Christoph Martin Wieland
Dschinnistan
Christoph Martin Wieland

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Geschichte der drei Juden

«Wir sind drei Zwillingsbrüder, die Söhne des berühmten Nathan Ben Sadi und der weisen Dizara; unser Vater nannte den ältesten von uns dreien Izif, den zweiten Izuf, und mich, den jüngsten, Izaf. Er unterwies uns von unsrer zartesten Jugend an in den verborgensten Geheimnissen der Kabbala, und unsre Fähigkeit betrog seine Erwartungen nicht. Da wir unter der nehmlichen Konstellation geboren sind, so findet sich auch in unserm Genie und in unsern Neigungen die vollkommenste Gleichheit; aber die Natur hat überdies noch eine ganz sonderbare Gleichförmigkeit in uns gelegt, und es waltet eine so außerordentliche Sympathie zwischen uns, daß, was einem von uns widerfährt, zu gleicher Zeit auch den beiden andern begegnet: stößt ihm ein Glück auf, so verbreitet es sich sogleich auch auf die übrigen; trifft ihn ein Unfall, so leiden seine Brüder das nehmliche; wird einer von uns zum Beispiel verwundet, so werden es, wie ihr sehet, die andern auch, zur nehmlichen Zeit und auf die nehmliche Art, wenn wir gleich tausend Meilen voneinander entfernt wären.»

«Also und dergestalt», fiel der Kadi ein, «daß, wenn einer von euch beiden gehenkt oder verbrannt würde, die beiden andern das nehmliche Schicksal hätten, ohne daß es darum mehr Holz oder Stricke kostete?» – «Gnädiger Herr», antwortete ihm Izaf, «wir haben zwar das Experiment noch nicht gemacht; ich bin aber fest überzeugt, daß es nicht fehlen würde.» – «Mir ist lieb, daß ich das weiß», versetzte der Kadi; «fahre nur in deiner Erzählung fort!»

«Wir hatten unsre Mutter in unsrer Kindheit schon verloren», fuhr Izaf fort; «und als wir das fünfzehnte Jahr erreicht hatten, wurde unser Vater von einer Krankheit überfallen, gegen welche weder die gewöhnlichen Mittel noch die Geheimnisse seiner Kunst anschlagen wollten. Da er sich dem Tode nahe fühlte, rief er uns zu sich. ‹Meine Kinder›, sprach er, ‹ich werde euch keine großen Schätze hinterlassen; mein Reichtum bestand in den Geheimnissen, die ich euch bereits mitgeteilt habe; ihr besitzt verschiedene Talismane und versteht die Kunst, andere, noch mächtigere zu verfertigen; aber was euch mangelt, sind die drei Ringe der Töchter des Siroco; trachtet ihrer habhaft zu werden, nur hütet euch, wenn ihr dieser schönen Kinder ansichtig werdet, daß die Liebe euer Herz nicht überwältige! Sie sind einem andern Glauben zugetan als der eurige; sie sind den drei Söhnen des Bassa vom Meere bestimmt; sie können niemals die eurigen werden: wenn sie euch Liebe einflößen, so würdet ihr die unglücklichsten aller Menschen werden. Was euch vor dem Unglücke, das euch bedrohet, verwahren kann, ist das Buch der Geheimnisse, das die Tochter des Rabbi Moyses von ihrem Vater geerbt hat; ihr wisset, daß Izaf von ihr geliebt wird; ihre Macht ist größer als die eurige; versäumt ja nicht, ihre Freundschaft zu unterhalten, und suchet ihren Beistand, wenn ihr in Not geratet.›

Kaum hatte Nathan Ben Sadi diese Worte ausgesprochen, so verschied er und ließ uns in einer tödlichen Ungeduld, die drei Talismane der Töchter Sirocos zu besitzen. Wir erkundigten uns bei Sumi nach seinem Aufenthalt und erfuhren, daß man ihn zwar nach dem Treffen bei Lepante totgesagt habe, daß er aber Mittel gefunden, sich zu retten, und daß er sich in einem abgelegenen Hause verborgen halte, aus Furcht, das Unglück, das der Seemacht des Großherrn zugestoßen, mit seinem Kopfe zu bezahlen. Wir erfuhren zugleich, daß seine drei Töchter Wunder von Schönheit seien und daß sich die älteste Aurore, die zweite Argentine und die dritte Zelide nenne.»

