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IV.

Paul Eberstein sah ihm erheitert nach; als er dann eben über die Schwelle treten wollte, um zur Fürstin hinaufzugehen, kam Fürst Alexander an Onegins Arm aus dem Garten her. Der Fürst schien müde und schläfrig; seine Augen waren wirklich zur Hälfte geschlossen, die feine Gestalt erschlafft, er verriet in diesem Augenblicke nicht den verzweifelten »Liebhaber«, der vor einer halben Stunde die Fürstin Raffaela so schwer bedrängt und erschreckt hatte. Onegin aber sah sehr zufrieden aus. Bei einem gleichgültigen, halben Blick auf Eberstein täuschte sich der Fürst, hielt ihn für den Doktor und grüßte leichthin mit der Hand. Eberstein kehrte um und ging ihm entgegen, um sich vorzustellen. »Ah!« sagte der Fürst und lächelte verbindlich über seinen Irrtum. Doch während er noch einige höfliche Worte sprach, warf er Onegin einen kaum wahrnehmbaren Blick zu, der zu sagen schien: wie entrinnen wir, damit ich jetzt meine Ruhe habe? Onegin begrüßte den Fremden mit besonderer Höflichkeit und setzte dann hinzu: »Sie werden uns für den Augenblick freundlich entschuldigen, mein Herr. Geschäfte, dringende Geschäfte rufen Seine Durchlaucht.«

Eberstein verneigte sich. »Ich wünsche gewiß nicht zu stören –«

»Ja, so ist es,« sagte der Fürst. »Dringende Geschäfte. Ich hoffe Sie bei Tische als unseren Gast zu sehen. Au revoir!«

Er trat ins Haus, Onegin folgte. Eberstein sah ihnen nach, dachte an die schöne, junge Fürstin und schüttelte den Kopf.

Nachdenklich ging er hinterdrein – ob das dringende Geschäft ist, dachte er, einen Schlaf zu thun? – und stieg die Treppe hinauf. Als er in den Salon kam, wo die Fürstin ihn erwartete, überraschte ihn die rosige Dämmerung, in die er eintrat. Blaßrote Vorhänge verdeckten die Fenster vollständig und auch die offene Thür; ein leiser Luftzug spielte hier mit dem Vorhang, der sich zuweilen langsam und geräuschlos hin und her bewegte. Trotz des sonnenhellen Tages war das Gemach wie in tiefem Schatten, da die Wände fast überall mit dunklen Stoffen, mit Teppichen oder Gobelins bedeckt waren; auch auf dem Fußboden lag ein schwerer Teppich. Die Fürstin traute offenbar dem deutschen Sommer nicht, sie schien ihn für einen verkappten Winter zu halten, als der er denn auch oft wochenlang die Dächer mit kalten Regengüssen beschüttet und die Mauern durchfröstelt. Niedrige, weiche Sessel, mit edlen Stoffen überzogen oder beworfen, standen überall umher; antike Kunstwerke und orientalische Seltsamkeiten mischten sich in bunter Gesellschaft auf Etageren und in allen Ecken, von Palmen und anderen vornehmen Blattpflanzen überschattet. Wie eine Prinzessin aus dem Morgenlande saß die kleine Fürstin in dieser Dämmerung da, mit dem südlichen Gesicht und den großen dunklen Augen, die so gern zu träumen schienen. Sie begrüßte den Eintretenden zuerst ohne Wärme, doch mehr befangen als kühl; bei seinem Anblick fiel ihr die dreiste Phantasie vom Posilipp wieder ein. Dann stand sie aber mit einer plötzlichen, raschen Bewegung auf und reichte ihm die Hand. »Sie waren ein Freund meines Vaters,« sagte sie, »wie ich vorhin hörte. Seien Sie willkommen!«

»Ja,« entgegnete er, »in dem großen Kriegsjahre siebzig, als wir nach Paris zogen, hab' ich ihn gekannt. Aus patriotischer Begeisterung, wie Sie wissen werden, kehrte er damals zur Armee zurück, in der er früher gedient hatte; er war mein Hauptmann, ich, ein junger, ausgedienter ›Freiwilliger‹, war einer seiner Lieutenants. Ich war begeistert wie er – nun, und kurz, er gewann mich lieb. Wir wurden zusammen verwundet, kamen in dasselbe Lazareth, lagen nebeneinander –«

»Was sagen Sie?« rief die Fürstin plötzlich aus, die sich lebhaft vorgebeugt hatte, und griff nach seinem Arm.

