Christoph Martin Wieland
Dschinnistan
Christoph Martin Wieland

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Ich fand die schöne Pasidora auf einem Kanapee sitzen, der die Bequemlichkeiten eines Ruhebettes hatte, wie es sich für eine Person zu schicken schien, auf deren lieblichem Gesichte noch einige Blässe und etwas Schmachtendes als Spuren dessen, was sie so lange gelitten hatte, zurückgeblieben war. Sie bat mich, neben ihr Platz zu nehmen, und dankte mir mit einem gefühlvollen Tone für das, was ich für sie getan hatte. Der Klang ihrer Stimme rührte mich sonderbar. Es war nicht die Stimme meiner Unbekannten; aber sie hatte etwas so Ähnliches mit ihr, daß mein Herz um so viel mehr zu ihrem Vorteil eingenommen wurde. Sie sprach wenig, aber ihre schönen Augen sprachen desto mehr. Ihre Blicke waren ebenso viele Pfeile der Liebe, die gerade ins Herz trafen, aber zu süße Wunden machten, als daß man daran denken konnte, sich ihnen zu entziehen. Jeder Teil ihres schönen Gesichtes war dieser zaubervollen Augen würdig, und alles zusammen machte ein Ganzes aus, das an Feinheit und Harmonie der Züge, an Vollkommenheit der Formen und Reinheit der Farbe alles unendlich übertraf, was ich je gesehen hatte. Denke dir noch hinzu, was die Seele der Schönheit ist, den Ausdruck der zartesten Empfindlichkeit und ein gewisses verborgenes Lächeln, das ihren Mund und ihre Wangen umfloß und alle Augenblicke neue Reize entstehen machte, die ebenso schnell wieder verschwanden, um andern Platz zu machen; und sage, ob es möglich war...»

«Armer Klodion», fiel ihm der schöne Fremde ins Wort, «wo blieb das Bild deiner liebenswürdigen Unbekannten, daß du fähig sein konntest, ein Gesicht, das nicht das ihrige war, so genau und so unbehutsam anzusehen?»

«Du wirst mich noch mehr bedauern, vielleicht auch entschuldigen, wenn du alles gehört haben wirst», fuhr der Sohn des Druiden fort. «So schwer es war, die Augen von einem so liebreizenden Gesichte zu verwenden, so fehlte es doch nicht an Versuchungen dazu. Die schöne Pasidora hatte auf ihrem weichen Polstersitz eine halb liegende Stellung genommen, welche mit allem möglichen Anstand die Reizungen ihrer ganzen Person in das vorteilhafteste Helldunkel setzte, das der schlaueste Maler zu einem Bilde von großer Würkung wählen könnte. Ihr Anzug war ein zauberisches Mittelding von Pracht, Geschmack und Simplizität. Ein leichter Schleier von durchsichtiger weißer Seide vertrat die Stelle des Kopfputzes, bloß um den Glanz ihrer Augen zu mildern und ihrem Gesicht einen Schein von reizender Mattigkeit zu geben. Eine sechsfache Schnur von großen Perlen schmückte ihre rundlichen Arme, als wär' es bloß, um die Weiße derselben noch auffallender zu machen. Ihre pechschwarzen Haare, gleichfalls mit Perlenschnüren durchwunden, fielen in langen, zierlich krausen Locken an dem schönsten Halse, der jemals einen so schönen Kopf trug, auf ihren Busen herab, der etwas weniger, als gewöhnlich ist, verhüllt war, vermutlich um ihrem Retter die Sorge zu benehmen, daß der bezauberte Pfeil eine Narbe zurückgelassen haben möchte. Gesteh es, liebster Osmandyas, meine Treue gegen die Unbekannte wurde auf eine schwere Probe gesetzt! Es war grausam, meinem Herzen und meinen Sinnen zugleich nachzustellen, und es gibt vielleicht keinen Sterblichen, der gegen die vereinigte Macht so vieler Reizungen ausgehalten hätte.

Ich fühlte die Gefahr, und meine Unruhe, welche (wie ich glaube) mehr ängstlich als zärtlich scheinen mußte, konnte der schönen Pasidora nicht verborgen bleiben. Sie fragte mit einem teilnehmenden Tone, was mir fehle, und setzte hinzu: Sie würde untröstlich sein, wenn mir das Verdienst, das ich mir um sie gemacht, vielleicht ein größeres Opfer kosten sollte, als sie mir zu vergüten fähig wäre.

