Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 4
Johann Karl Wezel

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Zweites Kapitel.

Herrmann bewies nicht lange nach dem Antritte seiner neuen Stelle, daß er bisher geschwiegen hatte, um itzo zu reden: er widersprach der Meinung des Präsidenten mit Muth, Stärke und Bescheidenheit, ohne die mindeste Scheu, und sezte das Widersinnige, Zweckwidrige, Schädliche seiner Vorschläge in ein so helles Licht, daß der Präsident theils um der Neuheit willen, theils aus Unvermögen nicht Ein Wort dawider einwenden konte: er war verwirrt, bestürzt, erzürnt. Er wollte das Mittel anwenden, wodurch er die übrigen Räthe feige gemacht hatte, und brutalisirte Herrmannen, aber er fand einen Gegner an ihm, bey welchem Vernunft und Affekt in gleichem Schritte giengen, der ihn, ohne die mindeste Verletzung der Ehrerbietigkeit, blos durch die Stärke seiner Gründe so in die Enge trieb, daß er seine Saiten umstimmte und glimpflicher verfuhr. Herrmann wurde durch die Aufmerksamkeit, womit ihn der Fürst 331 anhörte, ob er ihm gleich fast niemals ausdrücklichen Beifall gab, durch die Auffoderungen, die ihm der Fürst that, seine Meinung zu sagen, und die Verbote, die der Präsident empfieng, wenn er ihn unterbrechen und daniederschwatzen wollte, mächtig aufgemuntert, in seinem Eifer fortzufahren; und da der Fürst, seitdem ihm Herrmann die geheime Entdeckung gemacht hatte, fast keine Sitzung und Berathschlagung von Wichtigkeit versäumte und überall mit seinen eignen Augen sehen wollte, so nahm alles auf einmal einen ordentlichen Gang, die Kassen waren nicht mehr leer, und die Auszahlungen geschahen alle zu gehöriger Zeit. Das Publikum schrieb diese glücklichen Veränderungen Herrmannen zu, frohlockte und pries ihn, wie den Schuzgott des Landes, der die Macht des Plagegeistes, der es bisher despotisirte, brechen sollte. Die ältern Räthe, denen die freymüthige unerschrockne Sprache ihres neuen Mitgliedes so fremd war, wie das Malabarische, rissen vor Verwunderung die Augen weit auf, hielten ihre Ohren hin, ob sie nicht etwa eine Einbildung täuschte, und saßen 332 da, wie versteinert vor Erstaunen. Da sie wahrnahmen, daß seine Dreistigkeit dem Fürsten gefiel, machten sie ihm alle nach der ersten Sitzung, wo er sie zeigte, ihren Glückwunsch darüber, lobten ihn, wie einen braven Mann, der so glücklich wäre, etwas wagen zu können, was sie wegen ihrer Familien nicht wagen dürften, weil sie mit ihren Weibern und Kindern nothwendig elend werden müßten, wenn der Präsident die Oberhand behielt und ihre Verabschiedung bewirkte – aber wohlgemerkt! alles in Abwesenheit des Präsidenten! Sprachen sie mit diesem in Herrmanns Abwesenheit, so machten sie den lobgepriesnen Patrioten zum Vorwitzigen, Tollkühnen, Naseweisen, der seinem Vorgesezten die gebührende Achtung versagte und nichts als schädliche lahme unausführbare Vorschläge that.