Mit einem etwas verlegenen, reizenden Lächeln zog sie darauf ihre Hand zurück. »Verzeihen Sie,« sagte sie, »die sogenannte ›südliche Lebhaftigkeit‹ reißt mich noch zuweilen fort ... Also Sie, Sie wären jener – edle junge Mensch, den mein Vater so lieb hatte; der, obgleich selber verwundet, ihn wie ein Bruder pflegte; Sie – Sie –«

»Nun ja, ich,« erwiderte Eberstein lächelnd. »Aber eines besonderen Edelmutes bin ich mir nicht bewußt.«

»Reden Sie nicht so,« fiel sie ihm ins Wort. »Er hat Sie immer nur seinen ›teuren Paul‹ genannt, wenn er von Ihnen sprach; er hat Sie väterlich geliebt bis an seinen Tod. Und es war sein Kummer, daß Sie dann so weit draußen in der Welt waren, daß er Sie nicht mehr wiedersehen sollte ...«

Mit einer sichtbaren Anstrengung und leiser fuhr sie fort: »Sie also sind jener »Paul«, der damals so – wunderbar in mein Leben eingriff, der ihn bewog, seine Tochter nicht länger zu verleugnen.«

»Wie! Sie wissen das?« fragte Paul überrascht.

»Erst Jahre danach hat er mir's erzählt, in einer stillen Stunde ... Und dieser Mann sitzt nun auf einmal vor mir da – so unerwartet ... Was für ein Geschick!«

»Es überrascht und – ergreift auch mich,« erwiderte Paul. »Aber sagen Sie nicht, daß ich ihn ›bewog‹: ich war nur, sozusagen, die lautgewordene Stimme seines Herzens, die ihm schon lange im stillen zu schaffen machte, die die Erlebnisse dieses großen, wunderbaren Krieges in ihm aufgeweckt hatten ... Eines Abends – er lag noch, ich war schon fast genesen, saß an seinem Bette – da übermannte es ihn; er nahm meine Hand, und ohne sie loszulassen, erzählte er mir mit gedämpfter Stimme, daß er in Neapel eine Tochter habe – von geringer Herkunft: daß er bisher, aus einem vielleicht falschen Gefühle, sie verleugnet habe, daß er aber jetzt so viel, so oft an sie denken müsse – – nun, und was man unter Männern bei so einer Beichte sagt. Ich, ein Idealist (er lächelte), ich antwortete ihm, als er ausgesprochen hatte: ›Wäre ich Sie, Herr Graf, so führe ich nach Neapel, wenn der Krieg aus und die Wunde heil ist, und nähme mein Kind zu mir, vor aller Welt – als Comtesse Raffaela – und wäre dann ein glücklicher Vater bis an mein seliges Ende.‹ Er drückte mir die Hand, sagte aber nichts. Endlich schlief er ein. Den anderen Morgen erklärte er mir in seiner kurzen Art, daß er mich herzlich lieb habe. Sein Gesicht verklärte sich sonderbar, so oft er mich dann ansah – nun, und er ward gesund. Es kam dann der Friedensschluß und der Abschied zwischen ihm und mir. Da umarmte er mich und sagte: ›Ich gehe nach Neapel – Sie haben recht – Adieu!‹ – Das ist alles, was ich davon zu erzählen habe. Er ging nach Neapel und Sie – – fanden einen Vater – ich hab' ihn nie mehr gesehen!«

Raffaela betrachtete ihren Gast eine Weile still mit zurückgehaltenem Gefühl. »Aber er war Ihnen dankbar,« sagte sie dann, »bis an seinen Tod. Ja, und ich mit ihm ... Ich habe so oft, so oft an Sie gedacht ... Und nun lernte ich Sie hier kennen, ohne es zu wissen!«

»Sie hatten wohl nie meinen Familiennamen ›Eberstein‹ gehört?«

»Doch, ich hatte ihn gehört, gewiß!« antwortete sie mit einem liebenswürdigen Erröten. »Aber für Namen hab' ich ein so trauriges Gedächtnis; ich vergesse so leicht! – Und Ihr Freund, Doktor Riegler, warum hat der mir nicht erzählt, daß Sie mich schon kannten?«

»Sollte ich ihm erzählen, daß Sie durch mich – Ihren Vater fanden? Um das nie zu verraten, hab' ich lieber zu keinem Menschen von Ihrem Vater gesprochen ...« Er setzte lächelnd hinzu: »Es gibt kein besseres Mittel, nicht zu viel zu sagen, als – schweigen! – Erst jetzt – heute – da ich zu Ihnen kam –«

»Sie gingen aber weiter,« unterbrach sie ihn. »Sie schlugen auch aus, was mein Vater als Zeichen seiner Dankbarkeit und seiner Freundschaft Ihnen hinterlassen wollte. O, ich weiß auch das; er wollte Ihnen seine Villa am Posilipp vermachen –«

