Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Mitten unter diesen rastlosen Bemühungen brachte er den geheimen Orden zu Stande, mit dessen Hülfe er nun, da die Mitglieder durch eine große Anzahl der Asiatischen Gemeinen zerstreut waren, an dem Vereinigungswerke arbeiten konnte, wodurch er dem Institut der Christianer die Festigkeit und den genauen Zusammenhang geben wollte, ohne welche (wie er glaubt) seine immer weitere und schnellere Ausbreitung und endlich sein Triumf über die herrschende religiöse und politische Verfassung unmöglich seyn würde. Der Anfang zu diesem allen war gemacht. Aber noch immer suchte er Ordensglieder, denen er sich ganz vertrauen könnte, und welche mit den allzu seltnen Fähigkeiten ausgerüstet wären, die er bey den unmittelbaren Organen seines Plans zu finden wünschte: und da er mir (setzte sie hinzu) die Ehre erwies, von den meinigen eine sehr günstige Meinung zu hegen; so ließ er nichts unversucht, um mich zu bewegen, daß ich alle andere Verbindungen und Entwürfe aufgeben, und die Geistesgaben, die mir seine brüderliche Parteylichkeit zuschrieb, der Beförderung eines Werkes widmen sollte, wovon er meine Vernunft selbst überzeugte, daß es das größte, glänzendste und vortheilhafteste sey, was Personen, die sich über den gewöhnlichen Menschenschlag erhaben fühlten, jemahls unternehmen könnten. Er beantwortete alle meine Fragen, löste alle meine Zweifel, entdeckte mir alle seine Hülfsquellen, und überführte mich von der wirklichen Ausführbarkeit seines Plans, bis zur Unmöglichkeit weiter etwas dagegen einzuwenden. Aber meine Zeit war noch nicht gekommen. Ich hing noch zu stark an Mamilien, oder (aufrichtig zu reden) an allem, was meine Verbindung mit ihr Angenehmes und Vortheilhaftes hatte; und Kerinthus selbst schien das letztere wichtig genug zu finden, um endlich seine Ansprüche auf mich, wiewohl ungern, der Betrachtung, daß ich ihm in meinen damahligen Verhältnissen vielleicht nützlicher seyn könnte, aufzuopfern. Indem wir diese Sache noch mit vielem Eifer zwischen uns verhandelten, stellte sich mir auf einmahl das Bild meines lieben Flüchtlings dar. Gieb dich zufrieden, Bruder, rief ich mit einer Art von Begeisterung, ich habe einen Mann gefunden, der dich für deine fehl geschlagene Hoffnung reichlich entschädigen wird! – einen jungen Mann, der so ganz in deine Plane paßt, als ob ihn die Natur und das Glück absichtlich und ausdrücklich für dich ausgebildet hätten. Und nun, mein lieber Peregrin, erzählte ich ihm alles, was ich von deiner Geschichte aus deinem eigenen Munde wußte, und was mir selbst mit dir begegnet war; und du kannst leicht ermessen, ob ich ihn dadurch begierig machte, einen so seltenen, so liebenswürdigen und so ganz entschiedenen Schwärmer je eher je lieber in seine Partey zu ziehen. Wir überlegten mit einander, was du nach deiner Entweichung von Halikarnaß vermuthlich für einen Weg genommen haben könntest; und da ich nicht zweifelte daß du über Smyrna zurück gehen würdest, so beschloß Kerinthus sich unverzüglich dahin zu begeben, und inzwischen allenthalben, wo du wahrscheinlich auf deiner Wanderung durchkommen würdest, durch seine Freunde Erkundigungen von dir einzuziehen. Nach einiger Zeit erfuhr ich den glücklichen Erfolg des Plans, den er dieser Verabredung zu Folge entworfen hatte, und erhielt große Danksagungen von ihm, daß ich ihn in den Stand gesetzt, eine Eroberung zu machen, von welcher er seiner Unternehmung wichtige Vortheile versprach.

