Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Lucian. In der That ist die heroische Entschließung, sein Leben in einem unaufhörlichen Kriege mit den Thorheiten und Lastern, oder, was noch gefährlicher ist, mit den Narren und Schelmen seines Zeitalters zuzubringen, kein sonderliches Mittel sich beliebt zu machen, und ich könnte dir davon ein Lied aus eigener Erfahrung singen. Indessen kommt es auch hierin, wie in allen Dingen, auf ein wenig mehr oder minder, und vornehmlich auf die Sinnesart und innere Stimmung desjenigen an, der sich dieser gefährlichen Profession widmet. Ich gebe zu, daß es Fälle giebt, wo die wärmste Liebe zur Menschheit in eine Art von Abscheu vor den Menschen, die uns umgeben, umschlagen kann. Aber ich zweifle sehr, ob dieß so leicht ohne Beymischung irgend einer sauren Leidenschaft von der eigennützigen Art geschehe; und bey genauerer Untersuchung wird sich wohl meistens finden, daß es gekränkte Eigenliebe, nicht Liebe zur Menschheit ist, was diejenigen, die in der Jugend immer mit Übermaß liebten, im Alter zu Misanthropen macht. Ich glaube dir nicht Unrecht zu thun, Freund Peregrin, wenn ich annehme, daß es auch dir so ergangen sey, und daß an dem Heldenmuthe, womit du die Thorheiten und Laster deiner Zeitgenossen bekämpftest, ein wenig Bitterkeit und versteckte Rachbegierde Antheil gehabt habe. Doch gestehe ich gern, daß ich mir an einem zu Selbsttäuschungen so außerordentlich aufgelegten Sterblichen, auch ohne dieß, sehr gut erklären kann, wie der bloße Gedanke, allein gegen das ganze Menschengeschlecht zu stehen, und, als ein neuer moralischer Herkules, sich durch Bekämpfung der sittlichen Ungeheuer, von denen du die Welt verwüstet und geängstiget sahest, den Weg zu den Göttern zu eröffnen, wie dieser Gedanke den Mann, dem bereits zwey große Versuche, sich über die gewöhnliche Menschheit empor zu schwingen, so übel mißlungen waren, zum irrenden Ritter der cynischen Tugend machen konnte.

Peregrin. Ich habe mich dir nun einmahl Preis gegeben, Lucian, und nach allen Bekenntnissen, die ich bereits abgelegt, würde eine Apologie für die, so ich noch zu thun habe, sehr überflüssig seyn. Warum sollte ich dir also nicht unverhohlen gestehen, daß die seltsame Idee – oder Grille, (wenn du sie lieber so nennen willst) die sich meiner Imaginazion von früher Jugend an bemächtigt hatte, und durch meine Verbindung mit den Christianern nur anders gestaltet, nicht verdrängt worden war, die Einbildung, oder, wie ich in ganzem Ernste glaubte, das innige Bewußtseyn meiner dämonischen Natur, (welches mich unter keinen Umständen gänzlich verlassen, und dann, wenn ich mich am tiefsten niedergedrückt fühlte, immer am stärksten empor gehoben hatte) um diese Zeit wieder mit neuer Lebhaftigkeit erwachte; daß ich mich kraft derselben wirklich berufen fühlte, in einem geistigen und moralischen Sinne meinem Zeitalter das zu seyn, was der Thebanische Herkules dem seinigen gewesen war, und daß dieß von nun an die herrschende Vorstellung ward, die mich durch mein übriges Leben führte, und mich zuletzt mit dem Gedanken begeisterte, es auf Herkulische Art zu Olympia in den Flammen zu endigen?

Ein so hoher Beruf schien mir eine ganz besondere Vorbereitung zu erheischen. Denn, wiewohl ich bey den Christianern mehrere Jahre lang ein sehr strenges Leben geführt hatte, so warnte mich doch das, was mir mit Schwester Theodosien im Gefängniß zu Antiochia begegnet war, zu stark vor der Möglichkeit eines Rückfalls; und ich sah mich, auch außer diesem, bey der neu erwählten Lebensweise so manchen Anfechtungen anderer Leidenschaften ausgesetzt, daß ich, um dem Dämon in mir eine unbeschränkte Gewalt über den Menschen, an welchen er noch gebunden war, zu verschaffen, es schlechterdings bis zu der vollkommensten Apathie bringen mußte, deren ein eingefleischter Genius nur immer fähig ist. Ich mußte nicht nur Mangel an allen Bequemlichkeiten und, im Nothfalle, selbst an den Bedürfnissen des Lebens, Frost und Hitze, Hunger, Durst und alle Arten körperlicher Schmerzen so leicht ertragen können, als ob es nicht ich, sondern ein anderer wäre, der sie litte; ich mußte nicht nur gegen alle Reitze der Sinnenlust und gegen alle Arten von Verführung so unempfindlich seyn als ein Marmorbild; ich mußte es auch gegen die empfindlichste aller Beleidigungen, gegen die Verachtung der Menschen seyn. Alles dieß erforderte vielfältige und langwierige Übungen, – Übungen, welche mir (da es zu meinem Plan gehörte, bey manchen derselben keine Zeugen zu scheuen) von vielen den Nahmen eines Narren und Wahnsinnigen zuzogen, und zu dem, was dein Ungenannter von Elis (wiewohl mit ziemlicher Überladung) davon erzählte, einen sehr natürlichen Anlaß gaben.