»Die Villa am Posilipp,« sagte Paul Eberstein, unwillkürlich lächelnd. »Verzeihen Sie, ich hatte einen gewissen – – wie nenn' ich es – einen Bürgerstolz. Ich sträube mich durchaus nicht gegen Besitz, o nein; aber ich wollt' ihn nur mir selbst verdanken ... Nur das Medaillon nahm ich an, das er mir noch schickte, als er zuletzt an mich schrieb – das Medaillon mit seinem Bilde – und eben dieses Medaillon ist jetzt mit der Anlaß, daß ich den Wunsch hatte, Sie zu sehen. Vor einiger Zeit löste sich etwas innen im Medaillon, das Bild fiel heraus, und dahinter erschien nun noch ein zweites Bild, das ich nie bemerkt hatte. Offenbar Ihrer Mutter Bild. Auch Ihre Mutter lebt nicht mehr, wie man mir gesagt hat. Vielleicht wäre Ihnen ihr Bild nun ein wertvoller Besitz. Gestatten Sie mir, es Ihnen zurückzugeben – aber das andere, das Ihres Vaters, müssen Sie mir lassen.«

Er hatte ein Etui hervorgezogen und geöffnet, und nahm nun das Bild, von dem er sprach, heraus. Es war das Brustbild einer jungen Frau von entschieden italienischem Charakter, der Fürstin Raffaela ähnlich, aber ohne deren zarte Farben und aristokratischen Ausdruck, in einem schlichten, dunklen Kleide, ein farbiges Tuch um den Kopf. Raffaela nahm es ihm zögernd aus der Hand, dann sagte sie weich: »O, ich danke Ihnen.« Sie stand auf und trat näher an die Thür, um das Bild im hereinfallenden Lichte besser zu betrachten. Eine lange Zeit sah sie es schweigend an. Dann wiederholte sie: »Ich danke Ihnen sehr. Ich nehme es an. Ich kann Ihnen sagen, es war eine gute, arme, rechtschaffene Frau – die ich lieben darf ... Ich werde Ihnen für das Bild immer dankbar sein.« Endlich legte sie es auf ein Tischchen, kam zurück und drückte ihm die Hand.

»Wie wunderbar das ist,« sagte sie dann mit bewegter Stimme. »Also Ihnen verdank' ich eigentlich, daß ich bin, was ich bin.« Mit einem tief und offenherzig melancholischen Lächeln setzte sie hinzu: »Ich wollte, ich könnte Ihnen dafür ohne Vorbehalt danken.«

»Sie leben auch im Schopenhauer, nicht wahr,« sagte er nach einem kurzen Schweigen. »Wie – – wie die anderen hier. Sie finden auch, daß das Dasein ein Unglück ist und das Nichtsein besser.«

»Wenn mir einer das Gegenteil bewiese,« antwortete sie mit der elegischen Miene des absoluten Zweifels, »würde ich's gerne glauben.«

»Beweisen ... Wie beweist man das, als durch das Leben selbst? Aber erlauben Sie – es thut mir immer in der Seele leid, wenn ich so ein bevorzugtes, edles menschliches Wesen sehe, das – –«

Er brach wieder ab. »Verzeihen Sie, ich wagte nur so zu reden, weil ich für die Tochter meines Freundes fühle wie ein Freund –«

»O, darum bitt' ich Sie,« sagte sie lebhaft, warm, indem sie sich auf ihren Diwan niederließ. »Und alles, alles, was Sie sagen möchten – alles, ohne Scheu. Sprechen Sie so offen zu mir wie zu meinem Vater.«

»Ich danke Ihnen, Fürstin ... Ich wollte nur sagen, es geht mir immer zu Herzen, wenn ich so ein bevorzugtes, gesegnetes menschliches Wesen sehe, das dazu geschaffen ist, die Welt zu genießen und zu erfreuen und sein Dasein wie einen Sonnenstrahl drin zurückzulassen; aber die lebensmüden Theorien abwelkender Greise oder verkümmerter Existenzen wachsen ihm über den Kopf, vergiften ihm die Luft, bis es selber welk wird und verzagt und verzichtet! – Ich gehe nicht blind durch die Welt; wie reich an Elend sie ist und aus tragischer Notwendigkeit immer und ewig sein wird, das weiß ich so gut wie die Empfindsamen – glauben Sie mir. Wenn aber diese Philosophen des Elends mir beweisen wollen, daß ich gar nicht das Recht habe, mich hier wohl zu fühlen, weil mein Leben naturnotwendig mehr Minus als Plus, mehr Plage als Freude habe, so entgegne ich den Herren: ›Eure Welt ist wohl nicht die meine, oder eure Haut mir zu enge; ich habe noch immer Freude und Lohn und Lust überall gefunden, und meine Tage waren mir nicht zu lang, sondern die Nächte zu früh!‹ Und wenn diese Rechenmeister kommen und mir sagen: ›Lust‹ und ›Unlust‹, daraus addiert sich das Leben; allemal gibt es mehr Unlust als Lust, und Lust ist gewöhnlich nichts als Aufhören einer Unlust – wie Essen nach dem Hungern, Ruhe nach der Plage – so empör' ich mich gegen diese kümmerliche Ansicht, diese falsche Rechnung. Hab' ich denn nur ›Lust‹, wenn ich ›Unlust‹ hatte? Genieße ich denn die Wärme nur, wenn ich vorher fror? Entzückt mich der Sonnenaufgang oder die Morgenröte nur, wenn die Dunkelheit mich verdrossen hatte? Thut mir ein Glas Wein nur wohl, wenn ich vorher Durst hatte? Im Gegenteil, ich habe fast niemals Durst, aber ein guter Wein, finde ich alle Tage, ist eine Göttergabe! – Und eine schöne Musik? Ein gutes Buch? Eine gute That? Ein edler Anblick, sei es was es auch sei? Ein Morgen im Garten, wie dieser? Eine so angenehme Stimme – verzeihen Sie – wie die Ihrige? Ihre ganze Erscheinung – Ihr Lächeln, indem ich so dreist bin, über Sie zu reden – und daß Sie und ich da sind und über das ›Weltelend‹ miteinander sprechen und Sie mich so freundlich und liebenswürdig anhören – ist das alles nicht ohne weiteres eine gute Sache? reine Lust, zu leben?«

