Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 4
Johann Karl Wezel

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Erstes Kapitel.

Herrmanns gefährliches Wagestück, dessen er in dem vorhergehenden Briefe gedenkt, war die Entdeckung aller Kniffe, Kunstgriffe und Praktiken, die der Präsident gebrauchte, mit einem Theile der fürstlichen Kasse zu wuchern, während daß unter dem Vorwande des Geldmangels alle Anfoderungen an dieselbe abgewiesen, verschoben, vertröstet, und oft die Auszahlung der geringsten Besoldungen ausgesezt wurde. Er suchte eine Gelegenheit, den Fürsten allein zu sprechen und ihm das ganze eigennützige System des Präsidenten vorzulegen, um welches er allein zu wissen glaubte, ob man gleich öffentlich darüber klagte, schmälte und fluchte, und nur gegen ihn zurückhaltend that, weil er zum Hause des Herrn von Lemhoff gehörte und in dem Verdachte stund, daß er der 306 Handlanger der Ungerechtigkeit sey. Madam Dormer und alle übrige Virtuosen des Hofs haßten seit langer Zeit den Präsidenten bis auf den Tod: sein unharmonisches Gemüth hatte eigentlich niemals Neigung für die Musik gefühlt, sondern war ihr vielmehr gram, und er gab sich nur einige Zeit die Mine eines Liebhabers, hielt stetig Konzerte bey sich, unterhielt sich viel über die Tonkunst, ohne das mindeste davon zu verstehen, blos um der Liebhaberey des Fürsten ein Kompliment zu machen: da bey diesem der Eifer erkaltete und sich mehr zur Mahlerey hinlenkte, ließ der Präsident keinen Geigenstrich mehr in seinem Hause thun, würdigte Sängerin, Geiger und Flötenblaser kaum eines Blicks und drang bey jeder Gelegenheit auf ihre Abdankung: alle litten auf seinen Betrieb eine Verminderung des Gehalts. Herrmann glaubte also durch Madam Dormer und Arnolden den sichersten und geheimsten Kanal zum Fürsten zu finden: er vertraute sich ihr an, sie ermunterte ihn in seinem Vorsatze, theilte ihn Arnolden mit, und Beide ergriffen die Gelegenheit, dem 307 Präsidenten zu schaden, mit so großer Freude, daß Herrmann schon den folgenden Tag zu Arnolden beschieden wurde. Unter dem Schein eines Besuchs gieng er zur bestimmten Stunde zu ihm, Arnold paßte die Zeit ab, wo der Fürst sich allein auf seinem Zimmer mit Zeichnen zu beschäftigen pflegte, und brachte ihn so weit, daß er Herrmanns Anbringen hören wollte. Herrmann that seinen Vortrag mit unerschrockner Freymüthigkeit, überreichte die Beweise, die er mitgebracht hatte, seine Beschuldigungen zu unterstützen, und machte einen kurzen Abriß von der Verfahrungsart des Präsidenten und den Unordnungen, die desselben Nachlässigkeit, Unwissenheit und Eigennuz veranlaßten: alles war durch unverwerfliche Gründe so sonnenklar, daß auch nicht ein Zweifel dawider statt fand. Der Fürst hörte ihn gelassen an und ließ nicht die mindeste Verwunderung und noch viel weniger Unwillen in seinem Gesichte blicken: er sah die überreichten Schriften flüchtig durch, gab sie Herrmannen zurück und sagte lächelnd: – »Ich weis dies alles: das Geheimniß soll unter uns 308 bleiben: ich danke indessen für den guten Willen.« – So schloß sich die Audienz.

Herrmann schwebte viele Tage in Ungewisheit über die Wirkung seiner Entdeckung: Arnold versicherte ihn zwar, daß sie der Fürst sehr wohl aufgenommen zu haben schiene, sezte aber auch mit Betrübniß hinzu, daß sie vermuthlich ohne schädlichen und guten Effekt bleiben werde, weil ihm der Fürst Stillschweigen geboten hätte, als er in einem günstigen Augenblicke Herrmanns Aussage verstärken wollte. Madam Dormer, mit ihrem unruhigen Geiste und heftigen Affekten, konte die ersten Tage weder essen, noch trinken, noch schlafen. »Ich sank (zanke) mich mit die Fürst,« sprach sie immer, »wenn sie noch länger bleib die dupe von die Präsident abominable.« – Es blieb, wie es war: Madam Dormer zankte sich nicht mit dem Fürsten, und der Fürst schien sich auch vor ihrem Zanke nicht zu fürchten; denn er blieb wie vorher, die dupe von die abominable Präsident.

