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VIII.

Es war ein heißer Tag, wie um diese Zeit, im September, die Tage in Neapel noch sind, auch am Posilipp. Doktor Riegler saß in einem Lehnstuhle, das Gesicht gegen die Terrasse am Meere und gegen den Vesuv gerichtet, der ins Zimmer hereinsah; aber der Doktor sah ihn nicht, er war eingeschlafen. Die französische Zeitung, in der er las, war ihm aus der Hand gefallen; Hitze und Müdigkeit hatten ihn überwältigt. Sein Geist befand sich in einer Gegend, die er nicht kannte, von traumhaft unnatürlichen und unmöglichen Formen; er war sehr beunruhigt, denn er sah seinen Freund Paul Eberstein an einem Abgrunde stehen, der nach der Tiefe zu gar kein Ende hatte, und in Pauls rechter Hand eine Pistole ohne Rohr; ihm war unbegreiflich, wie dieser gescheite Mensch darauf verfallen war, so eine unpraktische Waffe zu wählen. »Stell dich nicht so nahe an den Abgrund, Paul!« sagte er endlich laut und bewegte sich aufgeregt in seinem Lehnstuhl. »Wehr dich! Wehr dich doch! – –« Der Klang seiner eigenen Stimme wirkte wohl auf ihn, es gelang ihm, aufzuwachen. Er sah eine Weile schlaftrunken umher, dann auf seine Uhr.

»Drei Viertel auf sechs,« dachte er. »Das ist unbegreiflich. »Vor einer Viertelstunde saß ich noch beim Essen, dann bin ich hierher gegangen und hab' mich mit der Zeitung in diesen Stuhl gesetzt; und jetzt ist mir, als hätte ich zwei, drei Stunden geschlafen – und ebensolange geträumt. Das ist dieses nichtswürdige Nachschlafen, wenn man ein paar schlechte Nächte gehabt hat, und vor allem diese Nachtfahrt auf der Eisenbahn ...«

Aus einem Nebenzimmer kam Antonio, ein Diener der Fürstin, im Kostüm eines Marinajo, die überfallende phrygische Mütze auf dem Kopfe. Er trug eine Platte mit Kaffee, mit Liqueurfläschchen und Gläschen, und stellte sie auf einen Tisch neben Doktor Riegler.

»Ich danke Ihnen,« sagte der Doktor. »Aber sagen Sie mir, mein Lieber –«

Der Diener zuckte die Achseln mit einem freundlichen Lächeln. » Non capisco, Signore,« antwortete er.

»Richtig,« dachte Riegler, »er versteht kein Deutsch. Und auf Italienisch kann ich mich nicht einlassen.«

Der Diener verschwand wieder; Riegler sah ihm nach und seufzte. »Alles wieder still,« sagte er, wie um doch irgend eine Stimme zu hören, laut vor sich hin. »Das ganze Haus so still wie eine Grabkapelle – ich bin wie behext. – Auch dieser Grabow verschwunden, der noch mein einziger Halt war ...«

Ein anderer Diener kam, ebenso wie Antonio gekleidet; er trug eine Platte mit Früchten und Wein und stellte sie stumm auf den Tisch. »Ist das derselbe?« dachte Riegler. »Nein, es ist ein anderer. Von hinten, indem er fortgeht, scheint er wieder derselbe ... Zauberhaft! Eigentlich zauberhaft! Stumme Diener mit phrygischen Mützen, die mich wie einen Prinzen bewirten (er schenkte sich Liqueur ein und trank): göttliche Getränke, wunderbare Früchte; der Golf, der Vesuv; unten am Felsen rauscht das Meer wie an einer Insel – aber kein vernünftiger Mensch zu sehen. – Das Ganze wäre ja das geborene lyrische Gedicht – wenn ich nur wüßte, wo Paul Eberstein ist, was aus ihm geworden ist – und warum sie mich den ganzen Tag mutterseelenallein lassen, mich und meine Zeitung!«

Die ersehnte Gestalt des alten Grabow tauchte endlich draußen auf der Terrasse auf, den Vesuv verdeckend. Der Alte kam aus einem anderen Teile der vielwinkligen, aus Vorsprüngen, Türmchen, oberen und unteren Terrassen malerisch zusammengebauten Villa; er ging auf das Gärtchen mit den Palmen zu, das an die untere Terrasse grenzte. Er bewegte sich aber schwerfällig, die Hitze drückte ihn sehr; mit dem Taschentuche, das er in der Hand hielt, trocknete er sich die Stirne, den Hals und dann auch die Hände. Ja, er seufzte sogar – hier am Posilipp. Sowie er aber den Doktor sah, richtete er sich auf, nahm die Miene eines glücklichen, strahlenden Menschen an und deutete triumphierend mit dem Taschentuche auf den Golf und den Vesuv hinaus. Dann trat er ein, lächelte und rieb sich die Hände. »Ja, ja, mein lieber Herr Doktor,« sagte er, »wenn man aus diesem frostigen, nebelgrauen Norden wieder heraus und im Paradies ist. Neapel – der Golf – das ist eine andere Sache – was? Diese Luft, dieses Licht, diese Wärme ...«

»Nun, von dieser Wärme sollten Sie nicht reden,« entgegnete Riegler, der auch sein Taschentuch in Bewegung setzte, um sich abzutrocknen. »Sie leiden ja furchtbar, die Hitze bringt Sie ja um.«

»Ungewohnt!« sagte Grabow. »Nichts, als daß ich mich leider davon entwöhnt habe; in dem Norden da oben verlernt man ja, was so eine richtige, schöne, südliche Wärme ist. Nein, auf meinen Posilipp lasse ich nichts kommen. Das ist das Ideal! Vor der Thür hat man ja das Meer, das Tag und Nacht an den Felsen rauscht und göttliche Kühlung bringt –«

