zwölf Jungfraun schön und wohl
Des Tags Geweb, steigt rot aus Nebelfeuchte
Luna vom Pfühl Endymions auf zur Fahrt
Und Götter tragen Liebe nun und Leid nach Menschenart.

Da ist's, wo Juno durch Tautriften geht,
Von windbewegten Lilien wie mit Rost
Den weißen Fuß bestäubt, und Ganymed
Tanzt in dem heißen, ambraschäum'gen Most,
Fliegend das Haar wie einst von Idas Zug
Durch blaue ionische Luft der Aar den bangen Knaben trug.

Im grünen Herzen einer Laube lacht
Venus vor Glück bei ihrem Hirten leis,
Eine Dornrose, die in ihrer Pracht
Erröten muß, sonst wär' sie völlig weiß,
Bis schmerzlich neidisch auf verschwiegne Lust
Salmacis durch die Myrten lugt und seufzt aus tiefer Brust.

Dort klagt der Nordwind nimmer wild und jäh,
Rauher Verwüster unsres wald'gen Tals,
Noch fällt in weißen Federn dort der Schnee,
Noch weckt sie der rotzähn'ge Blitz jemals
In silberner Sturmnacht, die uns weinen sieht
Um eine Sünde süß und trauervoll, ein Glück, das schied.

Sie wissen von dem fernen Lethetrank,
Kennen die Wasser, die aus Veilchen blinken,
Wo, wessen Fuß vom Wandern müd und wank,
Ein Herz sich fassen kann und gehn und trinken
Aus dunkel kühler Flut kristallnem Sprühn
Balsam und Schlaf für die schlaflose Seele, Anodyn.

Wir vergewalt'gen unsere Natur,
Gott oder Schicksal sind uns feind; zu spät
Sind wir geboren! eitle Reue nur
Nährt uns; ein endlicher Zeitpuls, rasch verweht,
Schließt uns unendlicher Liebe Wonne ein,
Unendlichen Frevels Qual: wie kann der Mohn uns Balsam sein?

Ach, auf uns lastet das Gefühl der Schuld,
Verzweiflung, Buhlin jedes Glücks, und ach!
Die Tempel all, erbaut von unserm Kult,
Gebete nicht erhört! denn wir sind schwach;
Gott schläft; der Himmel ist hoch; was du erwirbst:
Ein stolzes Aufglühn, eine große Liebe, und – du stirbst.

Doch mühsam führt über des Todes Fluß
Kein Ferge dich zum blumenlosen Strand
Im schwarzen Nachen, und kein Obolus
Bringt deine Seele ins sonnlose Land;
Umsonst sind Opfer, Wein, Gelübde, Flehn,
Versiegelt ist das Grab; für Tote gibt's kein Auferstehn.

Du gehest auf im Äther nach dem Tod,
Wirst eins mit dem, was du berührst und schaust,
Dein Herzblut ist in jedem Sonnenrot,
Dein junges Leben, grün auslodernd, braust
Im Frühlingsbaum; das wildeste Moorgetier
Ist dir verwandt, eins alles Leben, alles Wechsel hier.

Mit Systole und mit Diastole
Pulst in der Erde riesigem Herzen bloß
Ein großes Leben, Wogen einer See,
Vom Menschen bis zum Urkeim nervenlos,
Denn Teil sind wir des Vogels, Tiers und Steins,
Mit dem, was uns verfolgt, und dem, das wir verfolgen, eins.

Von kaum erwachten Lebens niedren Zellen
Geht's zur Vollendung; alt so wird die Welt:
Wir, nun gottähnlich, waren einstens Wellen
Goldstreif'ger Purpurmasse hochgeschwellt,
Nicht Lust noch Leid empfindend, rollte schwer
In wirren Wirbeln uns ein wildes windgepeitschtes Meer.

Die Flammen heiß und harsch, die in uns glühn,
Werden Narzissen einst am Saum der Wälder,
Ja, und aus deinen Silberbrüsten blühn
Einst Wasserlilien auf; die braunen Felder
Macht noch fruchtbarer unsre Liebesnacht;
Nichts geht verloren, alles lebt trotz Tod und Todesnacht.