Arnold suchte wenigstens die Gelegenheit zum Vortheil seines Freundes zu nützen, um ihn aus 309 einem gegenwärtigen Platze zu erlösen, welches Herrmann um so viel eifriger wünschte, da er der Ungerechtigkeit nicht dienen wollte, wenn er sie nicht hindern könte. Der Fürst lobte ihn gegen Arnolden wegen seines Anstands, seiner bescheidnen Dreistigkeit und besonders wegen seiner warmen Ehrlichkeit, verrieth auch sehr viel gute Meinung von seinen Talenten und seiner künftigen Brauchbarkeit: aber auf den Hauptpunkt, den Arnold betreiben wollte, gab er nie Antwort. Bey der nächsten besondern Unterredung mit dem Präsidenten verlangte er, daß Herrmann bey seinem Kollegium als überzählig angestellt werden sollte, bis sich ein Platz für ihn erledigte, und bestimmte selbst seinen einstweiligen Gehalt: der Präsident machte Schwierigkeiten, daß er ihn ungern in seinen eignen Angelegenheiten entbehrte, aber doch diese Unentbehrlichkeit gegen Eu. Durchl. Befehl in gar keine Betrachtung ziehen würde noch dürfte, wenn nur nicht alle Gelder schon ihre Anweisung hätten; daß es also schlechterdings unmöglich wäre, eine Quelle für die verlangte Besoldung ausfündig 310 zu machen. Die Schwierigkeiten und die Berechnungen, wodurch er sie wahrscheinlich machte, waren unendlich: der Fürst hörte ihn lange an und sagte nichts als daß er die Besoldung aus seiner Schatulle zu geben versprach. Auch hier wollte ihm der Präsident die Unmöglichkeit zeigen, allein der Fürst unterbrach seine vortrefliche Beredsamkeit mit einem frostigen – »Ich will.« – Der Präsident häufte in der Folge die Schwierigkeiten noch mehr, doch konte er nichts als Verzögerung bewirken; denn Arnold hielt ihm das Gegengewicht, so bald ihm der Fürst seinen Entschluß in Ansehung Herrmanns gesagt hatte, und rastete nicht, bis der Fürst mit einigem Unwillen und durch ernstlichen Befehl der Verzögerung ein Ende machte.

