Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Peregrin. Du wärest also, an meinem Platze, weiser gewesen als der Pythagorische Timäus beym Plato, der die religiöse Tradizion der Griechen auf einen sehr festen Grund gesetzt zu haben vermeint, indem er behauptet: »Ihre alten Sänger und Dichter hätten als Göttersöhne von den Angelegenheiten und Thaten ihrer Ahnen und ihrer ganzen Sippschaft natürlicher Weise am besten unterrichtet seyn müssen; und es sey also, wie unerweislich und unglaublich auch ihre Nachrichten an sich seyn möchten, für uns Menschensöhne schon genug, daß sie uns von Göttersöhnen gegeben würden, um sie mit gebührender Ehrfurcht für hinlänglich beglaubigte Thatsachen gelten zu lassen.«

Lucian. Ich mache deinem Verstande wohl kein großes Kompliment, Peregrin, wenn ich ihm zutraue, daß ein Argument von dieser Stärke selbst in dem höchsten Punkt der Wärme deines Kopfes keinen großen Vortheil über dich erhalten hätte?

Peregrin. Bey allem dem wäre es nicht mehr als billig, das Ansehen solcher Männer wie Timäus einem jungen Menschen zu Statten kommen zu lassen, welchen, außer der Wärme seines Kopfes und seinem angebornen Hang zum Außerordentlichen, noch der mechanische Einfluß der Gewohnheit, von Kindesbeinen an Göttersöhne geglaubt zu haben, in diesem Stücke etwas leichtgläubig machen mußte. Allein die Gründe des Glaubens , zu welchem ich mich durch die Unterredung mit meinem Wegweiser so mächtig hingezogen fühlte, hatten (um nicht ungerecht zu seyn) ein ganz anderes Gewicht, als Timäus oder Plato selbst – der mir in dieser Sache ohnehin der Ironie verdächtig ist – demjenigen, dem sie das Wort zu reden scheinen, jemahls verschaffen können. Wie scheinbar auch beym ersten Anblick die Ähnlichkeit seyn mag, die du unter den Göttersöhnen aller Völker und Zeiten findest, so war doch der Vorzug und die Überlegenheit desjenigen, mit welchem ich seit kurzem durch die Christianer bekannt geworden war, so groß, so wesentlich, so unverkennbar – –

Lucian. Um Vergebung, lieber Peregrin, daß ich dir in die Rede falle! Aber es bedarf, wie du selbst siehest, keiner Rechtfertigung über diesen Punkt. Wir sind ja beide schon lange im Klaren, und ich hatte Unrecht, dich durch eine Anmerkung, die uns in ganz unnöthige Erörterungen verwickeln könnte, in deiner Erzählung zu unterbrechen.

Peregrin, nach einer kleinen Pause. Die Geschäfte meines Vaters in Mitylene waren so dringend und die Zeit meiner Zurückkunft nach Parium so nahe, daß ich, wie schwer es mir auch wurde mich von meinen neuen Freunden so bald wieder zu trennen, nicht daran hätte denken dürfen, länger zu verweilen, wenn auch mein gastfreyer Wirth auf einen längern Aufenthalt angetragen hätte. Ich schied also mit Aufgang der Sonne von ihm und von meinem Wegweiser, der, indem er es einem der Hausgenossen unsers Wirthes überließ, mich vollends auf die Straße nach Pitane zu bringen, mich sehr liebreich umarmte, mit der Versicherung, daß wir uns eher, als ich vielleicht vermuthete, wiedersehen würden. Er weigerte sich sehr ernstlich eine Belohnung von mir anzunehmen; und da ich schlechterdings darauf bestand, bequemte er sich endlich nur in so ferne dazu, als es eine milde Handreichung zu den Bedürfnissen nothleidender Brüder seyn sollte, für welche von den Beyträgen der Begüterten aller Gemeinen in jeder Provinz eine gemeinschaftliche Kasse errichtet sey. Unter diesem Titel allein, sagte er, könne er meine Gabe annehmen, da er mich, wenigstens dem guten Willen nach, bereits als einen Bruder zu betrachten Ursache habe.