Ich zweifle sehr ob irgend einer von den heiligen Faunen und Satyrn, von welchen die Thebaide bald nach unsern Zeiten bevölkert wurde, seinen Witz zu Erfindung neuer Übungen dieser Art eifriger angestrengt haben könne als ich. Wirst du es mir wohl glauben, wenn ich dir sage; daß ich – um auf allen Fall gewiß zu seyn, daß ich auch die Probe, worauf die schöne Fryne die Weisheit des Platonischen Xenokrates gestellt haben soll, rühmlich bestehen könnte – die Selbstpeinigung so weit trieb, eine der reitzendsten Hetären in Alexandrien eine ganze Nacht durch neben mir liegen zu lassen, und daß ich wirklich so viel Gewalt über mich und sie behielt, daß sie sich auch nicht des kleinsten Sieges über meine Enthaltsamkeit zu rühmen hatte?

Lucian. Bravo, Freund Peregrin! Robert von Arbrissell ist also nicht nur nicht der erste, der dieses gefährliche Experiment glücklich überstanden hat: er muß dir den Vorzug auch deßwegen lassen, weil er es zwischen zwey jungen zuchtvollen Klosterschwestern anstellte; welches ohne Vergleichung leichter war, als neben einer einzigen Priesterin der Venus Pandemos.

Peregrin. Ich erwähnte dieser Anekdote bloß als einer Probe, wie Ernst es mir mit meinen Übungen war, und wie sauer ich es mir werden ließ, meinem Vorbilde – dem von Epiktet hinterlassenen Ideal eines echten und vollkommnen Cynikers – Zug für Zug gleichförmig zu werden. Alle diese Sonderbarkeiten zogen mir zwar, wie gesagt, unter einem so verfeinerten und üppigen Volke wie die Einwohner von Alexandria waren, einen sehr zweydeutigen Ruf zu; aber es fanden sich doch auch mehrere, die den Karakter einer hohen und beynahe mehr als menschlichen Weisheit darin zu sehen glaubten, und von mir als einem neuen Sokrates, Antisthenes und Epiktetus sprachen. Auch fehlte es mir (wiewohl Agathobulus selbst sich einige Spöttereyen, die von Mund zu Mund in der Stadt herum gingen, gegen mich erlaubt hatte) nicht an Schülern, die von dem Enthusiasmus, womit ich ihnen von der Würde, Freyheit und Eudämonie eines nach den strengsten Grundsätzen des wahren Cynismus geführten Lebens sprach, um so mehr überwältiget wurden, da sie bey mir eine Übereinstimmung zwischen Lehre und Ausübung wahrnahmen, welche an der prunklosen Weisheit des von allen Extremen gleich weit entfernten Agathobulus nicht so stark in die Augen fiel.

Ich hatte bereits über zehen Jahre (einige Reisen in Oberägypten und zu den Äthiopischen Gymnosofisten abgerechnet) in dieser Lebensart zu Alexandrien zugebracht, als ich mit einem jungen Römer von Rang und großem Vermögen, Nahmens Cejonius, bekannt wurde, der an meiner Person und an meinen Reden außerordentlich viel Geschmack zu finden schien, und, nach langem Widerstand, endlich von mir erhielt, daß ich ihn nach der Hauptstadt der Welt begleitete; welcher es, wie er sagte, seit dem berühmten Demetrius (dem Freunde eines Pätus und Seneka) an einem Manne gefehlt habe, der mitten in diesem unendlichen Strudel von prachtvoller Sklaverey, Aufwartungen und Gastmählern, Sykofanten, Schmeichlern, Giftmischern, Erbschleichern und falschen Freunden, (wie er die Stadt Rom mit den Worten deines Nigrinus schilderte) den Muth hätte, einem jeden die Wahrheit zu sagen, und, unter dem buntesten Gewühl und Gedränge aller Arten von Thoren, Gecken und Narren, das Leben eines Weisen zu leben.

Ich kann es ruhig deiner eigenen Schätzung überlassen, lieber Lucian, wie viel Antheil meine Eitelkeit – eine Schwachheit, von welcher ich mich darum nicht frey sprechen möchte, weil ich mir ihres Einflusses auf meine Entschließung nicht bewußt war – an meiner Gefälligkeit gegen das unabweisliche Anhalten meines jungen Römers hatte. Der Zauberspiegel in meinem Kopfe, worin ich alles sah, und so oft falsch sah was die gemeinsten Menschen mit bloßer Hülfe ihrer Leibesaugen richtig sehen, stellte mir freylich, ungeachtet der wenig geschmeichelten Abschilderungen, die mir mein edler Freund von der Königin des Erdkreises machte, alles ganz anders vor, als ich es in der Folge aus Erfahrung kennen lernte. Ich könnte jetzt noch über mich selbst lachen, wenn ich mich erinnere, mit was für Hoffnungen ich meinen jungen Führer nach Italien begleitete, und wie ich albern genug war, mir einzubilden, daß Peregrinus Proteus von Parium nicht ein Jahr zu Rom gelebt haben werde, ohne eine mächtige Umgestaltung in den Sitten und der Denkart der ausgearteten Quiriten hervorgebracht zu haben. Aber ein Kopf wie der meinige konnte auch nur durch unangenehme Gefühle überführt werden, daß er sich selbst immer zu viel zutraue, und von andern immer mehr erwarte als sie leisten wollten oder konnten.