Herrmann konte in dem Platze eines Subalternen nicht viel mehr ausrichten als vorher: er mußte ohne Widerspruch Befehle thun, wenn er sie gleich äußerst misbilligte, und durfte sich seine Misbilligung nicht einmal merken lassen: er mußte ohne Murren verkehrte Anstalten machen sehen, die auf einer Seite einen unbedeutenden Nutzen, 311 und auf allen andern allgemeinen Schaden stifteten, Anordnungen schreiben oder in Ausführung bringen, bey welchen der entgegengesezte Erfolg ihres Zweckes ohne sonderliche Einsichten vorauszusehn war, Befehle ausfertigen, die den Gehorchenden schwer drückten und weder dem Gehorchenden noch dem Befehlenden nüzten: der Unwille kochte oft in seiner Brust bis zu den Lippen herauf, aber er bändigte ihn, wie ein wildes Roß, und schwieg, weil der Fürst und alle seine Obern schwiegen, und der grausame Despotismus des Präsidenten jede Erinnerung, wenn sie auch in der pflichtmäßigen Anzeige einer falsch geschriebnen Zahl bestund, mit Härte von sich wies. Herrmann konte sich zwar von den eigennützigen Praktiken seines Vorgesezten nicht mehr so genau, wie sonst, unterrichten, aber er nahm sie in ihren Folgen wahr, in der wachsenden Verwirrung aller Finanzangelegenheiten und den allgemeinen Beschwerden, die izt häufig zu seinen Ohren kamen, weil man ihn nicht mehr für den Günstling und Handlanger des Herrn von Lemhoffs hielt. Die Nachsicht des Fürsten, 312 seine erkünstelte Blindheit, auch wenn ihm die Unordnung und Unrechtmäßigkeit in die Augen fiel, seine Einwilligung in Dinge, die oft der gesunden Vernunft widersprachen, blieb ihm ein ewiges Räthsel: es war weder Indolenz noch Mangel an Einsicht noch gutherzige Schwäche, und wenn eine Absicht dahinter steckte, konte sie doch Niemand errathen. Inzwischen hatte doch Herrmanns Entdeckung Eine Veränderung bey ihm hervorgebracht, die man mit Verwunderung wahrnahm, ohne ihre Ursache zu errathen: der Fürst entsagte seitdem seinen liebsten Ergözlichkeiten und bekümmerte sich mit ungewöhnlichem Eifer um alles, oft sogar um Kleinigkeiten: die Jagd wurde ganz eingestellt, Zeichnen war izt sein einziges übriges Vergnügen, und sein Geschmack für die Mahlerey so herrschend, daß er Gemählde zu einer Sammlung zu kaufen anfieng. Kaum hatte der Präsident den ersten Wink von der neuen Liebhaberey, als er schon darauf dachte, Partie für seinen Nutzen daraus zu ziehn. Er selbst war so wenig Kenner in Gemählden als von irgend einer andern schönen 313 Kunst, und da Er keinen Unterschied zwischen den Gemählden fühlte, die er einmal im Vorübergehn in der Düsseldorfer Gallerie gesehn hatte, und zwischen den Kunstwerken, die ihm der Hofmahler im lezten Frühling auf den Kalkwänden seines Lusthäuschens schuf, so bildete er sich ein, daß es bey allen Menschen und daher auch bey dem Fürsten eben so seyn müßte. Er gab also dem Hofmahler, der itzo ein geschickter Thürenanstreicher, und ehemals Dekorationsmahler gewesen war, den geheimen Auftrag, alle Kräfte seiner Kunst anzuspannen und ein halbes Dutzend extrafeine Gemählde mit Oelfarbe auf Leinwand zu verfertigen, die etwa biblische Geschichten, die vier Jahrszeiten, die vier Elemente oder so etwas vorstellten. Der Mahler hatte von der berühmten Nacht des Correggio vorzeiten etwas gehört, ohne sie jemals gesehn zu haben, und nahm sich also vor eine Nacht zu mahlen, die noch tausendmal finstrer seyn sollte, als nach seiner Meinung Correggio's Nacht seyn müßte: von dem Inhalte des Gemähldes wußte er nichts und dachte deswegen jenen Künstler noch 314 zu übertreffen, wenn er nicht eine bloße Nacht mahlte, sondern auch etwas darinne vorgehn ließ. Er mahlte eine pechschwarze Nacht, eine wahre egyptische Finsterniß, stellte unten perspektivisch eine Gasse hin und vorn einen Nachtwächter mit der Laterne, der eine große Schnarre in der Hand schwenkte. Außer dieser schwarzen Nacht schuf er vier Elemente so deutlich und unverkennbar, daß man sie alle mit den Händen greifen konte, und eine keusche Susanne, die man für ein Bordelmädchen hätte halten können, machte das halbe Dutzend vollständig. Alle gefielen dem Präsidenten sehr wohl, nur die Nacht war ihm zu schwarz: der Künstler stellte ihm vor, daß es eins der berühmtesten Gemählde in der Christenheit sey, aber es half nichts: es sollten doch wenigstens Laternen auf der Gasse brennen, damit man die Häuser besser sähe: und weil er nicht eher bezahlen wollte, als bis Laternen auf der Gasse brennten, so sezte der Künstler zwo Reihen düstere Lampen hin. Nun brennten die Laternen nicht helle genug. »Ey,« antwortete der Künstler, »die Gasse ist aus einer 315 Stadt, wo das Lampenwesen verpachtet ist:« – aber sein Einfall half ihm nicht durch: er mußte aus den Laternen flammende Sonnen machen.

