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V.

Als der alte Grabow etwa eine Stunde später in den Salon kam, fand er niemand darin, er hörte aber nebenan die Fürstin Raffaela mit sich selber sprechen – was er lange nicht mehr gehört hatte – und vernahm auch einige sonderbare Töne, ein gewisses Klappern, das er gar nicht verstand. Er horchte, wollte dann gehen, als er im Boudoir die Zimmerglocke hörte. Schnell trat er ein. Er sah seine Fürstin an ihrem Schreibtische sitzen, die Feder in der Hand; ihre Wangen glühten, die kleinen Locken waren ihr ins Gesicht gefallen, fast bis auf die Augen. Sie schien nachzudenken, dann schrieb sie weiter, ohne ihn zu bemerken. Während die zierlichen Buchstaben sich geschwind aneinander hängten – der Alte sah andächtig zu – murmelte sie verständlich vor sich hin: »Aber Augen wird sie machen, wenn sie diesen Brief liest ...«

Um nicht etwa mehr zu hören, als er hören durfte, räusperte er sich langsam und sagte: »Sie befehlen, Donna Raffaela?«

»Sie sind's?« sagte sie, ohne aufzublicken. »Das ist gut; desto besser. Warten Sie ein wenig.« Sie versank wieder in ihre Thätigkeit und in ihre Gedanken und schien ihn ganz zu vergessen. Denn nach einiger Zeit murmelte sie wieder: »Ich werde noch einen mildernden, lieblichen Nachsatz machen ...« Als sie den gemacht hatte, endete sie mit einem kühnen, langen Federzug; dann atmete sie tief. »Ah, das letzte Wort!« – – Mit einem etwas zaghaften Lächeln setzte sie hinzu: »Wenn ich's nur auch behalte!«

»Wer ist da?« fragte sie, da Grabow ein Geräusch machte. Sie wendete sich nach ihm um. »Der alte Grabow ... Richtig, Sie waren ja schon da! – – Wo ist Fürstin Olga?«

»Hier oben in ihren Zimmern.«

»Sie werden ihr diesen Brief bringen –«

»Der Fürstin?«

»Ja.«

»Wie kommt denn das?« dachte Grabow, während sie den Brief schloß. »Von Zimmer zu Zimmer schreibt sie der Alten einen Brief?«

Raffaela stand auf, legte ihm den Brief in die eine Hand, nahm dann seine andere und sagte: »Grabow! Mein alter Grabow! Würde es Sie freuen, wenn Sie mit mir wieder nach Neapel gingen? Nach Piedigrotta und an den Posilipp?«

Er lächelte überrascht. »Na, ich ginge ja mit Ihnen in die Hölle, Donna Raffaela – aber allerdings noch etwas lieber nach Neapel. In das irdische Paradies, in das Land meiner – – meiner Erinnerungen –«

»Sie haben da viel erlebt, Grabow,« sagte sie weich, mitfühlend; »auch nicht lauter Glück ...«.

»Nun ja,« antwortete er, mit den Achseln zuckend. »Das thut ja nichts, man kann viel vertragen. Einige mehr, andere weniger. Mit den Menschen ist es wohl auch wie mit den Pflanzen, denk' ich: die einen können gar nicht ohne Sonne leben, die anderen nehmen auch mit dem Schatten vorlieb, und noch andere – –« Er stockte und fand es nicht, was er sagen wollte. Verlegen wiederholte er: »Und noch andere – –«

»Sie kommen nicht durch, Grabow,« sagte sie freundlich lächelnd.

Er ließ den Kopf sinken. »Ich komme wohl nicht durch – bitte um Exküse. – Das weiß ich gewiß, Donna Raffaela, als Sie mir damals schrieben: ›Kommen Sie zu mir, Grabow, und solange Sie leben, bleiben Sie bei mir‹ – das war eine Entschädigung für – für sehr vielen Schatten ...« Er machte eine Wendung nach dem Fenster zu, um seine aufsteigende Rührung zu verbergen, und sagte abgebrochen: »Das war gut! Das war gut!«

