Christoph Martin Wieland
Dschinnistan
Christoph Martin Wieland

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Timander konnte es nicht satt werden, seine Augen an allem dem Reichtum der schönen Natur zu weiden, der hier auf einem Raume von wenigen Stunden, in einer so reizenden Unordnung, daß sie das Werk der sinnreichsten Kunst schien, zusammengehäuft war. Ungeachtet der üppigsten Fülle und der reichsten Mannichfaltigkeit drängte keines das andere: alles schien sich von selbst zusammengefunden und einander gleichsam das Wort gegeben zu haben, um dieses bezauberte Eiland zur Wohnung irgendeiner Göttin zu machen. So dachte Timander und sah sich halb betroffen, halb ungeduldig nach den Bewohnern desselben um, als er durch einen der breiten Lustgänge des Gartens einen leichten muschelförmigen Wagen, mit zwei Hirschen bespannt, vorübereilen sah. Der Wagen war von Elfenbein, das Geweihe der Hirsche von Golde, und in der Muschel saß eine junge Person, so schön, als man sich die junge Hebe denken kann, da sie dem vergötterten Herkules die erste Nektarschale reichte. Der Prinz, von ihrem Anblick bezaubert, hätte sich gern in ihren Weg gestellt; aber die Hirsche eilten zu schnell vorüber, um sie einholen zu können. In wenig Augenblicken folgten mehr als zwanzig andere Wagen, die mit weißen Einhörnern bespannt und mit einer Menge junger Nymphen angefüllt waren, wovon immer eine schöner als die andere schien. Sie flogen ebenso schnell vorüber als die erste und ließen den Prinzen vor Erstaunen unbeweglich. Da er indessen aus der wunderbaren Art, wie er hiehergekommen, nichts anders schließen konnte, als daß er keine unerwartete Person sei, so folgte er diesen Wagen durch verschiedene krumme Gänge eines Lustwäldchens von Myrten- und Rosenbüschen, die hier zu einer ungewöhnlichen Höhe aufgeschossen waren und in voller Blüte standen, bis er endlich, auf einem sanften, kaum merklichen Abhang, zu einem mit Akazien und Silberpappeln umschlossenen Platz gelangte, der, anstatt des Sandes, mit lauter kleinen Perlen dicht bestreut war und ein großes porphyrnes Wasserbecken umgab, worin verschiedene Schwäne stolz und langsam daherschwammen, und mit wollüstig gebogenen Hälsen sich selbst in der dunkelhellen Flut bespiegelten, ohne auf das entzückende Schauspiel achtzugeben, dessen plötzlicher Anblick Timandern in Stein verwandelte. Man stelle sich hundert junge Nymphen von der blühendsten Schönheit in allen ihren mannichfaltigen Formen und Reizen vor, die eine junge Göttin von achtzehn Jahren bloß darum zu umringen schienen, um von ihrer vollkommenem Schönheit wie die Sterne von dem vollen Monde verdunkelt zu werden. Diese hundert Nymphen schienen in vier Ordnungen abgeteilt, deren jede sich durch eine andere Farbe der Kleidung von den übrigen unterschied. Sie trugen alle die Arme bloß und den Busen nur leicht verdeckt; und weil sie überdies zum Tanzen aufgeschürzt waren, so würde es einem Künstler hier nicht an Gelegenheit, die Natur zu studieren, gefehlt haben. Ihre Gebieterin allein war in ein langes rosenfarbes Gewand gekleidet, welches sie auf eine sehr wohlanständige Art bedeckte, ohne gleichwohl, je nachdem sie ihre Lage und Stellung veränderte, eine ihrer schönen Formen unangedeutet zu lassen. Sobald Timander nahe genug war, um von der Beherrscherin dieses Ortes bemerkt zu werden, kam ihm die eine Hälfte der Nymphen tanzend entgegen, während die andere, die einen halben Mond um ihre Königin zog, die anmutigste Musik aus den elfenbeinernen Zithern und Pandoren, die an silbernen Bändern um ihre milchweißen Schultern hingen, hervorzauberte. Die Tänzerinnen umwanden ihn mit Kränzen von Rosen und Jasminen und führten ihn gleichsam im Triumphe zu den Füßen ihrer schönen Gebieterin, die unter einem Thronhimmel von Rosen die Huldigung seines Herzens zu erwarten schien. Er ließ sich auf ein Knie vor ihr nieder; aber sie bückte sich mit unbeschreiblicher Anmut zu ihm herab, hieß ihn willkommen und befahl ihm, neben ihr auf ihrem Rosenthrone Platz zu nehmen.

