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VII.

Paul Eberstein sah ihr nach. Mit einem bitteren Lächeln wiederholte er sich ihre Worte: »Es bedeutet nichts!«

»Sie müssen verzeihen, mein Herr,« sagte der Fürst, indem er die Stimme dämpfte, »daß ich mir diese Einmischung erlaubt habe. Sie müssen noch mehr verzeihen: daß ich Sie auch auf meine Stellung zu der Fürstin aufmerksam mache. Ich bin ihr nächster Verwandter, ihr natürlicher Beschützer, und in dieser Eigenschaft kann ich – so peinlich mir es ist, es aussprechen zu müssen – kann ich doch nicht gestatten, daß die Annäherung irgend eines Dritten ein gewisses Maß überschreitet. Offen gestanden, muß ich daher den Wunsch äußern, daß Sie sich verpflichten, jede Annäherung künftig aufzugeben –«

»Diesen Wunsch äußern Sie umsonst,« fiel ihm Paul ins Wort, der sich äußerlich zu beherrschen suchte. »Ich nahm zwar eben ›Abschied‹, wie Sie hörten, aber Ihrem Wunsche zuliebe verpflichte ich mich zu nichts.«

»Dann muß ich mir erlauben, mein Herr, Ihnen sozusagen in den Weg zu treten; das betrachte ich nicht nur als mein Recht, sondern als meine Pflicht. Ich dulde von niemand, daß er dieser Dame, deren Ehre mir heilig ist –«

»Schon gut, ich verstehe Sie. Sie weisen mir ›moralisch‹ die Thür oder die Pistole!«

Der Fürst blickte nach der Thür des Boudoirs, da Paul die Stimme etwas gehoben hatte, und antwortete leiser: »Ungefähr so, mein Herr.«

Paul dämpfte nun gleichfalls die Stimme: »Sie haben dazu weder das Recht, noch die Pflicht, mein Herr. Fürstin Raffaela ist, soviel ich weiß, vollkommen frei, zu verkehren mit wem sie will und wie sie will. Auch finde ich es unnötig und abgeschmackt, mich mit Ihnen zu schlagen, weil meine ›Annäherung‹, wie Sie es nennen, Ihnen nicht gefällt. Jedenfalls werd' ich thun, was mir beliebt –«

»Das wünsch' ich eben zu hindern, mein Herr,« erwiderte der Fürst. »Da Sie sich nicht scheuen, wie ich sehe, eine etwas unbesonnene Dame zu kompromittieren –«

Paul fuhr auf. »Herr Fürst –!«

Der Fürst antwortete ruhig: »Herr Eberstein, ich vertrete meine Worte. In jeder Form; wie Sie wünschen.«

»Ich sehe, Sie haben das lebhafte Verlangen, sich mit mir zu schlagen ... Gut, gut, meinetwegen, wie es Ihnen beliebt. – Geschmack an solchen Hahnenkämpfen habe ich nicht, aber auch keine unüberwindliche Abneigung. Es ist Ihre Liebhaberei, wie ich höre, mit geladenen und – ungeladenen Revolvern zu hantieren; so viel wie Sie hab' ich mich nicht damit beschäftigt – aber zur Not genug!«

»Also Pistolen, wenn Sie wollen –«

»Ich habe nichts dagegen.«

»Gut,« sagte der Fürst, immer kalt und ruhig. »Sie werden aber einsehen, mein Herr, daß diese Verabredung nicht den Zweck haben kann, die Fürstin noch mehr zu kompromittieren –«

»Gewiß!«

»Es ist also im höchsten Grade wünschenswert, die Sache in aller Stille abzumachen –«

»Gewiß, gewiß!«

»Also vor allem nicht hier. Ich würde vorschlagen, über die Grenze zu gehen –«

Paul horchte und unterbrach ihn: »Draußen geht jemand auf und ab.«

Der Fürst ging zur Thür und öffnete; auf dem Korridor stand Onegin, den Hut auf dem Kopfe. Indem der Fürst ihm winkte, einzutreten, sagte er leise zu Paul: »Sie kennen Herrn Onegin, der ist hier nicht zu viel, im Gegenteil.« Dann wiederholte er seine letzten Worte von vorhin: »Ueber die Grenze zu gehen ...«

»Verstehe ich recht?« fragte Onegin, der seinen Hut abgenommen und Paul Eberstein begrüßt hatte.

