Christoph Martin Wieland
Dschinnistan
Christoph Martin Wieland

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Mittlerweile hatten Sylvester und die junge Frauensperson, die sich Rosine nannte, täglich so manche Gelegenheit, sich zu sehen, daß es in ihrer Lage ein gewaltiger Bruch in die Naturgesetze gewesen wäre, wenn die Sympathie, welche sich schon in der ersten Stunde bei ihnen zu regen anfing, nicht zu einer gegenseitigem Freundschaft hätte werden sollen, die in kurzem alle Kennzeichen der Liebe hatte und, ungeachtet sie einander noch kein Wort davon gesagt, sich auf so vielfältige Art verriet, daß das Einverständnis ihrer Herzen und Sinne keinem von beiden ein Geheimnis war. Endlich kam es an einem schönen Sommerabend zur Sprache, da sie im Walde – er, bei der Beschäftigung, dürres Reisholz zusammenzubinden, sie, indem sie junges Laub für ihre Ziegen abstreifte – wie von ungefehr zusammenkamen. Anfangs war der Kreis, innerhalb dessen sie in der Entfernung eines ganzen Durchmessers arbeiteten, ziemlich groß; aber er wurde unvermerkt immer kleiner und kleiner; und so geschah es zuletzt, daß sie, ohne daß es eben ihre Absicht zu sein schien, sich nahe genug beisammen fanden, um während der Arbeit ein freundliches Wort zusammen zu schwatzen. Die Wärme des Tages und die Bewegung hatte Rosinens bräunlichen Wangen eine so lebhafte Röte, und ich weiß nicht was andres, das ihren Busen aus seinen Windeln zu drängen schien, ihren Augen einen so lieblichen Glanz gegeben, daß Sylvester sich nicht erwehren konnte, vor ihr stehenzubleiben und sie mit einer Sehnsucht zu betrachten, die den beredtesten Liebesantrag wert war. Rosine war vierundzwanzig Jahr alt und eine unverfälschte Tochter der Natur. Sie stellte sich nicht, als ob sie nicht merke, was in ihm vorging, noch fiel es ihr ein, ihm verbergen zu wollen, daß sie ebenso gerührt war wie er. Sie sah ihm freundlich ins Gesicht, errötete, schlug die Augen nieder und seufzte.

«Liebe Rosine!» sagte Sylvester, indem er sie bei der Hand nahm, und konnte kein Wort weiter herausbringen, so voll war ihm das Herz.

«Ich merke schon lange», sagte Rosine, nach einer ziemlichen Pause, mit leiserer Stimme, «daß du mir gut bist, Sylvester.»

«Daß ich dir gut bin, Rosine? Was in der Welt wollt' ich nicht für dich tun und für dich leiden, um dir zu zeigen, wie gut ich dir bin!» rief Sylvester und drückte ihr die Hand stark genug an sein Herz, daß sie sein Schlagen fühlen konnte.

«So ist mir's auch», versetzte Rosine, «aber...»

«Aber was? Warum dies Aber, wenn ich dir nicht zuwider bin, wie du sagst?»

«Ich weiß nicht, was ich dir antworten soll, Sylvester: ich bin dir herzlich gut; ich wollte lieber dein sein, als die vornehmste Frau in der Welt heißen – aber mir ist, es werde nicht angehen können.»

«Und warum sollte es nicht angehen können, da wir uns beide gut sind?»

«Weil es – eine gar besondere Sache mit mir ist», sagte Rosine stockend.

«Wieso, Rosine?» fragte Sylvester, indem er ihre Hand erschrocken fahrenließ.

«Du wirst mir's nicht glauben, wenn ich dir's sage.»

«Ich will dir alles glauben, liebe Rosine, rede nur!»

«Ich bin nur zwei Tage, eh' ich dich zum ersten Male sah, eine – rosenfarbne Ziege gewesen.»