Die Schöpfung war so heimlich zugegangen, daß Niemand am Hof und in der Stadt etwas davon wußte, und der Präsident kündigte dem Fürsten mit vielem Geräusche ein halbes Dutzend verschriebne und angekommene Gemählde an, wie sechs Wunder der Malerwelt. Der Fürst, der seiner Kennerschaft nicht viel zutraute, lächelte und verlangte sie zu sehen: er verbiß mit aller Mühe das Lachen, da er sie erblickte, und fragte nach dem Preise: der Präsident machte es zum Anfange der Kundschaft billig und foderte fünf Louisdor für das Stück, das er mit einem Dukaten bezahlt hatte. Der Fürst ließ sogleich die Summe aus der Schatulle auszahlen und machte dem Präsidenten mit allen sechs Gemählden ein Geschenk. »Kaufen Sie in Zukunft nicht mehr von diesem Gemäldehändler!« sezte er hinzu: »er hat Sie angeführt; denn unser Hofmaler macht Ihnen solche, wie diese, das Stück 316 zu zwey Gulden.« – Der Präsident wanderte betroffen mit seiner Gallerie ab und stellte den Handel ein: er konte zwar nicht begreifen, wie der Fürst seinen Betrug errathen haben sollte, aber er hielt es doch für klüger, die Gefahr nicht zum zweitenmale zu wagen, zumal da ihm ohnehin die bisherige Veränderung seines Herrn bedenklich schien.

Jedermann fand sie so, wenigstens unerklärbar. Man gab zwar dem Fürsten Schuld, daß er eine gewisse Unbegreiflichkeit des Charakters erkünstele, mit Vorsaz seine Neigungen oft ändre und entgegengesezte Handlungen thue, damit Niemand wissen solle, woran er mit ihm sey, bisweilen blos um in Erstaunen zu setzen. So gegründet die Beschuldigung in andern Fällen vielleicht seyn mochte, so war sie doch hier völlig falsch; und Herrmann konte nunmehr insgeheim mit Vergnügen die Früchte seiner Ehrlichkeit bemerken, indem Andre sich die Köpfe zerbrachen, eine Ursache zu errathen, die sie nicht zu errathen vermochten. Der Präsident traf sie beinahe und 317 hatte Arnolden, Madam Dormer und Herrmannen in Verdacht, doch am meisten den ersten. Seine Politik rieth ihm also, diese drey Personen zu gewinnen; und weil er sich einbildete, daß Niemand seine Griffe und Schliche wüßte, als die wenigen Leute, die er zu Gehülfen dazu brauchte, und weil er die Unvorsichtigkeit begangen hatte, Herrmannen für weniger ehrlich, oder – in dem Gesichtspunkte, wie es der Präsident betrachtete – für ehrlicher anzusehn und ihn deswegen in seine Karte blicken zu lassen, so mußte er diesen am meisten fürchten und am meisten hüten. Er begegnete ihm daher viel freundlicher und weniger despotisch als allen Uebrigen, die unter ihm stunden; und da der Ernst des Fürsten, seine Aufmerksamkeit, seine genauen Erkundigungen und argwöhnischen Minen täglich zunahmen, suchte der Präsident durch neues Vertrauen und Vortheil einen Mann an sich zu ziehen, der sein voriges Vertrauen entweder gemisbraucht hatte, oder misbrauchen konte. Er ließ also Herrmannen unter dem Vorwande, daß sein Gimpel 318 sich in sehr kritischen Gesundheitsumständen befinde, zu sich kommen und brachte das Gespräch nach mancherley Wendungen auf seinen Hauptzweck. »Sie werden,« sagte er ihm, »bey mir zuweilen Papiere abzuschreiben gehabt haben, woraus man schließen könte, als ob ich mannichmal Bezahlungen, die mich betreffen, an fürstliche Kassen stellte: ich läugne auch nicht, daß es einmal oder zweimal geschehn seyn mag. Ich habe, wie Sie wissen, einen kleinen Verkehr mit Weinen, Pelzwerk und andern Dingen: zuweilen kömmt einem eine plözliche Bezahlung auf den Hals; man kan etwas um ein Spottgeld gegen baares Geld bekommen, wenn es die Verkäufer gerade benöthigt sind; man hat nicht allemal gerade so viel liegen, und ich habe also ein paarmal in höchstwichtigen Vorfällen meine Zuflucht zu der fürstlichen Einnahme genommen. Es ist zwar nicht das mindeste Böse dabey – denn ich habe die geborgten Summen jedesmal ehrlich und redlich wieder ersezt – aber da es ohne Vorwissen des Fürsten geschehen ist, könte es doch Verdacht und 319 Unwillen wider mich erregen, oder von einem Feinde genüzt werden, mich in Ungnade zu bringen: ich bitte Sie also, schweigen Sie davon! Ich werde mich gewiß als ein wahrer guter Freund dafür bezeugen. Ihre Besoldung ist klein, und ich begreife nicht, wie Sie davon leben können: ich habe schon längst darauf gedacht, wie ich Ihnen die treuen Dienste belohnen soll, die Sie mir in meinem Hause geleistet haben; aber in dem schrecklichen Wirbel von Geschäften kömmt man gar nicht recht zu sich, man vergißt seine besten Freunde: Sie wissen ja, ich muß allenthalben seyn und auch für Sachen sorgen, die mich eigentlich gar nichts angehn, da der Fürst nun einmal sein Vertrauen und seine Gnade auf mich geworfen hat. Aber es ist mir heute eingefallen, daß ich Ihnen schon lange einen jährlichen Zuschuß habe geben wollen: hier will ich das Versäumte wieder einbringen: Sie sollen in Zukunft alle Jahre so viel bekommen, und wenn Sie sonst Geld brauchen, wenden Sie sich an mich, gerade an mich! meine ganze Börse steht Ihnen offen.«