»Aber es ist furchtbar heiß, Grabow.«

»Ja, es ist heiß!« gestand der Alte mit einem leisen Seufzer. Er verließ dieses Thema und versuchte zu lächeln: »Wir sind jetzt auch gerade degene – – ich meine, wir sind nun gerade in keiner guten Verfassung, nach dem vielen Nachtwachen. Aber das haben Sie mir nun wohl vergeben, daß ich Sie damals einsperrte, bis wir drei miteinander abfuhren; ich that es ja im allerhöchsten Auftrage –«

»Es war eigentlich ein abscheulicher Spaß!« sagte Riegler und lächelte gutmütig. »Wie dieser Onegin fluchte, auf deutsch und auf russisch ... Wo ist denn Onegin?«

»Der ist ausgegangen.«

»Und Fürstin Raffaela?«

»Noch in ihrem Zimmer.«

»Noch immer unsichtbar?«

»Ja.« – Der Alte seufzte.

»Und die Fürstin-Mutter? Und der Fürst?«

»Die wohnen ja beide nicht hier; die sind da drüben in der anderen Villa, die zu mieten war, und lassen sich hier nicht sehen. Ja, Herr Doktor, das alles ist – –«

»Und von Herrn Eberstein noch immer keine Spur, keine Silbe, gar nichts?«

»Nicht das mindeste.«

»Ich beschwöre Sie, Grabow: und Sie wissen noch immer nicht, warum wir eigentlich hier sind? Was sich begeben hat, als der Fürst aufwachte? Und warum er jetzt hier am Posilipp ist, statt – – nun, statt anderswo?«

Grabow bewegte seine Brauen, zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.

»So wie Sie mich da sehen – ich weiß nichts, Herr Doktor. Meine Fürstin schweigt; so hat sie noch nie geschwiegen; gegen mich noch nie! – Ich weiß nur, daß in der Nacht aus Kufstein dieses kate – kate – – na, dieses kurzgefaßte Telegramm kam: ›Abreisen, mit dem nächsten Zuge, mit Koffern, nach Neapel!‹ – Na, in Neapel sind wir, aber – –«

Doktor Riegler stieß ihn an und sagte leise: »Da ist sie.«

»Wo?« flüsterte Grabow. Er sah hinter sich; Raffaela stand auf der Terrasse, der Vesuv sah ihr über die Schulter. Sie war offenbar aus dem Hause gekommen und ging einigemal, langsam, versonnen, über die Terrasse hin und her, ohne die beiden Männer zu bemerken. Dann lehnte sie sich auf die Balustrade, legte den Kopf in die Hand und sah auf das Meer hinaus. Ein schwarzer, italienischer Schleier umhüllte den Kopf und fiel über die Schultern.

»Na, Sie sehen, Herr Doktor,« flüsterte Grabow, nachdem sie sie beide lange angestaunt und geschwiegen hatten. »Sie sieht nichts und sagt nichts ... Wenn ich Sie bitten darf, lassen Sie sie gehen! Denn will sie allein sein, so ist das ihre Sache –«

Riegler nickte.

»Und will sie wieder sprechen, so wird sie wohl zuerst ihren alten Grabow – – Bitte, lieber Herr Doktor, promenieren Sie ein bißchen in den Garten hinaus – oder wohin Sie wollen: aber natürlich nicht über die Terrasse!«

»Sie sind wie ein alter guter Krankenwärter, Grabow,« flüsterte der Doktor lächelnd. »Ich gehe; ich lasse Ihnen Ihre Donna Raffaela. Sie lieben sie, Grabow –«

»Und Sie auch, Herr Doktor!«

»O ja, ich auch,« murmelte Riegler lächelnd und that einen tiefen, platonischen Atemzug. »Vielleicht,« dachte er, »daß ich unter der Palme am Meer doch ein paar Verse mache ... Wenn ich nur wüßte, wo Paul Eberstein – –«

»Addio!« sagte er leise und ging in seinem geräuschlosen Beamtenschritt durchs Nebenzimmer hinaus.

»Na, nun wird sie ja wohl endlich den alten Grabow sehen,« dachte der Alte, »und wird mit ihm reden!«

Raffaela richtete sich auf, warf den Kopf zurück und schien zu lächeln: dann aber war es wieder, als stieße sie einen Seufzer aus. Sie trommelte mit den Fingern auf die Balustrade, sie schüttelte die kleinen Locken und den Schleier, für eine Weile schloß sie dann die Augen und sog die Meerluft ein, wie um eine innere Ungeduld zu betäuben. »Sie ist gar nicht hier,« dachte Grabow, »sondern anderswo ...« Plötzlich stieß sie die Balustrade mit den Fingern von sich, wendete sich und warf einen leeren Blick in das Zimmer und mitten durch Grabow hindurch, ohne sich bewußt zu werden, was für ein alter Herr mit langen Haaren dastand. Sie ging wieder ins Haus zurück, wie sie gekommen war. Grabows dünne Brauen stiegen in schmerzlicher Bewegung mehrmals auf und nieder.

»Sie hat mich gesehen,« dachte er, »aber sie geht fort – da sind wir nun am Posilipp, und sie will nicht reden. Es wäre doch wirklich – – man sollte doch denken, daß sie mich hier am Posilipp auf die Schulter klopfen würde und sagen: ›Nun mein alter Grabow?‹ Aber nichts davon. Sie geht wieder in ihren Turm. Grabow gilt noch nichts. Grabow muß warten – wie immer. Wie sein lebenlang! – –« Er seufzte. »Na, ich kann ja warten,« sagte er mit Ergebung vor sich hin und ging hinaus.