Der Bassa und sein Sohn machten eine Bewegung des Erstaunens, da sie diese Namen hörten, hielten aber an sich, um die Erzählung nicht zu unterbrechen,

«Wir beschlossen», fuhr Izaf fort, «uns in fremde Kaufleute zu verkleiden, um uns den Zutritt zu diesen jungen Personen zu verschaffen. Wir nahmen die schönsten und kostbarsten Juwelen auf Kredit auf und wurden, unter dem Vorwande, ihnen etwas davon zu verkaufen, von einer Sklavin eingeführt, die wir uns durch ein ansehnliches Geschenke günstig gemacht hatten. Bei ihrem Anblick konnten wir die Klippe nicht vermeiden, vor welcher uns Nathan Ben Sadi gewarnet hatte. Aber wer hätte auch den Reizungen widerstehen können, die sich unsern Augen darstellten? Die drei Schwestern saßen beisammen auf einem Sofa, und es schien, als ob eine der andern ihre Reize noch zu ihren eigenen leihe, um ihre Wirkung desto unwiderstehlicher zu machen. Die schöne Aurore war in einen Kaftan von goldnem Mohr, Argentine, welche blond war, in Silberstoff, und Zelide, die ungeachtet ihres noch zarten Alters den tiefsten Eindruck auf mich machte, in den niedlichsten persischen Zitz gekleidet. Wenn auch keine Sympathie zwischen mir und meinen Brüdern gewesen wäre, so würden wir doch alle drei nicht weniger auf einmal in voller Flamme gestanden sein.

Unter den Seltenheiten, die ich bei mir hatte, war auch ein Fläschgen, mit einem Elixier angefüllt, welches die Eigenschaft hatte, die vollkommenste Liebe zwischen einer Mannsperson und einem Frauenzimmer hervorzubringen, sobald sie einander darin zugetrunken hatten. Es war ein Geschenk der schönen Sumi, wovon sie selbst zu meinen Gunsten Gebrauch gemacht, wiewohl ich mich immer geweigert hatte, für sie das nehmliche zu tun. Ich zeigte dieses Elixier den drei Schwestern, die sich aus unsern Kostbarkeiten auswählten, was ihnen gefiel; und ich hatte eben eine kristallne Tasse genommen, um ihnen davon einzuschenken und sie zu bereden, mit uns davon zu trinken, als Zelide, der ich das Fläschgen in die Hand gegeben, die Augen auf ein Stück Papier warf, womit es umwickelt war, und plötzlich ausrief. ‹Ah, ihr Bösewichter! Was lese ich hier? 'Kostet nicht von diesem Tranke außer mit dem, der Euch zum Gemahl bestimmt ist; jeder andere sucht Euch bloß zu verführen.'› Ich warf einen Blick auf das Papier und erkannte die Handschrift der Sumi.

Inzwischen hatten meine beiden Brüder bereits die Ringe, welche Aurore und Argentine an ihren Fingern trugen und die das vornehmste Ziel unsrer Wünsche waren, gegen einige ihrer Juwelen eingetauscht; aber wie groß war unser Erstaunen, da wir, sobald die beiden Schwestern ihre Ringe von sich gegeben hatten, eine goldne Uhr und eine silberne, die schönsten, die man sehen konnte, an ihrer Stelle sahen! In eben dem Augenblicke kam die alte Sklavin, die uns aufgeführt, mit einem schwarzen Verschnittnen hereingelaufen, um uns Zelidens Vater anzukündigen. Wir zitterten vor Angst. Meine Brüder steckten die beiden Uhren in ihren Busen; die alte Sklavin, voller Bestürzung, zwei von ihren Gebieterinnen nicht mehr zu finden, riß Zeliden, die in Ohnmacht gefallen war, das Fläschgen aus der Hand; und während daß der Verschnittne und die Sklavin nicht wußten, was sie anfangen sollten, machten wir uns so eilfertig, als wir konnten, davon.

Da wir uns nicht in unsre gewöhnliche Wohnung zurückzukehren getrauten, so flüchteten wir uns zu Sumi, die wir in Tränen fanden, weil sie besorgte, uns nicht wiederzusehen. ‹Was habt ihr getan, Unglückliche›, rief sie uns entgegen, ‹ist dies euer Gehorsam gegen die letzten Befehle eines sterbenden Vaters? Eine sonderbare Ahnung bewog mich diesen Morgen, das Buch der Geheimnisse nachzuschlagen, und da sahe ich, daß ihr euer Herz in diesem Augenblick einer Leidenschaft überließet, die euer Verderben sein wird. Glaubet nicht, daß ich es dulden werde. Ich bin es, die das Papier in Zelidens Hände gespielt hat, das sie verhinderte, von dem Elixier der vollkommnen Liebe mit dir zu trinken. Und ihr›, setzte sie hinzu, indem sie sich an meine Brüder wandte, ‹lernet aus diesem Buche den Wert des Schatzes kennen, dessen ihr euch mit den beiden Uhren bemächtigt habt; aber bildet euch nicht ein, jemals eures Raubes zu genießen; was ihr davon erfahren werdet, wird bloß dazu dienen, euch unglücklicher zu machen.› Mit diesen Worten hielt uns Sumi das Buch des weisen Moyses vor, und wir lasen darin folgendes: ‹Wenn die beiden Uhren mit dem goldnen und mit dem silbernen Schlüssel um Mitternacht aufgezogen werden, so werden sie während der ganzen ersten Stunde des Tages ihre wahre Gestalt wiedererhalten. Sie werden immer in der Verwahrung eines Frauenzimmers sein und immer zu ihr zurückkehren: die Tochter des Moyses ist bestimmt, sie in Verwahrung zu haben.›