Etwas befangen lächelnd, erwiderte die Fürstin: »Sie sind genügsam, scheint mir –«

Paul fiel ihr in seinem Eifer ins Wort. »Aber ich hasse noch eins an diesen Rechenmeistern: daß sie immer nur ›Lust‹ und ›Unlust‹ wie Soll und Haben gegeneinander stellen – als wäre nicht diese wunderbarste Göttergabe in uns, aus Lust und Unlust tausend gemischte Gefühle ineinander zu schmelzen, die wir nicht hergeben möchten, wenn wir sie auch nicht reine Freude nennen. Seligkeit der Trauer, liebevolle Sehnsucht, Humor des Mißgeschicks, Lachen unter Thränen – oder eine edle Anstrengung, Opfer der Liebe, heroische Begeisterung – ist denn das alles nicht des Lebens wert? Als ich Ihren Vater damals kennen lernte, hatte ein etwas leeres, unthätiges Dasein ihn müde, schlaff, melancholisch gemacht; aber der Heroismus des Krieges, die große Zeit, die gewaltige Heldentragödie machten wieder einen Jüngling aus ihm. In allem Elend des Sterbens und des Leidens um ihn her fand er, das Leben sei doch ein wertvolles, wunderbares, ja ein köstliches Ding!«

Raffaela nickte, ohne es zu wissen. Die Beredsamkeit und das Feuer des anderen begann sie mit fortzureißen; sie erregte sich, sie legte mit einer reizend fremdartigen Bewegung eine Hand auf die Brust. Dann sah sie ihn an, als bäte sie: Reden Sie nur fort ...

»Glauben Sie mir, ich hab' viel gesehen,« fing er wieder an, »ich habe viel für mich und für die anderen gelitten. Ich bin nicht verzogen, ich kenne die Enttäuschungen und die Bitterkeiten und die ›Schicksalsschläge‹ – aber mein Gott, ein guter Amboß fürchtet den Hammer nicht. Nur immer vorwärts, denk' ich, erreichst du nicht das, was du haben wolltest, so erreichst du was anderes, das vielleicht noch mehr wert ist, das nur die Verdrossenen, die Schwächlichen, die Empfindlichen gering schätzen, weil das eigentlich Gewünschte ihnen fehlschlug. Du bist ein Mensch, sag' ich mir, erziehe nur deine Sinne, deinen Geist, deinen ganzen Menschen zur Empfänglichkeit, fort und fort, immer mehr und mehr. Und dann wirst du staunen, wieviel diese verschrieene Welt zu vergeben hat, wieviel Trost und Balsam und Vergeltung da ist – greif nur zu, dann kommt's!«

Raffaela streckte träumerisch lebhaft eine Hand aus, wie um etwas zu fassen. »Greif nur zu, dann kommt's,« wiederholte sie vor sich hin. »Ja, ja ...« Doch wieder in eine gewisse gedrückte Wehmut zurücksinkend, setzte sie hinzu: »Früher wußt' ich wohl auch, was ein frisches, frohes, heiteres Temperament ist. So eines, wie das Ihrige zu sein scheint –«

»Ja, ich kann's nicht leugnen,« antwortete Paul und lächelte liebenswürdig. »Ein gutes Sprichwort sagt – ein italienisches, glaub' ich –: ›So oft man lacht, zieht man einen Nagel aus seinem Sarge.‹ Dem leb' ich nach! – Auch schien es mir immer gut, mich voraus zu freuen. Ich meine, von zukünftigen guten Dingen zu phantasieren, mich an ihnen zu laben, als hätte ich sie schon – dann aber nicht die Hände in den Schoß zu legen, sondern rastlos und hoffnungsvoll zu ringen, bis ich sie erreichte!«

»Ah! Das ›Luftschloß‹ am Posilipp,« dachte Raffaela plötzlich. Sie erhob sich und war im Begriffe, aus der Nähe dieses verwegenen, unheimlichen Menschen – so erschien er ihr in diesem Augenblick – sich zurückzuziehen ... Sie faßte sich und that, als hätte sie nur eine zufällige, gleichgültige Bewegung gemacht; schob ein zu weit vorstehendes Figürchen auf der Etagere neben ihr zurück und setzte sich langsam nieder. Sie sah ihn aber von der Seite etwas mißtrauisch, fast furchtsam an. »Bis Sie es erreichten!« wiederholte sie.

