Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Peregrin. Er glich hierin unserm gemeinschaftlichen Meister Agathobulus, welchem ich aus bereits angeführten Ursachen weder gleichen wollte, noch konnte. Bey mir ging, vermöge der individuellen Form meines Wesens, alles über die Aristotelische Linie der Mäßigung hinaus. Wen ich nicht mit Schwärmerey lieben, mit Entzückung loben konnte, den mußte ich mit Abscheu fliehen, mit Bitterkeit tadeln. Wie hätte sich die Welt mit einem solchen Menschen, oder er sich mit ihr, vertragen können? Niemand fühlte dieß stärker als ich selbst, und daher bracht' ich auch den größten Theil meines übrigen Lebens in der einsamsten Abgeschiedenheit zu. Selbst das stille Athen war für mich noch nicht still genug. Ich wählte eine kleine abgelegene Bauerhütte nicht weit von der Stadt zu meinem gewöhnlichen Aufenthalt; und außer einigen jungen Leuten, die mein Ruf, – und einem oder zweyen, welche die täuschende Hoffnung, durch den Unterricht eines weisen Mannes selbst weise zu werden, an mich zog, war der Cyniker Theagenes von Paträ der einzige Mensch, dessen Besuche ich annahm, aber in der That mehr duldete als wünschte.

Ich wundre mich nicht, Freund Lucian, daß dieser Theagenes in deinem Berichte von meinen letzten Tagen so übel weggekommen ist. Er hatte (außer seiner Schwärmerey für mich) in seiner ganzen Person zu viel Anstößiges für einen Mann wie Du, als daß du billiger gegen ihn hättest seyn können als gegen mich selbst. Indessen war er im Grund ein Mensch von gutem Willen, und ich glaube noch in diesem Augenblicke, daß sein Eifer für mich aufrichtig war. Allein eine grobe Organisazion, eine pöbelhafte Erziehung, eine gewisse angeborne Ungeschmeidigkeit, und ein natürlicher aber vom Glücke nicht begünstigter Hang zu einem müßigen und unabhängigen Leben, kurz, eben dieselben Umstände, die ihn in den cynischen Orden geworfen hatten, setzten seiner Ausbildung so enge Grenzen, daß er es, mit aller seiner Schwärmerey für den Thebanischen Herkules und – meine Wenigkeit, doch nie weiter brachte, als unter den vulgaren Cynikern dieser Zeit eine ziemlich ansehnliche Person vorzustellen. Gleichwohl, so wie er war, gewann ihm seine Gutmüthigkeit, sein Feuer und seine leidenschaftliche Zuneigung zu mir einigen Antheil an einem Herzen, dessen dringendstes Bedürfniß war Etwas zu lieben: und wenn er mich gleich durch die unzähligen Dissonanzen, welche seine Art zu empfinden, zu denken und zu leben mit der meinigen machte, oft genug zurück stieß; so blieb es mir doch unmöglich, den einzigen Menschen von mir zu entfernen, von welchem ich gewiß zu seyn glaubte, daß er von Herzen und ohne eigennützige Rücksichten an mir hange. Und so folgte denn auch ganz natürlich, daß er bey meiner berüchtigten Todesscene die erste und geschäftigste Nebenrolle auf sich nahm.

Diese letzte Epoke meines Lebens – welches (wie du gesehen hast) außerordentlich genug gewesen war, um sich auf eine ungewöhnliche Art zu endigen – ist nun das einzige, lieber Lucian, worüber ich dir noch einige Erläuterungen schuldig bin.

Ein freywilliger Ausgang aus dem Leben, ungeachtet er von den Platonen und Epikteten aus sehr scheinbaren Gründen gemißbilligt wurde, war von jeher unter Griechen und Römern von einer gewissen Klasse etwas so wenig seltenes gewesen, und im Gegentheil durch große Beyspiele so sehr gerechtfertigt und, so zu sagen, geheiligt worden, daß sich schwerlich jemand darüber verwundert oder bekümmert haben würde, wenn ich meinem Leben in der Stille, wie so manche andre Filosofen, durch Hunger, oder Opium, oder einen laufenden Knoten ein Ende hätte machen wollen. Aber ein in Griechenland so ungewöhnlicher, so feierlicher und vier Jahre zuvor öffentlich angekündigter freywilliger Tod mußte allgemeine Aufmerksamkeit erregen; und es war leicht voraus zu sehen, daß er von dem einen für die größte Heldenthat, von einem andern für Wahnsinn, und von einem dritten für bloße Scharlatanerie erklärt, von allen aber, oder doch wenigstens von den meisten, nur ihren eigenen Augen geglaubt werden würde.