Der »Turm«, in den die Fürstin Raffaela sich wieder zurückgezogen hatte, war ein etwas phantastischer Anbau an das Hauptgebäude, in einem willkürlich gemischten Stil oder vielmehr ohne Stil, aber wirksam hineingedacht in die Romantik des Ganzen, das wie ein steinerner Traum auf dem Felsen über dem Wasser schwebte. Zwei Stockwerke erhoben sich im Turme übereinander, oben von Zinnen gekrönt, die ein flaches Dach mit weiter Aussicht umgaben und mit wild wuchernden Agaven geschmückt waren; eine Fahne flatterte darüber hin. Raffaela war in das untere Zimmer eingetreten, das an orientalische Frauengemächer erinnerte, doch ohne getreu nachgebildet zu sein; auch standen noch ihre Koffer umher, und man sah es dem Zimmer an, daß die plötzliche Ankunft der Herrin es überrascht hatte. Die Fenster waren trotz der Hitze geöffnet, der Turm lag im Schatten, und es that der ruhelosen Raffaela wohl, den leichten Meerwind zu fühlen und das leise Rauschen der Brandung zu vernehmen, das ihre Gedanken einlullte. Sie trat ans Fenster, dann ging sie wieder durch das Zimmer hin, wie sie es heute schon stundenlang gethan hatte, immer auf und ab wie ein gefangenes, zierliches Geschöpf in seinem Käfig. »Einsam bin ich,« dachte sie, »ach, wie bin ich hier einsam ... Aber ich bin doch hier – und ich hab's erreicht!«

Ein Lächeln des Triumphes belebte ihr von Hitze und Unruhe ermattetes, überwachtes Gesicht. Sie überhörte das Klopfen, das die nur angelehnte Terrassenthür in leise Bewegung setzte. Dann sah sie einen Schatten in das Zimmer fallen: es war ihr, als erkannte sie ihn, und sie fuhr zusammen. Ihr Auge hatte sie wirklich nicht getäuscht, Paul Eberstein stand in der Thür.

»Ah!« sagte sie mit einem Laut, der wie Freude klang. Er war ihr also nachgereist, bis zum Posilipp ... Doch um das Gefühl zu verbergen, das ihr das Blut in die Wangen trieb, sagte sie mit erstauntem Gesichte, ohne daß ihre Glieder sich bewegten: »Sie hier?«

»Ja, ich bin hier,« entgegnete Paul sehr ernst und gemessen, nachdem er sich leicht verneigt hatte. »Trotz jenes ›Abschiedes‹ in Aigen; jedenfalls sehr gegen meine Absicht ... Ich erstaune übrigens etwas über Ihr Erstaunen, denn nach der sonderbaren Lage, in die Sie mich offenbar versetzt haben, mußten Sie doch erwarten, daß ich – notgedrungen etwas thun würde, mir Aufklärung zu verschaffen.« Mit höflich zurückhaltendem Stolze setzte er hinzu: »Und mir das Recht der Selbstbestimmung zu wahren ... Bei so rätselhaften Vorgängen –«

»Rätselhaft?« unterbrach sie ihn. »Haben Sie nicht – –«

»Was, wenn ich fragen darf?«

»Haben Sie den Brief des – Fürsten nicht erhalten?«

»Welchen Brief? – Ich weiß von keinem Brief. Als ich in Prien – – denn offenbar hat es keinen Sinn mehr, vor Ihnen leugnen zu wollen –«

Sie schüttelte den Kopf.

»Als ich also in Prien allein blieb, auch den nächsten Morgen – niemand kam – auch Doktor Riegler nicht – so fuhr ich endlich nach Salzburg zurück und zu Ihrer Villa, um meinen Sekundanten zu suchen. Dort ist alles fort. Nur der Gärtner da. Aus dem bring' ich nach und nach heraus, daß Sie abgereist sind, schon am Abend vorher, daß Ihnen vor Sonnenaufgang mein Freund, Herr Onegin, Ihr alter Diener gefolgt sind, daß Ihnen Briefe hierher nachzuschicken sind, Ihnen, dem Fürsten, allen ... Also der Fürst ist hier. – Ich – – ich bin nun eben nicht der Mann, der es ruhig hinnimmt, sich so mystifiziert zu sehen, der sich im Dunklen sieht, ohne heraus zu wollen –«

»Und Sie machten sich auf, fuhren Tag und Nacht?«

»So ist es.«

»Und Sie sind nun hier, um sich mit dem Fürsten zu schlagen –?«

Er verneigte sich, in kaum bemerkbarer Erregung, und erwiderte: »Trotz Ihres Eifers, es zu verhindern – ja. Ich wäre nun zwar nicht mehr gegen ihn verpflichtet, aber um ihm zu zeigen – und damit auch Ihnen – daß ein Mann, wie er auch heißen mag – – Doch es ist ja gleichgültig, was ich zeigen will. Genug, ich bin, mit Ihrer Erlaubnis, hier!«

Sie sah ihn an, wie um sein Gesicht zu befragen, ob er denn wirklich nur aus diesem Grunde hier sei. Da aber auf diesem versteinerten, vornehm kalten Gesicht nichts zu lesen war – selbst das Grübchen in seinem Kinn schien verfinstert und versteinert zu sein – so regten sich auch in ihr stolze, trotzige Gefühle. Sie hatte ihn vergebens durch eine Bewegung eingeladen, sich zu setzen: gegen einen Stuhl gelehnt, blieb sie nun ihm gegenüber stehen und sagte mit einem kleinen triumphierenden Lächeln: »Sie wissen also nichts. Sie wissen nicht, daß ich – und die Fürstin – mit dem Fürsten abreiste; und daß ich es allerdings gethan habe, um Ihr Duell zu verhindern – und auch mit Erfolg. Während Sie in Prien ausstiegen, blieb der Fürst im Wagen – und schlief, und fuhr vorüber –«

»Ah!«

»Nicht wahr, so eine Kühnheit trauten Sie mir nicht zu; ich hab' mir dennoch erlaubt, dieses Abenteuer zu unternehmen. Ich hab' noch mehr gethan; als der Fürst dann aufwachte – mit seiner Mutter und mir im Coupé allein, denn wir waren später zu ihm eingestiegen – so hab' ich seinem Zorn standgehalten; ja, ich. Bis ich auch noch das andere erreichte, das ich erreichen wollte – – um welchen Preis, war mir gleich. Er hat Ihnen dann aus Kufstein jenen Brief geschrieben – den Brief, den Sie nicht abgewartet haben –«

»Und was steht in dem Brief?« fragte Paul.

