Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 4
Johann Karl Wezel

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Anhang.

Vielleicht sind die meisten Leser begierig, die Schicksale der vornehmsten Personen, die ihre Aufmerksamkeit in dieser Geschichte an sich gezogen haben, nach dem Ende der Haupthandlung zu erfahren: um ein solches Verlangen zu befriedigen, wird man ihnen hier nach der Reihe von einer jeden erzählen, was aus ihr bis zu diesem Augenblicke, wo die meisten noch leben, geworden ist.

411 Fürst und Fürstin söhnten sich nicht lange nach Herrmanns Verheirathung, vorzüglich durch seine Vermittelung, wieder aus: der Fürst that den ersten Schritt dazu, und beide Theile bewiesen durch ihre nachfolgende Einigkeit, daß Fürsten sehr gut sind, wenn sie böse Leute nicht daran hindern. Seitdem die Dormerin ihre Entfernung vom Hofe durch die Uebereilung ihrer Leidenschaft bewirkt hatte, verschwanden Kabalen, Intriguen und Ränke, als wenn sie mit ihrer Urheberin entflohen wären: kleine unbedeutende Feindseligkeiten ausgenommen, wurde der Hof ein Schauplatz der Ruhe und Ordnung, der Fürst vorsichtiger gegen Schmeichler und Ohrenbläser, aufmerksamer auf die Geschäfte, und die Fürstin in ihrer Gunst weniger veränderlich und von allem Parteymachen abgeneigt. Ihre Ungnade gegen Herrmann und Ulriken verlor sich allmälich durch des Fürsten Fürspruch so sehr, daß sie sich zulezt in Gunst verwandelte. Im ganzen Lande zeigten sich Spuren von allen diesen glücklichen Veränderungen: die Aufmerksamkeit des Regenten gab allen Geschäften 412 Leben, Geschwindigkeit und Ordnung: gute Anstalten beförderten den Wohlstand der Einwohner, gaben ihnen Geist und Thätigkeit und entkräfteten durch die Vertreibung des Müßiggangs Laster und Muthwillen: jeder ehrliche Mann war in seinem Posten sicher, weil seine Sicherheit nicht von dem Steigen und Fallen einer Hofpartey, sondern von seinem Verdienste abhieng, und kein Schelm entgieng lange Herrmanns Wachsamkeit. Die Habsucht, womit selbst die geringsten Bedienten unter dem vorigen Präsidenten an sich rissen, was sie unentdeckt an sich reißen konten, verschwand itzo völlig, weil jedermann richtig empfieng, was ihm gehörte, und weder durch Noth noch durch das Beispiel seines Obern zu Schelmereyen sich für berechtigt hielt.

Der Graf Ohlau starb sehr bald nach Herrmanns Heirath unter Kummer, Unwillen und übler Laune, ohne seine Gesinnungen gegen Ulriken zu ändern. Herrmann verschafte, wie schon gesagt worden ist, der Gräfin ein kleines Gnadengeld vom Fürsten, und die Dankbarkeit 413 machte sie um so viel gütiger und freundschaftlicher gegen ihn, da sie ihr stolzer Gemahl nicht mehr zwang, härter und unfreundlicher zu seyn, als ihr Herz wollte. Sie lebt auf dem Lande im Stillen, zwar ohne Mangel, aber in beständiger Kränklichkeit unter mancher Unruhe über den Verlust ihres vorigen Wohlstandes, ob sie ihn gleich äußerlich ganz verschmerzt zu haben scheint. Unglück und Einsamkeit haben sie sehr andächtig gemacht: sie liest täglich Erbauungsbücher, wird von Niemandem als dem Prediger des Orts besucht, der alle Nachmittage eine Betstunde mit ihr halten muß, und achtet alle zeitliche Freuden und Herrlichkeiten für Koth, da sie keine mehr besitzen soll.

Ulrikens Mutter starb schon vor vielen Jahren, als sich Herrmann auf dem Lande aufhielt. Der Sturz mit dem Pferde, der sie hinderte, ihre Tochter von Dresden abzuholenIm 2ten Bande, 229 S., brachte sie in die Hände eines unerfahrnen Wundarztes, dessen Kur ihr einen ofnen Schaden zuzog, daß sie lange Zeit das Bette nicht verlassen konte: 414 der Unerfahrne wollte den begangnen Fehler wieder gut machen, heilte den Schaden zu und verursachte ihr Geschwulst4. Band, 16. S. und eine Krankheit, woran sie starb. Die Einwohner des Gutes, das ihrem verstorbnen Gemahle gehörte und durch den Konkurs verloren gieng, betrachteten nach der gewöhnlichen Denkungsart dieser Leute die Leiden ihrer ehmaligen Gebieterin als Strafen des Himmels für die harte Begegnung, die sie oft von ihrem Zorne und ihrer Peitsche erlitten hatten. Da ihr eignes Vermögen in dem Konkurse mit aufgegangen war, so verthat sie nach dem Tode ihres Gemahls den unbeträchtlichen Rest, den sie mit Mühe noch gerettet hatte: von ihrem herabgekommenen Bruder, dem Grafen Ohlau, konte sie keine Unterstützung erwarten, und war also dem Mangel sehr nahe, und die Furcht vor seiner Nähe mochte sehr viel zu ihrem Tode beytragen. Die Familie liebte sie nicht und vergaß sie und ihre Armuth so ganz, daß Niemand ihren Tod erfuhr, und der Oberste Holzwerder mußte sich erst besinnen, ob sie gelebt hatte, als ihm Ulrike die Nachricht von ihrem Absterben aus 415 Schwingers Briefe mittheilte, den sie kurz nach ihrer Vermählung mit demjenigen erhielt, den man vorhinIn diesem Bande 404 S. gelesen hat.