Der Fürst nüzte Herrmanns Einsichten so sehr, daß er ihn zuweilen auf sein Zimmer fodern ließ und sich mit ihm über Angelegenheiten besprach, die für ein andres Kollegium gehörten. Auf diesem Wege leitete ihn Herrmann 333 auf die Verbesserung der öffentlichen Schulanstalten, auf die Vermehrung der Industrie und Verbesserung der Moralität durch Abschaffung des Bettelwesens und Errichtung eines Armenhauses und besonders eines Arbeitshauses, wo die Leute, die an dem kleinen gewerblosen Orte keine Arbeit finden konten, auf Unkosten des Landesherrn arbeiten sollten, der die Früchte ihres Fleißes ohne Profit einem Unternehmer zum Verkehr überlassen mochte; so leitete er ihn auf Aenderungen in kirchlichen Sachen, auf die Einschränkung des geistlichen Ansehns, auf die Abschaffung alles religiösen Zwanges, auf die Simplificirung des Gottesdienstes; so brachte er ihn auf die Mittel, den Ackerbau zu ermuntern, den man dort aus Bequemlichkeit und Mangel an Absaz nicht viel über das Nothdürftige trieb, die ländlichen Erzeugnisse mehr zu einer Handelswaare zu machen, Industrie und Gewerbe zu erhöhen, insofern es ein kleines, von mächtigern Nachbarn umzingeltes, gehindertes Ländchen zuließ. Von allen diesen und tausend andern nüzlichen Dingen, worüber sie oft zu 334 Stunden mit der äußersten Ernsthaftigkeit sprachen, wurde freilich wenig oder gar nichts ausgeführt: allein Herrmann freute sich doch, einem Fürsten zu dienen, der sie wußte und anhörte. Nur blieb es ihm befremdend, wie dieser nämliche Herr das erkannte Bessere, das er in jeder Sitzung mit der Mine billigte, nie beschloß, sondern jedesmal entweder ein Mittel zwischen des Präsidenten und Herrmanns Meinung traf, oder, wo sich dieses nicht thun ließ, dem Gutachten des Erstern ganz folgte.

Unvermeidlich mußte unter den Neuerungen, die Herrmann durchsezte, oder wozu er den Fürsten durch seine Unterredungen veranlaßte, oder die ihm das Publikum fälschlich zuschrieb, manche den Privatnutzen dieses oder jenen Mannes schmälern, das Vorurtheil, den Schlendrian und die Faulheit kränken; und es erhuben sich einzelne Stimmen mit mächtigen Beschwerden wider den neuen Rath. Der Präsident glaubte, daß Neuerungen und Verbesserungen einerley wären, und dachte Herrmannen zu übertreffen, wenn er mehr Veränderungen vorschlüge 335 und durchsezte, als er: auch der Fürst hatte durch die Ideen, die ihm Herrmanns Gespräch mittheilte, Neigung zu Reformen bekommen: sonach wurden der Reformen freilich im kurzen ein wenig zu viel; und alle, gute und schlechte, gerade und schiefe, überdachte und übereilte, mußte sich der arme Herrmann auf seine Schultern binden lassen. Die Kreaturen des Präsidenten fachten den glimmenden Haß des Publikums wider ihn zur Flamme an, und sehr bald wurde der neue Rath bey der Kaffetasse und auf der Bierbank so allgemein gelästert, verflucht und gescholten, als man ihn nicht allzulange vorher lobpries.

Gleichwohl hatte Herrmann bey diesem allgemeinen Hasse, wovon er wenig oder gar nichts erfuhr, ein Projekt im Kopfe, wozu er nothwendig Freunde und Gehülfen brauchte: er wollte den Präsidenten völlig stürzen und sah dies Unternehmen für eine eben so verdienstliche Handlung an, als wenn er das Land von einer Räuberbande befreyte. Auf seine Kollegen konte er nicht viel rechnen; denn sie waren froh, daß er 336 den größten Theil der Arbeit über sich nahm und ihnen Muße zu einem Lomberchen verschafte, nährten und pflegten sich und lachten insgeheim des Thoren, der mit dem Kopfe wider die Wand rennen wollte: sie waren durch langen Despotismus so schlaff und abgestimmt, daß sie Herrmannen kaum beneideten, sondern alles gehn ließen, wie es gieng.