Dioklea fuhr nun fort, mir von dem, was sich bis auf diese unsre, von meiner Seite so unverhoffte Zusammenkunft mit ihr selbst zugetragen, so viel zu berichten, als sie für nöthig hielt, mich zu überzeugen, daß es auch damit ganz natürlich zugegangen sey. Die schöne Mamilia wurde des Aufenthalts in diesen Gegenden von Kleinasien überdrüssig, und Dioklea begleitete sie zuerst nach den berühmten Bädern von Dafne, unweit Antiochien, sodann nach Alexandrien, und endlich nach Italien zurück, wo die üppige Römerin eine schöne Villa, welche sie in der Gegend von Bajä besaß, zu ihrem gewöhnlichsten Aufenthalt machte, und, von dem Beyspiele der neuen Bekanntschaften, in welche sie hier verwickelt wurde, hingerissen, sich allen Arten von Ausschweifungen mit so wenig Mäßigung überließ, daß ihre aus einem feinern Thone gebildete Freundin es endlich nicht länger bey ihr aushalten konnte. Sie trennten sich von einander; und Dioklea, welche sich von der Rolle, die sie in der Unternehmung ihres Bruders spielen könnte, eine neue, den Fähigkeiten ihres Geistes und ihrem gegenwärtigen Alter angemeßnere Art von Thätigkeit versprach, säumte nun nicht länger sich mit ihm zu vereinigen, und, nachdem sie in kurzer Zeit alle dazu erforderlichen Kenntnisse und die Einweihung in den innersten Mysterien seines Ordens unter dem Nahmen Theodosia erhalten hatte, ihm an der Beförderung seiner geheimen Theokratie mit eben so vielem Eifer als Erfolg arbeiten zu helfen. Diese Vereinigung mit Kerinthus erfolgte bald, nachdem ich mich wieder von ihm getrennt hatte, um meine Mission nach der Syrischen Küste anzutreten.

Wie billig, war es eine ihrer ersten Sorgen, sich nach ihrem alten Freunde Proteus bey ihm zu erkundigen; und so erfuhr sie nicht nur alles, was ich – in der Meinung für die Sache Gottes und der ganzen Menschheit zu arbeiten – für ihn und seine Sache gethan hatte, sondern auch zugleich, daß Kerinthus, weit entfernt mich seines innersten Vertrauens würdig zu halten, mich bisher nur als ein bloßes Werkzeug seiner Absichten betrachtet habe; als einen Menschen von gutem Willen, dessen Schwärmerey man benutzen müsse, ohne ihn jemahls auch nur ahnden zu lassen, daß das, was er für den Zweck hielt, bloß ein Mittel zu dem wahren Zweck seines Ordens sey. Ich konnte, (sagte mir Dioklea mit aller Wärme unsrer ehemahligen Freundschaft) ich konnte mich mit dem Gedanken nicht versöhnen, einen Mann wie Du in den Augen meines Bruders so klein zu sehen. Wir stritten uns oft über dieses Kapitel, ohne daß ich mit allem, was ich ihm zu deinem Vortheil sagte, etwas über seine vorgefaßte Meinung gewinnen konnte, welche (wie ich mir selbst nicht verbergen kann) auf Beobachtungen und Maximen gegründet war, die einen kältern und weniger für dich eingenommenen Kopf als der meinige nothwendig zurückhaltend machen mußten. Mit Einem Worte, Kerinthus scheint sich überzeugt zu haben, daß du seiner Sache als Apostel, allenfalls auch als Märtyrer, unendliche Mahl nützlicher seyn könnest, als du ihm seyn würdest, wenn er dich ohne Schleier in sein Geheimniß schauen ließe. Aber er mag seiner Schwester verzeihen, wenn sie eine bessere Meinung von dir hegt, und nichts dabey zu wagen hofft, indem sie, einen alten Freund zu retten, gewisser Maßen zur Verrätherin an einem Bruder wird. In der That sah ich kein anderes Mittel, dich aus der gegenwärtigen Gefahr zu ziehen und vor künftigen sicher zu stellen. Nein, mein lieber Peregrin! du sollst nicht das Opfer eines schwärmerischen Eifers