Diese Rede war ein Dolch in mein Herz. Es fehlte wenig, daß ich meine geliebte Unbekannte nicht um ihren Beistand angerufen hätte. Ich erneuerte ihr in meinem Herzen die Schwüre einer ewigen unverbrüchlichen Treue; aber jeder Blick auf die allzu reizende Zauberin machte mich wider Willen treulos. Ich fühlte zu gleicher Zeit, daß mich nur die schleunigste Flucht retten könne und daß nicht einmal der Wunsch zu fliehen in meiner Gewalt war.

Während dies in meiner Seele vorging, bemühte ich mich, der schönen Pasidora eine Antwort zu geben, die ihr den Zustand meines Herzens verbärge, ohne ihre Eigenliebe zu beleidigen. Ich sagte ihr etwas, das nur sehr höflich sein sollte, aber, wie ich besorge, sehr zärtlich war; wenigstens schien sie es dafür genommen zu haben, weil sie sich dadurch berechtigt hielt, unter dem Vorwande der Dankbarkeit mich ihre Zuneigung mit weniger Zurückhaltung als bisher merken zu lassen.

Die Gefahr wurde jetzt mit jedem Augenblicke größer, und es war hohe Zeit, daß ich alle meine Kräfte zusammenraffte. Ich sagte ihr also: Es gebe für mich keine Belohnung in der Welt, die mit dem Vergnügen zu vergleichen sei, einer Person von ihrem Werte vielleicht mit meinem Schaden nützlich gewesen zu sein. Da ich aber versichert worden wäre, daß sie von ihrem Verfolger nun nichts weiter zu besorgen habe, so bäte ich um die Erlaubnis, mich von ihr zu beurlauben, weil eine Sache von der äußersten Wichtigkeit für mich meine Gegenwart an einem Orte erfordere, wo ich schon gestern, als ein unvermuteter Zufall mich vor die Pforte ihres Palastes gebracht, erwartet worden sei.

Diese Bitte, deren sie sich ganz und gar nicht versehen zu haben schien, brachte einen sehr sichtbaren Ausdruck von Verdruß in ihre schönen Gesichtszüge. Sie verbarg mir nicht, wie sehr es ihr auffalle, daß nach der Art, wie sie mir ihre Dankbarkeit beweise, die Entfernung von ihr die einzige Belohnung sei, die ich zu wünschen habe. Ich entschuldigte mich mit der Notwendigkeit, aber vermutlich in einem Tone, der sie glauben machte, daß mein Herz, wenigstens zur Hälfte, auf ihrer Seite sei. Denn auf einmal klärte sich ihr Gesicht wieder auf, und sie sagte mir mit der offensten und gelassensten Miene: Sie würde sich's nicht verzeihen können, wenn mir der Wunsch, sie zu verbinden, das geringste Opfer kosten sollte; das, was sie mir bereits schuldig sei, gäbe ihr kein Recht, noch neue Gefälligkeiten von mir zu erwarten; und wenn ich ihr nur diesen einzigen Tag schenken wollte, so wolle sie sich's gern gefallen lassen (setzte sie lächelnd hinzu), die Nacht derjenigen zu überlassen, welcher die vorige zugedacht gewesen sei.

Mein Unglück wollte, daß ich, bei so großer Ursache, mich vor ihr zu fürchten, nicht bedachte, wieviel ich wagte, wenn ich einen ganzen Tag der Macht ihrer Reizungen und der Verführung ihrer übel verhehlten Liebe ausgesetzt bliebe. Kurz, lieber Osmandyas, ich willigte ein; und nachdem sie einen so wichtigen Sieg über mich erhalten hatte, befahl sie einer ihrer Jungfrauen, mich in ein Zimmer zu führen, wo ich einige Stunden der Ruhe pflegen könnte.

Kaum sah ich mich allein, so war mein erster Gedanke, mir die Sicherheit, worin man wegen meines Bleibens war, zunutze zu machen und, ungeachtet meines der schönen Pasidora gegebenen Wortes, heimlich davonzugehen. Glücklich, wenn ich dieser Eingebung meines guten Genius gefolgt wäre! Aber der Gedanke, eine so liebenswürdige Person, die sich auf mein Wort verließ, zu hintergehen, hatte etwas so Niedriges und Grausames in meinen Augen, daß ich es unmöglich über mich gewinnen konnte, ihm Platz zu geben. Je weniger ich mir indessen den Zustand meines Herzens verbergen konnte, desto stärker war mein Vorsatz, mich gegen alle die Eindrücke zu waffnen, die ihre Schönheit und Liebe auf mich machen würden.

Gegen Mittag wurde ich wieder zu der Dame des Palastes gerufen. Ich fand sie in einem herrlichen Saale, der gegen eine Terrasse des Gartens offenstand, mitten unter ihren Jungfrauen, in einem morgenländischen Anzuge, der allen Grazien ihrer anmutsvollen Formen ein freieres Spiel zu geben schien. Ich konnte mich kaum enthalten, mich zu ihren Füßen zu werfen, und fühlte alle meine mutigen Entschließungen bei ihrem ersten Anblick dahinsterben.

