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VI.

Es wurde Abend, als Paul Eberstein mit dem guten Doktor Riegler in seinem Wagen nach der Villa zurückkehrte; die Sonne warf lange Schatten und war im Begriffe hinter den nordwestlichen Bergen zu versinken. Die Fahrt war länger gewesen, als Eberstein gedacht hatte; im Wirtshause am Wasserfall hatten sie lange gerastet, ihr verspätetes Mittagsmahl genommen und sich angeschwiegen, denn nach allerlei Gesprächen, deren Faden immer wieder abriß, waren sie ganz verstummt. Der lebhafte Paul war heute der stillere; er saß neben seinem »guten Ernst«, dem er einst so viel Großmut zugewendet hatte, und war nicht gegenwärtig; statt dieses treuherzigen, schmalbrüstigen, schlichthaarigen »Lyrikers« schwebte ihm eine kleine, lockige Gestalt mit dem reizendsten Kopfrund vor den Augen und hörte den langen Unterredungen zu, die er mit ihr führte. Zuweilen, wenn er dem plaudernden Doktor in das rote, schweißperlende Gesicht sah, fiel ihm plötzlich ein, wie außerordentlich fein geformt Raffaelas Nase sei, oder wie zart sich ihre Ohren an den Kopf schmiegten; oder er lächelte plötzlich, weil er ihr silbernes, verhaltenes Lachen hörte. Auch hatte er nun erst Zeit, sich die einzelnen Reize dieser Frau zu vergegenwärtigen, die er während jenes ernsten Gespräches nur unbewußt oder zerstreut in sich aufgenommen hatte. »Klassisch schön ist sie nicht,« dachte er, »an eine alte Griechin oder Römerin kann man nicht bei ihr denken; wie merkwürdig sie aus Antik und Modern gemischt ist; aber sie ist reizend! – Vielleicht waren die Schönheiten des klassischen Altertums alle nicht so reizend – oder wenn sie's waren, so hatten sie vielleicht weniger Seele, weniger Güte in den Augen – oder wenn sie's hatten – was geht's mich eigentlich an? Diese Frau ist da, sie lebt – und ich merke, daß ich beständig an sie denke. Am Wasserfall wurde ich närrisch und sagte auf einmal in das Brausen, Rauschen und Donnern hinein: »›Ich liebe dich ... ‹« Das galt dieser Fürstin. Der gute Ernst hat es nicht gehört ... Hat er's gehört, – nun, was thut's. Es ist ein akuter Anfall, und der geht vorüber. Diese Frau verschwindet vermutlich wieder plötzlich aus meinem Leben, wie sie plötzlich drin auftauchte – und mit all ihrer Lieblichkeit und Güte ist sie vielleicht doch nur eine zierliche, reizende, bunte Wetterfahne, hilflos, wie ein Rohr im Wind! Ja, ja, wie ein Rohr im Wind,« sang er leise in sich hinein ... Dann schienen ihn ihre großen, dunklen, schwärmerisch ernsthaften Augen anzublicken, und er drückte sich tiefer in seine Wagenecke; denn sie waren auf der Heimfahrt, ihrem Schlosse entgegen. »Und ich möchte doch schwören,« dachte er auf einmal tief bewegt, »sie hat eine starke Seele ... Wenn sie jetzt neben mir im Wagen säße, statt ihres Vorlesers und Bibliothekars – und wenn irgend ein geflügelter Schicksalsbote auf dem Wagenschlag hockte und mir die Frage stellte: ›willst du sie heiraten und mit ihr in die Welt hineinfahren?‹ ich glaube, ich besänne mich nicht. Ich sagte: Kutscher, fahr' zu!«