»Ich denke, es soll noch besser werden, Grabow –«

Der Alte sah auf dem Schreibtische Castagnetten liegen und sah der Fürstin sehr erstaunt ins Gesicht. »Ei! Was ist das? – Ihre Castagnetten. Ihre alten Castagnetten aus Neapel! Die haben ja wohl seit Ewigkeit das Tageslicht nicht gesehen – und mit denen hab' ich Sie wohl vorhin klappern hören –«

Sie lächelte und nickte. »Es kann wohl sein, daß Sie es gehört haben. Mir war auf einmal so – – Lieber, alter Grabow, Sie haben noch den Brief, tragen Sie ihn hin!«

»Sogleich, sogleich,« sagte er und ging. Er beguckte diesen sonderbaren, duftenden Brief, als hätte man ihm eines von den Rätseln der Schöpfung in die Hand gegeben, und mit einem fröhlichen Kopfschütteln dachte er: »Mit meiner Fürstin ist etwas vorgegangen ...« So stolperte er über die Schwelle und war aus der Thür.

Raffaela nahm die Castagnetten in die Hand. »Wenn der Alte wüßte,« dachte sie, »daß ich vorhin damit wie ein Kind gespielt und zu ihrer Musik in diesem Zimmer getanzt habe! – Ich glaube, ich bin gar ein wenig verrückt. Ich bin ins Wasser gegangen wie die Enten und schlage nun Purzelbäume und klatsche mit den Flügeln ... Wenn mich dieser Paul Eberstein so gesehen hätte – dieser Mensch, an den ich wahrhaftig bei allem denke, was ich thue – wie würde ihm das gefallen? Was sagte er wohl dazu? – Aber laß mich nur, laß mich an ihn denken, das gibt mir Mut, denn ich bin so feig, so feig – – o, wenn er das wüßte – – Jetzt liest sie meinen Brief. Schreiben, dacht' ich, ist leichter als Reden – wenn sie nun aber gelesen hat und kommt, mit ihren Nachtwandleraugen, mit ihrem gespenstisch-elegisch vorwurfsvollen Gesicht, daß ich davongehen will, ich allein, ich mit meinem Grabow – und dann die anderen dazu – – Ach! Starksein ist schwer! – – Wenn ich mit diesen Dingern klappere, wächst mir vielleicht der Mut ...«

Sie ließ die Castagnetten im Takt aufeinander schlagen. Doch es dauerte nicht lange, so war ihr, als hörte sie vom Salon her klopfen, und sie brach ab. »Herein!« rief sie, ihre plötzliche Beklommenheit bekämpfend.

Statt der erwarteten »Fürstin-Schwiegermutter« trat Onegin ein, diese derbe, gedrungene, gleichsam etwas Kaltes ausstrahlende Gestalt, die sie gar nicht liebte. »Entschuldigen Sie gütigst,« sagte er mit ausgesucht ergebener Höflichkeit, »daß ich mir die Freiheit nehme –«

» Sie sind es?« unterbrach sie ihn mit einem leichten Zucken ihrer Augenbrauen. »Sie kommen von der Fürstin Olga –«

»Ja, ich war eben bei ihr,« entgegnete er so harmlos wie möglich.

»Sie haben meinen Brief an sie gelesen –«

»Haben Sie ihr einen Brief geschrieben? Das wußte ich nicht. Ich sah, daß sie ein Billet in der Hand hatte, und um nicht zu stören, ging ich still wieder hinaus.«

Raffaela blickte ihn mißtrauisch zweifelnd an. »Also was – wünschen Sie?«

»Verzeihen Sie, Fürstin; um es kurz zu machen – ich komme, so zu sagen, im Auftrage des Fürsten Alexander, der in einem ganz unsinnigen, verzweifelten Zustand ist – wegen jenes Auftrittes von vorhin, im Garten – und dann im Salon. Er fürchtet, Sie verachten ihn; er ist außer sich –«

»Will er sich wieder das Leben nehmen?« fiel sie ihm ins Wort. »Ich hoffe nicht!«

»Sie belieben es ironisch zu behandeln – natürlich! – Aber ich glaube, Fürstin, Sie kennen ihn doch noch nicht. Wie sollten Sie auch; man kennt bekanntlich seine Feinde schlecht, seine Freunde falsch und die anderen gar nicht. Sie werden keine pathetische Behandlung der Sache von mir erwarten –«

Sie schüttelte etwas ironisch den Kopf.

