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III.

Wenn man von der Landstraße her in den Garten eingetreten war, sah man über einen Rasenplatz hinweg den Vorbau des Schlosses mit dem großen, terrassenähnlichen Balkon, unter dem man ins Haus ging. Doktor Riegler, der Sekretär und Bibliothekar der Fürstin Raffaela, kam eben mit seinem Gaste, den er von Salzburg geholt hatte, an der Rasenfläche vorbei; sie sahen Raffaela noch, ehe sie verschwand. Riegler, der junge, schwärmerische Doktor und Lyriker, blickte ihr, wie gewöhnlich, mit Bewunderung nach; der andere, eine weltmännische, schlanke, elastische Gestalt, sah es und lächelte.

»Wer war das?« fragte er.

»Das ist meine Fürstin,« erwiderte Riegler, »Fürstin Raffaela.«

»Deine Fürstin?«

»Meine ›Brotherrin‹, Paul, meine Gönnerin,« sagte Riegler, indem er dankbar und untergeben lächelte. »Hast du sie ordentlich gesehen?«

»Nun, wie man jemand sieht, der einem den Rücken zukehrt. Was ich von ihr gesehen habe, gefällt mir.«

Riegler blieb stehen und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Bleib nur eine Weile da, Paul, komm täglich von Salzburg heraus, lerne sie kennen, Paul, und alles, alles wird dir an ihr gefallen, ich geb' dir mein Wort!«

Der andere erwiderte nichts. Er ging weiter und betrachtete das alte, graue Gebäude, das zwischen den hohen Bäumen so angenehm beschattet dalag. Auch der große Balkon über dem Eingange hatte jetzt keine Sonne; ein schwarzes Kätzlein mit schneeweißen Pfoten, als hätte es sich für eine Katzenhochzeit mit Handschuhen geschmückt, wandelte oben auf dem Geländer hin. Sonst war nichts Lebendiges zu sehen, und eine tiefe Stille, bei deren Empfindung man so gerne glaubt, es müsse da Frieden jeder Art zu Hause sein. Nicht weit vom Eingange standen mehrere eiserne, elastische Gartenstühle um einen kleinen Tisch; hier blieb der Gastfreund des Doktors stehen und nickte ihm zu.

»Also unter diesem Dach und in diesem Garten verlebst du als Vorleser einer kleinen Prinzessin wonnevolle Tage –«

»Nenn es nicht ›Vorleser‹, Paul,« sagte Riegler, die Stimme dämpfend; »nenn es, wenn du willst, ›geistiger Berater‹, ›belebendes Element‹! Ich habe von Glück zu sagen; ich bin ganz zufrieden. Früher warst du mein guter Stern, mein Wohlthäter, jetzt ist sie es ... Als ein armer deutscher Doktor der Philosophie stand ich auf der Straße; da trug man mir an, die Fürstin Raffaela mit der Geschichte der Philosophie bekannt zu machen – damit fing es an. Zuerst kam ich täglich heraus, hielt ihr meinen Vortrag; dann – – gefiel ich, wie es scheint, oder was es war; sie nahmen mich ganz ins Haus, als Bibliothekar, als Vorleser, als geistige Anregung – nenn es wie du willst. Es geht mir gut. Sehr gut ...« Er stieß mit seinem kleinen Spazierstock mehrmals gegen die Tischfüße und sah dann seinem Freund verschämt lächelnd in das kluge Gesicht. »Sie ist ein himmlisches Geschöpf, Paul,« sagte er noch leiser. »Ich habe also natürlich auch eine kleine, unerwiderte Liebe –«

»Glücklicher Mensch, dann fehlt dir also nichts!«

»Sie steht ja zu hoch über mir, das weiß ich,« fuhr der Doktor fort, »Illusionen mach' ich mir also nicht.«

»Aber lyrische Gedichte?«

»Zuweilen.«

»Und so hast du alles,« sagte Paul in herzlicher Heiterkeit; »alles, was du brauchst. Aber wie verträgst du dich mit den anderen? Den Verwandten?«