In solchen Gedanken, die zuweilen Doktor Riegler durch eine Bemerkung über die Schönheit des sagenreichen Untersberges oder durch ein Citat aus Schiller unterbrach, kam er endlich im Schatten des Gartens vor dem Schlosse an, denn die Sonne war fort. Es wehte kühl vom Flusse und von den Bergen. Sie stiegen aus; Riegler sprach ein zufriedenes und dankbares Wort über den schönen Tag, und sie gingen dem Schlosse zu. Plötzlich begann Paul das Herz zu klopfen. »Und was wird sie unterdessen gethan haben?« dachte er. »Wie werd' ich sie finden? – Jedenfalls muß ich versuchen, sie allein zu sehen ...« Sie waren im Hause, auf dem Korridor. Riegler deutete auf sein Zimmer, das am Ende lag. »Wollen wir einstweilen bei mir eintreten?« fragte er. »Das Diner ist längst vorbei; bis man uns zum Abendessen ruft, zeig' ich dir meine Zelle – und ihre Photographie.«

»Ich sähe sie eigentlich ebenso gerne selbst,« antwortete Paul. »Und da ich ihr noch ein Wort zu sagen habe – –«

»Er ist also noch nicht fertig,« dachte Doktor Riegler.

»Deine Zelle und die Photographie besehen wir nachher. Sei nur ruhig, ich komme.«

Paul lächelte ihm zu, winkte mit der Hand und ging nach der anderen Seite gegen den Salon. Ein Diener, der im Korridor stand, ersuchte ihn, nur ohne weiteres einzutreten. Nachdem er geklopft hatte, ohne ein »Herein« zu hören, öffnete er und trat langsam ein. Die rosige Dämmerung war still und leer, die Balkonthür geschlossen, ebenso die andere Thür. Er wartete eine Weile zögernd und unentschlossen, ob er wieder gehen oder bleiben sollte; es war ihm ein sonderbares, halb beglückendes, halb trauriges Gefühl, in demselben Raume zu stehen, in dem er so schnell so viel erlebt und empfunden hatte – aber nun allein. Endlich übermannte ihn die Ungeduld seiner Natur, die nicht weichen mochte, wo sie etwas unternommen hatte, und die lebhafte Sehnsucht. Er ging an das geöffnete Klavier, einen Flügel, der auf Glasfüßen seitwärts im Zimmer stand, und fing an, halblaut die Melodie von » Santa Lucia« zu spielen. Noch war er nicht zu Ende, als die Thür zum Boudoir sich öffnete und mit verwundert neugierigem Gesichte Raffaela darin erschien.

»Ah! Sie sind da?« sagte sie erfreut.

Sie kam einige Schritte leichtfüßig auf ihn zu, während er sich erhob. Dann blieb sie aber stehen, als hätte ein Gedanke sie plötzlich angewurzelt, und schlug die Augen nieder.

»Ja, ich bin da,« sagte er. »Verzeihen Sie, daß ich da am Klavier – – Ich habe aber jetzt nur einen Gedanken, und den muß ich aussprechen. Nun? Sie haben mittlerweile Ihren Schwur gehalten, Fürstin Raffaela?«

»Ich?« fragte sie zurück. Sie mochte oder konnte nicht sprechen. Sie schüttelte nur den Kopf.

»Oh!« sagte er. »Was heißt das?«

»Was das heißt?« antwortete sie langsam und mit schwacher Stimme. »Ich – – ich hab' nicht gesiegt. Ich hab' verloren. Schwach war ich.«

»Was haben Sie verloren?«

»Alles. Weil ich keinen rechten Mut hatte – seien Sie gut, verachten Sie mich nicht – weil ich keinen rechten Mut hatte, schrieb ich der Fürstin Olga einen Brief; alles stand darin. Dort in dem anderen Zimmer – liegt er jetzt am Boden, zerrissen. Ich habe ihn zerrissen. Sie ließen nicht nach – Herr Onegin und dann die anderen – bis sie mich mit ihrer tragischen Stimmung so weich machten, daß ich – – Sie können nicht ohne mich leben, wie sie sagen. Ich bleibe. Ich muß bleiben. Was soll ich machen, ich muß!«