Noch kleinmüthiger hätte er werden können, als er gewahr wurde, daß auch Arnold und Madam Dormer auf die Seite des Präsidenten getreten waren, zwar nicht gegen ihn als Feinde handelten, aber doch sein Ansehn bey dem Fürsten untergruben. Dieser Uebergang zur feindlichen Partey, so plözlich er Herrmannen schien, weil er ihn in dem Eifer für sein neues Amt übersehen hatte, wurde durch das erste Konzert schon vorbereitet, das der Präsident wieder in seinem Hause gab. Durch Schmeicheleyen und Vertraulichkeiten gewann er Arnolden und knüpfte ihn dadurch fest an sich, daß er ihm einen Antheil an dem Handel versprach, den er mit dem Gelde aus der fürstlichen Kasse trieb: Arnold 337 errieth diesen lezten Umstand mehr als er ihn wußte, und als ein Mann, der Vergnügen und Aufwand liebte und zeither beides sehr einzuschränken gezwungen war, nahm er mit Freuden die Summen an, die ihm der Präsident von Zeit zu Zeit als den Ertrag seines Antheils an der Handlung gab, und redte aus Dankbarkeit das Beste von ihm bey dem Fürsten. Madam Dormer wurde auf die nämliche Manier durch Schmeicheleyen, Ehrenbezeugungen und Geschenke gewonnen: sie spielte gern die große Dame, und da sie der Präsident völlig so behandelte, sprach sie allenthalben zu seinem Vortheil und trieb auch Arnolden an, dem Fürsten gute Gesinnungen von einem so braven Manne beyzubringen.

Diese neue Freundschaft erzeugte noch eine dritte Ursache zur Kleinmüthigkeit für Herrmannen. Der Fürst bekam auf Arnolds Betrieb, den der Präsident dazu angestiftet hatte, wieder Neigung zur Jagd: sein Liebling bot ihm täglich so viele schöne Büchsen und Hunde an, daß er sie probirte, und über dem öftern Probiren erhielt das Vergnügen wieder Reiz für ihn, sein 338 voriger Trieb erwachte und wuchs sehr bald zur Leidenschaft empor. Die neue Liebhaberey verdrängte die bisherigen, und da seine angelegentliche Sorge für die Regierung und seine Verbesserungsbegierde zum Theil auch nur Liebhaberey gewesen seyn mochten, so kam er izt in keine Sitzung mehr, Herrmann wurde nicht mehr zu politischen Unterredungen geholt, konte nie vor ihn kommen, weil er außer der Tafelzeit nicht zu Hause war, und bekam ihn in vielen Wochen nicht einmal zu sehn. Er entbehrte also eine wichtige Stütze gegen den Präsidenten, der sich täglich mehr zu seiner vorigen Gewalt empor brutalisirte und that, was ihm lüstete, ohne auf Herrmanns Widerspruch im mindsten zu achten.

Herrmann war also auf allen Seiten verlassen, sollte allein wider alle sich stemmen; und da er genug zu thun hatte, sich der Feinde zu erwehren, wollte er sie gar noch angreifen? – Das war allerdings verwägen, aber Muth und Erbitterung wuchs bey ihm täglich, je mehr der Präsident tirannisirte und ihn drückte: vor der Hand mußte er zwar laviren, aber sein 339 Entschluß, das Ungeheuer zu tödten oder von ihm getödtet zu werden, war unbeweglich fest, und er wartete nur auf die Gelegenheit zum Angriff.

Der Präsident wurde nach seiner neuen Allianz, da er die Aufmerksamkeit des Fürsten eingeschläfert und den hauptsächlichsten Zugang zu ihm, Arnolden, in seiner Gewalt hatte, so keck, so unverschämt, daß er seine vorigen Unterschleife mit verdoppelter Dreistigkeit fortsezte, sogar ohne sie zu verstecken. Herrmann, dem er damit trotzen wollte, mußte seinen Aerger verbeißen: er verstummte, that als wenn er nichts bemerkte, und sammelte indessen insgeheim alle Beweise auf, die zur Unterstützung seiner Anklage wider den Präsidenten dienen konten: er fand Gelegenheit, einige von den Rechnungen, die ihm schon längst verdächtig waren, zu untersuchen, und alle waren verfälscht: er entwandte sie, und diesen unwiderlegbaren Beweis nebst seiner gesammelten skandalösen Chronik unter dem Kleide, stellte er sich des Mittags einmal dem Fürsten in den Weg, um von ihm getroffen zu werden, wenn er von der Jagd 340 käme. Es glückte ihm: nachdem er lange herumgegangen war, kam der Fürst an, stieg ab und gieng, wie gewöhnlich, ohne Begleitung über den Schloßhof: er erblickte Herrmannen und fragte ihn – »wie gehts?«