Siegfried bestrafte sich selbst durch übermäßiges Trinken für seine ehmaligen Bosheiten und Schelmereyen, nach des alten Herrmanns BerichteEbendas. 395 S., und zog sich eine schmerzliche Krankheit zu, die seinem elenden Leben ein Ende machte: seine Frau kaufte sich von dem Reste des vertrunknen Vermögens in einem Hospitale ein, und keins von Beiden genoß in Ruhe die Früchte der Betrügerey. Ihr Sohn, Jakob, hat schon längst seine verdiente Versorgung auf dem Baue gefundenEbendas. 20 S. und wird vermuthlich sein unrühmliches Leben dort beschließen.

Die listige heimtückische Vignali und nachmalige Dormerin wußte sich nach ihrer Vertreibung vom Hofe nicht anders zu helfen, als daß sie sich wieder zu einer Schauspielergesellschaft begab, wo sie in aufgewärmten Operetten singt und alle veränderliche Schicksale mit ihr theilt, die eine wandernde kleine teutsche 416 Truppe betreffen können. Sie fühlt die Demüthigung des Geschicks so stark, daß sie kaum die Flügel zu einem höhern Schwunge zu erheben wagt: sie hat den dritten Mann genommen und ist dadurch an eine Lebensart gefesselt, wo sie nie großen Fortgang machen wird, weil ihr die teutsche Sprache zu schwer fällt, und ihre Intriguensucht ihr bey jeder Truppe sogleich allgemeinen Haß erweckt.

Arnold gelangte nie wieder zu der Gunst des FürstenIn diesem B. 364 S., bekam ein Kassirerämtchen und lebt bey mäßigem Einkommen mit Lisetten ruhig und vergnügt.

Der Doktor Nikasius soll, wie man sagt, vor einigen Monaten gestorben seyn.

Herrmanns erste Mutter bekam auf ihren kläglichen BriefEbend. 408 S. das Versprechen eines jährlichen Zuschusses von ihm, wenn sie ordentlich für sich leben und sich die übrigen Bedürfnisse durch weibliche Arbeiten verdienen wollte. Sie wohnt in einem Städtchen, spinnt, singt und betet viel und lebt von der Unterstützung ihres Sohns, 417 von ihren beiden Männern getrennt, in unvergleichlichem Wohlbefinden.

Der alte Herrmann kämpft zwar täglich mit körperlichen Schwachheiten und flucht auf das Alter, das ihm den Appetit genommen und geschwollne Füße gegeben hat. Seine Prophezeihung, daß die Zufälle seiner werthen Frau Gemahlin, die sie übereilter Weise für Merkmale einer glücklichen Schwangerschaft hielt, nichts als Flüsse seyn möchten, hat der Ausgang bestätigt. Sie leben Beide auf dem Bauergütchen und erwarten in christlicher Geduld, daß ihnen der Himmel ein seliges Ende verleihen möge; und der kleine dicke Pommer, als wohlbestallter Ackerknecht, im zufriednen Genusse seiner genügsamen Philosophie mit ihnen.

Der Magister Wilibald, der Herrmanns kranke Einbildungskraft und überspannte Ruhmsucht so boshaft hintergiengIm 2. Bande 235 – 266. S. und auf dem Wege zur Bekehrung der Berliner zum Diebe an ihm wurde, machte an einigen Orten so viele Schulden, wie in Dresden, und gieng, um sich 418 vor seinen europäischen Gläubigern zu sichern, als Missionar nach Asien, wo er seine Bekehrungssucht an den armen Heiden so heftig ausließ, daß sie unwillig wurden, ihn griffen, mit dem Ohre an einen Baum nagelten und in dieser Stellung drey Tage fasten ließen: seine Gefährten, die ihn diese drey Tage über vergebens gesucht hatten, befreyten ihn, als sie ihn fanden, und er ließ sich in der Folge in Trankenbar nieder, entsagte dem Bekehrungsgeschäfte und legte sich auf den Handel, wobey er sich itzo leidlich wohl befinden soll.