»Hm!« murmelte Paul. Dann suchte er sich so schnell wie möglich zu fassen, nahm wieder seinen Hut und verneigte sich. »Fürstin, leben Sie wohl!«

Raffaela erschrak so sehr, daß sie bis in die Lippen erblaßte. »Warum?« stammelte sie. »Was ist das? – Warum wollen Sie fort?«

»Verzeihen Sie. Weil ich – –«

»Weil Sie mich verachten?«

»Welche Frage! Wie könnte ich ... Ich sehe nur, Sie sind – zu gut, viel zu gut. Was aber mich betrifft, was soll ich – – Ich kann Ihnen nun nichts mehr nutzen – weder raten, noch helfen. Also besser – – leben Sie wohl!«

Sie trat ihm einen Schritt in den Weg. »Nein,« sagte sie ... »Sie erschrecken mich. Was hab' ich Ihnen gethan? – Sie dürfen nicht fort. Nein – mein Gott! – Sie mich jetzt verlassen! Nur weil Sie nicht da waren, ist mir das geschehen ... Und jetzt, wo ich mich ohne Sie ganz verloren fühle – – Sie wollten ja mein Freund, mein wahrer Freund sein, wollen Sie das nicht mehr?«

»Doch – gewiß –«

»So zeigen Sie mir's, jetzt in meiner Not gehen Sie nicht so fort!« – Sie ließ die Arme an sich niedersinken und sagte weich: »Ach, das wäre nicht gut. Ich weiß, ich bin schwach, ich hab' es verlernt, fest zu bleiben, zu widerstehen, wenn sie so an mir zerren – wenn die anderen ihren Willen wie Blei an den meinen hängen ... Aber, hätten Sie gehört, wie dieser Onegin mir ins Herz hineinsprach –«

»Verzeihen Sie,« fiel er ihr bitter lächelnd in die Rede, »dieser Onegin, ein schlauer, kaltblütiger, mit Ihnen spielender Mensch, der an nichts glaubt, dem vermutlich jedes Mittel recht ist – man braucht ihn nur anzusehen. Daß ich es offen sage, ein – Schmarotzer, ein Intrigant –«

»Ich weiß, Sie haben wohl recht!« sagte sie lebhaft. Und mit beiden Händen so ausdrucksvoll agierend, daß er lächeln mußte, setzte sie hinzu: »Ich kann ihn ja eigentlich ganz und gar nicht leiden; sein Thun und Reden und Denken, alles widersteht mir! – Aber heute mittag, da drinnen, schien er mir so – ritterlich, so anständig, so gut. Und das rührte mich ... Lachen Sie über mich, wenn Sie das thöricht finden; schelten Sie mich; sagen Sie mir rücksichtslos, schonungslos Ihre ganze Meinung, wie ein Freund dem anderen – aber sagen Sie mir nicht wieder: ›Leben Sie wohl!‹« – Sie hob die beiden Hände gegen ihre Brust und lächelte in liebenswürdiger Zerknirschung: »Ach, wenn Sie wüßten, wie schlecht mir zu Mute ist! Wie erbärmlich ich mich vor Ihnen fühle – vor dem Freund meines Vaters – meinem Freund; wie ich in meinem Innersten mit mir einig bin, daß ich mich bessern muß und bessern will, wieder stark werden will – wenn Sie mir nur helfen! – Es ist wahr, ich muß nun hierbleiben, denn ich hab's versprochen; aber so nach und nach kann sich doch alles ändern –« sie lächelte – »zuerst ich, dann das andere; verlassen Sie mich nur nicht, stehen Sie mir bei! – Sie sind in Salzburg, nicht wahr ...«

Er nickte.

»Sie hatten die Absicht, eine Weile dort zu bleiben –«

Er nickte wieder.