Herrmann. Schlecht! sehr schlecht! Wie kan es unter den Dienern wohl hergehn, wenn der Herr schläft?

Der Fürst. Wie so? ist das eine Beschwerde wider mich?

Herrmann. Nicht wider den guten Fürsten, sondern wider die Betrüger, die seine Güte mißbrauchen! Ich bitte um fünf Minuten Gehör, und Eu. Durchl. sollen schaudern vor der Bosheit, womit man Ihre Gnade erwiedert. –

Der Fürst befahl ihm, in sein Zimmer nachzufolgen: Herrmann übergab ihm seinen Aufsaz, zeigte ihm in den Rechnungen die auffallendsten Beweise wider den Präsidenten und seine Kreaturen und überzeugte ihn so unwiderlegbar, daß er vor Zorn die Papiere auf den Tisch warf und ihm nach der Tafel wiederzukommen befahl. Der Aerger trieb den Fürsten wieder zu 341 den Papieren hin, er las den Herrmannischen Aufsaz und ward so heftig erzürnt, daß er den Präsidenten auf der Stelle rufen ließ. Dieser war durch Arnolden sogleich in vollem Fluge von des Fürsten Unterredung mit Herrmann benachrichtigt worden, und ob er gleich den Inhalt derselben nicht wußte, so vermuthete er doch nichts Gutes und rüstete sich deswegen mit aller möglichen Unerschrockenheit. Der Fürst gab ihm zornig Herrmanns Aufsaz und befahl ihm, vorzulesen: der Präsident gehorchte, las Punkt für Punkt und drehte Punkt für Punkt so künstlich mit der völligen Mine der Wahrheit herum, daß sein Ankläger augenscheinlich zum boshaften Verläumder wurde: der Fürst war durch seine Vorspiegelungen so überzeugt und überzeugter, als durch Herrmanns Gründe, und je höher sein Zorn vorhin stieg, je stärker lenkte er sich nunmehr wider den Urheber desselben. Der Angeklagte bat mit der Energie der falsch beschuldigten Ehrlichkeit um Satisfaktion, und wollte lieber seine Würde in die Hände seines Herrn zurückgeben und den Geschäften 342 entsagen, wenn er sie nicht erhielt: er wußte die kräftige Beredtsamkeit seines Gegners sehr gut nachzuahmen und gab ihr durch eingemischte Demüthigungen und Schmeicheleyen einen neuen Reiz. Bestürmt von den Bitten und Scheingründen des Präsidenten, gereizt von Unwillen, daß Herrmann nach allem Anschein aus Neid seinen Vorgesezten hatte anschwärzen wollen, befahl der Fürst im ersten Verdrusse, daß Herrmann bis nach genauerer Untersuchung der Sache Hausarrest haben sollte. Die Kreaturen des Präsidenten posaunten diesen Triumph der Unschuld sogleich am Hofe und in der Stadt mit aufgeblasenen Backen aus, und Ulrike erfuhr die Nachricht davon, als man zur Tafel gieng. Düstere Wolken hingen auf des Fürsten Stirne; alles schwieg in ehrfurchtsvoller Stille vor dem Unmuthe des Regenten; die Fürstin freuete sich innerlich über den Vorfall, weil ihr Herrmann wegen eines Vorschlags, den er einmal ihrem Gemahle über die Einschränkung ihres Hofstaates that, äußerst verhaßt war; Ulrike saß in banger Betrübniß da, gab jeden Teller unberührt hinweg, wie sie ihn empfangen hatte, und berathschlagte bey sich, 343 was sie zur Befreyung ihres Geliebten thun sollte. Sie beschloß, mit ihren Bitten herzhaft einen Anfall auf den Fürsten zu wagen, sollte er ihr auch die Ungnade der Fürstin zuziehn: gleich nach der Tafel gieng sie ihm nach, holte ihn in seinem Vorzimmer ein, warf sich mit Thränen vor ihm hin und bat um Herrmanns Befreyung und um die Untersuchung seiner Unschuld. Sie flehte so dringend, mit so vollströmendem Schmerze, daß sie der Fürst lange gerührt ansah und sogleich den Arrest aufzuheben befahl: ohne weiter etwas zu sagen, gieng er zerstreut ins Zimmer. Ulrike, eine so artige Figur, den ganzen Kummer der Liebe auf dem Gesichte, in Thränen, flehend vor ihm hingeworfen, hatte einen so lebhaften Eindruck auf ihn gemacht, daß er, in das Bild vertieft, einigemal im Zimmer