Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Lucian lachend. Was für ein Gedächtniß du hast, Peregrin! Wie? du erinnerst dich noch der ziemlich schmutzigen Tunika, worin ich dich in meiner Erzählung vor dem Scheiterhaufen paradieren ließ?

Peregrin. Wäre sie zufälliger Weise (wie es sich doch auch hätte fügen können) just schneeweiß gewesen, so würdest du es mir, in der Laune worin du damahls warst, zur Hoffart ausgedeutet haben. – Der Schmutz also – war das einzige, worüber ich mit dem Cynismus kapitulierte; ich wollte, im Nothfall, lieber thierischer essen, um etwas menschlicher gekleidet zu seyn. Ich machte mir also zum Gesetz, das Wasser nicht zu sparen, da ich es doch beynahe überall, so gut als die freye Luft, umsonst haben konnte. Indessen gestehe ich gern ein, daß ich keinen Anspruch an den Titel eines eleganten Cynikers machte. Ich vertauschte nun den Nahmen Peregrinus, den ich unter den Christianern geführt hatte, wieder mit dem Nahmen meines Großvaters Proteus, und schickte mich zu meiner Reise nach Ägypten an, über welcher, da ich sie zu Fuße machte, und überall, wo die Natur meinem Geiste oder gute Menschen meinem Herzen Nahrung gaben, verweilte, beynahe ein ganzes Jahr verstrich.

Aber, ehe ich zu meinem Aufenthalt bey Agathobulus komme, muß ich noch mit zwey Worten berichtigen, was der Ungenannte zu Elis von dem vergeblichen und schimpflichen Prozesse sagt, den ich mit den Parianern wegen der bewußten Schenkung vor dem Kaiser geführt haben sollte. Es ist, wie an allen seinen Anekdoten, etwas wahres auch an dieser, aber mit so viel Unwahrheit vermischt, als er nöthig hatte, damit eine an sich sehr unschuldige Handlung mich bey seinen Zuhörern zugleich lächerlich und verächtlich machen müßte. Die Sache verhielt sich so.

Es waren einige Jahre verstrichen, ehe meine Verwandten zu Parium erfuhren, daß ich das vorerwähnte kleine Gütchen in Bithynien, woraus ich meinen nothdürftigen Unterhalt zog, aus dem allgemeinen Schiffbruche meines Vermögens gerettet hätte. Der Streich, den ich ihrer Bosheit durch die mehr erwähnte Schenkung gespielt hatte, war zu empfindlich, als daß sie nicht jede Gelegenheit, sich deswegen zu rächen, mit Begierde hätten ergreifen sollen. Sie zeigten also die gemachte Entdeckung dem Volk an, und behaupteten: da ich mir in der Schenkung, die ich der Stadt Parium von meinen noch übrigen liegenden Gründen gemacht, nichts ausdrücklich vorbehalten hätte; so wäre unstreitig auch der Bithynische Meierhof darunter begriffen, und die Stadt wäre nicht nur vollkommen berechtiget denselben als ihr Eigenthum anzusprechen, sondern auch den Ersatz der seit mehrern Jahren von mir bezogenen Nutznießung zurück zu fordern. Die Parianer ließen sich dieß wohlgefallen, und fanden bey dem Statthalter von Bithynien so gutes Gehör, daß sie ohne weitere Untersuchung in augenblicklichen Besitz gesetzt wurden. Ich befand mich damahls noch zu Alexandrien, und erfuhr diesen Vorgang nicht eher als durch das Ausbleiben meines kleinen Einkommens, welches mir jährlich durch die Vermittelung eines alten Freundes zu Smyrna (eines ehemahligen Freygelaßnen meines Vaters) zugeflossen war. Die Verlegenheiten, in welche ich dadurch gesetzt wurde, nöthigten mich an die Parianer zu schreiben, und ihnen mit allem nur möglichen Glimpf vorzustellen: wenn ich mich auch in der Schenkungsurkunde unvorsichtiger Weise so ausgedrückt hätte, daß sie meinen eignen Buchstaben gegen mich geltend machen könnten; so forderte doch die Billigkeit von ihnen, zu bedenken, daß es unmöglich meine Meinung habe seyn können, mich selbst zu ihrem Vortheil sogar des Unentbehrlichsten, was ich zum Leben nöthig hätte, zu berauben. Weil aber diese Vorstellungen ohne Wirkung blieben, wandte sich mein Smyrnischer Freund, wiewohl er keinen Auftrag dazu von mir hatte, aus bloßem Mitleiden in meinem Nahmen unmittelbar an den Kaiser: aber alles was er auch bey diesem mit vielem Bitten und Betreiben ausrichtete, war, daß das strenge Recht den Sieg erhielt, und Supplikant mit seinem unstatthaften Begehren zur Ruhe verwiesen wurde.

