Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Sie kam endlich. Die kleine Pforte öffnete sich; eine junge Sklavin nahm mich bey der Hand, und führte mich durch eine Menge dunkler Gänge in ein hell erleuchtetes und fürstlich ausgeschmücktes Gemach, dessen offne Mittelthür in eine Reihe kleiner Zimmer führte, welche ich zu durchwandern hatte, um zu der Göttin zu gelangen, die in dem letzten derselben ihres seligen Endymions wartete. In jedem der Zwischengemächer, aus welchen mir der lieblichste Wohlgeruch entgegen duftete, nahm die Beleuchtung stufenweise ab, bis sie zuletzt in dem Kabinette, wo ich Faustinen zu finden glaubte, in die sanfteste Dämmerung zerfloß. Sie lag auf einem prächtigen Ruhebette, in eben dem leichten, aber äußerst zierlichen Anzug und in eben der schönen Lage, worin ich sie in der unglücklichen Grotte gesehen hatte.

Lucian. Armer Proteus, das war zu viel!

Peregrin. Ein halb durchsichtiger Schleier verhüllte einen Theil ihres Gesichts und des schönsten Busens, den Amors Hand je geformt hatte. Mit immer stärker klopfendem Herzen hatte ich mich langsam herbey geschlichen: aber dieser erste Anblick überwältigte mich gänzlich. Ich warf mich zu ihren Füßen, und – o Faustina! göttliche Faustina! – war alles, was ich in meiner Entzückung hervorbringen konnte, indem ich eine ihrer mir dargebotnen schönen Hände mit glühenden Küssen bedeckte.

In dem nehmlichen Augenblick hörte ich ein lautes Gelächter, das Kabinet wurde plötzlich so hell als der Tag, und die wahre Faustina rauschte hinter einem Vorhang hervor, und sagte zu einer andern Dame, die ihr folgte: »Ich habe die Wette gewonnen, Flaviana! – und du, guter Proteus, vergieb mir diese kleine Hinterlist! Ich überlasse es deiner eigenen Filosofie, die Moral aus diesem Platonischen Abenteuer zu ziehen, die für dich die zuträglichste seyn mag.« – Und hiermit eilte sie mit ihrer lachenden Freundin davon, und ließ mich in einer Beschämung, einer Bestürzung, einer Vernichtung, die meinen ärgsten Feind zum Mitleiden hätte bewegen müssen.

Lucian lachend. Armer Proteus! – Verzeih mir, daß ich mitlachen muß! – Aber kanntest du diese Flaviana, die so lustig darüber war, daß sie ihre Wette auf deine Unkosten verloren hatte?

Peregrin. Sie war eine der ersten jungen Damen zu Rom, und hatte, weil sie große Ansprüche an Witz machte und für eine Beschützerin der Griechischen Musen gehalten seyn wollte, eine Menge Maschinen angelegt, um sich meiner zu bemächtigen, als ich das Haus des Cejonius verlassen hatte. Aber da sie ihrer Sitten wegen in einem sehr zweydeutigen Lichte stand, und ich mir, um alle ähnliche Anmaßungen abzuschrecken, wirklich vorgenommen hatte, mich in den Ruf eines entschiedenen Weiberhassers zu setzen: so waren alle ihre Versuche verunglückt; und dieß hatte vermuthlich zu der Wette Anlaß gegeben, von welcher ich auf eine so grausam überraschende Art das Opfer wurde.

Lucian. Und wer war die Dame auf dem Ruhebette?

Peregrin. Ich verweilte nur so lange, daß ich mich zu meinem neuen Erstaunen überzeugen konnte, daß es Myrto war, eben dieselbe Sklavin Myrto, welche in der Villa Mamilia eine von den Grazien der Göttin vorstellte, und es sich, wie du dich erinnern wirst, so angelegen seyn ließ, die schöne Dioklea bey mir anzuschwärzen. Der Eindruck, den ich dazumahl auf ihr zartes Herz zu machen das Unglück hatte, schien seit einer so langen Reihe von Jahren noch nicht ganz erloschen zu seyn. Sie wandte, unter dem Vorwand daß sie mir Sachen von großer Wichtigkeit zu entdecken hätte, alles mögliche an, mich zurück zu halten: aber mein Stolz war zu tief verwundet, als daß ich die Luft dieses für mich plötzlich verpesteten Hauses nur einen Augenblick länger hätte ertragen können. Ich riß mich von ihr los, floh in meine Zelle zurück, und blieb etliche Tage eingeschlossen, um mich von dem harten Stoß, den ein so schamvoller Ausgang des schönsten Abenteuers meines ganzen Lebens meiner Filosofie gegeben hatte, wieder zu erhohlen, und, alles wohl überlegt, den festen Entschluß zu fassen, daß es das letzte dieser Art in meinem Leben seyn sollte.