auf und nieder gieng: er sah in der Zerstreuung zur Thüre hinaus, ob sie vielleicht noch wartete, aber sie war fort: herzlich gern hätte er sie noch einmal in der vorigen Stellung erblickt. Er seufzte, befahl, Niemanden vorzulassen, und griff verdrießlich nach den Papieren, die Herrmann überreicht hatte, um nach Ulrikens Verlangen seine Unschuld zu untersuchen. Wie erstaunte er, als er statt der dicken Rechnung, die er vor Tafel in Händen hatte, nur wenige Bogen erblickte und nichts darinne fand, was er vor Tafel las! Arnold mußte kommen und wurde gefragt, wer diese Papiere ausgetauscht habe: er hatte auf diesen Fall schon seine Partie genommen, so bald er Ulrikens Fürbitte und ihre Folgen sahe, und antwortete dreist, daß es ihm der Präsident im Namen Ihrer Durchlaucht befohlen habe. Nun war offenbarer Verdacht da: dem Herrn von Lemhoff wurde geboten, im Augenblicke die umgetauschte Rechnung herbeyzuschaffen, allein er konte nicht; denn sie war vernichtet worden. Er dachte zwar durch seine Beredtsamkeit den Fürsten wieder umzustimmen, aber er kam nicht vor, und Herrmann erhielt den Auftrag, die übrigen Rechnungen herbeyzubringen. Es geschah: alle waren auf den nämlichen Schlag gemacht, der Präsident überführt: er demüthigte sich, bat die Fürstin um 345 ihren Fürspruch, den sie ihm auch nicht verweigerte, weil er zu Herrmanns Nachtheile wirken sollte, allein ehe sie mit ihm zu dem Fürsten gelangte, hatte der Präsident schon seine Entlassung. Zur Strafe mußte er das Arbeitshaus bauen lassen, das Herrmann so oft in Vorschlag und nie wegen der Widersetzung dieses Despoten zu Stande gebracht hatte. Die Fürstin versuchte zwar verschiedene eifrige Fürbitten, um den Gefallnen wieder in seinen Posten zu bringen, allein sie bewirkte nichts, als daß sich das allgemeine Mistrauen des Fürsten, das ihm eine so unerhörte Untreue einflößte, auch auf sie erstreckte, besonders da ihm Arnold ihren Haß gegen Herrmann als die Ursache ihres Fürspruchs und die Veranlassung dieses Hasses angab; und Arnold freuete sich auch nicht wenig, der Fürstin bey der Gelegenheit so nebenher einen Streich zu versetzen, da ihre Gunst gegen ihn ganz erloschen war, seitdem sie nicht mehr angelte. Täglich, fast stündlich liefen Beschwerden wider den verabschiedeten Präsidenten und Entdeckungen neuer Betrügereyen ein, daß sie zulezt der Fürst untersagen 346 mußte, um nicht überhäuft zu werden: da der Gefürchtete einmal in der Grube lag, so arbeitete Jedermann, ihn nicht emporkommen zu lassen: wer vorher nicht Ein freymüthiges Wort flisterte, sprach itzo laut, wie ein Held. Herrmann, weil er siegte, war der angebetete, von allen Zungen gepriesene Erretter des Vaterlandes: Madam Dormer wartete ihm noch den nämlichen Tag, wo der Präsident stürzte, sehr spät auf, um ihm ihre Freude über den erfochtnen Sieg zu bezeugen, und Arnold, der in der Minute, als der Fürst nach der Umtauschung der Rechnung fragte, auf Herrmanns Seite getreten war, konte nicht laut genug über den Fall des Präsidenten triumphiren, welches er nothwendig thun mußte, um sich nicht wegen seiner vorigen Verbindung mit ihm verdächtig zu machen. Es kam zwar zu den Ohren des Fürsten, daß er Antheil an dem Verkehr des Herrn von Lemhoffs gehabt und viel Geld von ihm empfangen hatte, allein er rechtfertigte sich damit, daß es blos eine kaufmännische Verbindung gewesen sey, die er freilich nicht eingegangen wäre, wenn er 347 gewußt hätte, daß der Fond des Handels aus den Fürstlichen Kassen genommen würde: er that seine Unwissenheit in Ansehung des lezten Punktes leidlich dar, der Fürst nahm seinen Beweis für gültig an, aber behielt lange Mistrauen und Zurückhaltung gegen ihn.