»Daß der Fürst darauf verzichtet, sich mit Ihnen zu schlagen. Daß er seine Herausforderung, seine beleidigenden Worte bedauert und zurücknimmt, und daß er Sie auf meinen Wunsch und in meinem Namen bittet, auf jede weitere Genugthuung gleichfalls zu verzichten.«

Paul schwieg eine Weile, stirnrunzelnd und beklommen. »Und um welchen – Preis,« fragte er dann, »haben Sie das erreicht?«

Sie zögerte. »Das ist meine Sache –«

»Verzeihen Sie; ich habe ein Recht, zu fragen, da es doch wohl auch meine Sache ist. Wenn ich zustimmen soll – und wenn man mich bis zum Posilipp – – Um welchen Preis haben Sie das erreicht?«

»Sie haben kein Recht, danach zu fragen,« entgegnete sie; »aber ich will mit Ihnen nicht rechten, nach allem, was wir miteinander gesprochen und erlebt haben ...« Sie nahm von einem Fläschchen, das neben ihr auf einer marmornen Tischplatte stand, den Krystallpfropfen herunter und heftete die Augen darauf, während sie weitersprach: »Sie sollen nicht denken, daß ich meine Freiheit weggegeben habe ... Ich erklärte ihm: ›Fordere was du willst, nur nicht meine Hand!‹ Er fügte sich; er verlangte nur, daß ich mich verpflichte, zu bleiben, was ich bin –«

»Die Fürstin-Witwe –«

»So ist es. – Sonst nach Prien zurück ...« Sie setzte den Pfropfen wieder auf das Fläschchen. »Ich habe mich verpflichtet,« fügte sie hinzu. »Und auf diese Weise hab' ich erreicht, was ich wollte, habe Ihnen bewiesen – –«

Sie wendete sich langsam von ihm ab, um ihm eine Bewegung in ihren Zügen nicht zu zeigen. »Nun, dann sind wir weitergefahren – denn nach Salzburg will ich nie, nie mehr zurück. Ich bin hierher gefahren, wie ich wollte, um hier in aller Freiheit als meine eigene Herrin zu leben – hier am Posilipp!«

»Und warum das alles?« fragte Paul, nachdem er, um seine Brust zu erleichtern, tief geatmet hatte.

»Warum? – Nun, um Ihnen zu zeigen, daß ich doch Stärke, daß ich Willen habe – und weil ich nicht wollte, daß der Fürst Sie tötet. – – Warum sagen Sie mir nun nichts?«

»Was ist da zu sagen?« antwortete er, indem er zu lächeln suchte. »Ich danke Ihnen für Ihren guten Willen – wenn es mich auch bedrückt, daß eine Frau – – Also kein Duell mehr. Die Reise hätte ich also umsonst gemacht. Aber ich hatte Zeit, und ob in Salzburg oder in Neapel – das ist einerlei. Ob das Opfer, das Sie so großmütig waren für Ihren Zweck zu bringen – ob es für Sie ein Opfer ist, das zu beurteilen steht mir nicht zu. Ich habe also nichts mehr zu sagen –«

»Was liegt an mir?« murmelte sie. Dann sagte sie laut: »Warum gehen Sie zur Thür?«

»Um Ihnen von da aus Adieu zu sagen ...«

Raffaela zitterte. Doch sie faßte sich. »Es steht mir nicht zu,« sagte sie, seine Worte wiederholend, »Sie zurückzuhalten ... Verzeihen Sie mir nur, daß ich die Kühnheit hatte, so in Ihre Angelegenheiten einzugreifen; aus Trotz – nur aus kindischem Trotz; und aus Eitelkeit – oder wie Sie wollen. Wenn es Sie ›bedrückt‹, wie Sie sagen, so mögen Sie mir verzeihen, weil ich eine Frau bin; nur eine Frau, also ein unverständiges, thörichtes Geschöpf. Als ich es that, meinte ich es gut ... Was Sie ein ›Opfer‹ nennen, das – das hat nichts zu sagen. Meine Freiheit bleibt mir; also was ich wollte. Also – – gehe es Ihnen gut! Adieu!«

»Adieu!« wiederholte sie und grüßte mit der Hand. Sie hatte aber ihre Kraft überschätzt, denn auf einmal brach sie in Thränen aus und sank auf den Stuhl, an den sie sich gelehnt hatte. Es war wie ein Krampf in ihr, der sie schon lange umspannt hielt, der sich lösen wollte; es schüttelte sie vom Mittelpunkte des Lebens aus und durchfuhr die Glieder. Sie stützte endlich die Arme auf den Marmortisch und legte den Kopf in die Hände.

»Fürstin Raffaela!« sagte Paul tief betroffen. »Sie weinen! – –« Da sie schwieg, fragte er, ohne sich zu rühren: »Um was weinen Sie?«

Sie antwortete nicht.