»Nun,« sagte er arglos lächelnd, »man träumt wohl auch oft aus Uebermut von Unmöglichem, das man nie erreicht – weil wir gerne träumen!« – Sie beruhigte sich und nickte heiterer vor sich hin. – – »Träumen ist ja zuweilen auch eine gute Sache; und jedenfalls ist es besser, gute Träume zu haben, als schlechte! Die Pessimisten, die Schwarzdenker, die immer eine Mauer von Sorgen oder Gefahren vor sich aufgebaut sehen, lähmen sich nach und nach selber die Flügel, mit denen sie diese Mauer überfliegen könnten, und bleiben dann vor ihr liegen, wenn sie wirklich da ist. Die angeborene Kraft stirbt in ihnen ab; es geht ihnen wie jenen kleinen Meergeschöpfen, den Ascidien, die in ihrer ersten Jugend frei wie Fische umherschwimmen, dann aber gleichsam den Lebenstrieb einbüßen, verkümmern, Organ um Organ verlieren, bis sie endlich an irgend ein Felsstück anwachsen und nun nichts mehr sind als eine Art von Röhre, die das Wasser bewegt.«

Er hielt lächelnd inne, denn die kleine Fürstin, die ihn bei dieser Schilderung betroffen, fast erschrocken ansah, legte unbewußt die Arme an den Leib und saß wie bewegungslos da, als machte sie es den »Ascidien« nach. Die neapolitanische Gebärdensprache schien in ihr zu erwachen. Sie wußte nicht, was sie that, und verstand offenbar nicht, warum er lächelte. Er ward wieder ernst.

»Oder es ereignet sich etwas anderes,« fuhr er, die Fürstin anblickend, fort, »das zwar nicht so trostlos, aber doch auch ein trauriger Anblick ist. Wenn diese Schwarzseher, diese Lebensdulder von edlerem Stoff waren, so verkommen sie nicht – gewiß nicht – aber sie erreichen höchstens, was so vielen guten, feinen Frauen zu teil wird, daß all ihre Energie sich in Ertragen verwandelt, zu jenem passiven Heroismus auswächst, der nur noch entsagen, dulden, sich aufopfern kann – und auf Glück verzichtet. Das ist rührend, o ja. Es ist oft ergreifend lieblich anzusehen und geht tief zu Herzen – aber es ist doch halber Tod. Seh' ich so eine stille, edle Selbstvernichtung, möcht' ich immer hineinrufen: Heraus aus dem engen Kleid, aus dem Nessushemd! – Greif nur zu, dann kommt's! Laß dich nicht zusammendrücken, laß dich nicht verblüffen: das Leben ist doch eine gute Sache!«

Plötzlich rief Raffaela aus: »O, Sie haben recht! – O, Sie haben recht!«

Sie hob den Arm und machte, wie Grabow es vorhin im Garten versucht hatte, mit der rechten Hand an der Oberlippe eine kurze, ruckweise Drehung; darauf hielt sie inne.

»Erlauben Sie, was war das?« fragte Paul verwundert.

Sie errötete. »Diese Gebärde? Die entfuhr mir so ... Pardon. Auf einmal fühlte ich mich – wie in der Jugendzeit, und das neapolitanische Blut fuhr mir in die Finger.«

»Ah! Die neapolitanische Gebärdensprache,« sagte er heiter, herzlich. »Nur versteh' ich nicht –«

»Was das sagen wollte? Eben dasselbe, was Sie eben sagten: ›Eine gute Sache!‹ Ja, ja, ja,« rief sie ohne Rückhalt, in kindlicher Freude aus, »das Leben ist doch eine gute Sache; ja, Sie haben recht.«

»Sie machen mich glücklich, Fürstin, daß Sie mir das sagen –«

»Ich Sie? O nein, nein ... Sie machen mich glücklich; Sie wecken mich wieder auf – Sie ahnen nicht, wie mir ist. Alle die Jahre her – nie hat ein Mensch so zu mir gesprochen. Auch mein Vater nicht. Es waren immer so müde, blasierte, gleichgültige Menschen um mich her – oder keine Menschen. Sie aber mußten kommen und – –«