Lucian. Soll ich offenherzig mit dir sprechen, Freund Proteus? – Daß dein Herz in der ersten Bewegung Galle und Gift gegen die schöne Faustina kochte, kann ich dir leicht verzeihen: wem würde es an deinem Platze nicht eben so ergangen seyn? Aber wenn du in den einsamen Stunden der Besinnung nicht wieder so gut zu dir selber kamst, um sie von aller Schuld an deinem verunglückten Abenteuer mit ihr frey zu sprechen; wenn dein Gedächtniß so treulos war, dich nicht zu erinnern, daß sie, – selbst den Mittagsschlaf in der Grotte nicht ausgenommen, welchen ich, ohne einen gerichtlichen Beweis des Gegentheils, den du schwerlich führen könntest, für einen bloßen Zufall halte – daß sie, sage ich, weder verführerische Künste, dich in ihre Schlingen zu ziehen angewandt, noch dir die geringste Ursache gegeben, sie für eine schwärmerische Seele deines gleichen zu halten, kurz, daß Du selbst es warst, der alle Auslagen bey dieser Gelegenheit auf eigene Rechnung übernahm: wenn du das alles vergessen konntest, so hattest du wahrlich sehr Unrecht. Das einzige, was Faustina, deiner eigenen Erzählung nach, zu verantworten haben konnte, war, daß sie es geschehen ließ, daß du sie nach deiner sonderbaren Art liebtest. Allein, die Neugier, was wohl am Ende daraus werden würde, ist, däucht mich, einer jungen Fürstin, deren Laune zu solchen Kurzweilen gestimmt war, um so leichter zu gut zu halten, da sie vermuthlich durch Flavianen zur Wette heraus gefordert worden war, und übrigens von einem Enthusiasten deiner Art unmöglich eine so lebendige Vorstellung haben konnte, um voraus zu sehen, wie wehe sie dir durch die unvermuthete Verwandlung aus einem neuen Endymion in – einen neuen Ixion – thun würde. In der That, lieber Proteus, war es bloß deine Schuld, daß du sie nicht nur, vermittelst des vorbesagten Zauberspiegels in deinem Kopfe, zu einer moralischen Venus, zu einem Ideal jeder geistigen Schönheit erhobst, sondern dieses Göttergebilde deiner schwärmenden Fantasie sogar mit deiner eigenen Art zu empfinden beseeltest, und eine Sympathie und Seelenverwandtschaft zwischen ihr und dir freygebig voraussetztest, für welche in ihrem ganzen Benehmen, so viel ich sehen kann, für einen Mann mit gewöhnlichen Augen kein entscheidender Grund zu finden war. Im Gegentheil, man mußte so verblendet und bezaubert seyn als du es warst, um nicht zu merken, wie sie bey allen deinen Bestrebungen, ihr deine Platonische Schwärmerey einzuimpfen, immer kalt und ruhig blieb, und wie wenig Vertrauen sie darauf setzte, daß die Probe, zu welcher du sie selbst aufzufordern die Vermessenheit hattest, zu deinem Ruhm ausfallen würde. – Aber, was den Prozeß gänzlich zu ihrem Vortheil entscheidet, und für die Güte ihres Herzens desto lauter spricht, je mehr Anlage zu Leichtsinn und Muthwillen in ihrer natürlichen Sinnesart war, ist der Umstand, daß sie dich sogar noch in dem Briefchen, das dir der Granatapfel in die Hände spielte, vor der Gefahr warnte, wiewohl der Verlust ihrer Wette darauf stand, falls du dich eines bessern besonnen hättest.

Peregrin. Jetzt, lieber Lucian, bin ich aus allen diesen Betrachtungen so geneigt als du selbst, Faustinen zu entschuldigen, und was mich damahls beynahe wahnsinnig machte, hat ihr und mir, seitdem wir uns hier wiederfanden, mehr als Einmahl Stoff zum Lachen gegeben. Aber vor meiner Verlüftung zu Harpine war so viel Unbefangenheit bey mir unmöglich. Auch nachdem sich der erste Sturm in meinem Gemüthe gelegt hatte, blieb es immer ein unverzeihliches Verbrechen in meinen Augen, daß sie bey dem grenzenlosen Vertrauen, das ich in die Unschuld ihrer Seele setzte, fähig gewesen war, mit einem Herzen wie das meinige ein solches Spiel zu treiben, und einen Mann, der selbst in seinen Verirrungen (wie meine Eigenliebe mir schmeichelte) noch Achtung verdiente, dem Spotte fremder Zeugen, und (was mich am empfindlichsten kränkte) dem Hohngelächter einer Frau, deren Eitelkeit ich beleidiget hatte, so leichtsinnig und übermüthig Preis zu geben. Dieß konnte ich ihr so wenig verzeihen, daß ich mich vielmehr überflüssig berechtiget hielt, sie bey jeder Gelegenheit als die gefährlichste Sirene zu schildern, und selbst die Liebenswürdigkeit, die ihr jedermann zugestehen mußte, für eine bloße Larve zu erklären, unter welcher eine falsche, gefühllose und grausame Seele laure. Wenn ich denn einmahl in diesen Ton gerathen war, so wurde weder ihres Vaters noch Gemahls geschont; und die ganze Deklamazion endigte sich gewöhnlich in eine bittere Satire über die Römer und Römerinnen, über die ungeheure Verdorbenheit ihres Herzens und ihrer Sitten, über den hassenswürdigen Despotismus ihrer Regierung, und über die seltsame Schwäche des guten frommen Kaisers, der sich die milde Gelindigkeit seiner flegmatischen Sinnesart für fürstliche Tugenden aufschmeicheln lasse, und, weil er allen Menschen Gutes wünsche, wirklich so unschuldig sey, sich einzubilden, daß die Welt unter seinem Zepter halcyonische Tage lebe, und daß allen Leuten so wohl sey als ihm selbst.