Dieser Handel brachte mich dahin, meine tägliche Ausgabe vor der Hand von vier Obolen auf zwey zu beschränken; bis es bald genug so weit mit mir kam, daß ich mich, um meinen Unterhalt von niemand als eine Wohlthat zu erbetteln, entschließen mußte, täglich in den Hafen herab zu steigen, und durch einige Stunden harter Arbeit so viel zu verdienen, daß ich dem Hunger wehren konnte. Ich hatte diese Lebensart bereits eine geraume Zeit, zu großem Vortheil meiner Gesundheit, getrieben, als ein ganz unvermutheter Zufall mich mit einem Cyprischen Kaufmanne zusammen brachte, welchem ich vor mehr als zehen Jahren, in einer Verlegenheit, worein er, an einem Orte wo ihn niemand kannte, gerathen war, auf die bloße Bürgschaft seiner Fysionomie, oder vielmehr ohne jemahls auf Wiedererstattung zu rechnen, fünf tausend Drachmen geliehen hatte. Wiewohl dieß keine erhebliche Summe war, so war doch der Dienst, den ich dem Cyprier dadurch leistete, damahls von der äußersten Wichtigkeit für ihn; und da ich darauf bestand, ihm meinen Nahmen zu verbergen, so bestand er nicht weniger hartnäckig darauf, daß ich ihm versprechen mußte, wenn er jemahls so glücklich wäre mich wiederzufinden, so wollte ich mich nicht weigern das Doppelte von ihm anzunehmen. Wie wenig ließ ich mir damahls einfallen, daß ich diesen Mann in meinem Leben wiedersehen würde! Und nun liefen wir einander, nach eilf oder zwölf Jahren, unverhofft am Ufer von Alexandrien in die Hände, und glücklicher Weise mußte es sich fügen, daß die Fysionomie des Cypriers die Wahrheit gesagt hatte. Seine Freude mich wiederzufinden war so groß, als ob er alle sechs Zauberringe deines TimolausS. das Schiff oder die Wünsche, in Lucians Werken, 1. Theil, S. 317 f. auf einmahl gefunden hätte; aber sein Erstaunen war es nicht weniger, mich in Umständen zu sehen, worin mancher andere sich erlaubt hätte, einen ehemahligen Wohlthäter nicht wieder zu erkennen. Der Cyprier verkannte mich nicht. Er sagte mir, er wäre ein sehr reicher Mann; aber die Hälfte seines Vermögens würde nicht hinreichend seyn, ihn seiner Verbindlichkeit gegen mich zu entbinden: – kurz, er nöthigte mich auf die edelste Art, nun auch an meiner Seite die Bedingung, unter welcher er meine Wohlthat angenommen, zu erfüllen, und die Summe, die ihn gerettet hatte, doppelt von ihm zurück zu nehmen. Überdieß sagte er mir auch seinen Nahmen und den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts, und drang mir das Versprechen ab, wenn ich mich jemahls wieder in Noth befände, ihm vor allen andern Freunden, die ich haben könnte, den Vorzug zu gönnen. Ich sagte es ihm zu, machte aber nie Gebrauch davon. Mit zehen tausend Drachmen war ich nun, für einen cynischen Filosofen, ein Krösus. Ich überrechnete, wie weit ich damit reichen würde , wenn ich meine tägliche Ausgabe auf vier bis fünf Obolen festsetzte; und da ich nicht gesonnen war länger als bis zum sechzigsten Jahre zu leben, so fand sich, daß ich ohne irgend einen außerordentlichen Zufall meinen wackern Cyprier nicht weiter nöthig haben würde.