Aus einer so großen Staatsveränderung, dergleichen in diesem Lande seit undenklichen Zeiten nicht vorgegangen war, mußten nothwendig wichtige Folgen entstehn. Der älteste adeliche Rath, ein Mann, den Alter und Faulheit zum Despotiren und Betrügen untüchtig machten, bekam einen Theil von der Besoldung des Herrn von Lemhoffs und sollte in Zukunft den Präsidenten vorstellen, welches er auch treulich that; denn er saß auf seinem Stuhle da, ohne sich zu rühren, vom Anfange jeder Sitzung bis zum Ende. Die andre Hälfte der Besoldung erhielt Herrmann, dabei den Titel eines Direktors und die ganze Arbeit des Präsidenten. Die Hauptperson, von welcher alles abhieng, und ohne welche nichts geschehen konte, wollte der Fürst selbst seyn, und war es beinahe mehr, als er es seyn sollte: er 348 entsagte von neuem allen seinen Vergnügen, ließ seiner Aufmerksamkeit nichts ungefragt entwischen und wollte so sehr mit seinen eignen Augen allenthalben sehn, daß alles zwar ordentlich, aber unerträglich langsam gieng: seine Ideen waren oft schief und nur halb gut, weil er das Ganze nicht überschaute, und so bewundernswürdig seine Geduld war, Belehrungen anzuhören, so ermüdend war es doch für diejenigen, die ihn belehren mußten: aus jeder Berathschlagung wurde meistens ein Kollegium, das ihm Herrmann las. Gern hätte ihn dieser aus der besten Absicht zuweilen auf die Jagd gewünscht; denn vor großer Bedachtsamkeit und vielem Ueberlegen kam weder Gutes noch Böses zu Stande: es that Herrmannen tausendmal weher, ihm zu widersprechen, als dem vorigen Präsidenten, weil er sich scheute, dem guten Fürsten die Kränkung zu verursachen, daß er falsch geurtheilt habe, und er hinderte aus diesem Grunde weniger Schädliches, als unter dem Despotismus des Herrn von Lemhoffs. Außerdem stieg das Mistrauen des Fürsten zu einem Grade, der 349 beleidigen konte, wenn man die Veranlassung dazu nicht wußte: er fürchtete allenthalben List und Betrug und brauchte oft lange Untersuchung, um da keinen zu finden, wo keiner war. Indessen waren doch seine Einkünfte und das ganze Land unendlich besser berathen als vorher, und er gab Herrmannen deutlich zu verstehn, daß er ihm die Anklage des Präsidenten zum Verdienst anrechnete.