Sie stand auf, von einer nicht mehr zu hemmenden, freudigen Unruhe ergriffen, die er in solchem Uebermaße nicht erwartet, nicht geahnt hatte, und ging auf ihren leichten Füßen durch das Zimmer hin. Ihre Augen waren wie neu belebt, ihre Wangen glühten. Sie schlug den Vorhang zurück, der die Thür verdeckte, und sah in den Sonnenschein, in die Luft hinaus. Der leichte Wind bewegte das lockige Haar auf der bleichen Stirne, sie warf die Locken zurück, fuhr mit der Hand über ihr Gesicht und fing an zu lächeln. »Ja, ja, ja,« murmelte sie mehrmals vor sich hin ... Endlich kam sie zurück. Er war auch aufgestanden, sie blieb vor ihm stehen. »Ja,« sagte sie, »auf einmal stehen Sie da und reden das alles wie aus einer anderen Welt, und zu jedem Ihrer Worte sagt etwas ›Ja‹ in mir – lächelt etwas in mir – etwas, das wie tot war – – und doch bin ich's ja selbst! Ich, ich, die Raffaela von Neapel – die also doch nicht tot ist! – die Raffaela von Piedigrotta, die noch keinen Schopenhauer, keine Philosophie, keine Russen und keine Nihilisten kannte, die noch zufrieden und glücklich war, ohne zu wissen warum; die noch keine ›Bildung‹ hatte –« sie streckte lächelnd einen Daumen vor – »o, nicht so viel Bildung! Die mit ihren Kameradinnen um die Wette lachte, ganz, ganz unbekümmert, ob das dumm oder gescheit war ... Ja, die haben Sie aufgeweckt und sie lebt, sie lebt noch! –« Wie um gewiß zu fühlen, daß sie lebte, legte sie eine Hand ans Herz, an den Kopf, und vor Bewegung begann die weiche Stimme ihr zu zittern. »Und es ist mir wie ein Traum, wie ein Rausch,« setzte sie hinzu, »daß sie doch noch lebt. Und daß Sie ihr den Mut machen, zu leben ...« Sie ergriff seine Hand. »O, wie gut ist das, was Sie da gethan haben, wie dank' ich Ihnen – wie von ganzem Herzen!«

Er war so überrascht und gerührt, ihm versagten die Worte. »Verzeihen Sie,« brachte er endlich mit Mühe heraus, »ich bin – wie betäubt; ich bin sehr ergriffen ... Aber doch muß ich lächeln, daß Sie mir so danken. Was hab' ich denn gesagt, als meine persönliche Meinung –«

»Sie haben mir gesagt, was ich nicht mehr den Mut hatte zu fühlen und zu denken; nun hab' ich wieder den Mut und bin wieder jung, ist das nicht genug?«

»Freilich ... Es könnte mich stolz machen, das zu hören, Fürstin –«

Sie unterbrach ihn mit einer lebhaft abwehrenden Gebärde. »Nein, nein, jetzt nicht ›Fürstin‹, sagen Sie das jetzt nicht. In diesem Augenblick bin ich gar nicht Fürstin, will es auch nicht sein!« Sie warf diesen Titel gleichsam mit beiden Armen von sich fort. »Ich will wieder in Neapel sein, in Piedigrotta – die Raffaelina – meiner Mutter Kind. Als ich noch niemand ›Vater‹ nannte, als den alten Grabow – den alten Mann da im Hause, den Sie vielleicht schon sahen, der mein Beschützer, mein Freund war, der als ein armer, eingewanderter deutscher Gärtner über uns unterm Dach lebte – und weil er meine Mutter rührend, ohne Hoffnung, unerschütterlich lieb hatte, liebte er auch mich ... Bis mein Vater kam – von Ihnen, von Frankreich her – und ich mir bewußt ward (sie lächelte herb), daß ich eigentlich vornehm sei, eines Grafen Kind. Und ich sah mich nun auf einmal in Samt und Seide, mit Juwelen behängt, und stand dabei, wie mein stolzer Vater neben meiner Mutter vor dem Priester kniete und die Ringe tauschte – alles um meinetwillen. Und die unbekannte Raffaelina von Piedigrotta zog als eine junge, deutsche Gräfin in die Welt hinaus! – –« Sie sah vor sich hin, auf den Teppich, mit einem schmerzlichen Zucken um die erglühten Lippen. »Wär' ich die Raffaelina geblieben, denke ich zuweilen ... Da kamen dann die tiefsinnigen Bücher, die ich lesen sollte, und die vornehmen Herren, die ich heiraten sollte, und ich verstand von den einen so wenig wie von den anderen, und so heiratete ich den, der am vornehmsten aussah und am feinsten sprach – und heiratete mit ihm Schopenhauers Werke. Doch nein, ich will nicht ungerecht gegen ihn sein; er war ein ritterliches Herz, für mich voll Hingebung und Treue, und um seiner inneren Reinheit willen sagte mir mein Vater: ›Nimm ihn, in unserer Welt findet eine junge Schwärmerin wie du schwerlich einen Besseren‹ ... Ja, er war auch gut – aber melancholisch, träg und gleichgültig und einsam lebte er so dahin, mit seinem gedruckten Orakel, nach dessen Lehre er den ›Willen zum Leben‹ immer mehr ›verneinte‹. Und so nach und nach, in seiner öden Luft, in den langen Jahren ward ich so, wie ich bin –«