Des Knaben erster Kuß, die ersten Glocken
Der Hyazinthe, letzte Mannesglut,
Der letzte rote Lilienspeer, die Flocken
Des Asphodills, der stets so schämig tut,
Weil er zu schön ist, und die Bangigkeit
Des jungen Bräut'gams vor der Liebsten Blick – sie alle weiht

Ein Sakrament, nicht wir nur, Hochzeitswonne
Kennt auch die Erde, zittern doch vor Lust
Die gelben Butterblumen, wenn die Sonne
Hervorbricht, wie sie selber uns bewußt,
Atmen wir auf frischblühnden wald'gen Höhn
Den Lenz in unser Herz und fühlen: leben ist doch schön.

Und gräbt man unterm Eibenbaum uns ein,
Wird deiner Lippe Purpur eine Rose,
Dein blaues Aug' die Glockenblume sein,
Und küßt der Wind, der buhlerische, lose,
Die schneeige Narzisse, leis im Grund
Schauert dann unser Staub und wir ruhn wieder Mund an Mund.

Ohne bewußten Lebens Folterqual
Fühlen als Blumen Sonne wir und Luft,
Und singen aus des Hänflings Brust im Tal,
Kriegen als Schlangen über unsre Gruft
In prächt'gem Panzer, und, des Dschungels Brut,
Schleichen wir an, wo der gelbäugige Löwe schlafend ruht,

Zwei Tiger kampfbereit! O denk' ich, welch
Leben im Tod als Blume, Vogel, Tier,
Wenn, allzuvoll des Geistes, dieser Kelch
Den Atem bricht, mein Herz, wie hüpft es mir!
Die Seele wird wie fahles Spätherbstlaub,
Der Erde Erstbesiegerin, ihr letzter großer Raub.

O denk' es! Alles Leben schließt uns ein
Und dem Zentauren, dem geißfüß'gen Faun,
Der muntren Elfenschar, die ihren Reigen
Verläßt, die Dämmrung kränkend auf den Aun,
Nicht näher ihnen als dann dir und mir
Sind die Mysterien der Natur, denn schlagen hören wir

Der Drossel Herz, die Gänseblümchen wachsen,
Schneeglöckchen an sonnlosem Wintertag
Nach Sonne seufzen, wissen, wer so flachsen
Die feinen Sommerfäden spinnen mag,
Und wer so bunt die Kaiserkronen biegt
Und Kraft dem Aar gibt, daß er ob den Tannenwipfeln fliegt.

Ja! hätten niemals wir geliebt, wer weiß,
Ob die Narzisse dort die Biene lockte
In ihren goldnen Schoß, das Rosenreis
In roter Lampen Schmuck sich je bestockte!
Durch die Verliebten und die Dichter nur,
Durch ihrer Lippen Kuß und Lied sprießt wohl im Lenz die Flur.

Schwand denn der Glanz des goldnen Sonnenscheins,
Dädalus' Erde, ist sie minder schön,
Weil wir die Erben der Natur und eins
Mit jedem Lebenspuls in Grund und Höhn?
Eher ziehn neue Sonnen ihre Bahn,
Strahlen die Blumen bunter, herrlicher der Wiesenplan.

Und wie zwei Liebende, nicht stehen wir fern,
Betrachter der Natur, nein, unser Kleid
Ist das wildfrohe Meer, der strahl'ge Stern
Schießt Pfeile über unsre Seligkeit;
Teil sind wir in des großen Ganzen Gang
Und weben in des Kosmos Seele die Äonen lang.

Töne sind wir der großen Symphonie,
Deren Akkorde durch die Sphären rauschen,
Das Herz aller lebendigen Welt, o sieh,
Ist eins mit unsrem Herzen, nimmer lauschen
Angstvoll dem leisen Schleichtritt wir der Zeit,
Wir sterben nicht, das All selbst ist unsre Unsterblichkeit.


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