»Ich kann so nicht fort. Ich kann nicht fort, solange Sie so weinen –«

»So werde ich nicht mehr weinen,« sagte sie, stand auf und unterdrückte ihr Schluchzen. »So schwach ich bin, sehen Sie, hab' ich doch die Kraft. Es ist also kein Hindernis mehr da, das Sie zurückhält ...«

Er blieb aber noch stehen. »Und auch jetzt,« sagte er stockend, »kann ich so nicht fort. Was wäre das für ein Abschied ... Ich hab' nicht die Kraft –«

»Sie, ein starker Mann?«

»Ich sehe Sie zum letztenmal –«

Es durchzitterte sie.

»Ich kann nicht gehen,« fuhr er fort, »eh ich mein Herz nicht entladen habe; ich, den Sie doch Ihren Freund nannten – und der ich Ihre Thränen wieder fließen sehe. – O ja, Ihr Kopfschütteln schüttelt sie nicht weg. Ich muß Ihnen wenigstens sagen, was mir Tag und Nacht auf der Seele lag, was ich Ihnen zehnmal, hundertmal gesagt habe, wenn ich mit geschlossenen Augen Sie vor mir sah – und der Wagen rollte!«

»Nun, so sprechen Sie ...«

»Alles?«

»Ja.«

»So offen und aufrichtig, wie ich es Ihnen gesagt habe, wenn Sie mich nicht hörten?«

»Und Sie mich anklagten ... Reden Sie nur. Ich kann alles hören. Ich will alles hören. So wie Sie mir damals, am ersten Morgen, die Wahrheit sagten –«

Sie sank wieder in den Stuhl, und in etwas furchtsamer Erwartung, doch auf alles gefaßt, blickte sie ihn an.

»Sehen Sie, schon damals, Fürstin – nicht an jenem Morgen, aber als ich Sie wiedersah – als ich fliehen wollte, weil meine Gefühle mich erschreckten – und Sie mich zurückhielten – schon damals wußten Sie, was ich für Sie fühlte ... Können Sie widersprechen, so thun Sie's! – –« Raffaela schwieg. – – »Als dann der Fürst eintrat und seine beleidigenden Fragen Sie in Furcht versetzten – da sagte ich Ihnen so deutlich, wie es nötig war, daß ich – den Mut hatte, es sehr ernst zu meinen, daß ich, für Ihre Ehre besorgt, Ihnen mein Herz und mein Leben zu Füßen legte ... Falls Sie das damals nicht verstanden hätten, so sagen Sie es! – –« Sie wollte reden, aber sie schwieg. – – »Wie Sie aber auch über meine Gefühle denken mochten, Fürstin – diesem hochfahrenden Herrn konnten und mußten Sie erwidern: ›Ich bin frei, zu thun und zu lassen was ich will. Erdreiste dich nicht, so vor mich hinzutreten; der da ist mein Freund, mein erwählter Freund – und was ich auch thue, ich vertrete es vor Gott und der Welt!‹ – – Das thaten Sie nicht. Unter den Augen des Fürsten faßten Sie sich als Fürstin und ließen mich, den bürgerlichen Paul Eberstein, fallen ...«

Raffaela hob eine Hand, wollte widersprechen. Aber vor dem stolzen, edlen Ausdruck seines blassen Gesichtes verwirrte sie sich und schwieg.

»Dann kam das Duell,« fuhr er fort – »und unsere Trennung – und Ihr ›Heroismus‹. Ich soll ihn bewundern ... Ja, es ist wahr, es ist Heroismus; Sie haben mir gezeigt, was ich auch ohne das schon zu wissen glaubte, daß Sie eine edle, opferfähige, holde Seele haben – mein Gott, ich fühl' es ja hier, ich leugne es ja nicht. – Aber dieses Opfer – – Was sagte ich Ihnen bei unserem ersten Gespräch? In den zaghaften, durch Pessimismus entmutigten, matt gewordenen Seelen verwandle sich im besten Falle die Energie in Ertragen, in jenen passiven Heroismus, der nur noch dulden, entsagen, sich aufopfern könne ... So ist es Ihnen ergangen: diesen Heroismus haben Sie gehabt. Sie haben sich aufgeopfert, Ihre Zukunft, Ihr Lebensglück haben Sie weggeworfen! – Sie – eine Frau wie Sie – noch jung, und so blühend – und von der Natur dazu auserlesen, zu lieben, geliebt zu werden, den Beruf der Frau zu erfüllen – Sie haben darauf verzichtet, auf immer – wie durch ein Klostergelübde – und sagen: ›Was liegt an mir?‹ – Und das alles warum? – Weil ein Mann es verlangte, der – der die Welt ein Nichts nennt, weil er sie nach sich selbst beurteilt; der Sie nicht liebt und Sie nie geliebt hat. Der nur darum auf Sie eifersüchtig ist, weil er fürchtet, mit Ihnen den Paktolus, den Goldfluß zu verlieren, der sich aus Ihrer segenspendenden Höhe in seinen Sumpf ergießt ... Verzeihen Sie, ich wäge meine Worte nicht mehr – ich mag nicht, ich will nicht mehr! – Wenn dieser lebensmüde Herr des Goldflusses sicher wäre, so würde er kein Bedürfnis mehr verspüren, um Ihretwillen Blut zu vergießen oder Sie durch unnatürliche Gelübde zu fesseln ... Und um so eines Menschen und um seines ›Bruders im Nichts‹ willen soll nun alles aus sein; Ihr Leben zerstört, vergeudet – und herabgewürdigt; und ich soll mir noch sagen, für mich hat sie's gethan! Ich, der ich ihm so gern seinen Goldstrom ließe – alles, alles – wenn ich Sie nur retten dürfte – wenn ich, ich – – – Hätten Sie doch lieber ruhig zugegeben, daß ich mich vor seine Kugel und an den Abgrund stellte; wir hätten beide getroffen, hoff' ich – und mir wäre besser als jetzt!«