Riegler stieß einen leichten Seufzer aus. »Das ist die Kehrseite, die Schattenseite. Erstens die Fürstin Olga, die Schwiegermutter; halb russisch, halb deutsch; die hat wenig Geld, aber – sehr viel Anhänglichkeit an die reiche Fürstin Raffaela; geht also nie mehr fort,« setzte er seufzend hinzu. »Nachts korrespondiert sie mit den Geistern ihrer Verstorbenen und wer sonst noch von ›drüben‹ Lust hat; tags wird sie dann schläfrig und verfällt von Zeit zu Zeit in einen gesunden Schlummer. Diese Schläfrigkeit und ein sehr gesunder, bequemer Egoismus sind das Erbteil, das sie ihrem Sohne mitgegeben und das er noch nicht verbraucht hat – das ist also zweitens dieser Sohn, der Fürst Alexander –«

»Ah! Wir haben also noch einen Fürsten im Hause?«

Riegler nickte. »Der Bruder des Seligen; nur noch ein Viertel deutsch und drei Viertel russisch. Der lebt und stirbt mit Arthur Schopenhauer, treibt alles und nichts, und will –« er seufzte wieder – »und will meine Göttin heiraten.« Rieglers Stöckchen setzte sich wieder gegen den Tisch in Bewegung, und bei jedem dritten Worte gab er ihm einen Stoß. »Na, und so wird's wohl auch enden ... Sie wird sich heiraten lassen, denn die anderen lassen sie nicht los, und sie ist zu gutmütig. Der Fürst Alexander schläft zwar auch zweimal täglich ein, aber die schöne Schwägerin bewacht er wie ein Cerberus; niemand darf sich ihr nähern – wahrhaftig, er nimmt es übel, er treibt es auf irgend eine Weise zum Duell – wie jener polnische Graf in Paris, von dem du mir erzähltest – und erschießt den anderen, denn das ist seine Stärke.« Ein fast kindliches Lächeln ging über Rieglers rötlich blühendes Gesicht. »Mir – mir thut er nichts, weil er sieht, daß ich ungefährlich bin –«

»Armer Glücklicher!«

»Ja,« erwiderte Doktor Riegler mit einem etwas elegischen Achselzucken. »Lobe den Berg und bleib im Thal! – Dann ist da drittens und letztens eine sonderbare Pflanze, ein richtiger Vollblutrusse, Herr Onegin; seine Vornamen mit den vielen Zischlauten kann ich mir nicht merken. Der ist Nihilist, Atheist, Pessimist, alles was du willst; der thut nichts, weil nichts der Mühe wert ist. ›Liebe nichts, hasse nichts und verachte alles!‹ das ist ungefähr seine Philosophie. Damit imponiert er dem Fürsten Alexander, der ihn für einen bedeutenden jungen Mann hält, der ihn nicht von sich läßt, ihn kleidet und füttert – das heißt, eigentlich auf Kosten der himmlisch guten Fürstin Raffaela –«

»Ich verstehe schon,« sagte der andere mit einem feinen Lächeln. »Herr Onegin mit den schweren Vornamen lebt vom Fürsten, der von seiner Mutter, und die von deiner Göttin.«

»Ja, beinahe so ist es ...«

»Arme, kleine Fürstin! So eine Menagerie zu füttern ... Als sie vorhin in der Thür stand – wie ein zierlicher Vogel, der von irgend etwas träumt – zart und fein sah sie aus. Die könnt' ich aus Mitleid heiraten.«

Der Doktor starrte ihn an, und sein Stock wäre ihm fast aus der Hand gefallen. Dann warf er einen ängstlichen Blick nach dem Hause hinüber und zu dem Balkon hinauf. »Ich bitte dich um Gottes willen, Mensch, sag das nicht so laut. Das ist ja die wahnsinnigste Frechheit, die ich je gehört habe.«

»Frechheit? Warum?«

»Paul Eberstein und die Fürstin Raffaela! Kolossaler Einfall!«

»Du beleidigst mich,« erwiderte Paul Eberstein gemütlich. Er setzte sich und stützte einen Arm auf den Tisch. »Nimm dich in acht, mein Junge,« fuhr er fort, das braune Haar schüttelnd und sich mit wachsendem Vergnügen in den Fall vertiefend; »ich dachte gar nicht ans Heiraten, aber aus beleidigtem Stolz setz' ich mir am Ende diesen ›kolossalen Einfall‹ wirklich in den Kopf – und lasse dann nicht nach, bis ich es erreiche! – Uebrigens passen wir gar nicht schlecht zusammen; sie ist nicht mehr die allerjüngste, ich auch nicht; ihr erster Mann war ein liebenswürdiger, melancholischer Müßiggänger, wie du sagst, mit dem war sie nicht glücklich; ich bin ein liebenswürdiger, heiterer, arbeitsamer Mensch, mit mir würde sie also wahrscheinlich glücklich sein. Sie hat Vermögen, ich auch –«