«Eine rosenfarbne Ziege? Doch wenn's nichts weiter ist als dies, so haben wir einander nichts vorzuwerfen, liebes Mädchen; denn um eben dieselbe Zeit war ich, mit Respekt, ein Esel.»

«Ein Esel?» rief Rosine ebenso erstaunt wie er; «das ist sonderbar! Aber wie ging es zu, daß du es wurdest und daß du nun wieder Mensch bist?»

«Mir erschien in einem Augenblicke, da ich mir aus Verzweiflung das Leben nehmen wollte, ein wunderschöner Jüngling mit einer Lilie in der Hand, gab mir einen Stein, mit welchem ich mich bestreichen sollte, und sagte mir, dies würde mich glücklich machen. Ich bestrich mich mit dem Stein und wurde zum Esel.»

«Erstaunlich!» sprach Rosine. «Mir erschien, da ich mir eben vor Herzeleid alle Haare aus dem Kopfe raufen wollte, eine wunderschöne Dame mit einer Rosenkrone auf der Stirne. Sie gab mir eine von diesen Rosen. ‹Stecke sie vor den Busen›, sagte sie, ‹so wirst du glücklicher werden, als du jemals gewesen bist.› Ich gehorchte ihr und wurde stracks in eine rosenfarbne Ziege verwandelt.»

«Wunderbar! Aber wie kam es, daß du wieder Rosine wurdest?»

«Ich irrte beinahe einen ganzen Tag in Wäldern und Gebirgen herum, bis ich von ungefehr in diese Wildnis und an die Hütte der beiden Alten kam. Nicht weit davon, am Fußsteige, der nach der Quelle führt, erblickte ich einen großen Rosenbusch. Da wandelte mich eine unwiderstehliche Begierde an, von diesen Rosen zu essen; und kaum hatte ich das erste Blatt hinabgeschluckt, so war ich, wie du mich hier siehest, aber nicht, was ich zuvor gewesen war.»

«Mit mir ging's gerade ebenso», erwiderte Sylvester. «Ich fand eine Lilie dort im Walde; mich kam eine unwiderstehliche Begierde an, sie zu verschlingen; und da ward ich, was du siehest und was ich vorher nicht gewesen war. Es ist eine wunderbare Ähnlichkeit in unsrer Geschichte, liebe Rosine. Aber was warst du denn vorher, ehe du in eine Ziege verwandelt wurdest?»

«Die unglücklichste Person von der Welt. Ein Betrüger, der sich durch die feinste Verstellung in meine Gunst eingeschlichen hatte, fand, ich weiß nicht wie, ein Mittel, sich in mein Schlafzimmer zu schleichen, und machte sich mit allen meinen Juwelen aus dem Staube.»

«Immer wunderbarer! » rief Sylvester. «ein andrer Betrüger spielte ungefehr die nehmliche Geschichte mit mir. Er machte mir weiß, er besitze ein Geheimnis, mich zum reichsten Mann in der Welt zu machen; aber es war ein Mittel, mich um den Wert einiger Tonnen Goldes zu prellen und damit unsichtbar zu werden. Aber diesem nach müssen wir, wie es scheint, alle beide sehr vornehme Leute gewesen sein?»

«Du magst mir's glauben oder nicht, aber ich war wirklich eine Königin.»

«Desto besser, liebste Rosine!» rief Sylvester, «so kannst du mich ohne Bedenken heuraten: denn ich selbst war auch nichts Geringers als ein König.»

«Seltsam, wenn es dein Ernst ist! – Aber...»

«Wie, Rosine, schon wieder ein Aber, da ich's mir am wenigsten versehen hätte?»

«Du kannst mich nicht heiraten, denn mein Gemahl ist noch am Leben.»

«Die Wahrheit zu sagen, ich fürchte, dies ist auch bei mir der Fall.»

«Du liebtest also deine Gemahlin nicht?»

«Sie war eine ganz hübsche Frau, wiewohl bei weitem nicht so hübsch wie du. Aber was willst du? Ich war ein König, und in der Tat keiner von den besten. Ich liebte die Veränderung; meine Gemahlin war mir zu einförmig, zu zärtlich, zu tugendhaft und zu eifersüchtig. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr sie mir mit allen diesen Eigenschaften zur Last war.»