Meine beiden Brüder waren über diese Entdeckung äußerst aufgebracht. ‹Weil wir es doch nicht verhindern können›, sagten sie zu der Tochter Moyses, indem sie ihr die beiden Uhren hingaben, ‹so magst du dann im Besitze des Schatzes bleiben, der uns zugehört; wenigstens sollst du doch die Talismane nicht zu sehen kriegen, die wir ihnen abgenommen haben.› Mit diesen Worten begaben sie sich voller Unmut hinweg; ich, meines Orts, blieb bei Sumi, und wir erwarteten die Nacht mit Ungeduld, um den Verfolg dieses Abenteuers zu sehen.

Gegen Mitternacht zog Sumi die beiden Uhren, jede mit ihrem eigenen Schlüssel, auf, und im Nu sahen wir die schöne Aurore und ihre Schwester zum Vorschein kommen. Sumi wurde von ihrer Schönheit fast verblendet. Die beiden jungen Personen schienen aus einem sanften Schlafe zu erwachen. Sie waren erstaunt und unruhig darüber, daß sie sich an einem ganz unbekannten Orte sahen; und als Sumi ihnen das schreckliche Geheimnis ihres Schicksals eröffnet hatte, sanken sie ihr mit einem Strom von Tränen in die Arme. Die schöne Sumi suchte sie zu trösten, mit dem Versprechen, daß sie auf ihren Beistand rechnen könnten und daß auf dieses ihr Unglück die vollkommenste Glückseligkeit folgen werde. Sobald die erste Stunde vorbei war, wurden sie wieder Uhren.

Ich brachte den Rest der Nacht bei der Tochter Moyses zu, und als der Tag anbrach, fühlte ich ganz außerordentliche Bewegung in mir. Meine Seele wurde wechselweise mit Wut und Schrecken angefüllt; eine unsichtbare Gewalt riß mich wider Willen fort und trennte mich von Sumi. ‹Ach!› rief ich, ‹ich fühle, daß einer von meinen Brüdern ins Gefängnis geführt wird. Lebe wohl! allzu liebenswürdige Sumi, ich muß ihm folgen.›

Ich eilte wirklich aus ihrem Hause, und indem ich, ohne zu wissen wohin, durch die Straße lief, stieß ich auf Izif, der mir sagte, daß er die nehmliche Beängstigung fühle und daß Izuf ohne Zweifel für einen von den Männern, die im Hause des Siroco gewesen, erkannt worden sein müsse. Sogleich fiel mir ein Mittel ein, meinen Bruder zu befreien. Ich sagte zu Izif, daß er ihm nachlaufen und ihm einen Säbel, um sich wehren zu können, in die Hand zu spielen suchen sollte. Ich selbst aber ging in das nächste Bagno, das in meinem Wege lag, wo verschiedene Häscher täglich zusammenzukommen pflegten, um Wein zu trinken. Da es mir nicht an Gelde fehlte, so tat ich neun oder zehn von diesen Gesellen den Antrag, jedem von ihnen zwei Zechinen zu geben, wenn sie sich, solange mir's beliebte, von mir durchwalken lassen wollten. Diese Kerls, die für Geld alles zu leiden und zu unternehmen bereit sind, nahmen meinen Antrag mit Vergnügen an. Kaum hatten sie das Geld voraus empfangen, so stürmte ich mit einem Säbel, den ich von dem Herrn des Bagno geborgt hatte, auf sie ein; und indessen, daß ich auf diese Leute, die dafür bezahlt waren, Hiebe regnen ließ, begegnete sympathetischerweise meinen Brüdern das nehmliche mit denen, die nichts dafür bekommen hatten. Ich kam siegreich aus den Händen der Häscher, die ich in die Flucht trieb, und traf unterwegs meine beiden Brüder an, die durch Sympathie das nehmliche Glück mit denen, welche sie ins Gefängnis führen wollten, gehabt hatten. Indessen hielten wir nicht für ratsam, länger in Konstantinopel zu verweilen, und wir machten uns aus dem Staube, ohne von der schönen Sumi Abschied zu nehmen.