»Ach, bleiben Sie lange dort und kommen Sie täglich – als mein Mentor, als mein Samariter! Was Sie heute mittag an mir Gutes thaten, ist ja nicht verloren; ich will und werde ja nie wieder den Willen zum Leben verneinen, mich sinken lassen, absterben, zur Ascidie werden. Nein, ich will ja leben, meine Flügel heben, über alle Mauern hinwegfliegen – wie Sie! Den ganzen Tag hab' ich mir ja alles wiederholt, was Sie mir gesagt haben; und mit welcher Andacht –« sie lächelte reizend – »hab' ich vorhin, allein in meinem Zimmer, sogar vor meinem Wein, vor meinem Beefsteak gesessen und es liebevoll, dankbar, mit Enthusiasmus angelächelt und mir gesagt: Ja, ja, selbst ein Beefsteak ist eine gute Sache!« – Sie setzte ernsthaft hinzu: »Und nun gar alles, was schön, was gut, was groß ist – o, ich will alles, alles lieben, was des Lebens wert ist; nur mir ein wenig helfen, nur mich nicht verlassen!«

»Sie ist zu lieb,« dachte Paul, »viel zu lieb. Ich muß fort!«

»Nun?« fragte sie. »Sie sagen gar nichts –«

»Ich bitte um Vergebung,« erwiderte er beengt. »Liebe, verehrte –«

»Sagen Sie nicht ›Fürstin Raffaela‹, sagen Sie ›Donna Raffaela‹ – oder ›liebe Freundin‹ – oder was Sie wollen. – Wenn ich Ihnen sagen könnte, wieviel Talent ich zur Dankbarkeit und zur Freundschaft habe; mit welchem warmen, warmen Dankgefühle ich mein Schicksal heute gesegnet habe, daß es mich Sie hat finden lassen, so einen ganzen, wahren, echten Menschen wie Sie. Nun weiß ich erst« – fuhr sie in liebenswürdigster Heiterkeit fort – »was die Natur mit dem Menschen gewollt hat; ich bin so erstaunt – so begeistert – fühle mich so glücklich. Trotz meiner Niedergeschlagenheit, meiner Furcht vor Ihnen habe ich heute abend gesungen – alle meine alten Lieder aus Neapel; habe heute mittag getanzt – ja, aus Dankbarkeit und Begeisterung habe ich getanzt, Tarantella getanzt ... So eine süße, verrückte Freude kam über mich, so ein unbekanntes, unbestimmtes Glücksgefühl ohne Grund und Ursache. Ich wußte nur, Ihre Lebenspredigt, Sie waren daran schuld, und in Gedanken drückte ich Ihnen die Hand!«

Er konnte sich nicht enthalten, ihre Hand zu ergreifen, und hielt sie eine Weile fest. Er fühlte, wie warm und weich und vertrauensvoll sie in der seinen lag, das Blut füllte ihm die Augen, ein dunkler Nebel nahm ihm fast die Besinnung. Unsicher sagte er:

»Gute – teure –«

»Freundin,« ergänzte sie voll Herzlichkeit.

Er wollte das Wort wiederholen; plötzlich ließ er aber ihre Hand los und trat zurück. Er schüttelte den Kopf. »Freundin,« dachte er ... »Ich lüge. Ich verliere hier alles, alles, wenn ich mich nicht rette!«

»Nun?« sagte sie arglos, unschuldig. »Freut es Sie nicht, was ich Ihnen sage? Für Sie und für mich?«

»Doch – nur zu sehr. Alles, was Sie da sagen, macht mich glücklich – – viel zu glücklich. Es nimmt mir den Kopf ... Ja, mir. Ich bin ja auch nicht mehr der Mensch, der heute morgen kam, denken Sie das nicht. – ›Ein unbekanntes, unbestimmtes Glücksgefühl,‹ sagen Sie – – und Sie meinen, das wäre nicht auch über mich gekommen?«

»Desto besser,« sagte sie, doch etwas verwirrt und unsicher.