»So erlaube ich mir denn nur, Ihnen ganz nüchtern zu sagen: an dem tragikomischen ungeladenen Revolver bin ich schuld –«

»Sie!«

»Ja, ich. Da unten im Garten fand ich den Fürsten heute morgen in einer äußerst ernsthaften Verstimmung; er erklärte mir, dieses elende Leben habe ohne Sie keinen Wert für ihn – – verzeihen Sie, ich bin gleich zu Ende. Da ich ihn so unzweifelhaft, so positiv wie noch nie entschlossen sah, seiner Existenz ein Ende zu machen – und da ich ihm nun einmal bedingungslos und grenzenlos ergeben bin, ich kann es nicht leugnen – und einen so verzweifelten Ausgang seines Lebens doch nicht wünschen konnte – so übermannte mich eine gewisse Aufregung – und kurz, ich beredete ihn, unglücklicherweise, einen letzten Versuch zu machen ... den, welchen er gemacht hat. Sie sehen, was er Ihnen da sagte, war so ernst gemeint wie möglich; die zufällige Nebensache war der ungeladene Revolver; nun, und der kam von mir – hier aus dieser Tasche!«

»Hm!« sagte Raffaela. »Das mag alles wahr sein –«

»Ich lüge nie.«

»Auch das mag wahr sein,« erwiderte sie zweifelnd. »Ich sehe nur nicht ein, was das ändern soll –«

»An Ihrem Nein? Nicht das mindeste. Im Gegenteil, Fürst Alexander fühlt nicht nur Reue, Beschämung – alles was Sie wollen – er verzichtet auch gänzlich und für immer auf jeden Wunsch, jeden Anspruch.«

Ueberrascht sah ihm Raffaela ins Gesicht, das ruhig stillhielt, ohne sich zu rühren. Dann stieß sie ein offenherzig zufriedenes »Ah!« aus und atmete auf wie befreit.

»Gänzlich und für immer!« wiederholte Onegin. »Er hat mir soeben erklärt, daß er es allerdings tief empfindet, die letzte Hoffnung heute verscherzt zu haben, daß er sich aber wie ein Mann darein ergibt, daß er Sie nur bitten möchte – vorläufig durch mich – ihm nicht mehr zu zürnen« – – Raffaela schüttelte langsam den Kopf. – »›Sagen Sie ihr,‹« waren seine Worte, »›daß ich mir gelobt habe, nur noch wie ein Bruder für sie zu fühlen und nur noch schwesterliche Gefühle von ihr zu erwarten, daß ich ihre Freiheit, ihren Frieden respektieren werde wie etwas Heiliges, und daß sie nichts von mir erfahren soll, als Hingebung, Freundschaft, Schutz, Achtung und Vertrauen!‹«

»Oh, ich danke ihm,« sagte Raffaela in gutherziger Weichheit, fast gerührt.

»›Wenn sie nur fortfahren will,‹« endete Onegin die Rede seines Fürsten, »›der edle Schutzgeist unseres Hauses, unsere Lebensfreude, unser Glück zu sein, und, da man nun einmal leben muß, mit ihren Getreuen zu leben!‹«

Raffaela wurde verlegen, sie errötete. »Aber – ebendas. – – Ich will aber fort. Davon handelt dieser Brief – an die Fürstin Olga –«

»Wie?« sagte Onegin, als hätte sie ihn völlig überrascht – »Sie wollen fort? Also diese unglückliche Uebereilung des Fürsten hat den Brief veranlaßt?«

»Nein,« entgegnete sie, immer verlegener. »Das nicht. Durchaus nicht.«

»Hat man denn sonst etwas begangen, das Ihnen mißfallen hat?«

»Nein. O nein. Ich will nur – mehr mir selber leben; mehr nach meiner Art leben – –« sie suchte die Worte – – »die ich hier zu sehr verleugnet – aufgeopfert habe. Die sich wieder regt, wieder ihr Recht haben will – –« Sie hob beide Arme wie zum Fliegen, ohne es zu wissen.