»Ja,« sagte der Fürst und bedeutete ihm, leise zu sprechen.

»Dann haben Sie jedenfalls recht,« bemerkte Onegin trocken, sogleich bei der Sache. »Ueber die Grenze zu gehen, ist das Richtige. Ich sage das in der Voraussetzung, daß Sie mich als Sekundanten in Anspruch nehmen wollen –«

Fürst Alexander nickte.

»Und Sie vielleicht den Herrn Doktor Riegler –«

Paul stimmte zu.

»Also über die nahe Grenze, nach Bayern, wenn es Ihnen recht ist –«

»Ganz recht!«

»Um jede Möglichkeit von Aufsehen oder Entdeckung zu vermeiden,« fuhr Onegin fort und sah die beiden fragend an; sie nickten. »Um also das zu vermeiden, schlage ich folgendes vor: Mit dem nächsten Zuge, der von Wien kommt und nach Bayern geht, noch heute abend ab; in verschiedenen Waggons natürlich, bis zur fünften oder sechsten Station – sie heißt – – der Name wird mir einfallen. Dort übernachten, in mehreren guten Hotels. Morgen früh zu Fuß, auf verschiedenen Wegen, die ich kenne, in die Berge hinaufgehen, an eine so einsame Stelle – Sie kennen sie ja auch« (Fürst Alexander nickte) – »daß kein Mensch uns belauscht. Wenn dort Schüsse fallen, so denkt jeder, der sie etwa hört, im Wald wird gejagt. Die Herren Duellanten stellen sich so auf, daß, wenn einer fallen sollte, er in den Abgrund fällt; in einen Abgrund, in dem man ihn wahrscheinlich niemals finden wird, kein Mensch kommt dahin. Was kann man Vernünftigeres thun, als auf diese einfache Weise aus der Welt verschwinden und ins Nichts zurückkehren –«

»Gewiß,« sagte Paul, in dem ein unsinniger Humor aufstieg, und sah dem Russen in das farblose, ruhige Gesicht. »Zwar möchte ich die Bemerkung machen, daß die Sache doch ungleich steht; mein Herr Gegner denkt offenbar mit einer Art von Wollust an die Vernichtung des Ich, dagegen ich lebe sehr gerne. Indessen, wie Sie wollen, nur zu!«

»Jedenfalls ist die ganze Angelegenheit so vor Entdeckung sicher,« setzte Onegin, bei der Sache bleibend, hinzu. »Wer etwa verschwindet, gilt für verunglückt –«

Der Fürst nickte. »Ein vortrefflicher Plan!«

»Gewiß!« sagte Paul.

»Wir sind einig?« fragte Onegin. Beide stimmten zu.

»Alles weitere verabrede ich mit Herrn Doktor Riegler, sorge sogleich für alles –«

»Desto besser,« sagte Paul, unwillkürlich etwas lauter. »Vortrefflich!«

»Bitte, nicht so laut,« flüsterte Onegin, nach dem Boudoir deutend. »Mir war eben, als öffne sich dort die Thür ... Nein. Sie ist geschlossen. Durch die Thür hindurch ist es unmöglich, etwas zu hören, wenn wir leise sprechen ... Also, wenn Sie erlauben, aus Vorsicht noch folgendes: Sie, meine Herren, benutzen den nächsten Zug; Herr Eberstein steigt etwa in den letzten Wagen, der Fürst in den durchgehenden, der über Rosenheim weitergeht bis Innsbruck.« Fürst Alexander nickte. Onegin fuhr lächelnd fort: »Sie werden schlafen – in Prien lassen Sie sich wecken. Richtig, die Station heißt Prien! Mit dem Nachtzuge fahren Doktor Riegler und ich, in derselben Weise, in verschiedenen Wagen –«

»Alles gut,« sagte der Fürst. »Also fort! Suchen Sie Doktor Riegler –«

»Sogleich!«

Sie hatten während dieses Gespräches die Thür, die zum Boudoir führte, nicht aus den Augen gelassen; jetzt verneigten sich der Fürst und Onegin gegen Paul, der es erwiderte, und gingen zur anderen Thür. Zu ihrer Ueberraschung bemerkten sie, daß sie nicht ganz geschlossen war.