»Wie man über so etwas spaßen kann,« sagte Riegler verletzt, mit unwillkürlich gehobener Stimme, »ist mir unbegreiflich!«

»Spaßen? Durchaus nicht. Ich fange an von der Sache zu träumen; damit fängt alles an, was man unternimmt. Als ich zum erstenmal in meiner Dachkammer phantasierte, wie ich durch Arbeiten, Studieren, Reisen, tolle Unternehmungen emporkommen, unabhängig werden, meinem Vaterlande und mir Ehre machen könnte, da war mir mein Ziel ebenso fern, wie jetzt deine Göttin. Und doch hab' ich's erreicht –«

»Nun ja, du hast viel erreicht, das geb' ich zu,« entgegnete der Doktor, der seinen von Gesundheit und Kraft strahlenden, schönen, geistreich lächelnden Freund mit aufrichtiger Bewunderung betrachtete. »Du hast eben den Kopf dazu – und hast dich anders herumgetrieben als ich; warst bei Indiern und Chinesen, und Gott weiß wo sonst noch, hast berühmte Entdeckungen für die Wissenschaft gemacht, hast dich in die abenteuerlichsten Spekulationen gestürzt –«

»Die aber glücklich ausgingen –«

»Hättest einmal beinahe eine braune Inselkönigin geheiratet –«

»Nun ja, da hast du's – aber zum Glück wollte nur sie, und ich kam davon.«

»Das ist alles gut ... Du bist ja auch jetzt auf dem besten Wege, wie ich höre, in Deutschland ein politischer Parteiführer zu werden –«

Paul Eberstein lächelte. »Und ich hoffe auch dabei nicht ins Gras zu beißen, obgleich das anders ins Mark geht, als Naturforschen und wilde Königinnen und wilde Spekulationen. Sieh mich an, ob ich gesund bin. Und ich sage dir, ich habe gerungen und mich geplagt wie einer; aber immer mit Lust ... Und mir ist zu Mute, als könnte ich nun noch ganz andere Berge ersteigen, hohe Wolkenberge –«

»Aber die Luftschlösser nicht!«

Paul Eberstein stand auf, legte dem Doktor eine Hand auf die Schulter und sagte langsam, mit einem liebenswürdig feierlichen, etwas geheimnisvollen Lächeln: »Man muß es nur versuchen, lieber Doktor Riegler. Es gibt verschiedene Menschen. Einige können das Allernächste, Wirklichste nicht fassen, es zergeht ihnen wie Luft; andere haben so einen gewissen magnetischen Zauber in der Hand, sie strecken sie nach Luftschlössern aus und zwingen diese lockeren, flüchtigen Geschöpfe, näher, näher zu kommen, sich zusammenzuballen, handgreiflich, körperlich zu werden, bis sie endlich in die Hand hineinwachsen, ganz fest und wirklich, da sind sie!«

Er hatte Rieglers Hand ergriffen, als wäre sie so ein Luftschloß, und hielt sie wie mit eisernen Fingern fest. Der Doktor hielt ruhig still und starrte ihn an, bei sich verwundert, wie ein gebildeter Mensch solche Muskeln haben könne. In diesem Augenblick trat die Fürstin Raffaela aus der offenen Thür ihres Salons auf den Balkon hinaus, auf dem das schwarze Kätzchen kauerte und schnurrte. Sie hatte die Stimmen gehört, und um ihren eigenen Gedanken zu entgehen, kam sie, zu sehen, wer da unten spräche. Neben ihrem guten Doktor Riegler bemerkte sie den Fremden, dessen vornehme Erscheinung ihr neben der etwas kümmerlichen und unfreien Gestalt des Doktors auffiel. Von den beiden Männern ward sie nicht gesehen, sie wendeten ihr fast den Rücken zu. Der Fremde kehrte langsam auf seinen Platz an dem Tischchen zurück und fuhr fort zu sprechen. Die angenehme Stimme fesselte sie, und bald auch die Worte; sie blieb stehen und horchte.