werden. Wenn Kerinthus Märtyrer für seine Sekte braucht, so mag er sich nach solchen umsehen, an welchen mein Herz weniger Antheil nimmt. Übrigens kennest du meine Art zu denken. Es ist angenehm, sich zuweilen einer unschädlichen und vorüber gehenden Schwärmerey der Fantasie oder des Herzens zu überlassen, so wie zuweilen eine kleine Trunkenheit angenehm und unschädlich ist: aber sein ganzes Leben durch zu schwärmen, und darüber zum blinden Werkzeuge fremder Absichten und Entwürfe zu werden, ist eine eben so undankbare als verächtliche Art von Existenz. Man gewinnt immer bey der Wahrheit, auch dann, wenn sie uns der schmeichelhaftesten Täuschungen beraubt. Der schlechte Erfolg, womit ich dir diese Filosofie vor sieben Jahren in der Villa Mamilia predigte, hätte mich billig abschrecken sollen, einen neuen Versuch zu machen: aber dießmahl, Peregrin, hast du so wenig dadurch zu verlieren, daß ich dir die Augen öffne, und der Vortheil, hell in diesen Dingen zu sehen, ist dagegen so entschieden, daß ich weder deinem noch meinem Verstand ein großes Kompliment mache, wenn ich mir schmeichle, dich, noch ehe wir uns wieder trennen müssen, gänzlich zu meiner Vorstellungsart bekehrt zu haben.

Und nun fing sie an, sich in eine ausführliche Darstellung sowohl der Beschaffenheit und Lage, worin ihr Bruder die Angelegenheiten der Christianer gefunden habe, auszubreiten, als über den Plan, nach welchem er sie unvermerkt zu befestigen, empor zu bringen, und den größten und edelsten Zweck, der jemahls zum Besten der Menschheit gefaßt worden, dadurch zu bewirken gesonnen sey. Sie wandte alle ihre Beredsamkeit an, mich von der Realität und Erreichbarkeit dieses Zweckes, und von der Unsträflichkeit und Unfehlbarkeit der Mittel, die er zu wirklicher Erreichung desselben zusammen spielen lasse, zu überführen. Die erhabnen Offenbarungen der unsichtbaren Welt, zum Beyspiel, die du (sagte sie lächelnd) mit einer in der That allzu kindlichen Einfalt im buchstäblichen Verstande genommen hast, scheinen mir weder mehr noch weniger als die unschuldigste Poesie: entweder bildliche Einkleidungen großer Wahrheiten, um sie, die in ihrer reinsten Form den meisten Menschen unverständlich seyn würden, anschaulich und eben dadurch geschickt zu machen auf das Gemüth dieser Menschen zu wirken; oder Versinnlichung edler Zwecke, welche, ohne dieses unschuldige Mittel, die eigennützige Trägheit sinnlicher Menschen kalt lassen würden, hingegen, so bald sie ihnen als Befriedigungen ihrer liebsten Wünsche gezeigt werden, ihre ganze Seele erhitzen und alle ihre Kräfte in Bewegung setzen. Ist nicht die Natur selbst die erste und größte Zaubrerin? Täuscht sie etwa nicht uns alle durch Fantasie und Leidenschaften? und sind, dieser Täuschung ungeachtet, Fantasie und Leidenschaften, von Vernunft geleitet, nicht unentbehrliche Springfedern des menschlichen Lebens? Mit welcher Billigkeit könnte man es also einem Gesetzgeber, einem Religionsstifter, einem von den großen Heroen der Menschheit, die auf das Ganze wohlthätig zu wirken geboren sind, verargen, wenn sie sich der Mittel, welche die Natur selbst zu diesem Ende in uns gelegt hat, zu Beförderung des möglichsten und allgemeinsten Glücks der Menschen bedienen? Ich möchte nicht behaupten, daß Kerinthus ein Wort mehr von der unsichtbaren Welt wisse, als ich, du, oder irgend ein anderer Erdensohn: aber wenn es höhere Wesen giebt, die sich damit beschäftigen den Menschen Gutes zu thun, so hätte wahrlich keines von ihnen einen