Der weise Agathobulus, dessen Ruf mich nach Alexandrien zog, erfüllte zwar die Vorstellung nicht ganz, die ich mir auf das Wort meines Freundes Dionysius von ihm gemacht hatte: und daran waren beide allerdings gleich unschuldig; denn welcher Sterbliche hätte einer Einbildungskraft wie die meinige ein Genüge thun können? Indessen war er doch unter den Lehrern der damahligen Alexandrinischen Schule der einzige, der mir einige Anhänglichkeit an seine Person einflößte. Agathobulus ist mit gleich wenigem Rechte bald unter die Epikuräer, bald unter die Cyniker gezählt worden; denn er war im Grunde keiner Sekte zugethan. Er schien das Ideal des Weisen, welches er sich selbst zum Kanon vorsetzte, aus dem, was ihm an mehrern Einzelnen das Schönste dünkte, wie Zeuxis seine Helena, zusammen gesetzt zu haben; und, wenn er ja mit einem von den Alten verglichen werden müßte, so hätte man ihn einen Aristipp in Gestalt eines Stoikers nennen können. So wie man ehemahls von Sokrates sagte, daß er die Filosofie vom Himmel herab gerufen, und sie mit den Menschen umzugehen und an den mannigfaltigen Verhältnissen ihres häuslichen und bürgerlichen Lebens Antheil zu nehmen gelehrt habe: so konnte man von Agathobulus sagen, er habe die Lebensweisheit des Diogenes in die gute Gesellschaft eingeführt, und, indem er die Strenge ihrer Maximen auf eine ihm eigene Art mit Urbanität und Grazie zu mildern wußte, Wahrheiten und Tugenden, welche sich gewöhnlich in den Zirkeln der Glücksgünstlinge weder hören noch sehen lassen können ohne überlästig oder lächerlich zu seyn, selbst dieser am meisten verfeinerten, und eben darum verderbtesten Klasse von Menschen ehrwürdig oder wenigstens erträglich gemacht. Da er ohne Leidenschaften war, und sich von Jugend an der strengsten Ausübung der stoischen und cynischen Grundsätze ohne Mühe unterworfen hatte, so war es ihm ein leichtes geworden, seine Sitten unter den Weltleuten rein zu erhalten. Er stand von der üppigsten Tafel eines Römischen Ritters so nüchtern auf als von einem Sokratischen Mahle, und die reitzendste Gaditanische Tänzerin ließ seine Sinne so ruhig als eine sechzigjährige Vestalin. Kurz, Agathobulus lebte die Weisheit die er lehrte, weil sie ihm eben so leicht auszuüben war als das Athemhohlen und Verdauen einem gesunden Menschen; und eben diese Leichtigkeit, die gegen die prunkvolle Gravität und steife Pedanterie seiner meisten Professionsverwandten so stark abstach, war die Ursache, warum die vornehmsten Römer und Griechen zu Alexandrien sich in die Wette beeiferten, ihn zum Tischgesellschafter zu haben. Wie die Eitelkeit der Menschen von allem, sogar aus dem, was ihr zur Beschämung dienen sollte, Nahrung zu ziehen weiß, so schienen besonders die Römischen Magnaten, die in dieser Hauptstadt Ägyptens sehr zahlreich waren, ihre Toleranz gegen manche an sich selbst unangenehme Wahrheiten, welche sie bey Gelegenheit von dem Filosofen hören mußten, sich selbst zu keinem geringen Verdienst anzurechnen; aber sie glaubten auch dadurch das Äußerste gethan zu haben, was sich von ihres gleichen erwarten lasse, und hielten sich durch diese Duldsamkeit ihrer an lauter Schmeicheley und Beyfall gewöhnten Ohren aller Verbindlichkeit überhoben, in ihren Urtheilen oder Handlungen auf besagte Wahrheiten die mindeste Rücksicht zu nehmen. Der gute Agathobulus, wenn seine Gefälligkeit gegen die Großen anders so uneigennützig war als sie es in der That zu seyn schien, verfehlte also seines Zwecks gerade durch das, was er für das einzige Mittel hielt dieser Klasse von Menschen beyzukommen. Man ließ ihm seine Filosofie hingehen, weil der Witz und die Laune, womit er sie würzte, seine Grillenfängerey (wie sie es nannten) unterhaltend machte; aber um aller Wahrheiten willen, die er ihnen täglich und oft mit großer Freymüthigkeit predigte, geschah nicht eine einzige Thorheit, Ungerechtigkeit und Schelmerey weniger in Alexandrien.