«So warst du ja um kein Haar besser als der König, dessen Gemahlin ich war, als ich noch die Königin Mabillje hieß.»

«Wie, Rosine, dein Gemahl war der König Mark von Cornwall?»

«Nicht anders.»

«Und der schöne junge Ritter, der sich in dein Schlafzimmer schlich und dir deine Juwelen stahl, nannte sich Floribell von Nikomedien?»

«Himmel!» rief Rosine bestürzt, «wie kannst du das alles wissen, wenn du nicht...»

«Mein Mann selber bist?» fiel ihr Sylvester ins Wort, indem er ihr zugleich um den Hals fiel. «Das bin ich, liebste Rosine, oder Mabillje, wenn du dich lieber so nennen hörst; und wenn du mir als Sylvester nur halb so gut sein kannst, wie ich dir als Rosine bin, so haben der Jüngling mit dem Lilienstengel und die Dame mit der Rosenkrone ihr Wort treulich gehalten.»

«Oh, wie gern wollt' ich nichts als Rosine für dich sein! Aber, armer Sylvester», sprach sie weinend, indem sie sich aus seinen Armen wand, «ich fürchte, ich bin deiner nicht mehr wert. Zwar, mit meinem Willen geschah es nicht, aber der Bösewicht muß Zauberei gebraucht haben. Denn es überfiel mich ein übernatürlicher Schlaf, leider! gerade da ich aller meine Kräfte am nötigsten hatte, um mich von ihm loszumachen; und was kann ich besorgen, als daß er sich...»

«Über diesen Punkt kannst du ruhig sein», sagte Sylvester lachend; «dein Bösewicht war ein verkleidetes Mädchen, eine Tänzerin von Alexandrien, die sich mit dem Goldmacher Misfragmutosiris heimlich verbunden hatte, uns in Gesellschaft zu bestehlen. Ein glücklicher Zufall brachte mich, da ich noch ein Esel war, in die Höhle, wohin sie sich mit ihrer Beute flüchteten, und ich hörte alles aus ihrem eigenen Munde.»

«Wenn dies ist», sprach Rosine, indem sie sich in seine Arme warf, «so bin ich das glücklichste Geschöpf, solange du Sylvester bleibst...»

«Und ich der glücklichste aller Männer, wenn du nie aufhörst, Rosine zu sein.»

«Seid ihr das?» hörten sie zwei bekannte Stimmen sagen; und als sie sich umsahen, wie erschraken sie, den Greis mit dem eisgrauen Bart und das gute alte Mütterchen vor sich zu sehen!

Sylvester wollte eben eine Entschuldigung vorbringen; aber bevor er noch zu Worte kommen konnte, verwandelte sich der Greis in den Jüngling mit dem Lilienstengel und das Mütterchen in die Dame mit der Rosenkrone.

«Ihr sehet», sprach der schöne Jüngling, «diejenigen wieder, die es auf sich nahmen, euch glücklich zu machen, als ihr euch für die unglücklichsten aller Wesen hieltet, und ihr seht uns zum letzten Male. Noch steht es in eurer Willkür, ob ihr wieder werden wollt, was ihr vor eurer Verwandlung waret, oder ob ihr Sylvester und Rosine bleiben wollt. Wählet!»

«Laßt uns bleiben, was wir sind», riefen sie aus einem Munde, indem sie sich den himmlischen Wesen zu Füßen warfen; «der Himmel bewahre uns, einen andern Wunsch zu haben!»

«So haben wir unser Wort gehalten», sprach die Dame, «und ihr habt in dieser Wildnis den Stein der Weisen gefunden!»

Mit diesen Worten verschwanden die beiden Geister, und Sylvester und Rosine eilten beim lieblichen Scheine des Mondes Arm in Arm nach ihrer Hütte zurück.


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