Der peinliche Kampf, der jetzt von neuem in meinem Innern anfing, mußte mir ein zwangvolles und verlegenes Ansehen geben; aber sie schien es so wenig zu bemerken, daß sie vielmehr desto muntrer aussah und, wiewohl sie selbst über der Tafel wenig sprach, doch ihren Jungfrauen immer Gelegenheit gab, mich mit angenehmen Gesprächen zu unterhalten.

Nach der Tafel trug sie mir ein Schachspiel an; und wenn (wie ich nicht zweifeln kann) ihre Absicht war, mich in einem so engen Kreise, allen ihren zauberischen Reizungen gegenüber, vollends um die wenige Vernunft, von der ich noch Meister war, zu bringen, so hätte sie kein schlaueres Mittel, diese Absicht zu erreichen, wählen können. Du kannst dir einbilden, Osmandyas, wie oft ich schachmatt ward und ob Pasidora große Ursache hatte, auf die Siege, die sie im Spiel über mich erhielt, stolz zu sein; aber desto sichtbarer funkelte in ihren unwiderstehlichen Augen das Vergnügen des Sieges, den sie über mein Herz davongetragen hatte.

Indessen kam der Abend herbei und lud uns durch seine Schönheit zu einem Spaziergang in die Gärten ein, die an die Terrasse des Palastes stießen. Sie schienen von sehr weitem Umfang zu sein und alles, was die Natur Großes, Schönes und Anmutiges hat, in der geschmackvollesten Abwechselung in sich zu vereinigen. Da mir unbegreiflich war, wie dieser Palast und diese Gärten, von denen ich nie etwas gehört hatte, in eine mir so bekannte Gegend gekommen sein könnten, so bestärkte mich dies um so mehr in dem Gedanken, daß die schöne Pasidora eine Fee oder eines von den elementarischen Wesen sei, mit denen meine Einbildungskraft vertraut genug war, daß es nichts Befremdendes für mich hatte, sie meinen Sinnen dargestellt zu sehen. Unvermerkt verloren sich die Jungfrauen, die uns einige Zeit begleitet hatten; unvermerkt wurden wir beide, Pasidora und ich, immer stiller; unvermerkt wirkte die schöne Natur, die laue, von Blumendüften durchwürzte Luft, das Säuseln der Blätter, das Singen der Vögel, das Rieseln der Quellen und, was über das alles ist, die wunderbare Magie der Schlaglichter und des lieblichen Wettstreites zwischen Licht und Schatten um die Zeit, wenn die Sonne sich zum Untertauchen neigt; unvermerkt fühlten wir uns, ohne es zu sagen, in einen Einklang von zärtlichen Rührungen gestimmt; unvermerkt drückte ich Pasidorens willige Hand an mein höher schlagendes Herz; unvermerkt hatte ich aus ihren in Liebe zerfließenden Augen ein zauberisches Vergessen alles Vergangenen und Zukünftigen eingezogen; und unvermerkt befanden wir uns in einem kleinen Marmortempel, mitten in einem dichten Gebüsche von Myrten, eingeschlossen.

Ich sehe, du zitterst für mich, Osmandyas – und ich erröte fortzufahren. Die liebenswürdige Verräterin sank auf einen Polstersitz, und ich zu ihren Füßen, ihre Hand in sprachlosem Entzücken mit Küssen überdeckend, als auf einmal der ganze Tempel in Flammen stand, ein heftiger Donnerschlag mich zu Boden warf, Pasidora aus meinen Armen verschwand und meine Unbekannte mir mit zürnender Stimme zurief: ‹Treuloser, du hast mich auf ewig verloren!›

Verschone mich, Freund, mit der weitern Erzählung; ich habe keinen Atem mehr für das, was ich dir erzählen müßte, und keine Kräfte, die Qualen dieser schrecklichen Nacht noch einmal auszuhalten. Seit dieser Zeit bin ich der elendeste unter den Menschen, wie ich ohne diese unselige Probe der glücklichste gewesen wäre. Denn nun seh' ich es und bin ganz überzeugt, daß es meine geliebte Salamandrin selbst war, die sich mir unter dem Namen Pasidora unverschleiert zeigte und durch alle die Reizungen, wovon ich während unsres nächtlichen Umgangs im Turme nur einige einzelne Strahlen erblickt hatte, mit allen diesen Schauspielen und Kunstgriffen, die sie zu meiner Verblendung anwandte, mich zur Untreue an ihr selbst verleitete. Die Grausame! Wie konnte sie zweifeln, daß mein Herz einer solchen Probe unterliegen würde? Oder wie kann sie es von dem ihrigen erhalten, mich so unerbittlich dafür zu bestrafen, daß ich, unter einem andern Namen und unter dem Zauber, den sie auf meine Augen geworfen hatte, doch nur sie selbst liebte!»