»Nach des Meisters Lehre –«

»O nicht auf einmal, nein!« rief sie aus. »Auch nicht ohne Thränen,« setzte sie hinzu, indem sie nach neapolitanischer Art einen Finger aufs Auge legte, »und mit vielen Schmerzen – –« und ausdrucksvoll legte sie denselben Finger der Länge nach in den Mund und drückte die kleinen Zähne hinein. »Aber die russische Luft und die Philosophie ... O mein Herr! Ich verlernte alles! Ich verlernte zu wollen, ich verlernte zu leben; auch die Gebärdensprache (sie lächelte ein wenig) – alles, alles, alles. Und mir fehlte nicht viel, so eine – wie sagten Sie, wie hieß dieses traurige Geschöpf – so eine Ascidie zu werden ... Aber ich will es nicht! Nein! nein, nein! Seit Sie so zu mir gesprochen haben, will ich es nicht mehr! – – Ach,« fuhr sie fort, indem sie fast kindlich schüchtern zu ihm aufblickte, »ach, wenn Sie – – mein Wille ist schwach, aber er ist gut. Ich bin immer das, was die Stärkeren, die Menschen, die ich lieb habe, was die aus mir machen; aber der beste kann auch das beste aus mir machen. Wenn ich einen wahren Freund hätte, der mir helfen wollte, ich würde wieder wollen lernen, würde wieder leben!«

Paul betrachtete diese holde Frau mit immer tieferer Teilnahme, mit einem Gefühl, das ihm die Brust schon etwas beengte, das sie plötzlich erwärmte. Nach einem unbewußten Zaudern sagte er: »Darf ich wie so ein wahrer Freund zu Ihnen sprechen?« – Sie nickte herzlich und bittend. – »Darf ich Ihnen raten?«

»Ja,« sagte sie. »Ich habe ein Vertrauen zu Ihnen, wie zu keinem Menschen. Sie haben mir die Augen geöffnet und das Herz befreit, wie damals meinem Vater. Raten Sie mir, sagen Sie mir, was soll ich thun?«

»Verlassen Sie diese – Luft, in der Sie leben. Wer mit den Lahmen lebt, lernt hinken, sagt ein anderes Sprichwort. Wer nicht in seinem Elemente lebt, wird welk, träg und schläfrig. Verzeihen Sie, wenn ich ein etwas unedles Bild gebrauche, das mir eben einfällt; ich habe zuweilen den Enten zugesehen, wie schwerfällig, altmütterlich und leblos sie auf dem Lande hockten; sobald sie ins Wasser kamen – und wenn's eine Pfütze war – so wurden sie andere Wesen, jede Bewegung feurig, plötzlich. Alles Jugend und Leben. Glauben Sie mir, den Menschen geht es nicht anders ... Kurz, wenn Sie den Mut hätten, der Fürstin-Schwiegermutter zu sagen: ›Ich will nach Neapel zurück, in meine Villa –«

Sie nickte.

»Aber allein – ohne euch – –«

Sie nickte wieder. Doch auf einmal erschrak sie sehr, da ihr alles Vergessene wieder einfiel. Fürst Alexander und sein Revolver standen ihr vor den Augen ... Sie legte den Finger, wie vorhin, zwischen die Zähne. »O mein Gott!« dachte sie.

Paul blickte auf den kleinen, feinen Finger, den die Zähne drückten, und begriff, daß es hier übel stand. »Wie sagte Ernst?« dachte er. »Sie wird sich heiraten lassen ...« Ein widerwärtiges Gefühl durchfuhr ihn. Indessen, da die Fürstin mit einem rührenden Ausdruck von Hilflosigkeit, der ihn entwaffnen mußte, zu ihm aufsah, so nahm er sich zusammen und ging dem Feinde, den er witterte, geradewegs entgegen. »Verzeihen Sie,« sagte er, »wenn ich offen bin, wenn ich sogleich Ihr ganzes Vertrauen in Anspruch nehme. Sie fühlen sich nicht frei, wie es scheint ... Der Fürst Alexander wirbt um Sie, nicht wahr? Also – wenn Sie sich schon gebunden hätten –«

»Nein, nein!« rief sie aus, indem sie den Zeigefinger verneinend schüttelte. Mit einer angstvollen Gebärde setzte sie hinzu: »Nicht gebunden; sagen Sie das nicht! – Aber nicht frei ... Ich weiß nicht – Verachten Sie mich nicht! Heute morgen – – da unten im Garten stand er; vor meinen Augen wollte er sich töten. Wie beschämend für mich, Ihnen das zu sagen; ich – – ich riß ihm den Revolver fort; aber ich war schwach; sollt' ich ihn sterben sehen ... Nein, es ist wahr, ich bin nicht mehr frei! Ich bin gebunden! Es ist aus!«

Sie sank auf einen Sessel.

Paul schwieg eine Weile; dann aber sagte er mit einem ernsthaften Lächeln: »Laß dich nicht verblüffen, ist bekanntlich das elfte Gebot. – Haben Sie den Revolver noch?«

Sie nickte.

»Wollen Sie ihn mir zeigen?«

»Wozu?« seufzte sie.