Die zweydeutige Figur, welche Agathobulus unter diesen Umständen machte, bestärkte mich nicht wenig in dem Gedanken, daß die Filosofie, wenn sie unter so verdorbnen Menschen, als unsre Zeitgenossen waren, wenigstens ihre eigene Würde behaupten wolle, anstatt das geringste von der Strenge und Austerität der Heroen des cynischen Ordens nachzulassen, sie vielmehr, wo möglich, noch weiter treiben, und den bloßen Gedanken verschmähen müsse, den Schleier der Grazien oder den Gürtel der Venus zu entlehnen, um sich zu einer gefälligen Gesellschafterin dieser Menschen zu machen, deren strenge Richterin und unerbittliche Zuchtmeisterin zu seyn sie berufen sey. Solche Betrachtungen konnten in einem Menschen meiner Art nicht lange müßig liegen. Die Erfahrungen, durch welche ich in der ersten Hälfte meines Lebens gegangen war, hatten mein Gemüth zu einer Art von Misanthropie gestimmt, deren in der That nur solche Menschen fähig sind, die, indem sie einem jeden mit Liebe, Zutrauen und Wohlwollen entgegen kamen, entweder allenthalben abgewiesen und zurück gestoßen wurden, oder, so oft sie sich den lockendsten Einladungen der Sympathie, den verführendsten Anscheinungen von Aufrichtigkeit und Wahrheit überließen, sich am Ende so grausam getäuscht und betrogen sahen, wie dieß in den wichtigsten Verbindungen meines vergangnen Lebens mein Fall gewesen war. Ich glaubte die Menschen zu hassen; aber im Grunde war es doch nur der Antheil den ich an ihnen nahm, war es doch nur die Liebe zur Menschheit, was mich zum Entschluß brachte, im ganzen Rest meines Lebens einen Weg einzuschlagen, der, anstatt mich für alles was ich von den Menschen gelitten hatte zu rächen, zu nichts führen konnte, als mich selbst, ohne Gewinn für mich oder andere, zum Gegenstand ihres Hasses zu machen. Denn wo anders hin hätte mich die Entschließung führen sollen, mit freywilliger Übernahme alles Ungemachs, das daraus erfolgen könnte, den herrschenden Maximen und Sitten meiner Zeit offene Fehde anzukündigen, und alle meine Reden und Handlungen zu einer immer währenden lebendigen Satire auf die Thorheiten und Laster der Menschen um mich her, und vornehmlich auf diejenigen zu machen, denen alle übrigen zu gefallen und zu schmeicheln beflissen waren?


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