In der That hatte ich ihm zu warme und positive Versicherungen über diesen Punkt gegeben, als daß er sich etwas andres zu mir hätte versehen können: und wenn du dich des Gemüthszustandes erinnerst, worin mich die erste Erscheinung des Unbekannten zu Smyrna antraf, und alle die Eindrücke, die von jenem Abend an auf mich gemacht worden waren, zusammen nimmst, so wirst du nichts Unbegreifliches darin finden, daß ich mich (um dir einen deiner Lieblingsausdrücke abzuborgen) den Kopf zu unterst in einen Glauben stürzte, der meinen schönsten Gefühlen und erhabensten Ideen so angemessen war, daß ich diese jetzt als bloße Ahnungen betrachtete, deren wirkliche Gegenstände mir nun bald in ihrer ganzen Fülle mitgetheilt werden sollten.

In der größten Lebhaftigkeit erwachte jetzt, da ich mir selbst und meinen Betrachtungen überlassen war, alles wieder in mir, was mich der Unbekannte hatte hoffen heißen, und mir war als hörte ich die emfatischen Worte noch in meinen Ohren klingen: »Bald wird die Decke von deinen Augen fallen! Du wirst in Mysterien, wovon die zu Eleusis nur täuschende Schatten sind, zum Anschauen eines ganz andern Lichtes kommen, und ein ganz andrer Führer der Seelen, als jener fabelhafte Hermes, wird das Göttliche in dir zu seinem Ursprung zurück führen!« – Und nun kannst du dir leicht vorstellen, mit welcher Ungeduld ich eilte, die Hindernisse, die noch in meinem Wege lagen, auf die Seite zu schaffen, und wie ich wachend und schlafend nichts andres dachte und träumte, als mich so bald nur immer möglich von allen andern Verhältnissen los zu machen, um mich gänzlich dem großen Beruf zu widmen, zu welchem ich erwählt war. Denn, hatte nicht der Unbekannte das Zeichen meiner Erwählung auf meiner Stirne gesehen?

Lucian. Da du doch selbst wieder auf deinen Unbekannten gekommen bist, so wär' es, däucht mich, wohl einmahl Zeit, daß er aus dem geheimnisvollen Nebel, worein er sich schon so lange, gleich einem Homerischen Gott, eingehüllt hat, hervor träte, und uns wissen ließe, wer er eigentlich sey, und durch was für eine Magie er dazu gekommen, bey euerem ersten Zusammentreffen dir nicht nur alles was damahls in dir vorging, sondern sogar alles was lange vorher mit dir vorgegangen war, an den Augen anzusehen? Suchtest du nicht von deinem Wegweiser einige Erkundigungen über seine Person einzuziehen?

Peregrin. Allerdings; aber alles was ich heraus brachte, war bloß, daß er Vorsteher einer ansehnlichen Anzahl Asiatischer Gemeinen, und ein Lehrer, oder (wie sie es nannten) ein Profet von großer Geisteskraft und hoher Erleuchtung in göttlichen Dingen sey. Mehr, sagte mein Mann, könne er mir, ehe ich unter die EpoptenSo hießen die Iniziierten der Eleusinischen Mysterien, nachdem sie zum Anschauen des Lichts gelangt waren. Die Christianer entlehnten bekannter Maßen dieses Wort, wie mehrere andere dieser Art, um es auf ihre Mysterien anzuwenden. aufgenommen sey, nicht entdecken; und daran, lieber Lucian, wirst auch Du dich vor der Hand begnügen müssen, bis die Zeit mehr ans Licht bringen wird.

Ich bin bey Erzählung der Begebenheiten, die mich mit den Christianern bekannt machten, und die Entschließung, mich unter sie zu begeben, herbey führten und beförderten, vielleicht in kleinere Umstände hinein gegangen, als ein Erzähler, dem vor der Gefahr langweilig zu werden bang ist, sich erlauben sollte. Aber ich glaubte so umständlich seyn zu müssen, weil ich dir begreiflich machen wollte, wie es ohne einen Sprung (den die Natur niemahls thut) möglich war, daß aus einem Epopten der Mysterien der Venus Mamilia in so kurzer Zeit einer der eifrigsten Neofyten werden konnte, die mein Unbekannter für sein tausendjähriges Lichtreich jemahls angeworben haben mochte.

Lucian. Du hast deine Absicht erreicht, Peregrin –

Peregrin. Und ich werde also um so füglicher die Geschichte mehrerer Jahre, die noch bis zu dem Zeitpunkte, da ich eine nicht ganz unbedeutende Person unter den Christianern vorstellte, verstrichen, ins kurze zusammen fassen können.