Der Fürst sah Onegin an. »Haben Sie denn nicht zugemacht, als Sie kamen?« fragte er.

»Doch, natürlich, fest zu. Irgend jemand muß sie geöffnet haben – wenn es nicht der Wind war ...«

»Ist jemand auf dem Korridor?«

Onegin trat in die Thür; niemand war zu sehen.

»Vielleicht war es der Wind,« flüsterte der Fürst. »Kommen Sie!« Sie gingen.

Paul stand noch mitten im Zimmer; er blickte umher und erwachte wie aus einem Traum. Sein Hut, nach dem er mechanisch suchte, stand noch auf dem Klavier, dort hatte er ihn hingestellt, als er sich setzte, um » Santa Lucia« zu spielen. Dann war Raffaela gekommen ... »Jetzt werde ich meinen Hut nehmen,« dachte er, »um fortzugehen ohne Abschied, auf Niewiedersehen – vielleicht ins ›Nichts‹ ...«

Er fühlte, wie gut es sei, jetzt nicht zu denken, in der Betäubung zu bleiben, die noch auf ihm lag. Langsam ging er zur Thür. Sie öffnete sich, und Raffaela trat vom Korridor ein.

Fast erschreckend trat er einen Schritt zurück. Sie war sehr verändert, die Lippen hatten eine bläuliche Farbe, die Wangen waren wie blutlos, ebenso die Augen. »Herr Eberstein!« sagte sie, doch vollkommen tonlos.

»Entschuldigen Sie, Fürstin,« entgegnete er kalt, indem er an ihr vorbeistrebte. »Mein – mein Freund wartet auf mich –«

Sie vertrat ihm den Weg. »Verzeihen Sie. Sie wollen sich schlagen –«

Er schüttelte den Kopf.

»Doch, doch, ich weiß es. Ich bin auf den Korridor hinausgegangen, und durch diese Thür da hab' ich das letzte gehört, das Onegin sagte. Sie wollen nach Prien, nach Bayern –«

»Sie irren,« fiel er ein, sich zu fassen suchend. »Wenn Sie so etwas gehört haben, so haben Sie falsch gehört!«

»Nein, nein, nein,« sagte sie, indem ihre Stimme sich nach und nach belebte. »Ich errate alles; mit dem Fürsten wollen Sie sich schlagen – und um meinetwillen ...« Plötzlich schoß ihr das Blut wieder ins Gesicht. »Ich kenne ihn ja, so macht er es nicht zum erstenmal. Und er wird Sie töten ... Es darf nicht sein! Es darf nicht sein!«

»Es ist auch nicht so,« murmelte Paul. »Aber, mit Ihrer gütigen Erlaubnis – ich muß endlich fort!«

Doch Raffaela faßte seinen Arm und zog ihn von der Thür hinweg, mit einer Kraft, die er nicht in ihr erwartet hatte. »Aber ich duld' es nicht,« sagte sie gedämpft, doch voll innerer Leidenschaft. »Sie machen mich unglücklich, wenn Sie sich diesem Mörder stellen. Ich – – ich kann es nicht überleben, wenn dieser Mensch Sie tötet ... Werden Sie nun bleiben oder werden Sie gehen?«

»Sie sind außer sich,« sagte Paul, den ihr verzweifelter Ausdruck, ihre Stimme einen Augenblick zu erschüttern drohte. »Und wenn es so wäre, müßt' ich ja doch gehen ... Aber es ist nicht, ist nicht. Bitte, lassen Sie meinen Arm –«

»Nein, nein, nein!« rief sie aus. »Leugnen Sie nur ... Ich lass' es nicht zu, ich, ich werd' es hindern!«

»Sie?« sagte er lächelnd. »Nach allem, was ich von Ihnen gesehen und erlebt habe, trauen Sie sich noch so viel – Stärke zu?«

Das Wort durchzuckte sie; ihre Hand fiel von seinem Arm. Hinter ihr ward die Thür wieder aufgerissen, Doktor Riegler stand auf dem Korridor, in sichtbarer Aufregung, in einem samtenen Hausröckchen. Als er die Fürstin sah, trat er wieder zurück. Paul erblickte ihn und rief hinaus: »Ja, ja, ja, ich komme!«