edlern, göttlichern Gedanken in die Seele eines Sterblichen hauchen können, als die Befreyung der Menschheit von allen Arten der Tyranney, der Vorurtheile und der Leidenschaften, des Aberglaubens und des Despotismus, der Cäsarn und der Priester, welche der letzte Zweck der Theokratie des Kerinthus ist. Was könnte die erhabnen Benennungen des Reichs des Lichts, des Reichs Gottes, verdienen, wenn eine solche Freyheit sie nicht verdiente? Und sogar die Einflüsse der Äonen, und alle diese heiligen Mysterien der unsichtbaren Welt, womit Kerinthus die Einbildung schwärmerischer Seelen bezaubert, sind sie etwa ohne Sinn und Bedeutung? Könnte, dürfte wohl jener große Zweck, eh' er wirklich erreicht ist, anders als durch unsichtbare Kräfte, als durch eine geheime Verbindung unsichtbarer Beweger verfolgt werden? Das Schwärmerische, Mystische und Wunderbare des Glaubenssystems und der religiösen Übungen, welche Kerinthus den mit ihm verbundenen Brüdern und Schwestern gegeben hat, ist um so unentbehrlicher, da sein wahrer Plan sowohl vor denen, gegen welche, als vor denen, für welche er arbeitet, nicht geheim genug gehalten werden kann. Denn diese würden, wenn ihre Vorstellungen ganz geläutert würden, weder den Werth der ihnen zugedachten Güter zu schätzen wissen, noch begreifen können, daß der Weg, worauf sie geführt werden, der richtigste und sicherste ist: jene, welche den Glauben der Christianer für eine unschädliche Schwärmerey zu halten angefangen haben, würden die gewaltsamsten Mittel zu Ausrottung derselben anwenden, so bald sie wüßten, daß das Reich der Freyheit und Glückseligkeit, mit dessen Bau wir uns beschäftigen, nur auf den Trümmern des ihrigen errichtet werden könne.

Dioklea kannte mich so gut, daß sie alles gewonnen zu haben glaubte, wenn sie mir sowohl die verhaßte Vorstellung, daß ich selbst betrogen worden sey, benehmen, als meine natürliche Abneigung, andere zu täuschen, überwinden, und mich überreden könnte, daß diese Täuschung nicht in der Sache selbst, sondern bloß in den Formen, oder vielmehr in den Hüllen liege, worin die Wahrheit sich zeigen müsse, um desto mehr Liebhaber anzulocken, und sich den Nachstellungen ihrer Feinde leichter zu entziehen. Die Scheinbarkeit ihrer Gründe, durch die Beredsamkeit ihrer Augen und den Reitz ihrer Stimme und ihres ganzen Wesens verstärkt, überwältigte mich für den Augenblick; sie glaubte mich gewonnen zu haben, und genoß schon im voraus den Triumf, den ihr meine Bekehrung (wie sie es nannte) über den Unglauben ihres Bruders verschaffen werde. Sie kündigte mir nun an, daß der Statthalter von Syrien einer ihrer wärmsten Freunde sey, ohne mir zu verbergen, was für Rechte sie sich während ihres ehemahligen Aufenthalts in den Bädern von Dafne an seine Dankbarkeit erworben habe. Alles sey bereits zu meiner Befreyung vorgearbeitet; ich würde morgen von dem Statthalter selbst vernommen werden, welchem sie die Meinung beygebracht habe, daß ich ihr naher Anverwandter, und, einen unschuldigen Hang zur Schwärmerey ausgenommen, ein Mann von vorzüglichen Gaben, und in jeder Betrachtung werth sey, daß der allzu großen Wärme meiner Einbildungskraft etwas zu gut gehalten werde. Sie unterrichtete mich hierauf umständlich, wie ich mich bey diesem Römischen Satrapen zu benehmen hätte, und, nachdem sie mir gesagt hatte, wo sie mich nach meiner Freylassung anzutreffen hoffte, schieden wir von einander als die besten Freunde von der Welt.


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