Held und Heldin der Geschichte genießen noch itzo unverändert die Freuden einer treuen, lang ausgeharrten Liebe: ihre vierjährige Ehe ist mit einem Knaben und einem Mädchen gesegnet, denen die Natur das Bild ihrer Eltern in jedem Zuge eingedrückt hat: in Beiden lebt der ernste feurige Geist des Vaters, durch die sanfte Aufgeräumtheit der Mutter gemildert. Herrmann findet in dem Gespräche seiner Gattin Erholung von dürren, oft verdrießlichen Geschäften, und schäkert mit seinen Kindern am Abende 419 die Zahlen aus dem Kopfe, die sich den Tag über darinne angehäuft haben; und keine glücklichere Gruppe kan noch auf der Welt gewesen seyn, als wenn er auf dem Sofa sizt, die kleine lächelnde Karoline auf dem rechten Knie wiegt, Ludwig mit beiden Armen auf das linke Knie des Vaters gestüzt, schäkernd zur Schwester hinaufsieht, und Ulrike daneben steht, den Arm um die Schulter des Mannes schlingt, bald ihm, bald Karolinen die Wangen kneipt, bald dem aufgeheiterten Vater, bald einem ihrer Lieblinge einen Kuß giebt. Mit der geschäftigsten Sorgfalt einer Hausfrau wacht sie über ihre kleine Wirthschaft; denn die vielen Wohlthätigkeiten und Unterstützungen, wozu sich Herrmann anheischig gemacht hat, schmälern seine Besoldung so sehr, daß Sparsamkeit nöthig ist, um damit auszukommen: aber die Wirthschaftlichkeit seiner Frau ist ihm so viel als verdoppelte Einnahme. Geliebt von seinem Fürsten, geachtet vom Publikum; in einem Posten, wo er den Vortheil einiger tausend Menschen befördern und ihren Beschwerden abhelfen kan; in Umständen, daß er 420 anständig leben, Verachtung mit wohlthätiger Großmuth, und Freundschaft mit Gutthaten erwiedern kan; in Geschäften, die hinlängliche Abwechslung haben, die Langeweile tödten, die Leidenschaften nie zum Sturme emporschwellen lassen und den guten Muth eher beleben als unterdrücken; im Besitze einer so lange geliebten, so schwer errungenen Gattin; glücklich, als Mensch, als Bürger, als Gatte, als Vater – welches Loos kan herrlicher seyn?

Ulrikens Munterkeit ist ganz wieder zurückgekehrt, und ihre kleine spielende Imagination ganz wieder erwacht: sie weis sich als Gattin und als Mutter die Wirklichkeit mit tausend angenehmen Tändeleyen und Einbildungen zu versüßen und die Welt um sie her mit einem Anstriche von Lebhaftigkeit zu erhöhen, daß Gegenstände, Handlungen und Begebenheiten nicht so ein fantastisches lachendes Kolorit für sie haben, wie während ihres Traums auf dem Lande, sondern die Vernunft führt itzo über ihre Einbildungen die Aufsicht: sie benehmen der Welt das Alltägliche, Frostige, Matte, ohne 421 die Sorge für die Angelegenheiten des Lebens zu hindern oder zu erschweren. Ihre Kinder als Schäfer und Schäferin zu putzen, ein Lamm von Holz und aufgeleimter Baumwolle mit ihnen zu weiden und in dem gedielten Fußboden sich eine arkadische Flur vorzustellen: Kühe, aus Mehl gebacken, und Schafe von Zuckerteig mit ihnen auf dem Tische zu hüten und Berge von Gras oder Moos darauf zu bauen, an welchen das Vieh hinaufklettern muß, ist nicht blos Verlangen, die Kinder zu unterhalten, sondern wirkliches Vergnügen für sie: aber wenn ein Hausgeschäfte ruft, fliegt sie ohne Verzug aus ihrem geträumten Arkadien in die Küche, ordnet an und kehrt wieder in ihr Arkadien zurück. Auch mit ihrem Manne fallen oft muthwillige Schäkereyen vor, und Eine von ihren verliebten Neckereyen, Einer von ihren naifen Einfällen scheucht mannichmal einen ganzen Schwarm finstrer Wolken von seiner Stirn. Sie wiederholen sich zuweilen Scenen ihres vorigen Lebens und spielen ihr verliebtes Drama oft mit so ganzem Herze, daß etlichemal, wenn sie den Auftritt mit dem 422 sklavonischen Grafen oder einen andern eben so heftigen mit Vignali vorstellten, der Bediente herbeygelaufen ist, in der Meinung, daß seiner Herrschaft plözlich etwas zugestoßen sey, weil sie um Hülfe schreye. Die Liebe macht aus ihrem Hause einen Himmel; die Liebe weckt sie aus dem Morgenschlummer und drückt ihnen die Augen zum nächtlichen Schlafe zu; die Liebe schwebt mit ausgebreiteten Fittigen über ihren Häuptern und strömt aus dem nie erschöpften Füllhorne den Lohn der Treue und Beständigkeit herab.

 


 

Ende des vierten und letzten Bandes.


 << zurück