Er senkte dann die Stimme und sagte zu Raffaela, die bewegungslos dastand: »Ich befreie Sie jedenfalls von meiner Gegenwart – auf immer. Wie Sie es ja wünschten. Verzeihen Sie, daß ich Sie dieser Beschämung vor dem Fürsten aussetzte – ich, ein simpler – – Adieu!«

Es war, als hätte er ihr einen Schlag gegeben, so fuhr es durch sie hin. Er ging an ihr vorbei und zur Thür hinaus, die hinter ihm zufiel; sie wagte nicht mehr ihn aufzuhalten, ihr Arm hätte auch nicht mehr die Kraft gehabt; sie stand still, ohne sich zu rühren. Sie hörte Schritte gehen, hörte Thüren schlagen, es war ihr, als knisterte der Kies im Garten: endlich schien es ihr, als hörte sie Wagenräder rollen, sich entfernen, verhallen. Immer stand sie noch wie betäubt und ganz ohne Gedanken. »Ich, ein simpler – –« klang es ihr nur im Ohr; eine unbewußte Bemühung regte sich in ihr, das unausgesprochene Wort zu ergänzen, ohne daß es gelang. Es wiederholte sich in ihr sinnlos, mehrmals, wie ein Echo von näheren und ferneren Bergwänden: »Ich, ein simpler ...«

Endlich löste sich diese Ohnmacht im Gehirn, und Gedanken kamen. Ihr erster Gedanke war, ihm noch nachzustürzen; doch ein tief schmerzliches Gefühl der Scheu, der Scham, der Unmöglichkeit drückte diesen Gedanken in seinen Winkel zurück. Dann war ihr zweiter, zu verzagen, in einen Stuhl zu sinken, alles über sich ergehen zu lassen wie eine hereinbrechende Flut und still zuzusehen, unter was für Trümmern sie dieser Tag begrabe. Wenn dieser Gedanke siegte, dann war vielleicht ihr Schicksal besiegelt und es gab für sie keine Rettung mehr; dann endete sie vielleicht wie die Fürstin Olga ... Aber plötzlich erschrak sie vor sich selbst über diese Feigheit und stieß einen Laut der Empörung aus, der sie erweckte. »Nein!« sagte sie laut vor sich hin. »Er geht, er verachtet mich, soll er mich noch mehr verachten? Wie sagte er: ›Trauen Sie sich noch so viel Stärke zu?‹ – Ja!« rief sie aus, die Stimme hebend, als könnte er sie noch hören. »Ja, ich will es Ihnen zeigen; ja, Sie sollen es sehen!«

Es begann zu dunkeln; sie bemerkte es; auf einmal überfiel sie eine leidenschaftliche Angst. Wenn es nun zu spät ward? Was thun? Was thun? – Sie schlug mit den Händen gegen ihre Stirn: »O mein Gott! Was thun? Wie soll ich es hindern? Um jeden Preis; jeden, jeden Preis; alles ist mir gleich; er soll es sehen, daß ich Stärke habe – – und er soll nicht sterben! –« Sie hielt sich an einem Sessel, wie um besser zu denken; es war ihr, als liefe ihr Verstand, ihr Wille im Gehirn durch einen dunklen Gang, alles, alles dunkel, alle Thüren verschlossen und von Eisen ... Jetzt aber öffnete sich eine Thür, und es wurde Licht. Des Fürsten Mutter erschien ihr. »Ich muß zu seiner Mutter,« dachte sie, »und die muß mir helfen! –« Wie ein Blitz war sie aus dem Zimmer und lief den dämmernden Korridor entlang. In ihrem Kopfe ward es heller Tag. »Grabow!« dachte sie, »mein Wagen!« – In demselben Augenblick rief sie laut, daß es durch das Haus schallte: »Grabow! Grabow! Grabow!«

Der Alte antwortete von unten her, er stand auf der Treppe. »Grabow!« rief sie, »mein Coupé einspannen lassen, vorfahren; sogleich! Und dann kommen Sie herauf! –« Was er antwortete, hörte sie nicht mehr; sie flog an die Thür, die zu den Gemächern der Fürstin Olga führte, und trat ein, ohne zu klopfen. Die alte Fürstin saß im zweiten Zimmer auf einem Kanapee, ohne Haube, wie eine schläfrige Eule; Raffaela stürzte zu ihr, als wäre sie ein verirrter Vogel, der ins Fenster flog, und faßte sie am Arm. »Um Gottes willen!« rief die Alte. »Was gibt's?«

»Dein Sohn will sich schlagen, das gibt's. Mit diesem anderen da – mit Herrn Eberstein –«

»Alexander!« rief die Fürstin aus und fing an zu zittern.