»Wollen Sie ihn mir zeigen? – – Oder mache ich zu dreist von Ihrer Erlaubnis Gebrauch, mich Ihren Freund zu nennen und als Freund zu helfen?«

Sie schüttelte den Kopf. Sie stand auf. Mit einem langen Blick von oben bis unten betrachtete sie diesen merkwürdigen Menschen, der so feine Formen und dabei so viel Entschlossenheit, so viel Willen hatte. Und so viel Wärme und Güte in den großen, braunen Augen; so ein unschuldiges Grübchen im Kinn, unter den charaktervollen, festgeschlossenen Lippen ... Sie wurde befangen und sah ihn nicht mehr an. Aber sie sagte leise: »Ich hole ihn. – Ich habe ihn weggelegt –«

Sie ging langsam über den Teppich in ein anderes Zimmer.

»Das ist also diese Fürstin Raffaela,« dachte Paul, ihr nachblickend. »Das ist also die Frau, die der ›Lyriker‹ vorhin besang – und ich bin ihr Freund! –« Es schlug ihm etwas wie eine warme Welle über dem Kopfe zusammen; er sah sehr erstaunt in diesem fremden Gemach umher, dessen Herrin ihn mit ihrer weichen Stimme ihren Freund nannte. »Wundersame Mischung aus Welsch und Deutsch,« dachte er; »eine feine Mischung ...«

Sie kam schon zurück.

»Da ist der Revolver,« sagte sie. »Was wollen Sie damit?«

»Wollen Sie ihn mir geben?«

Sie reichte ihm die kleine Waffe etwas unruhig und furchtsam hin. Er hob den wieder zurückgefallenen Vorhang von der offenen Thür, hielt den Revolver in die Luft, nach oben, und drückte ab.

»Um Gottes willen!« rief sie. »Wenn die anderen hören – – der Knall – –«

»Es knallt ja nicht,« antwortete er lächelnd. Dann ließ er den Revolver sinken und untersuchte ihn. »Ich dacht' es ja; er ist nicht geladen.«

»Nicht geladen?«

»Nein. Der Fürst mag ein unfehlbarer Schütze gegen die anderen sein, wie man mir gesagt hat; aber sich selbst thut er nichts zuleide.«

» Dio mio!« rief Raffaela aus.

Er gab ihr den Revolver zurück; sie betrachtete ihn verwirrt, wie etwa ein Vogel sein leeres, ausgenommenes Nest betrachtet.

»Dieser tapfere und kluge Fürst wollte Sie überrumpeln; wollte Ihnen seinen Willen auferlegen, den er also doch noch hatte. Mir scheint nach alledem, Sie sind nicht gebunden, sind frei. Sie können ruhig allein nach Neapel gehen – wenn Sie wollen, Fürstin!«

»O!« sagte sie, vor Empörung glühend, indem sie den Revolver gegen ihre Brust drückte. »Ob ich will? Ja, bei Gott, ich will!« – Dann blickte sie ihn dankbar an und lächelte erregt: »So wahr ich lebe, ich will!«

Sie hörte klopfen, an der äußeren Thür, und rief: »Herein!« Es war der Fürst Alexander, der ins Zimmer trat. Er warf einen etwas verwunderten Blick auf die beiden, die nach einem so langen Gespräche noch beisammen waren, und auf Raffaelas glühendes Gesicht. »Verzeihen Sie, wenn ich so unhöflich bin, Sie zu unterbrechen,« sagte er zu Paul gewendet, mit verbindlichem Lächeln, »aber Ihr Freund, Doktor Riegler, der in Ihrem Wagen sitzt, behauptet, schon lange auf Sie zu warten –«

»Ah!« rief Paul überrascht. »Wahrhaftig,« dachte er, »den hatte ich in den Tod hinein vergessen!«

Er verneigte sich gegen Raffaela. »Ich empfehle mich also, Frau Fürstin,« sagte er, »und fahre zum Wasserfall.«

»Leben Sie wohl,« erwiderte sie mit äußerer Ruhe, »bis Sie wiederkommen.« Doch indem sie, als Zeichen der Entschlossenheit, eine Hand ans Herz legte, setzte sie mit Beziehung hinzu: »Ich erwarte Sie, und dann hören Sie mehr! Zweifeln Sie nicht!«

Paul verneigte sich noch einmal und ging. Er stand noch in der Thür, als Raffaela zum Fürsten sagte, dem sie fest und kalt in die Augen sah: »Bitte, entschuldige mich jetzt; ich – habe zu schreiben. Uebrigens, daß ich's nicht vergesse, ich hatte noch deinen ungeladenen Revolver. Da ist er!«

Sie gab ihn ihm zurück. Der Fürst starrte verblüfft auf sie, dann auf Paul, der eben langsam die Thür hinter sich schloß und verschwand. Raffaela aber schritt mit einer gewissen zierlichen Majestät zur anderen Thür, ging in ihr Boudoir, und der Fürst blieb mit seinem Revolver allein.

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