Den Gedanken, mein Leben, so bald ich fühlte daß es Zeit wäre, freywillig zu beschließen, hatte ich schon lange, und in der That schon damahls gefaßt, als ich mich zu Alexandrien entschloß, das Bild eines filosofischen Herkules in meiner Art zu leben darzustellen. Seit meiner Verbannung aus Italien war dieser Gedanke mit jedem Jahre lebendiger geworden. Das Leben unter den Erdebewohnern, das seit meinen letzten Erfahrungen zu Rom allen Reitz für mich verloren hatte, wurde mir nun von Tag zu Tage gleichgültiger, und endlich gar verhaßt. Meine ganze Art zu seyn und die äußerst strenge Enthaltsamkeit, welcher ich von jener Zeit an getreu blieb, hatte alle natürlichen Bande, die den einzelnen Menschen ans Leben fesseln, nach und nach bey mir zu dünnen Zwirnsfäden abgeschlissen. Dagegen war die Stärke jenes sonderbaren Gefühls meiner dämonischen Natur – welches dich nun nicht mehr an mir befremden darf, da es die erste und mächtigste Triebfeder meiner ganzen Thätigkeit war – in eben dem Maße gewachsen, wie der natürliche Trieb zum Leben die seinige verlor. Das Klümpchen organisierter Erde, womit ich mich noch schleppen mußte, wurde mir immer überlästiger; diese Organe selbst waren in meiner Vorstellung nur Hindernisse einer vollkommnern Art zu sehen, zu hören, mit dem Weltall, und vornehmlich mit den geistigen Wesen und Kräften desselben, in engere Beziehungen zu kommen, kurz, zu einer unendlich schönern und unbeschränktern Thätigkeit zu gelangen. Ich fühlte mich endlich von einer unbeschreiblichen Sehnsucht nach diesem höhern Leben, an dessen Wirklichkeit ich nie gezweifelt hatte, gepreßt: und da die Hoffnung, den Menschen durch meinen längern Aufenthalt unter ihnen nützlich zu seyn, immer schwächer und schwächer wurde; da sie mir endlich als eine lächerliche Schimäre erschien, die nur in dem Gehirn eines mit der Welt gänzlich unbekannten schwärmerischen Jünglings erzeugt, und, nach allem was mit mir vorgegangen war, nur von einem unheilbaren Thoren länger gehegt werden könne; so blieb nun nichts übrig, was mich hätte zurück halten können, und ich beschloß zu sterben.

Aber in eben demselben Augenblicke stellte sich mir auch der Gedanke dar: da mein Leben der Welt zu nichts nütze gewesen sey, wenigstens meinen Tod wohlthätig für sie zu machen. In diesem Zeitalter der weichlichsten Entnervung müßte, dachte ich, das unmittelbare öffentliche Schauspiel eines freywilligen heroischen Todes, so eines Todes wie Herkules auf dem Öta und Kalanus im Angesichte Alexanders und seines ganzen Kriegsheeres starb, einen tiefern und heilsamem Eindruck auf die Gemüther machen, als der beredteste Moralist durch die schönsten Deklamazionen im Lyceum oder in der Stoa in zwanzig Jahren bewirken könnte. Du weißt schon, lieber Lucian, wie leicht meine Einbildungskraft durch Vorstellungen dieser Art in Flammen zu setzen war; und doch müßte es dir lächerlich vorkommen, wenn ich ohne die geringste Übertreibung von dem seltsamen Reitz sprechen wollte, den der Gedanke – mich zu Olympia vor den Augen so vieler Myriaden von Griechen und Ausländern aus allen Gegenden der Welt in einer schönen Sommernacht zu verbrennen – bey seiner ersten Entstehung für mich hatte.