»Sie verstehen mich nicht. Sie wissen nicht, was Sie thun. Ihre glückliche Freude, Ihre holden Worte stehlen mir die Vernunft – und es thut mir doch not, daß ich sie behalte. Ich will, ich muß sie behalten ... Ich muß einen klaren, festen Willen haben –« er setzte lächelnd hinzu: »Da Sie keinen haben –«

»Ah!« sagte sie verletzt.

»Wenn ich Sie kränke, bitte ich um Vergebung ... Ich habe aber heute morgen damit angefangen, Ihnen die Wahrheit zu sagen, und etwas anderes als die Wahrheit will ich Ihnen nicht sagen. Ich – – ich soll Ihr Freund sein, Fürstin Raffaela. Ich soll Ihnen raten, helfen – ich fürchte aber, dabei würde mir geschehen, daß ich – mir selber nicht mehr zu raten und zu helfen wüßte. Ich fühle das. Es ist so. Leider ist es so. Ich würde – – mich würd' ich dabei verlieren. Sehen Sie, dann tauge ich also nicht zu Ihrem Freund. Also – leben Sie wohl!«

Raffaela fuhr zusammen. Sie erwiderte nichts, sie starrte, schwer atmend, vor sich hin, während er zur Thür ging. Erst als er sie öffnen wollte, sagte sie wie aufgeschreckt: »Wohin wollen Sie?«

»Fort,« antwortete er.

Ohne aufzublicken, seufzte sie: »Ich soll also nie mehr, nie mehr – – Es ist aus mit mir. Ich soll keinen Freund, keinen Helfer haben, soll so weiter vergehen!«

Langsam und mühsam sagte er: »Helfen Sie sich selbst, Fürstin Raffaela.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann's nicht. – – Und gibt es denn keine Möglichkeit, Sie zurückzuhalten?«

»Es gäbe wohl eine Möglichkeit. Aber nicht für Sie.«

»Warum nicht für mich?« fragte sie, während die zarte Gestalt zu zittern anfing.

Er trat einen Schritt auf sie zu. »Donna Raffaela –!«

Geängstigt wich sie zurück. »Oh! – Sagen Sie nichts ...«

Er blieb stehen.

Ein Schwarm von wechselnden Gedanken schien über ihr bleiches, unruhiges Gesicht zu fliegen; sie schien den besten, den rettendsten unter ihnen zu suchen, ihre kleinen Finger tasteten in der Luft. »Quälen Sie mich nicht!« sagte sie endlich leise, mit gleichfalls tastender Stimme. »Warum wollen Sie nicht mein Freund sein – – auch auf die Gefahr? – Ich kenne Sie ja erst seit heute – aber nein, nicht seit heute; mit diesem ›teuren Paul‹, den mein Vater so lieb hatte, der mein Schicksal wurde, hab' ich mich so oft beschäftigt – daß mir nun ist, als wären Sie mein ältester Freund. Und ich verehre Sie ja ... Aber bedenken Sie ... Ist es denn so ängstlich, zu versuchen – zu wagen – wenn man auch noch nicht weiß, wie es enden wird? Muß man denn die Gegenwart opfern, weil die Zukunft noch etwas dunkel ist?«

Paul stieß einen kurzen Laut der Freude aus; Raffaela sah vor sich hin. Doch dann suchte er sich wieder mit aller Kraft, die ihm blieb, zu fassen. »Ich beschwöre Sie, Fürstin –!«

»Um was?«

»Sie sind so von Herzen gut – spielen Sie nicht mit mir! – Bei Gott, ich bin ein Mann, ich kann alles wagen – wenn ich hoffen darf. Aber darf ich nicht hoffen, will ich auch nicht wagen ...«

»Ach, warum reden Sie,« gab sie fast flüsternd zur Antwort. »Haben Sie doch Mut, wenn Sie – – Bleiben Sie nur! Verlassen Sie mich nicht!«

»Donna Raffaela!« rief er aus, trat auf sie zu, ergriff ihre Hand und drückte sie an die Lippen.