Das erste, worin ich mich häßlich betrogen fand, war der Karakter des jungen Römers, dem ich mich anvertraut hatte. Die frühzeitige Kultur, welche seines gleichen zu erhalten pflegen, gab ihm, so bald er wollte, einen Anschein von Reife, von dem ich mich um so leichter hintergehen ließ, weil in der Anhänglichkeit, die er mir zeigte, wirklich etwas persönliches war. Ich schmeichelte mir, einen jungen Mann von so glücklichen Anlagen nach und nach völlig gewinnen zu können, und, da er sowohl durch sein großes Vermögen als durch die Verwandtschaft seines Hauses mit dem kaiserlichen zu den ersten Stellen im Reiche berufen war, ihn zum Werkzeuge der großen Reformazion zu machen, von welcher ich mir in meiner Einsamkeit zu Alexandrien einen schönen Plan geträumt hatte, dessen Realisierung lediglich von der einzigen kleinen Bedingung abhing, den regierenden Theil der Welt in Weise und den gehorchenden in Patrioten zu verwandeln.

Lucian. Ein artiges kleines Projekt!

Peregrin. Unglücklicher Weise hatte mein edler Römer, der mich zu Alexandrien mit so vielem Vergnügen über Staats- und Sittenverbesserung und über alles, was in dieses Fach (worüber sich so schöne Dinge sagen lassen) einschlug, deklamieren hörte, keinen Begriff davon, daß solche Diskurse einen andern Gebrauch und Zweck haben könnten, als in müßigen Stunden zu einer leidlichen Unterhaltung zu dienen. Überdieß lebte er zu Rom in einem solchen Wirbel von Zerstreuungen, daß ich ihn, außer dem Tafelzimmer, sehr selten und immer nur auf Augenblicke zu sprechen bekam. Kurz, es zeigte sich in wenig Wochen, daß er, indem er einen Griechischen Filosofen in seinem Hause unterhielt, sich eigentlich nur einer damahls herrschenden Mode fügen wollte, und daß seine Wahl bloß darum auf mich gefallen war, weil er auf seinen Reisen keinen andern gefunden hatte, der ihm besser anstand, und mit dem er sich zu Rom mehr Ehre machen zu können glaubte. Denn der Kontrast, den mein Äußerliches mit meinem cynischen Aufzuge machte, konnte für eine Art von Seltenheit gelten; und der junge Herr schien sich nicht wenig darauf einzubilden, einen Hausfilosofen zu besitzen, von welchem jedermann gestehen mußte, daß er einer Büste des Pythagoras, die in seiner Bibliothek parodierte, so ähnlich sehe, als ob sie von ihm abgeformt wäre. Ich habe dir, lieber Lucian, schon zu viel gebeichtet, das meiner Klugheit nicht zur Ehre gereicht, um dir zu verschweigen, daß es eine ziemliche Zeit währte, bis ich über mein Verhältniß mit dem edeln Cejonius im Klaren war: aber von dem Augenblick an, da ich es war, hörte auch, meiner alten Gewohnheit nach, alle Gemeinschaft zwischen uns auf. Ich verließ sein Haus auf der Stelle, und, nicht zufrieden, ihm selbst, mit aller Bitterkeit der gedemüthigten Eigenliebe, sehr derbe Wahrheiten ins Gesicht gesagt zu haben, glaubte ich der Filosofie noch die Genugthuung schuldig zu seyn, öffentlich gegen ihn und die edle Römische Jugend, die ich in seinem Hause kennen gelernt hatte, in einem sehr heftigen Tone los zu ziehen. Ein Betragen, wodurch ich meinen gewesenen hohen Freund zu bittern Klagen über meine Undankbarkeit berechtigte, und den ersten Grund zu mancherlei Unannehmlichkeiten legte, die ich während meines Aufenthalts in Rom zu erdulden hatte. Ohne Zweifel würden die Folgen der Unklugheit, die ich bey dieser Gelegenheit zu Tage legte, noch verdrießlicher für mich gewesen seyn, wenn Cejonius und sein Anhang sich nicht vor dem erklärten Thronfolger, dem Cäsar Markus Aurelius, gescheuet hätten, unter dessen unmittelbarem Schutze gewisser Maßen alle Filosofen des stoischen und cynischen Ordens standen, und unter dessen Hausgenossen ich einige warme Freunde hatte.


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