Auch Ulriken traf die Wirkung jener Revolution. Sie zog sich durch ihre Fürbitte für Herrmannen ein scharfes Verhör von der Fürstin zu, und da sie so gewaltig mit Fragen gequält wurde, gestund sie ihre Liebe ohne Rückhalt und versicherte mit einiger Wärme, die man für Troz annehmen konte und die Fürstin auch wirklich dafür annahm, daß sie ihn heirathen würde, sobald er für gut befände, ihre Hand zu verlangen. – »Auch wenn ichs nicht gern sähe?« fragte die Fürstin mit Stolz. – »Ich hoffe,« antwortete Ulrike, »daß es Eu. Durchlaucht gern sehen werden.« – »Nein,« sprach die Fürstin entrüstet, »bey meiner Ungnade 350 untersag' ich die Heirath.« – Ulrike seufzte und schwieg.

Als sie der Fürst, nachdem der Hauptsturm mit dem Präsidenten vorüber war, zum erstenmale wieder erblickte, kam ihm das reizende Bild, wie sie weinend vor ihm auf den Knien lag, in die Gedanken zurück, und er erkundigte sich, ob sie nunmehr mit ihm zufrieden wäre. Sie dankte ihm mit der lebhaftesten Freude für Herrmanns Freisprechung und hielt inne, als wenn sie noch etwas mehr zu bitten hätte. – »Fehlt noch etwas?« fragte der Fürst lächelnd. »Soll ich etwa den Pfarr holen lassen?« – Ulrike nahm den Scherz mit Fleis als Ernst auf und erzählte ihm die traurige Lage, in welche sie das Verbot der Fürstin gesezt hatte. – »Ich sehe wohl,« sprach der Fürst und drückte sie verliebt bey der Hand: »so einem hübschen Mädchen kan man nichts abschlagen. Ich will noch einmal helfen.«

Er besprach sich mit der Fürstin darüber, aber sie widersezte sich mit einer Heftigkeit, die ihn beleidigte. – »Der Mensch soll so eine hübsche 351 Frau nicht haben,« sagte sie und wiederholte ihr Verbot in seiner Gegenwart. Seit diesem Augenblicke fiel der Thermometer ihrer Gunst gegen Ulriken bis zum Gefrierpunkte herunter.

Der Fürst, durch die Heftigkeit seiner Gemahlin beleidigt, ob er gleich seine Empfindung verhelte, sprach selbst mit Herrmannen über seine Liebesangelegenheit und nöthigte ihn durch die Versprechung alles Vorschubes, frey heraus zu beichten; Herrmann that es, aber gieng wohlbedächtig in seiner Geschichtserzählung nicht weiter als bis zu dem Zeitpunkte zurück, wo er der jüngste Geselle in des Obersten Werkstatt gewesen war. Der Fürst rieth ihm, die Sache so lange anstehn zu lassen, bis er die Fürstin gegen ihn ausgesöhnt hätte: Herrmann nahm den Rath willig an, da ihm seine überhäuften Geschäfte und der Eifer, womit er die Arbeit eines ganzen Kollegiums verrichtete, keine Zeit zur Liebe übrig ließ: er wollte erst in seinem neuen Posten fest sitzen, um den Genuß eines endlich errungenen Glücks voller und ungestörter zu genießen. Dem Fürsten gefiel die Aufopferung, die er seinem Dienste 352 machte, überaus wohl, er versuchte der Fürstin Gesinnungen gegen ihn zu ändern, und es wäre ihm auch gelungen, wenn nicht der Oberste Holzwerder ihr so flehentlich angelegen und auch ihn mit seinen Bitten so vielfältig bestürmt hätte, daß er bey der neuen Aufmerksamkeit auf die Geschäfte nicht weiter daran dachte: die Sache schlief abermals ein, und das Publikum hatte das Brautpaar abermals zu zeitig trauen lassen. 353

 


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