Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Zweyter Abschnitt.

Peregrin. Ich sollte nun in meiner Apologie, wenn ich es so nennen kann, auf den Tod meines Vaters und meine Gemeinschaft mit den Christianern kommen. Aber es verflossen einige Jahre zwischen diesen Begebenheiten und meinem Aufenthalt zu Athen. Willst du daß ich diese überspringen soll? oder hast du Geduld genug die Erzählung etlicher Geschichten anzuhören, die diese Zwischenzeit ausfüllten, und in der That zu besserer Übersicht des Ganzen meines Lebens nicht gleichgültig sind, wiewohl dein Unbekannter nichts davon wußte?

Lucian. Du bist mir, ohne dir eine Schmeicheley sagen zu wollen, aus dem was du mir bereits vertraut hast, interessant genug geworden, daß mir kein Umstand gleichgültig seyn kann, der deinen Karakter stärker oder von einer neuen Seite beleuchtet, und mir begreiflicher machen hilft, was ich in deinem Leben zweydeutig, räthselhaft und übel zusammen hängend fand.

Peregrin. So mache dich immer auf eine sehr seltsame Geschichte gefaßt! Aber ehe ich dahin komme, wird es nöthig seyn noch ein paar Worte von der innern Verfassung zu sagen, worin ich mich befand, als ich den Entschluß nahm nach Asien überzugehen.

Seitdem mich der Dämon der Liebe, den die Wahrsagerin Diotima dem Sokrates offenbarte, auf die Entdeckung gebracht hatte, daß ich selbst ein eingekörperter Dämon dieser Art sey, schien mir nichts natürlicher, als das Verlangen, mich selbst und die Wesen meiner Gattung sowohl, als die höheren, mit denen meine Natur verwandt war, besser kennen zu lernen. Diese Kenntniß war die einzige die ich meiner würdig hielt, da sie mich geraden Weges zur Eudämonie führte, jener erhabenen Geisterwonne, die mir nichts Irdisches weder geben noch rauben konnte, und nach welcher zu streben mein angebornes Vorrecht war. Und was konnte diese Eudämonie anders seyn, als das Leben eines Dämons zu leben, mit Dämonen und Göttern umzugehen, und von einer Stufe des Schönen zur andern bis zum Anschauen und Genuß jener höchsten Urschönheit, jener himmlischen Venus zu gelangen, welche die Quelle und der Inbegriff alles Schönen und Vollkommnen ist?

Die große Frage blieb indessen immer: wie, auf welchem Wege, und durch was für Mittel dieß geschehen könne? und, wofern es mehrere Wege gäbe, welches der nächste und kürzeste wäre? Da es mir nun ausgemacht schien, daß unter den Alten Pythagoras und unter den Neuern Apollonius zu dieser hohen Eudämonie, und vielleicht zur höchsten Stufe derselben, gekommen seyen: so war meine erste Sorge, mich mit diesen so bekannt zu machen, als es durch eignes Forschen in allem was sie hinterlassen, und durch vertrauten Umgang mit Personen, die in den Mysterien ihrer Weisheit wirklich eingeweiht wären, geschehen könnte. Die Hoffnung, Einen wenigstens von dieser Klasse zu Athen zu finden, war mir fehl geschlagen: die wenigen Pythagoräer, die ich dort sah und hörte, schienen Leute zu seyn, die sich an den äußerlichen Formen ihres Ordens und an Ansprüchen begnügten, welche sie zu realisieren weder wußten noch begehrten. Ich sah mich also genöthigt die einsame Lebensart zu erwählen, die den Zerstreuung liebenden Athenern so lächerlich vorkam, und mich auf mein eigenes Forschen, und auf die Reinigungen und Übungen der Seele einzuschränken, welche die natürliche Vorbereitung zu den höhern Stufen waren, die ich so sehnlich zu ersteigen wünschte.

Lucian. Und fandest du denn, guter Peregrin, in ganz Athen keine ehrliche Glycerion, die dir die Wohlthat erweisen konnte, dich von allem diesem Unsinn auf einmahl und von Grund aus zu entledigen? Denn, so viel ich merken kann, fehlte dir doch nichts als diese Kur.