Onegin blickte seitwärts gegen den Salon, als wollte er sagen: »Dieser Herr Eberstein hat sie also dazu angestiftet ...« Er behielt aber seine würdevolle Ruhe, und auf seine Fingernägel blickend erwiderte er: »Verzeihen Sie, Fürstin – vielleicht ist doch noch etwas anderes im Spiele, das Sie aus Zartgefühl, aus Schonung nicht sagen wollen. Ich – – meine ganze Art, meine Persönlichkeit scheint Ihnen leider mehr und mehr zu mißfallen. Bitte, bemühen Sie sich in Ihrer Güte nicht, mir zu widersprechen, ich stelle mich den Thatsachen immer ruhig gegenüber, und ich fühle auch gewöhnlich richtig, weil ich objektiv bin. Ist mein Gefühl in dieser Beziehung richtig – bitte, lassen Sie, keine liebenswürdigen Täuschungen, Fürstin – nun, dann ist leicht geholfen. Ich habe zwar auf dieser alten Seifenblase ›Erde‹ nur einen wirklichen Freund, meinen edlen Fürsten, aber es versteht sich von selbst, daß ich mich für ihn opfere. Ich verlasse ihn dann ohne alles Geräusch, damit er und die Fürstin Sie, ihr Glück, behalten; das ist abgemacht, das ist besiegelt – und so ist alles gut!«

»Er ist doch wohl ein guter Mensch,« dachte Raffaela. An der Armlehne ihres Sessels zupfend, sagte sie mit Anstrengung weich: »Ich bitte – – Sie quälen mich. Es ist nicht so. Von alledem ist ja nicht die Rede ... Verschiedenheit der Ansichten – der Bedürfnisse, mein' ich – des ganzen Verhältnisses zum Leben –«

»Ist es wirklich nur das? – Aber wenn es nur das ist, Fürstin Raffaela, dann ist ja alles gut. Wenn Sie frisch darauf los leben, ganz wie Sie wünschen, wie es Ihnen zusagt, und durch Ihre positivere, frohere Weltanschauung – die wohl auch ihr Recht hat – die der beiden anderen aufhellen, vergolden, verschönern! Wenn Sie in jedem Sinn die Sonne dieses kleinen Kreises sind und ihn glücklich machen ... Bitte, lassen Sie mir nur noch einige Augenblicke das Wort. Es war Ihnen hier etwas zu still, oder zu leblos, oder zu eng geworden; gut, Sie regen die Flügel, wie es Ihnen gefällt, Sie bewegen sich und die anderen mit! Ihre Wünsche sind maßgebend, Ihr Wille geschieht, das ist selbstverständlich.« – Onegin lächelte nach seiner Art. »Vielleicht bekehren Sie uns noch alle zu Ihrer Weltanschauung – wer weiß – und gründen eine neue Sekte der Zufriedenen! – – Im anderen Falle, wenn Sie fortgehen, wird Fürst Alexander sich nie vergeben, Sie vertrieben zu haben –«

»Aber es ist nicht so,« fiel die kleine Fürstin ein, die sich mehr und mehr hilflos, wehrlos fühlte, »er vertreibt mich nicht –«

Onegin hörte nicht, er fuhr unerschütterlich in seinem Gedankengange fort. »Ich meinerseits werde mir nie vergeben, durch mein lästiges Dasein den anderen geschadet zu haben –«

»Aber es ist nicht so,« stammelte sie.

»Und Fürstin Olga endlich, diese arme, melancholische Seele, wird leider immer mehr in ihr Traumleben, ihren Spiritismus, in ihr ›Jenseits‹ versinken, wird sich der Wirklichkeit mehr und mehr entfremden, bis ihr schon getrübter Geist sich vollständig umnachten wird –«

»Und dann bin ich daran schuld!« rief Raffaela aus, die alle Farbe verlor. »O, wie martern Sie mich!«

»Diese arme, gestörte Seele, die ja schon jetzt von ihren schwarzen Phantasien verfolgt wird, die sich einbildet, von allem möglichen Unglück umschwebt zu sein, und die gerade heute überzeugt ist, daß ihr Sohn, ihr letzter, von Gefahren und Schicksalen aller Art bedroht werde. Wenn Sie nun gehen und der Fürst sich der absoluten Desperation ergibt, so wird die Arme keine ruhige Stunde mehr haben, Tag und Nacht um ihn zittern –«