»Freund – jetzt nur Freund –«

»Ich will's versuchen,« sagte er leise, über ihre zitternde Hand gebeugt. Dann zog er sie von neuem an die Lippen, küßte sie mit Leidenschaft. Sie wollte sie ihm entziehen, doch der Mut oder die Kraft versagten ihr, sie ließ sie ihm. Schwach, mit der lieblichsten Stimme sagte sie: »O, was thun Sie da ...«

Auf einmal erschrak sie heftig und stieß einen Schrei aus. Fürst Alexander war in die Thür getreten, ein Buch in der Hand, das ihm vor Ueberraschung entfiel.

Er wollte es aufheben, verzichtete dann mit einer zögernden Bewegung und trat langsam näher. »Ich bitte um Pardon, wenn ich störe,« sagte er in der gewohnten Form äußerer Selbstbeherrschung, während bei einem zweiten Blicke auf Paul seine Augen sich weit öffneten und zu leuchten anfingen. »Sie müssen aber erlauben, mein Herr, daß ich – als nächster Verwandter – bei einem so unerwarteten und – unwahrscheinlichen Anblick –«

Raffaela, blutrot im Gesichte, machte eine Bewegung; der Fürst wendete sich zu ihr und fixierte sie: »Gestatte mir die Frage, was diese – Scene bedeutet? Ich frage die Fürstin Raffaela ...«

Ihr erloschener Blick ging zu Paul hinüber. Dieser antwortete ihr gefaßt durch eine Gebärde der Hand, die er zum Herzen hob, und durch einen Blick, der ihr ausdrückte, daß er ihr gehöre. Dann nahm er statt ihrer das Wort und sagte mit Würde und Stolz: »Diese ›Scene‹ bedeutet alles, was die Fürstin will, daß sie bedeuten soll.«

Der Fürst verneigte sich leicht. »Ich danke Ihnen, Herr Eberstein, daß Sie der Fürstin wenigstens noch die Entscheidung überlassen. Aber die Fürstin selbst wird mir sagen, wie ich es verstehen soll – –«

Er heftete die Augen fest auf Raffaela, mit einem fast unmerklichen Spiel aristokratischer Empörung um die feinen Lippen. Die Fürstin hielt diesen Blick nicht aus; die kleine, schwankende Gestalt wich etwas zurück. »Fürstin Raffaela,« dachte sie. »O wie schäm' ich mich ... Wie sie auf mich herabsehen werden, daß mir das geschehen ist ... Nur alles, alles opfern, damit ich diesem Alexander aus den Augen komme ...«

»Wie du es verstehen sollst?« sagte sie, als sie endlich wieder Worte fand. »Da Herr Eberstein – Abschied nimmt – da er uns schon verläßt – so – – Es bedeutet nichts.«

Paul machte eine zuckende Bewegung und biß sich auf die Lippe. Sie vermied es, ihn anzusehen.

»Und da er mir von meinem Vater etwas überbracht hatte – –« setzte sie mühsam, wie erklärend hinzu; doch sie fühlte selbst, daß es wenig Sinn hatte. »Uebrigens, vor einem Richter steh' ich hier ja nicht ...«

Sie fühlte, daß sie zwischen diesen beiden Männern ihren letzten Mut, ihre Kraft verlöre; sie dachte nur noch: »Ich kann nicht mehr! Ich muß fort!« Mit vieler Anstrengung versuchte sie, dem Fürsten noch einmal in die Augen zu sehen. »Du wirst also erlauben,« sagte sie so würdevoll wie möglich, »daß ich diesem sonderbaren – Verhör ein Ende mache – –«

Darauf schwankte sie zur Thür ihres Boudoirs. In der dunklen Empfindung, daß sie noch etwas Gleichgültiges, gesellschaftlich Ruhiges und Gefaßtes sagen müsse, wendete sie sich halb zurück und machte eine sinnlose Handbewegung. »Auf – auf Wiedersehen!« – Sie öffnete die Thür, und wie befreit warf sie diese hinter sich zu.

*


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