»Ja,« sagte Raffaela. »Mit einem Mann, der auch so gut wie dein Sohn – –« Sie machte eine Gebärde, wie wenn sie zielte und abdrückte. »Sie sind fort, zur Bahn; sie wollen über die Grenze – mit dem nächsten Zuge –«

»Kind! Kind!« sagte Fürstin Olga und stand auf. »Da ist es, da ist es – was die Geister, heute nacht – – Mein Alexander! Er stirbt!«

»Er soll nicht sterben,« antwortete Raffaela, indem sie die Alte, die zu fallen drohte, wieder niederdrückte. »Wir retten ihn, du und ich! Sei ruhig ... Wir fahren mit – ohne daß er's merkt; es ist Nacht, wir wickeln uns ein, wir steigen heimlich in einen anderen Wagen – und der Zug geht ab. Alexander fährt allein, ich weiß es; er wird einschlafen wie immer, wenn er in die Nacht hineinfährt, wir hindern den Kondukteur, ihn in Prien zu wecken. Wir fahren weiter, er auch –«

»Ach, mein Gott,« stöhnte Fürstin Olga. »Das hat keinen Verstand; er wird wieder aufwachen –«

»Dann ist Prien vorbei, und für das weitere – wird ja Gott uns helfen. Mach nur hurtig, komm!«

»Er wird rasen, Kind. Wenn er dann aufwacht, wird er rasen – gegen dich und mich –«

Raffaela erschrak einen Augenblick, doch sie schüttelte es ab. »Er soll mich nicht mehr verachten,« dachte sie – nur an Paul Eberstein denkend – »und um jeden Preis will ich, muß ich ihn retten! – Ich fürchte mich nicht,« sagte sie zur Fürstin, immer hastig und kurz, als gelte es davonzufliegen. »Laß ihn rasen – komme was da will!«

»Ach, ach!« seufzte die Alte wie ein Kind. »Wir sind schwach gegen diesen Mann –«

»Ich nicht! Ich scheue mich vor nichts!«

Die Alte starrte sie an; Raffaelas ganzes Wesen war ihr unbegreiflich. »Du?« sagte sie.

»Ja, ich. Alles komme auf mich; alles, alles, alles! – Steh auf; du willst deinen Sohn doch nicht sterben lassen –«

»O mein Gott!« sagte die Alte und erhob sich. »Fort, wohin du willst, wenn auch in den Rachen des Todes!«

Durch die offene Thür kam der alte Grabow mit aufgeregtem, fragendem Gesicht. »Der Wagen wäre bereit,« sagte er.

Raffaela nahm den Arm der Fürstin. »Also fort, Mutter, fort!«

»Ja, ja,« sagte die Alte und blickte dann ganz verwirrt an sich hinunter. »So ohne alles –«

»Morgen fährt Grabow nach, Grabow mit den Koffern. Nimm deinen Mantel und Hut. Dann auf der kleinen Treppe hinunter, niemand braucht uns zu sehen ... Mut, Mutter! Mut!«

Die Alte gehorchte, immer seufzend und stöhnend; unterdessen faßte Raffaela Grabow an den Händen. »Ich lege alles auf Sie, geben Sie acht! Sie werden Herrn Doktor Riegler und Herrn Onegin in ihren Zimmern einsperren oder wo Sie sie finden, und sie nicht eher herauslassen, als bis Sie Nachricht erhalten, was geschehen soll. Und wenn Sie die Nachricht erhalten – – Kommen Sie, führen Sie die Fürstin, ich hole Mantel und Hut. Auf der Treppe, am Wagen sag' ich Ihnen alles. Nicht sich wundern, gehen Sie!«

Indem sie zu ihrem Zimmer zurücklief, war ihr, als hörte sie Pauls Worte: »Heraus aus dem engen Kleid! – Greif' nur zu, dann kommt's!« Und ihren Mantel nehmend, sagte sie vor sich hin, als wäre es die Melodie zu allem, was sie thue: »Er soll mich nicht verachten – und er soll nicht sterben!«

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