Von welcher Seite ich diesen Tod betrachtete, zeigte er sich mir in einer blendenden Gestalt. In Rücksicht auf die Menschen der gegenwärtigen und künftigen Zeiten war er eine glorreiche Selbstaufopferung, welche mich durch ein unvergeßliches Beyspiel der Standhaftigkeit, der Geringschätzung dessen was den Sterblichen über alles ist, und des innern Bewußtseyns einer über dieses armselige Erdeleben hinaus reichenden Bestimmung, auf ewig zum Wohlthäter der Menschen, die so wenig um mich verdient hatten, machen würde. In Rücksicht auf mich selbst war es die kürzeste, edelste, der ursprünglichen Natur des Dämons in mir, der mein wahres Ich ausmachte, angemessenste Art, nach einer schon zu lange dauernden Verbannung auf dieses verhaßte Land der Täuschungen, der Leidenschaften und der Bedürfnisse in mein ursprüngliches Element zurückzukehren. Überdieß muß ich gestehen, daß ich mich auch nicht wenig durch die Vorstellung geschmeichelt fand, den Christianern zu zeigen, daß sie nicht die einzigen seyen, die durch ihren Glauben mit dem Muthe begeistert würden, dem Anblick eines peinvollen Todes Trotz zu bieten.

Lucian. Aber, wenn alle diese Vorstellungen so mächtig auf dich wirkten, wie kam es, daß du dich bey der nächsten Wiederkehr der Spiele zu Olympia an der bloßen Ankündigung deines Vorsatzes begnügtest, und die Ausführung noch vier ganzer Jahre, die dir in einer solchen Gemüthsstimmung vier Jahrhunderte scheinen mußten, verschieben konntest?

Peregrin. Aufrichtig zu reden, Lucian, – da ich mit allen meinen seltsamen Eigenheiten am Ende doch so gut ein Mensch war wie andere, so möchte ich nicht dafür stehen, daß der Instinkt, der alle Lebendigen mit einer geheimen und nur desto mächtigern Gewalt an die einzige Art von Daseyn, welche sie aus unmittelbarer Erfahrung kennen, fesselt, nicht auch bey mir seine Wirkung gethan haben könnte. Indessen ist alles was ich hiervon mit Gewißheit sagen kann, daß ich mir dieser Bewegursache nicht bewußt war. Ich hatte vielmehr lange mit mir selbst zu kämpfen, bis ich zum Entschluß kam, mein ungeduldiges Verlangen nach dem Tode, als die letzte Leidenschaft, die ich der Weisheit noch aufzuopfern hätte, zu überwältigen, und das Heroische und Exemplarische desselben eben dadurch, daß ich ihm vier Jahre lang schrittweise entgegen ging, desto auffallender und vollkommener zu machen. Dieß, lieber Lucian, war wenigstens der einzige Beweggrund, den ich mir selbst gestand, dem ich alles mögliche Gewicht zu geben suchte, und der endlich um so mehr die Oberhand behielt, weil ich dadurch Zeit gewann, theils die wenigen Freunde, die mit Wärme an mir hingen, auf unsere Trennung vorzubereiten, theils einen sonderbaren Einfall auszuführen, welchen mir die Begierde, ganz Griechenland durch meinen Tod in eine heilsame Erschütterung zu setzen, eingegeben hatte.

Lucian. Du sprichst vermuthlich von den so genannten Zirkelbriefen, die du, wie die Rede ging, als eine Art Vermächtnisse an alle Städte von einigem Ansehen in Achaja und in dem Griechischen Asien erlassen haben solltest?