Raffaela seufzte. Sie kämpfte wieder mit Thränen. Doch während er vom »Goldfluß« und vom Fürsten sprach, hatte sie sich langsam erhoben, wie überrascht, wie von etwas ergriffen, und starrte Paul unablässig an. »Wie grausam das alles ist, was Sie mir da sagen,« murmelte sie jetzt. »Also Sie meinen, ich sei wieder schwach gewesen –«

Er fiel ihr ins Wort: »Glauben Sie nicht, daß ich von einer Frau die Willensstärke, die Festigkeit eines Mannes verlange; so thöricht bin ich ja nicht. Die Natur hat ja die Frau darauf angewiesen, mit dem Manne zu leben; was ihr an Kraft fehlt, das soll sie eben auf der Schwelle finden, über die sie zum Manne geht. Nur – wenn sie allein ist – oder wenn die großen Schicksalsstunden kommen – da fordert denn doch das Leben, das für alle gleich ist, daß sie sich als stark und fest zu bewähren weiß; daß sie für ihr Glück, für ihre höchsten Güter auch zu kämpfen vermag ... Aber ich bin, wie es scheint, schon ohne Sinn und Verstand. Ich predige Ihnen wieder wie damals – als wären wir noch in Salzburg – als wäre nicht alles vorbei. Also – endlich zum letztenmal – leben Sie wohl!«

Er wollte zur Thür; Raffaela trat ihm aber stumm in den Weg, ohne zu sprechen Ihre Augen leuchteten durch große Thränen hindurch. Sie schüttelte den Finger wie die Neapolitaner, um »nein« zu sagen; dann bewegte sie die Arme auseinander, von sich weg, und hielt sie in rührender Anmut wie abwehrend vor sich hin.

»Was wollen Sie?« fragte er.

»Ich kann nicht reden,« antwortete sie, gleichsam geheimnisvoll, »kann es Ihnen nicht sagen.« Sie legte die Hände auf der Brust zusammen, mit innig bittendem Lächeln: »O seien Sie gut! – Geduld, seh' ich wohl, ist nicht Ihre Stärke, aber ich bitte Sie von ganzem Herzen, haben Sie einmal – heute – mit mir Geduld!«

Durch ihr Benehmen verwirrt, sagte er zögernd: »Was soll ich thun – oder nicht thun –«

»Sie kennen mich wohl recht gut,« erwiderte sie: »aber doch nicht ganz. Vielleicht ist doch, doch noch etwas in mir, das man nicht sieht, das also auch Sie nicht sehen. Vielleicht geht es Ihnen mit mir, wie es dem Wanderer mit dem Felsen ging, den er für stumm hielt, bis er selber das Echo in ihm weckte ... Aber das Gleichnis hinkt wohl – und überhaupt, mit Worten kann ich es nicht sagen. Wollen Sie mir eine letzte Liebe thun? Noch heute abend sollen Sie wieder gehen – ohne Lebewohl: nur noch zwei Stunden – nur noch eine Stunde bleiben Sie hier – bis ich Ihnen sage – – Fragen Sie nicht, was es ist. Bitte, nur dieses eine Mal folgen Sie mir stumm. Gehen Sie – auf die Terrasse – unter meinen Palmen, da erwarten Sie die Nacht, denn sie wird bald kommen – und – nun, und wie es dann endet!«

Er sah ihr bewegt in das lieblich bittende Gesicht. Seine Augen forschten darin, unwillkürlich wollte er reden; sie legte aber, sanft lächelnd, einen Finger auf den Mund. Durch eine Gebärde bat er um Verzeihung.

Darauf hob sie den Finger gegen die Terrasse und deutete an, von da weiter rechts solle er zu den Palmen gehen. Er verstand und nickte. Mit einer stummen Verneigung, eine Hand auf der Brust, ging er auf die Terrasse und dem Garten zu.

Sie schloß hinter ihm die Thür. Dann richtete die kleine Gestalt sich entschlossen auf, und mit einer heiteren Miene, während noch Thränen an ihren Wangen glänzten, sagte sie: »Ich will!«

Sie ging zur anderen Thür, die in das Innere der Villa führte; ehe sie sie aber öffnete, trocknete sie die Thränen. An einer Wendeltreppe sah sie Grabow stehen, mit seinem schüchtern vorwurfsvollen Gesicht. »Grabow!« rief sie, aber mit holder Stimme. Er kam. »Seien Sie gut, lieber Vater Grabow!«

Beglückt horchte er auf.

»Ist Doktor Riegler da?«

»O gewiß,« antwortete er. »Im Garten.«

»Gut,« dachte sie, »so findet er ihn dort! –« Sie fragte wieder: »Und Herr Onegin?«

»Der ist wiedergekommen, sitzt im Billardzimmer und raucht.«

»Haben Sie die Güte, lieber Vater Grabow, schicken Sie ihn zu mir. Ich lass' ihn ersuchen, auf einige Augenblicke –«

»Sehr wohl!«

»Hatt' ich nicht recht, zu warten?« dachte Grabow. »Sie ist wieder da!« – Er konnte sich nicht versagen, eh er ging, ihre Hand zu ergreifen und geschwind, aber ehrerbietig zu küssen, worauf er gerührt sagte: »Donna Raffaela – willkommen am Posilipp!«

Sie lächelte ihm nach, als er wie ein Jüngling die Haupttreppe hinauf eilte. »Er ist wieder gut!« – In ihr Zimmer zurückgekehrt und zum Fenster tretend, erstaunte sie auf einmal, wie über ein Wunder, den Vesuv zu sehen; den ganzen Tag stand er ihr schon vor Augen, aber ihre Sinne waren so betäubt gewesen, so empfindungslos. Jetzt erschrak sie, wie schön dieser Golf, ihre Heimat, war. Diese edlen Linien, dieses edelsteinblaue Meer, dieser leuchtende Himmel, diese glühenden Farben ... »Ich will dich mir verdienen,« dachte sie, »dich und das Glück und das Leben will ich mir verdienen –« und einigemal sagte sie leise vor sich hin: »Ich will, ich will, ich will! – –« Endlich kam Onegin. Er hatte sich soeben in Neapel ein ganz helles Sommerkostüm gekauft, das leichteste, das es gab, und er trug es schon; zu seiner fahlen Gesichtsfarbe und dem unbestimmten Blond seines dünnen Haares sah es sonderbar aus. Raffaela verzog unwillkürlich die Lippen, als sie ihn erblickte. Sie saß schon am Fenster und lud ihn ein, sich zu setzen.