»Luftschloß ... Ich male mir gleich so ein Luftschloß hin,« sagte Paul behaglich. »Sie hat auch eine Villa am Posilipp, bei Neapel, sagst du – ich wußte es übrigens; eine von den schönsten. Da sitze ich also auf dem braungelben Felsen über dem blauen Meer, unter einer Palme. Das Meer rauscht so friedlich und menschenfreundlich herauf, die Insel Capri dämmert wie ein Traum herüber, von der anderen Seite der ernste Herr, der Vesuv. Allerlei Blumen duften mit Gewalt, oben von der Straße her singen sie zur Guitarre oder Mandoline das alte » Santa Lucia«. Mir wird etwas einsam zu Mute, ich sehne mich – nun, da kommt sie schon. Auf einmal berührt mich jemand hinten an der Schulter, sie ist es. Mit Korallen geschmückt wie eine schöne kleine Nixe steht sie da. ›Lieber Herr Eberstein, ich kann nicht länger schweigen! Ich liebe Sie, ich will Frau Eberstein werden, wenn Sie es denn wünschen!‹«

»Du bist wirklich verrückt!« sagte Riegler und warf sich auf einen Stuhl.

»Spricht dieser Mensch von mir?« dachte Raffaela. Es schien ihr unmöglich – doch wie kam er denn auf die Villa am Posilipp? – – Sie setzte sich leise auf ein Sesselchen und fuhr fort, zu horchen.

»Oder sie sagt auch gar nichts,« fing Paul Eberstein nach einem kurzen Nachdenken wieder an. »Sie nimmt mich stumm bei der Hand und führt mich ins Haus. Da steht ein halbes Dutzend Diwans an den Wänden umher. ›Sehen Sie her!‹ sagt sie mit der Silberstimme. ›Ich hab' einmal gehört, Herr Eberstein, was Ihr Ideal von Gesellschaft ist: ein halb Dutzend Menschen, die sich gut verstehen, die gute Kameraden sind und die jeder auf seinem Diwan ausgestreckt guten Wein trinken und plaudern; nebenan ist eine unsichtbare, reizende Musik, die sie langsam einschläfert, denn die Nacht geht hin. Wenn dann einer müde wird, so braucht er nicht aufzustehen, ernüchtert und langweilig gute Nacht zu sagen, seinen Ueberzieher zu suchen und nach Hause zu gehen: er darf selig einschlummern, zwei schwarze Diener kommen – es können auch weiße sein – und tragen ihn sanft auf seinem Diwan in sein Zimmer hinaus, denn für jeden ist ein Schlafzimmer bereit, das ihn erwartet. So wandert der Glückliche aus der Lust des Lebens in die Lust des Schlafes ohne prosaische Unterbrechung hinüber; und so wie er, einer nach dem anderen ... Dieses Ihr Ideal, lieber Eberstein, ward noch nie verwirklicht, weil noch keine Hausfrau so poetisch war, oder so gastfreundlich, oder – Ihnen so gut. Heute, bei mir, sollen Sie's erleben, und daran sollen Sie sehen, ich bin Ihnen so gut!‹«

Raffaela auf ihrem Horchersesselchen mußte lächeln. »Wer ist denn dieser Träumer?« dachte sie.

»Du hast wenigstens Phantasie, das muß ich sagen,« erwiderte Doktor Riegler. »Uebrigens nimm dich in acht. Wenn meine stolze Fürstin jemals merken sollte, wie du von ihr phantasierst –«

»Sie sprechen wirklich von mir!« dachte Raffaela überrascht, empört. Sie stand auf.

Paul Eberstein lächelte. »Laß das gut sein, mein lieber Ernst; – ich habe dir übrigens noch nie gesagt, daß deine halb deutsche, halb italienische Prinzessin mir doch nicht so ganz fremd ist. Ich hatte allerdings noch nicht die Ehre, ihr Gesicht zu sehen; aber den verstorbenen Grafen, ihren deutschen Vater, hab' ich sehr gut gekannt –«

»Du?« fragte Riegler erstaunt.