Peregrin. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich mich die Vorstellung der Wirkungen machte, welche der letzte Wille eines auf eine so außerordentliche Art sterbenden Weisen auf diejenigen thun müßte, denen er – zu einer Zeit, da ihm für sich selbst an ihrem Wohl oder Weh, so wie an ihrer guten oder schlimmen Meinung von ihm, nichts mehr gelegen war – auf eine so uneigennützige und rührende Art zu erkennen gab, wie sehr ihm ihr Bestes am Herzen liege. Eine geraume Zeit vor meinem Tode beschäftigten diese Zirkelbriefe meine ganze Seele; sie erhielt unvermerkt dadurch die Wärme und Begeisterung meiner Jugend wieder. Noch nie, däuchte mich, war ein Menschensohn vor mir in einer Lage und Stimmung gewesen, die ihm einen so großen Vortheil über seine Brüder gab; die ihn in einem so hohen Grade berechtigte, ihnen jede heilsame Wahrheit mit einem (wie ich in meiner gutherzigen Narrheit mir einbildete) so unwiderstehlichen Nachdruck ins Gesicht zu sagen; und die hingegen auch sie auf ihrer Seite so geneigt machen müßte, seinem strafenden Tadel und den Vorschlägen, die er ihnen zu Verbesserung ihrer Polizey und ihrer Sitten that, Gehör zu geben. Ich richtete es mit Hülfe meiner Cyniker und ihres Anhangs so ein, daß alle diese Briefe zugleich mit der Nachricht von meinem Tode bey ihren Behörden eintreffen mußten; und – was vielleicht unter allen Sterblichen nur mir begegnen konnte – während der ganzen Zeit, daß ich mich mit diesen meinen moralischen und politischen Vermächtnissen beschäftigte, kam es mir auch nicht ein einziges Mahl in den Sinn, daß sie sowohl ihres feierlichen Tons als ihres Inhalts wegen, als Träume eines Wahnsinnigen mit Nasenrümpfen und Achselzucken aufgenommen werden, und alles nicht um ein Haar besser gehen würde, als es ohne mich und meinen letzten Willen in der Welt gegangen wäre.

Da es mir mit dieser ganzen Beichte meines abenteuerlichen Lebens bloß darum zu thun war, dich, durch umständliche Erzählung dessen, was du nicht wußtest, in den Stand zu setzen, von dem, was du wußtest oder zu wissen glaubtest, richtiger und billiger zu urtheilen; so kann ich es nun ganz getrost dir selbst überlassen, mich, wo es vonnöthen ist, gegen den Verfasser der Nachrichten von Peregrins Lebensende in deinen Schutz zu nehmen. Alles Mißverständniß hört nun auf, und Peregrinus Proteus steht nun, als ein Schwärmer, wenn du willst, aber wenigstens als ein ehrlicher Schwärmer vor dir da. Du kannst dir nun ohne Mühe selbst erklären, was an der Erzählung des Arztes Alexander (der in dem heftigen Fieber, welches mich acht oder neun Tage vor meinem Tode überfiel, zu mir gerufen wurde) wahr oder unwahr gewesen seyn könne; und wirst leicht begreifen, wie der Arzt Alexander die Ursache, die ich ihm angab, warum ich lieber freywillig in den Flammen zu Harpine als an einem hitzigen Fieber sterben wollte, eben sowohl falsch ausgedeutet, als der Sofist Lucian die Ursache dieses Fiebers durch sein »vermuthlich weil er sich den Magen überladen hatte« – übel errathen haben könne. Auch kann ich mich wegen der Todesfurcht, aus welcher mein besagter Gegner sich die Verzögerung meiner öffentlichen Verbrennung begreiflich machte, nun, da kein Nebel mehr zwischen uns ist, getrost auf das Augenzeugniß meines Freundes Lucian berufen, der mich den Holzstoß mit ziemlich fester Hand anzünden sah.

Lucian. Dieses reinere Element, das wir nun bewohnen, macht es uns glücklicher Weise eben so unmöglich uns selbst als andere mit Parteylichkeit anzusehen. – Es muß ein süßer Augenblick gewesen seyn, Peregrin, als du dich aus dem erstickenden Flammenstrudel auf einmahl in dieses neue Leben versetzt fühltest!

Peregrin. O gewiß! und doch für mich, der sich dessen versah, nicht so überraschend als für dich, den der kaltblütige Epikur überzeugt hatte, daß mit dem letzten Athem alles aufhöre.

Lucian. In der That, das Vergnügen dieser Überraschung war so groß, daß ich seine Filosofie – auch ohne Rücksicht auf so viele andere große Vortheile, welche sie über das irdische Leben verbreitet – um dieses einzigen willen für kein geringes Verdienst halte, das der gute Mann sich um die Menschheit gemacht hat. Doch hiervon ein andermahl!


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