»Entschuldigen Sie,« sagte sie, »wenn ich mir erlaubte ... Was ich Ihnen sagen möchte, das ist schnell geschehen. Es handelt sich – um ein gutes Geschäft, das ich Ihnen vorzuschlagen habe, und in geschäftsmäßiger Kürze.«

»Ein Geschäft?« fragte er erstaunt.

»So ist es. – Ich habe mir's anders überlegt ... Der Fürst wird Ihnen bereits gesagt haben, welche Verpflichtung ich ihm gegenüber eingegangen bin; nun eben das hab' ich mir anders überlegt. Diese Verpflichtung wünsche ich zu lösen.«

Onegin starrte sie an.

»Natürlich nicht ohne Entschädigung,« setzte sie hinzu, »und das ist das Geschäft. Sie sehen,« sagte sie lächelnd, »kaum bin ich hier, so red' ich schon wieder als echte Neapolitanerin! –« Sie sah ihn, mit ein wenig gesenktem Kopfe, von der Seite an, streckte den Zeigefinger der linken Hand aus und legte den rechten in der Mitte darauf, als wollte sie ihn durchschneiden. »Das – das biete ich.«

»Ich verstehe nicht –«

»Nun, das heißt: die Hälfte. Die Hälfte meines Vermögens trag' ich dem Fürsten an, wenn er mich aus dieser Verpflichtung losläßt, mir mein Wort zurückgibt. Ich will meine ganze Freiheit wieder haben und meinen halben Besitz dafür hingeben; verstehen Sie das nicht?«

»Verzeihen Sie,« sagte Onegin, der ihr zum erstenmal den Eindruck eines verblüfften Menschen machte. »Wenn Sie nicht zu scherzen belieben –«

»O nein.«

»So – so begreif' ich vor allem nicht, warum sagen Sie das mir und nicht dem Fürsten selbst?«

»Weil es ein Geschäft ist; in Geschäften spricht man mit dem Fürsten schlecht – und mit Ihnen gut. Sie sind ›objektiv‹, der nüchterne, praktische Philosoph ohne Vorurteile; es gibt für Sie keine – Idealität, weder falsche, noch echte ... Bitte, bleiben Sie sitzen, ich sage ja nichts, als was Sie selber hundertmal gesagt haben – also bitte, bitte! – Das natürliche Interesse des Fürsten und seiner Mutter ist, standesgemäß und sorgenfrei zu leben. Um das zu können, wollte der Fürst mich heiraten – bitte, lassen Sie – dasselbe erreicht er jetzt, ohne mich zu heiraten, wenn ich ihm die Hälfte abtrete – und er ist frei von mir und aller Welt. Mir aber bleibt genug – und meine Freiheit dazu. Ein besseres Geschäft können wir also alle beide nicht machen. Sie haben immer für den Fürsten gedacht und für ihn gehandelt, thun Sie das auch jetzt – und machen wir's ab!«

Onegin nahm seine würdevollste Haltung an – wobei aber das leuchtende Kostüm ihm nicht günstig war – und erwiderte: »Ich stelle Ihnen gerne frei, Fürstin, über mich zu denken, wie es Ihnen beliebt; ein richtiger Philosoph nimmt es nicht so schwer, was andere von ihm halten. Aber ich begreife nicht, daß eine Frau von Geist, wie Sie, sich einreden kann, der Fürst sei dazu fähig, so ein ›Geschäft‹ zu machen.«

Raffaela sah ihm einen Augenblick zweifelhaft in die klaren, wasserkalten Augen. Plötzlich fiel ihr aber das »elfte Gebot« ein, das Paul Eberstein an jenem Morgen citiert hatte: »Laß dich nicht verblüffen!« Sie lächelte, und ebenso ruhig und kalt, wie Onegin. »Ich hoffe und glaube, er wird es machen,« antwortete sie. »Er wird zuerst die pathetische Rolle spielen – wenn auch ohne Revolver – aber er versteht sich ganz gut auf seinen Vorteil. Wenn Sie ihm nur zureden.«

»Ich?«

»Ja, Sie.«

Onegin betrachtete die Fürstin wie ein unbekanntes und gänzlich überraschendes Phänomen, und wie wenn er fragen wollte: Woher kommt dir das alles? Was ist mit dir geschehen? – »Entschuldigen Sie,« sagte er. »Ihm zureden ... das ist doch am Ende nicht meine Sache –«

»Herr Onegin,« erwiderte sie, ihre Ueberlegenheit genießend, langsam – »ich glaube, etwas Unrichtigeres haben Sie noch nie in Ihrem Leben gesagt. Vor allem anderen ist es Ihre Sache ... Ich will Ihnen mit drei Worten sagen, warum. Wenn dieses Geschäft nicht zustande kommt, so geschieht etwas anderes, das ich bei mir fest beschlossen habe: so mache ich von Ihrem selbstlosen Anerbieten bei unserer letzten Aigener Unterredung Gebrauch und erkläre dem Fürsten als Ihren und meinen Willen, daß Sie uns verlassen.«

Onegin stand auf. Es entstand eine lange Stille. Er verneigte sich endlich stumm gegen Raffaela, die durch eine leichte Bewegung es erwiderte.