Die Nymphen fingen itzt neue Tänze an, die von Zeit zu Zeit durch entzückende Wechsel- und Chorgesänge unterbrochen wurden, worin sie die Freuden der Liebe besangen, die aus ihren Augen zu strahlen und aus allen ihren Bewegungen zu atmen schienen. Timander, berauscht von allem, was er sah und hörte, glaubte einer der seligen Götter zu sein. Er vergaß auf einmal aller seiner Verhältnisse, seiner Eltern, seines Vaterlandes, seiner Freunde und der Würde, für die er geboren war: vergaß sie so gänzlich, wie man die Gegenstände vergißt, die unsrer ersten Kindheit Freude oder Schmerz gemacht haben. Ein unbekannter, aber unaussprechlich angenehmer Zauber hatte sich aller seiner Sinne bemächtigt; und er schien sich selbst sein neues Wesen bloß dazu empfangen zu haben, um es in Seufzer der Liebe wieder auszuatmen. Die Göttin oder Fee, unter deren süßer Gewalt sein Herz erlag, las in seinen Augen alles, was er in Worte auszuströmen zu bescheiden war, und kam seiner Schüchternheit zu Hülfe, indem sie ihm sagte, wer sie sei und was für Absichten sie auf ihn habe. «Mein Name ist Pasithea», sprach sie mit einer Stimme, deren Klang sein Herz in Liebe schmerzte; «ich bin eine Tochter der Feenkönigin, und diese Insel erkennt keine andere Macht als die meinige. Man nennt sie die Roseninsel, denn sie ist unter den Inseln, was die Rose unter den Blumen. Vergnügen und Ruhe, Scherze und Freuden haben sie, unter meiner Herrschaft, auf ewig in Besitz genommen. Aber was ist Ruhe und Vergnügen, was sind Scherze und Freuden ohne Liebe?» Ein kaum hörbarer Seufzer, so leise wie das Fächeln eines Sommervogels um eine neu aufgequollene Rose, unterbrach ihre Rede einen Augenblick. «Ich sah dich diesen Morgen», fuhr sie fort, «indem ich, von dir unbemerkt, über der Gegend, wo dich die Jagd beschäftigte, vorüberschwebte. Ich glaubte in deinen Zügen das süße Bedürfnis der Liebe zu lesen, und du scheinst mir würdig, durch sie glücklich zu sein. Frage nun dein Herz – ich will ihm Zeit lassen – und sage mir...»

Hier konnte sie der liebestrunkne Timander nicht länger fortreden lassen. Er unterbrach sie, um ihr bei allen Göttern der Liebe zu bezeugen, daß er keine Zeit brauche, mit einer Gewißheit, die dem Gefühle seines Daseins gleich sei, sie für die unumschränkte Beherrscherin seines Herzens zu erklären. Er schwur ihr – was allen jungen Liebhabern im ersten Feuer der unbefriedigten Leidenschaft so leicht zu beschwören und so leicht zu halten scheint, und doch, wenn der Taumel vorüber ist, so leicht vergessen wird! – ewige Liebe, ewige Treue. Er konnte nicht aufhören, ihr die feurigsten Versicherungen von der Wahrheit dieser Erklärung zu geben, und die zärtliche Fee schien nicht müde zu werden, ihm zuzuhören, wiewohl er im Grunde immer das nehmliche sagte.