Raffaela sprang auf und schob ihren Sessel zurück, um vor diesem schrecklichen Menschen, der da saß, zurückzuweichen. »Ich kann Sie nicht mehr hören!« rief sie aus und wehrte ihn gleichsam mit den Händen ab. »Bitte, schweigen Sie ... Bitte, gehen Sie, gehen Sie!«

»Wie Sie befehlen,« sagte er ehrerbietig und stand auf. »Ich bitte sehr um Vergebung ...« Er trat zurück, um hinauszugehen. Doch hinter der Salonthür rührte sich etwas; jemand klopfte zart, und wie Raffaela richtig fürchtete, trat Fürstin Olga ein, hinter ihr der Fürst. Beide waren pathetisch ernst, traurig, doch, wie es schien, gefaßt; die Fürstin hatte Raffaelas Brief in der linken Hand. Schweigend, langsam wie ein Geist, in melancholischer Feierlichkeit ging sie auf Raffaela zu und blickte ihr mit den »Nachtwandleraugen« in das verstörte Gesicht. Dann nahm sie ihre Hand und legte sie sich stumm auf die welke Brust und auf die Knochen ihrer Augenhöhlen. Raffaela wußte nicht, was sie sagen sollte, sie kam sich wie von allem Geist verlassen vor und dachte: »O wäre doch dieser Paul Eberstein da, um mir zu helfen!«

»Also das ist dein Wille,« sagte die alte Fürstin endlich mit dumpfer, tragischer Stimme. »Ich sehe dich also bald, bald zum letztenmal –«

»Nein, nein,« rief Raffaela, machte sich los und trat einen Schritt zurück. »Nein, nein, nein! Ich wollte nur etwas Freiheit haben ...«

Jetzt sah sie den Fürsten Alexander neben sich auf der anderen Seite. »Du kannst mir also nicht vergeben,« flüsterte er feierlich, »was ich heute gethan habe. Da steht Onegin, hat er dir nicht gesagt – –«

»Ja, ja; alles, alles!«

»Und doch kannst du mir nicht verzeihen –«

»Ja, mein Gott, ja,« sagte sie laut. »Alles ist verziehen! – Aber wir müssen ja nicht tagtäglich zusammen sein – –«

»Und doch willst du davongehen?« fuhr er leise fort, ohne auf ihre Einwendung zu hören. »Willst diese alte, gute, trübsinnige Frau, deren Licht du warst, gleichsam im Dunklen lassen – und mich, der ich wenigstens eine Schwester hatte, willst du um diesen letzten Trost bringen, der mich noch an das Leben bindet –«

»Nein, ich will ja nicht!« rief Raffaela. »Aber eine Reise – –«

»Doch, doch,« fiel die Fürstin mit der Grabesstimme ein und deutete auf den Brief. »Da steht es ja. Du willst nicht mehr unser Stern, unser Täubchen, unser Leben sein; unsere Raffaela will uns verlassen –«

Raffaela ertrug's nicht mehr; sie legte ihre Hände zusammen und schlug sie gegeneinander. »Nein, nein, nein!« rief sie, außer sich. »Ich will's nicht! Will euch nicht verlassen! Macht mich nicht toll, quält mich nicht, es ist aus! Ich bleibe!«

Sie nahm der Fürstin Olga den unglücklichen Brief aus der Hand, riß ihn entzwei und ließ die Stücke auf die Erde fallen. »Seid ihr nun zufrieden? Sagt mir nun nichts mehr; laßt mich, laßt mich, ich bitt' euch!« – Sie legte sich beide Hände auf die Brust, dann warf sie sie ihnen entgegen. »Da habt ihr mich! Und behaltet mich! Ich bleibe, ewig, ewig, ewig!«

Damit lief sie zwischen Onegin und dem Fürsten vorbei, daß ihnen ihr Kleid gegen die Kniee rauschte, und zur Thür hinaus.

Onegin sah ihr nach und lächelte zufrieden. Etwas später lächelte auch der Fürst, dann die Fürstin-Mutter.

*


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