»Nun?« fragte sie dann.

»Die Hälfte Ihres Vermögens?«

»Ja. Aber verstehen Sie wohl: nur wenn die Sache heute abgemacht wird; wie, das ist Ihre Sache. Mir liegt daran ... Es muß heute sein ... Hab' ich in einer halben Stunde die Zustimmung des Fürsten, so ist es gut, so machen wir es morgen amtlich, feierlich – und die Herrschaften reisen dann, wohin sie wollen; wir bleiben gute Freunde, gute Verwandte, die sich immer wieder sehen, das versteht sich von selbst. Zögert er aber, so thue ich etwas anderes! So begeh' ich irgend einen verzweifelten Gewaltstreich – verlassen Sie sich darauf – gehe ins Kloster, übergebe mein ganzes Vermögen an die Kirche, und Sie – das heißt er – das heißt, Sie und er – Sie verlieren alles! – Ich hoffe, Sie zweifeln nicht mehr an meiner Entschlossenheit –«

Fast bewundernd schüttelte er den Kopf.

»Also genug! – Von der Hälfte dessen, was ich habe, können Sie alle drei ohne Einschränkung leben. Ich kann mir dann zu meiner Beruhigung sagen, daß die Mutter und der Bruder meines verstorbenen Mannes nicht zu sorgen haben – und daß auch Sie davon Nutzen ziehen, wird mir der liebe Gott hoffentlich nicht anrechnen. Bitte, lassen Sie – es bedarf also zwischen uns keiner Worte mehr, auch nicht zwischen dem Fürsten und mir; wenigstens nicht über diese Sache ... Wir leben zwar schon nicht mehr unter einem Dach, aber er wohnt kaum hundert Schritt von hier. Schicken Sie mir in der nächsten halben Stunde irgend was zum Zeichen seiner Zustimmung – ein Wort – oder eine Blume – so ist es abgemacht und wir sind einig. Wenn nicht – so schreibe er sich selber zu, was geschieht! Ich habe auch meinen ›Revolver‹ – wenn auch nur im Kopf – aber er ist geladen, und ich habe italienisches Blut; bitten Sie ihn, das nicht zu vergessen!«

Sie war aufgestanden und machte nun Herrn Onegin eine Verbeugung, die ihn entließ. Er verneigte sich gleichfalls, stumm. Er war aber wirklich »objektiv« genug, um noch einen staunenden Blick auf sie zu werfen, der zu sagen schien: »Wenn ich mich verlieben könnte, wär's in diese Frau! –« Mit langsamen und zögernden Schritten ging er dann hinaus.

Raffaela blickte umher. Ein herzhaftes, glückseliges Lächeln flog über ihr Gesicht. »Nun?« sagte sie, gegen die Terrasse wie zu Paul gewendet, »bin ich nun stark? Habe ich nun ›Willen?‹ – Gönnen Sie mir nur noch eine halbe Stunde Zeit ...« Sie sah wieder auf die Berge drüben bei Sorrent, das Meer und den Vesuv; ihr kam ein Gefühl, als seien auf einmal viele Jahre von ihr abgefallen, als sei sie nicht mehr die Fürstin, nicht die Grafentochter, als stehe sie wieder in Piedigrotta am Fenster, jung, ganz jung, und träume den Himmel ihrer Heimat an, und die Erde, das Leben. Mit ihrer hellen, zarten Mädchenstimme sang sie vor sich hin:

» La vedette a Piedigrotta – –«

Ihr wollten die Worte nicht kommen, die nun weiter folgten, aber sie sang, was ihr einfiel, sie sang immerfort. Eine heitere, glückliche Phantasie begann vor ihr aufzusteigen; sie nickte sich zu, sie trat zu einem Kästchen von orientalischer Arbeit, das auf einem Tische stand, öffnete es, holte Korallenschnüre hervor, eine nach der anderen, und hängte sie sich um den Hals; dann löste sie ihren schwarzen Schleier ab, nahm ein seidenes, rotes phrygisches Mützchen aus dem Kasten und setzte es sich auf die dunklen Locken. Auch eine seidene, bunte Schärpe fand sie in dem Kästchen; sie umschlang sich damit, immer noch leise singend. Unterdessen glühten drüben die fernen Ufer von Sorrent und die braunen Berge in der letzten Sonne, die Goldtöne starben, ein feierlicher, violetter Schimmer verklärte das auf dem Meere schwebende Felsenland und zog sich langsam von den Gestaden zurück, bis er nur noch die Höhen wunderbar umsäumte. »O wie schön dieser Tag vergeht,« dachte Raffaela, »und wie schön die Nacht wird; – o ihr glücklichen, milden, geliebten Nächte meiner Heimat ... War es denn noch nicht aus? Werd' ich noch wieder warm und glücklich und – geliebt wie ihr? Mit euch? Werd' ich noch wieder jung? Soll ich wieder leben? – Ja, es wird mir gelingen und ich werde leben ...

O bella Napoli,
L'astro d'argento – –«

Sie begann wieder zu singen, das Lied von Santa Lucia – aber die Gedanken kehrten zu ihrer fröhlichen Eingebung, ihrer Phantasie zurück. Sie sah sich wieder in Aigen, an dem Morgen, als sie von ihrem Balkon Paul zum erstenmal hörte, ehe sie sein Gesicht, sein edles, sonniges Gesicht noch gesehen hatte. Das stolze Gesicht, mit der edlen Nase und mit dem lächelnden Grübchen unter dem ernsten Mund ... »Ja, ja, ich liebe ihn, ich liebe ihn,« sagte sie vor sich hin. »Und ich will – –«

Sie lief zur Thür. »Grabow!« rief sie. »Lieber Vater Grabow!«

*


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