Indessen hörten die Nymphen zu tanzen auf, und die Schönheit des Abends diente Pasitheen zum Vorwand, seine Sinnen mit einem andern Schauspiele zu ergötzen. Die Gärten, wo sie sich befanden, waren in verschiedene große Terrassen abgeteilt, deren unterste von den Wellen des Meeres, wenn es hoch ging, angespült wurde. Eine Menge zierlich geschnitzter und vergoldeter Barken lagen hier in einer kleinen Bucht bereit, die Fee mit ihrem Hofe einzunehmen. Sie bestieg an Timanders Hand die größte derselben, die, in Gestalt einer Muschel gebaut und mit Perlenmutter überzogen, dem Wagen nicht ungleich sah, in welchem Dichter und Maler die Göttin des Ozeans auf den vor ihr her gebannten Wellen daherschwimmen lassen. Ein leichtes Segel von Purpur, an einem vergoldeten Maste befestiget, blähte sich vom sanften Hauch eines gelinden Abendlüftchens, und auf jeder Seite schienen drei Knaben, schön wie Liebesgötter und wie Liebesgötter gekleidet, mit ihren versilberten Rudern mehr zu spielen als zu arbeiten. Pasithea und Timander saßen auf einer erhöheten Estrade, die mit reichen Tapeten belegt und mit goldnem Gitterwerk umgeben war, unter einem Bogen von Rosen und Orangenblüten. Zu beiden Seiten wimmelten eine Menge kleinerer Fahrzeuge voll Nymphen und Amoretten um sie her, die durch allerlei mutwillige Scherze ihre Augen auf sich zu ziehen suchten. Aber der Prinz hatte keine Augen als für seine reizende Fee, deren kleinste Bewegung seine Aufmerksamkeit um so mehr beschäftigte, weil ein dichter Schleier, den sie alles seines Bittens ungeachtet nicht ablegen wollte, ihm noch immer die Reize ihres Gesichtes entzog, welche ohne allen Zweifel der ausnehmenden Schönheit ihrer übrigen Person würdig waren. Die Fee bestand darauf, daß sie ihm diese Gunst nicht eher erweisen könne, bis sie von der Stärke und Beständigkeit seiner Liebe überzeugt sei.

«Aufrichtig zu reden», sagte sie zu ihm, «ich würde nicht wahrhaft geliebt zu sein glauben, wenn ich dein Herz nicht ohne Hülfe meines Gesichtes gewinnen könnte. Ich wünsche dir mehr durch meinen Charakter als durch meine Schönheit zu gefallen. Ein schönes Gesicht ist wie eine schöne Blume; beide entzücken das Auge in ihrer frischen Blüte; aber es braucht nur einen einzigen zu brennenden Sonnenstrahl, um beide welk zu machen. Gesetzt auch, ein reizendes Gesicht wüßte sich vor allen Zufällen zu verwahren, die ihm schaden könnten: so kann es doch den Würkungen der Jahre nicht entgehen. Und wenn bei einer Person meiner Art auch diese nicht zu befürchten wären: so ist die bloße Gewohnheit hinlänglich, das Auge des wärmsten Liebhabers kalt und stumpf zu machen. Laß dich indessen diese kleine Grille, wenn es eine ist, nicht betrüben! Ich werde diesen Schleier, der dir so verhaßt ist, nicht immer tragen. Er soll nur deine Treue auf die Probe stellen; und sobald ich mich derselben gänzlich versichert halten werde, will ich dich zum Besitzer und Herrn meiner Person machen, wie du es schon von meinem Herzen bist.»

Timander hatte gegen diese schöne Rede vieles einzuwenden; aber am Ende war doch nichts zu tun, als Geduld zu haben. In der Tat konnte er dies um so leichter, da das, was sie seinen Blicken freigab, sie zur vollkommensten Person der Welt in seinen Augen machte. Sie war groß, schlank und in allen Teilen nach dem feinsten Ebenmaße gebaut; ihr Busen, ihre Arme und Hände waren von der höchsten Schönheit, und über ihr ganzes Wesen, wie über ihre kleinsten Bewegungen, war eine Anmut ausgegossen, die von dem unsichtbaren Teile ihrer Person die angenehmsten Ahnungen erweckte und der man um so weniger widerstehen konnte, weil sie durch Witz, Gefühl und Lebhaftigkeit, unterstützt von den Grazien ihres Geistes, alle Augenblicke neuen Reiz entlehnte. Der Schleier selbst – wieviel man auch durch ihn verlieren mochte – kleidete sie so gut, daß er ausdrücklich für sie erfunden schien und alle ihre übrigen Reizungen um desto rührender machte.


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