«Auch bin ich gewiß», sagte Osmandyas, «sie wird, sie kann nicht unerbittlich bleiben. Daß sie dich liebt, ist zu offenbar...»

«Du kennst, wie es scheint, das Zartgefühl der Wesen ihrer Gattung nicht», unterbrach ihn der unglückliche Liebhaber der schönen Salamandrin; «Sie verzeihen auch nicht den Gedanken, nicht den Schatten einer Untreue. Sie wird mir nie vergeben!» sagte er, mit tränenden Augen die Hände ringend. «Es sind nun mehrere Wochen seit dieser unglücklichen Katastrophe, daß ich alle Nächte in diesem Turme zubringe. Sie hat meinen Schmerz, meine Reue, meine Verzweiflung sehen können und ist ungerührt geblieben! Was hab' ich nicht versucht, sie zu bewegen! Wie hab' ich ihr gefleht! Denn wiewohl sie mir immer unsichtbar blieb, so bin ich doch gewiß, daß sie mich gehört hat. Aber ich habe sie auf ewig verloren! Dies waren die schrecklichen Worte, worin sie mir mein Urteil ankündigte, und es ist nur zu gewiß, daß es unwiderruflich ist. Da ich aller Hoffnung entsagt habe, jemals wieder glücklich zu werden, so war ich entschlossen, mein Leben in diesem Turme zu enden, den ich seit drei Tagen nicht mehr verlassen habe. Meine Liebe, die mich töten sollte, und das wenige, was ich von der Speise zu mir nehme, die ich täglich, ohne zu wissen wie, in diesem verborgenen Schranke finde, hat mir bisher ein verhaßtes Leben gefristet. Aber, ich gesteh' es, seit mir die Götter auf eine so unverhoffte Art den Sohn des Kalasiris zugeschickt haben, ist ein schwacher Strahl von Hoffnung in meine Seele gefallen; und vielleicht ist es ein Zeichen, daß meine angebetete Salamandrin meinen Tod nicht will, weil sie noch gütig genug ist, für die Erhaltung meines Lebens zu sorgen. Denn es nur zu desto längerer Qual mir zu fristen, wie ich in meiner düstern Verzweiflung wähnte – einer solchen Grausamkeit kann ein Herz wie das ihrige nicht fähig sein.»

«Wer sie auch sein mag», sagte der Sohn des weisen Kalasiris, «so ist es unmöglich, daß sie so sehr ihre eigene Feindin sei, um einen Fehler nicht zu verzeihen, den du mit so ernstlicher Reue gebüßt hast und der, wenn man's genau besieht, für ihre Eigenliebe mehr schmeichelhaft als beleidigend ist. Aber erlaube mir, da du mich selbst wieder daran erinnert hast, dich zu fragen, woher du meinen Vater zu kennen scheinst? Warst du jemals in Ägypten?»

«Eh' ich dir antworte», erwiderte der Jüngling vom Turme, «laß dich bitten, mit dem wenigen fürliebzunehmen, was ich dir vorsetzen kann. Wir bedürfen beide einiger Erfrischung.» Hiermit öffnete er den geheimen Schrank und zog noch etwas kalte Küche und Früchte und eine Flasche Wein hervor, die er vorher nicht darin wahrgenommen hatte. «Meine unsichtbaren Verpfleger», sagte er, indem er seinen Vorrat auf den Fußteppich auslegte, «haben, wie es scheint, auf meinen Gast gerechnet.»

«Eine gute Vorbedeutung für uns beide», versetzte Osmandyas, indem er der Bewirtung seines neuen Freundes Ehre machte.

Der weise Mann hatte wohl recht, der den betrübten Seelen Wein zu geben befahl. Das Mittel schlug bei den beiden Jünglingen so wohl an, daß sie, unvermerkt ihres Kummers, zu vergessen und guten Muts zu werden anfingen.

«Es kommt mir auf einmal ein wunderlicher Gedanke», fing jetzt der Sohn des Druiden an. «Was sagtest du dazu, wenn deine Bildsäule von meiner Bekanntschaft und sogar meine nächste Verwandte wäre?» Der Ägypter starrte ihn mit großen Augen an. «Wenigstens», fuhr jener fort, «Wär' es keine Unmöglichkeit, wie du hören wirst, wenn ich dir erzähle, wie ich dazu gekommen bin, deinen Vater zu kennen.


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