Peregrin. Um einen Arzt zu suchen oder zuzulassen, Lucian, muß man sich für krank halten, und davon war ich himmelweit entfernt. Auf dem Wege der Enthaltung, den ich ging, begegnet man keiner Glycerion, und wäre es geschehen, ich würde sie wie eine Empuse geflohen haben.

Lucian. Sage mir nur noch dieß einzige: Da du doch deine ganze Existenz an eine Eudämonie setztest, die dich mit Dämonen und Göttern in Gemeinschaft bringen sollte, stieg dir nie ein Zweifel über das Daseyn dieser wunderbaren Wesen auf? Fragtest du dich nie selbst: woher weiß ich daß es Dämonen und Götter giebt?

Peregrin. Nie in meinem ganzen Leben! so wenig als es mir je einfiel mich zu fragen, ob es eine Sonne in der Welt gebe?

Lucian. Aber daß die Sonne da sey, sahest du –

Peregrin. Mit dem körperlichen Auge, aber nicht gewisser, als den Gott der Sonne mit dem geistigen.

Lucian, den Kopf ein wenig schüttelnd. Also weiter, Freund Peregrin!

Peregrin. Es scheint, lieber Lucian, man müsse aus eigener Erfahrung wissen, was es ist, seine Seele mit lauter Idealen von Schönheit und Vollkommenheit angefüllt zu haben; welche innere Ruhe, welche Freyheit und Größe es giebt, auf alle Gegenstände der Wünsche und Leidenschaften der Menschen mit Verachtung herab zu sehen, – im Getümmel aller dieser nach der Erde hin gebückten Geschöpfe seine eigene höhere Natur zu fühlen, und, während sie einen nie gesättigten Hunger mit thierischen oder wesenlosen Befriedigungen zu stillen suchen, sich am reinen Ambrosia der Götter, an Schönheit, Harmonie und Vollkommenheit zu weiden, – kurz, mitten in der Hülle der groben Sinnenwelt, in einer lichtvollen und grenzenlosen Welt von Geistern und Ideen zu leben: man muß, sage ich, vermuthlich aus Erfahrung wissen was für eine Existenz dieß ist, oder du würdest mich in diesem Zustande nicht so bedauernswürdig finden, als du zu thun scheinst. Aber solltest du nicht wenigstens dieß erfahren haben: daß es Träume giebt, die uns glücklicher machen, als wir wachend je gewesen sind, und deren wir uns, selbst nach dem Erwachen, noch immer mit Vergnügen erinnern?

Lucian. Träume? – Allerdings! – Aber wie ging es dir denn auf der Fahrt nach Smyrna? Ihr hattet doch günstigen Wind und gutes Wetter?

Peregrin lächelnd. Sehr gutes. Wir kamen glücklich zu Smyrna an, und mein Genius wollte mir so wohl, daß ich gleich in den ersten Tagen die Bekanntschaft eines eisgrauen alten Mannes, Nahmens Menippus, machte, der keiner von den unangesehensten in der Stadt war, und in seiner Jugend mit dem Weisen, den ich genauer zu kennen so begierig war, mit dem großen Apollonius, vielen Umgang gepflogen hatte.

Lucian. Wie? doch nicht des Menippus, von dem uns der aberwitzige Damis in seine Reisen des Apollonius das abgeschmackteste aller Ammenmährchen erzählt, die Geschichte von der Empuse oder Lamie, die, um diesen Menippus in sich verliebt zu machen, die Gestalt einer schönen Frau aus Fönizien angenommen, ein prächtiges Haus gemacht, und die Sache zwischen ihr und ihrem verblendeten Liebhaber bis zur Hochzeit getrieben habe; da denn der theure Wundermann Apollonius ganz unerwartet zum Hochzeitschmause gekommen, das ganze Zaubergastmahl sammt allem Gold- und Silbergeschirr und allen Bedienten verschwinden gemacht, und die arme in Thränen zerfließende Braut genöthigt habe, zitternd und zähnklappend zu gestehen, daß sie eines von den Gespenstern sey, womit die Ammen den unartigen Kindern zu drohen pflegen, und daß sie den holden Menippus bloß darum an sich gezogen, um ihn erst recht fett zu machen und dann lebendig aufzuessen, indem sie und die übrigen Lamien, ihre Schwestern, gar große Liebhaberinnen von jungen wohl genährten Mannspersonen seyen, weil sie so reines Blut hätten? Wars etwa der?