Lucian. Und wie benahm sich die schöne Faustina bey diesem Rückfall ihres Platonikers in den Karakter eines echten cynischen Bellers?

Peregrin. In der That war sie, trotz dem leichtsinnig fröhlichen Muthwillen, der sie zuweilen zu unschicklichen Schritten verleitete, die gutherzigste Seele von der Welt. Wie leicht hätte sie, wenn sie das gewesen wäre, wofür ich sie in meiner ungerechten Erbitterung ausgab, sich über den Gedanken weggesetzt, was aus einem armen Griechischen Landstreicher, den der Zufall zu seinem Unglück in ihren Weg geworfen hatte, werden könne! Wie unermeßlich war der Abstand von der einzigen Tochter des Kaisers und künftigen Augusta zu Peregrinus Proteus von Parium! – Aber Faustina hatte das Herz ihres Vaters geerbt. Kaum war die erste Freude über den wunderschönen Hermafroditen von Parischem Marmor, den sie durch ihre Wette gewonnen hatte, ein wenig verdunstet, so fiel ihr ein, daß sie dem ehrlichen Schlag, dessen Thorheit ihre Gallerie mit einem so schönen Stücke bereicherte, eine Art von Vergütung für seine fehl geschlagenen Hoffnungen (wie lächerlich diese auch an sich selbst gewesen seyn möchten) schuldig sey; und so wie ihr dieß einfiel, so bildete sich auch schon ein Plänchen in ihrem Kopfe, den guten Menschen so glücklich zu machen, als er es billiger Weise nur immer wünschen könne. Die vorbesagte Myrto, welche nach Mamiliens Tod in die Dienste der Kaiserin gekommen und von dieser ihrer Tochter überlassen worden war, genoß des besondern Vertrauens ihrer jungen Gebieterin, und war die erste unter ihren Freygelaßnen. Von ihr hatte Faustina, noch eher als von mir selbst, alles, was sie von meiner Geschichte wußte, und bey dieser Gelegenheit auch den Nebenumstand erfahren, daß der Liebesfunken, den ich ehemahls unwissend in ihrem schönen Busen entzündet hatte, der Zeit und meiner Undankbarkeit zu Trotz, noch immer unter der Asche fortglimme. Myrto war zwar indessen bis zum fünf und vierzigsten Jahre fortgerückt: aber die Grazien hatten sie mit der Gabe, immer jünger zu scheinen als sie war, beschenkt, und die gute Faustina glaubte, eine Verbindung zwischen uns würde um so schicklicher seyn, da die Ausstattung, welche sie ihrer Favoritin zugedacht hatte, mich in den Stand setzen würde, ein sehr gemächliches Leben zu führen; ein Umstand, der, ihrer Meinung nach, der schönen Myrto bey einem Filosofen, dessen Küche auf vier oder fünf Obolen des Tags fundiert war, keinen Schaden thun könnte.

Die Favoritin hatte mich schon einige Tage vergebens aufsuchen lassen und selbst aufgesucht, um mir von diesen guten Gesinnungen ihrer Gebieterin und von ihren eigenen Nachricht zu geben, als sie mich endlich in den ehemahligen Mäcenatischen Gärten antraf, und mich, eh' ich ihr entwischen konnte, zu einer Unterredung nöthigte, worin sie nichts vergaß, was vielleicht jeden andern in meiner Lage hätte bewegen können, den Antrag, den sie mir mit der jungfräulichsten Bescheidenheit im Nahmen der Prinzessin machte, dankbarlich anzunehmen. Aber die schöne Myrto fand einen Mann vor sich, dem die unvergeßliche Mitternachtsstunde und der Hermafrodit, dem er aufgeopfert worden war, seine ganze Apathie wiedergegeben hatte. Ihre Eigenliebe wurde schon bey diesem ersten Versuche durch die Kälte und Unbeweglichkeit, die ich ihr entgegen setzte, so empfindlich beleidigt, daß ihr alle Lust zu einem zweyten verging.


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