Des folgenden Tages erfuhren wir, daß man unser Haus niedergerissen und alles, was wir besaßen, geplündert habe. So verdrießlich uns diese Nachricht war, so könnt ihr doch leicht denken, gnädige Herren, daß wir uns nicht einfallen ließen, Klage darüber bei der Obrigkeit anzustellen. Wir hatten nichts mehr, als was uns von den Juwelen und andern Waren übriggeblieben war, und die beiden Ringe der Töchter des Siroco. Um nicht so leicht erkannt zu werden, beschlossen wir, uns zu trennen und ein irrendes Leben zu führen.

Nach einigen Tagen befand ich mich am Ufer des Meeres; ich sah einen alten Kämmerling vor der Pforte eines einsamen Schlosses sitzen und näherte mich ihm. Er wollte mir anfangs aus dem Wege gehen; aber mit etlichen Kleinigkeiten, die ich ihm zum Geschenk anbot, machte ich ihn so zahm, daß er mir neben ihm Platz zu nehmen erlaubte und sich von freien Stücken mit mir in ein Gespräch einließ. Er sagte mir, er wäre bei einem jungen Herrn von Stande, einem Sohne des Bassa vom Meere, der schon eine lange Zeit wegen des Krieges, den man damals mit den Christen führte, abwesend sei. Er sprach mir von einem Talisman, den sein Zögling besitze und dessen Tugend mir nicht unbekannt war. Endlich berichtete er mir auch, dieser junge Herr sei, nebst zweien Brüdern, die er habe, von seiner Kindheit an bestimmt, die Töchter des Siroco zu heuraten, deren Abenteuer er mir erzählte, ohne sich beigehen zu lassen, daß ich es besser wisse als er. Während er so schwatzte, loderte alle die Liebe, die Zelidens erster Anblick in mir entzündet hatte, wieder in meinem Busen auf und erfüllte mich mit Eifersucht. ‹Wie?› sprach ich zu mir selbst, ‹vielleicht ist es dieser Knabe, dem sie zugedacht ist, vielleicht ist er's, mit dem sie von dem Elixier der vollkommnen Liebe trinken soll? Nein! das kann und will ich nicht geschehen lassen!›

Ich beschloß sogleich, den Sohn des Bassa zu entführen, und um desto leichter zu meinem Zwecke zu kommen, geriet ich auf den Einfall, mich wahnwitzig zu stellen, und fing an, zu singen und zu tanzen, was das Zeug hielt. Der alte Kämmerling, der seinen jungen Herrn auch an diesem Spaß Anteil nehmen lassen wollte, holte ihn herbei, und ich tanzte von neuem wie ein Mensch, der nicht klug ist. Der junge Herr hatte große Lust an meinen Bockssprüngen, und der alte Kämmerling wollte sich zu Tode lachen. Endlich tat ich ihnen den Antrag, daß ich sie die Künste, die ich machte, lehren wollte, und sie ließen sich's gefallen. Der Alte war gar bald so außer Atem, daß er's aufgeben mußte, und der junge Mensch zerfloß in Wasser. Ich bat den Kämmerling, er möchte etwas zu trinken holen; und während er hineinging, ersah ich meinen Vorteil und riet dem jungen Menschen, die Leinwand von seinem Turban abzulegen, weil er ihm gar zu warm mache. Er folgte meinem Rate; aber in dem nehmlichen Augenblicke wurde er in einen dreifüßigen Kochtiegel verwandelt, dessen ich mich sogleich bemächtigte und so behende mit ihm davonlief, daß der Alte, wiewohl er sogleich wieder herauskam, mich nicht einholen konnte. Ich sah von ferne, daß er, aus Verzweiflung, seinen Zögling nicht mehr vorzufinden, sich ins Meer stürzte; aber es kam mich keine Lust an, ihn wieder herauszufischen.»

Hier unterbrach der Bassa den Juden, indem er ausrief. «O du weiser Derwisch, wohl hattest du recht! Sobald das kupferne Blech nicht mehr von dem Zeichen der Rechtgläubigen bedeckt war, war mein Sohn nicht mehr! Aber du, Unglücklicher», sagte er zu Izaf, «sieh diesen Jüngling recht an: ist es nicht derjenige, den deine Bosheit unglücklich gemacht hat?» – «Ich glaube, ihn zu erkennen», versetzte Izaf; «allein, da er seine erste Gestalt wiedererlangt hat, so bin ich nicht mehr so schuldig, als ich es befürchtete.»


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