Peregrin. Eben der, Lucian, wiewohl er die Geschichte mit der Lamie, wie du leicht erachten kannst, etwas anders erzählte. Das angebliche Gespenst war weder mehr noch weniger als eine ausländische Hetäre, die schon seit mehrern Jahren zu Korinth unter dem Nahmen einer Fönizischen Dame junge Leute an sich gezogen, und auf die eine oder andere, oder auch auf beiderley Art zugleich, so gut ausgezogen hatte, als es eine leibhafte Empuse nur immer hätte thun können. Menippus, der sich damahls zu Korinth aufhielt, und ein wohl gemachter athletenmäßiger junger Mensch war, hatte sich ebenfalls in den Netzen dieser schönen Menschenfresserin gefangen; und Apollonius, der ihn wenige Wochen zuvor in voller Blüthe und Jugendkraft gesehen hatte, brauchte weder ein Profet noch ein Halbgott zu seyn, um ihm die Verheerung, welche die Fönizierin an den Rosen seiner Wangen angerichtet hatte, auf den ersten Blick anzusehen. Er brachte den jungen Menschen, der ihm sehr ergeben war, ohne Mühe zum Geständniß, und Menippus mußte ihm versprechen, einem so gefährlichen Umgang zu entsagen. Aber die Fönizierin hatte keine Lust, sich einen Liebhaber rauben zu lassen, von dessen Wichtigkeit niemand besser urtheilen konnte als sie. Sie hatte wirklich eine heftige Leidenschaft für ihn gefaßt, und da sie schon ziemlich weit über ihre Rosenzeit hinaus war, und bereits einen großen Theil ihrer Reitzungen von der Kunst borgen mußte, beschloß sie, weil ihr kein anderes Mittel übrig blieb, den Menippus durch den Antrag ihrer Hand und der Reichthümer, die sie auf Unkosten ihrer Liebhaber erworben hatte, an sich zu fesseln. Dieser ließ sich in einem Augenblick von Schwäche überwältigen. Die Fönizierin veranstaltete eine prächtige Hochzeit, und legte bey dieser Gelegenheit alles ihr Silber und alle ihre goldnen und mit Edelgesteinen besetzten Becher und Trinkschalen aus, um ihren Geliebten durch die Größe seines Glücks zu desto lebhafterer Dankbarkeit aufzufordern. Alles ging so gut wie sie es nur wünschen konnte – als auf einmahl der von allem unterrichtete Apollonius erschien, und der Hochzeitfreude ein Ende machte. Das, wodurch dieser außerordentliche Mann den größten Theil seiner Wunder wirkte, (sagte Menippus) war die majestätische Länge und Schönheit seiner Gestalt, und die Magie seiner Beredsamkeit, die durch sein Ansehen und den Ton seiner Stimme eine hinreißende Gewalt bekam – kurz, ein Äußerliches, wodurch er Königen und dem Kaiser Domizian selbst eine Art von Ehrfurcht zu gebieten gewußt hatte. Was Wunder, daß eine so mancher Schuld sich bewußte Dirne, wie diese, von der unerwarteten Gegenwart und der donnernden Anrede eines solchen Mannes , der sie eine Lamie schalt und seinen Freund aus ihren Klauen, wie er sagte, zu retten gekommen war, zu Boden geworfen wurde? Das Gastmahl, das Gold und Silber und die Bedienten verschwanden freylich, aber auf ihren eigenen Wink. Die bestürzte Fönizierin fiel dem Apollonius zu Füßen: allein, was hätten ihre Bitten und Thränen über diesen Mann vermögen sollen? Er führte die angefangene Vergleichung ihres Karakters und ihrer bisherigen Lebensart mit dem, was von den Lamien oder Empusen gefabelt wird, ohne alle Schonung und mit Worten von solchem Nachdruck aus, daß das arme Weib beynahe selbst zweifelte ob sie nicht wirklich eine Lamie sey und endigte damit, daß er den erschrockenen und beschämten Menipp, mit der Autorität, die er sich über seine jungen Freunde zu geben wußte, beym Arm ergriff und mit sich davon führte, indem er zugleich der verblüfften Lamie befahl, unverzüglich aus Korinth zu verschwinden, und sehr nachdrückliche Drohungen hinzu fügte, wofern sie sich unterstände jemahls wieder einem seiner Freunde nachzustellen.


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