»Dieser Mensch?« dachte Raffaela. Vor Ueberraschung machte sie eine Bewegung, daß ihr Kleid über den Boden rauschte.

»Ja,« antwortete Eberstein; »wir waren Freunde, und ich hätte ihr auch einiges zu sagen –«

In diesem Augenblick ward ihm das Geräusch auf dem Balkon bewußt; er wendete den Kopf und sah Raffaela. Auch Riegler sah hin und zog erschrocken seinen Hut herunter. Die Fürstin errötete.

Um zu verbergen, daß sie gehorcht hatte, trat sie rasch bis an die Brüstung vor, wie wenn sie eben aus ihren Gemächern käme, und begrüßte den Doktor mit einer freundlichen Bewegung. »Ihr Gast ist also gekommen, wie ich sehe,« sagte sie.

Paul verneigte sich. »Darf ich ihn von hier aus vorstellen, Frau Fürstin?« fragte Riegler. Sie lächelte und nickte. »Herr Eberstein,« sagte er, »mein alter Freund, mein Gönner und Beschützer. Auch ein Freund des Herrn Grafen –«

»Ah!« sagte sie, als hätte sie etwas völlig Neues gehört. »So freue ich mich doppelt, Sie zu sehen; wollen Sie eintreten, mein Herr! – Haben Sie die Güte, Herr Doktor, ihn in den Salon zu führen!«

Sie wollte eben zurücktreten; das Kätzchen war auf die Brüstung gesprungen und strebte an der Fürstin hinauf; darüber fiel ihr die Rose des alten Grabow von der Brust und in den Garten hinab. Sie nahm das zudringliche Kätzchen mit italienischer Zärtlichkeit auf den Arm und ging in den Salon.

»Ist sie nicht entzückend, Paul?« fragte der Doktor begeistert.

Paul antwortete nicht auf diese Frage.

»Ich werde ihr also zunächst etwas mitteilen,« sagte er, »das ihren Vater betrifft – das wird schnell gethan sein. Es bleibt dabei, daß wir zum Wasserfall fahren; ich denke, zum Diner oder gegen Abend kommen wir zurück. Willst du mittlerweile nach meinem Wagen sehen?«

»Ich habe ausspannen lassen –«

»So laß wieder einspannen, Alter – und erwarte mich. Ich komme gleich; ich möchte nur gern einige Worte mit ihr allein – –«

»Wie du willst!« sagte Riegler. »Aber ist sie nicht reizend, Paul? – Was hat sie denn da verloren?«

Paul blickte hin. »Sieh da!« sagte er. »Eine Rose fiel von ihrer Brust.«

Riegler hob sie auf. Er betrachtete sie in stiller Schwärmerei und wiederholte: »Eine Rose fiel von ihrer Brust ... Das klingt ja wie ein Gedicht. Bei Gott, es ist das geborene Gedicht. Die Blume, die von ihrem Herzen fiel ... Die Blume bin ich!« setzte er elegisch lächelnd hinzu.

»Natürlich. – Also du sorgst für den Wagen?«

Riegler, der in Sinnen versunken etwas vor sich hinmurmelte, nickte träumerisch: »Und ich erwarte dich!« Damit ging er gegen die Schloßecke, nach dem Stalle zu. Er blieb aber wieder stehen, wie ein Mensch, dessen Körper ruhen muß, damit das Gehirn in seiner stillen, von Zelle zu Zelle springenden Arbeit nicht gestört werde, und sich zu Paul zurückwendend, mit einem närrischen Lächeln, das sich allmählich in tiefsten Ernst verlor, ließ er folgende Verse einzeln, wie sie ihm kamen, in die Luft hinausgleiten:

»Meine Liebe wagt es, hoch zu fliegen,
Einer Göttin sich ans Herz zu schmiegen,
Dort zu blüh'n in stiller Blumenlust.
Aber ach, der Schnee der stolzen Höhe
Duldet nicht so dreister Blumen Nähe;
Eine Rose fiel von ihrer Brust!«

»Entschuldige,« setzte er hinzu, »ich bin Lyriker«. Dann sagte er mit weicher Stimme: »Ich lasse anspannen, Paul!« und verschwand um die Ecke.

*


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