Bey meiner Zurückkunft in das väterliche Haus fand ich meinen Vater von den Beschwerden des Alters früher übereilt, als ich es seinen Jahren nach vermuthet hätte, und daher entschlossen, seine Handlung aufzugeben, mit allen seinen Korrespondenten Richtigkeit zu machen, und den Rest seines Lebens in gemächlicher Ruhe unter seinen Freunden in Parium hinzubringen. Diesem Vorhaben zu Folge säumte er nicht, mir anzukündigen: daß er mich bloß deswegen zurück berufen habe, um alle seine noch übrigen Geschäfte, besonders diejenigen, die mit größern oder kleinern Reisen nach verschiedenen Handelsplätzen des schwarzen, Ägeischen und Cilicischen Meeres verbunden waren, auf die jüngern Schultern seines einzigen Sohnes abzuwälzen. Wiewohl nun nichts in der Welt mit meinen Neigungen weniger zusammen stimmte als die Lebensart, wozu ich dadurch verdammt wurde; so fühlte ich doch meine Pflicht stark genug, um mich ihren Obliegenheiten mit so guter Art zu unterziehen als mir möglich war.

Lucian. Im Grunde, lieber Peregrin, lag es nicht an deinem Schicksale, wenn du von der Überspannung, die dich bisher in so sonderbare und so weit außer dem gewöhnlichen Wege liegende Abenteuer verwickelte, nicht bey dieser Gelegenheit noch zu rechter Zeit um einige Grade herab gestimmt wurdest. Eine beschäftigte Lebensart, häufige Reisen, und die mannigfaltigen Verhältnisse mit allerley Arten von alltäglichen Leuten, in welche man dadurch gesetzt wird, sind sonst immer das sicherste Mittel die übermäßige Lebhaftigkeit der Einbildung zu schwächen, und einen Platonischen Schwärmer, unvermerkt und zu seiner eigenen Verwunderung, in einen Menschen wie andere umzugestalten.

Peregrin. In der That begegnete mir auch bey dieser Gelegenheit wieder etwas menschliches. Nicht als ob mein Entschluß, mich so bald als immer möglich unter die Christianer zu begeben, wankend gemacht worden wäre. Im Gegentheil, je weniger ich an den Geschäften und Zerstreuungen meiner neuen Lebensart Vergnügen fand, und je auffallender der Kontrast war, den die Menschen, mit welchen ich zu verkehren hatte, mit jenen arglosen und gutherzigen Geschöpfen machten, unter welche mich mein Wegweiser von Pergamus hatte verirren lassen: desto ungeduldiger ward von Zeit zu Zeit meine Sehnsucht nach der unbewölkten Stille der Seele und der reinen Eudämonie, wozu ich nirgends als unter so guten Menschen gelangen zu können glaubte. Aber eben dieß hing an einer in mir vorgegangenen Veränderung, die vermuthlich unter andern Umständen nicht so bald erfolgt wäre. Das, was du meine Schwärmerey nennest, bekam allmählich eine andere Richtung. Je mehr Gewalt die Einwirkungen der äußern Sinnenwelt über mich erhielten, je stumpfer wurde der innere Sinn für die geistigen Erscheinungen der fantastischen Ideenwelt, in welcher ich ehemahls gelebt hatte. Anstatt daß einst das Ziel aller meiner Wünsche gewesen war, unter höhern Wesen das Leben der Geister zu leben, und mich bey lebendigem Leibe zum Dämon zu entkörpern, – fühlte ich jetzt kein dringenderes Bedürfniß, als von aller Verbindung mit Menschen, deren ganze Art zu seyn in ewigem Widerspruch mit meinem Ideale von Harmonie und Schönheit stand, je eher je lieber befreyt zu werden, um in einer kleinen Gesellschaft unverfälschter, durchaus guter Menschen zu leben, an deren Anschauen meine Seele immer reines Wohlgefallen haben, und über die ich die ganze Fülle meiner Liebe, ohne Furcht vor Täuschung und Reue, ohne Gefahr von ihren Leidenschaften und Sitten angesteckt zu werden, ergießen könnte. Mit Einem Worte, Lucian, die magische Schwärmerey meiner frühern Jugend ging unvermerkt, eine Zeit lang wenigstens, in eine moralische über, welche mich zwar wieder neuen Illusionen der Einbildung und des Herzens aussetzte, aber doch zugleich dem, was in meinen Augen die Vollkommenheit des Menschen ist, näher brachte, und vielleicht ein Mittelzustand war, durch welchen ich nothwendig gehen mußte, um auf den geradesten Weg, der zu jener Vollkommenheit führt, zu kommen.

Lucian. Das wollen wir sehen! Aber wie benahmen sich inzwischen der Unbekannte und der Wegweiser?


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