320 Herrmann wehrte das Packet, das er ihm bey diesen Worten anbot, von sich ab. »Nein,« sprach er, »ich danke für Ihr Geschenk: es könte den Anschein haben, als wenn Sie meine Verschwiegenheit dadurch erkaufen wollten.«

Der Präsident. Behüte! behüte! wer wird denn so etwas denken?

Herrmann. Freilich sollte man nicht! denn Sie sagen ja selbst, daß ich nichts Böses zu verschweigen habe: was nicht böse und unerlaubt ist, kan überall gesagt werden.

Der Präsident. Es ist nur um der bösen Leute willen, die etwas Böses daraus machen. Sie wissen ja wohl, Jedermann hat seine Feinde, wenn er auch noch so ehrlich handelt: nur deswegen hab' ich Sie um Verschwiegenheit gebeten: wie können Sie sich das nur träumen lassen, daß ich sie von Ihnen erkaufen will? Ich sehe Sie für einen grundehrlichen Menschen von altem teutschen Schrodt und Korne an; und solchen Leuten trau ich blindlings. Ich werde ja so einen braven Mann nicht so arg beleidigen und ihn bestechen wollen! Wie ich Ihnen 321 sage, blos zur Belohnung Ihrer vielen treuen Dienste geb' ich Ihnen das Geld. Machen Sie keine Komplimente! Nehmen Sie!

Herrmann. Nein! Auch ich darf um der bösen Leute willen, die etwas Böses daraus machen könten, nichts annehmen. Hab' ich Ihnen treue Dienste gethan, so ist mir mein Bewußtseyn und Ihre Anerkennung Lohns genug: hab' ich nichts Böses von Ihnen zu verschweigen, so werd ich auch nie etwas Unschuldiges entdecken, das durch boshafte Auslegung verdächtig gemacht werden könte, das schwör ich Ihnen bey meinem Gewissen: aber ich mag mir durch keine Verbindlichkeit die Zunge binden lassen.

Der Präsident. Die Zunge binden! was meinen Sie denn damit?

Herrmann. Ich will mich an meiner kleinen Besoldung begnügen, damit mich niemals die Dankbarkeit hindert, Pflicht und Gewissen zu gehorchen. – Haben Sie sonst noch etwas zu befehlen?

Der Präsident. Sie müssen mir das erklären! Sie müssen mir das erklären! das versteh' 322 ich nicht. Was wollen Sie denn da mit dem Gewissen und der Pflicht? Wie kömmt denn das hieher?

Herrmann. Sie haben mich ja selbst darauf verpflichtet, den Vortheil meines Fürsten und meine Treue gegen ihn allem andern vorzuziehn; und Ihnen, als meinem Vorgesezten, hab' ich eben izt dies Versprechen erneuert.

Der Präsident. Sie schwatzen wunderlich: davon ist ja izt gar nicht die Rede. Was haben Sie denn mit der Treue gegen den Fürsten vor?

Herrmann. Nichts weiter, als daß ich entschlossen bin, ihr jederzeit meinen eignen Vortheil aufzuopfern. –

Der Präsident, den sein übles Bewußtseyn hinter diesen Ausdrücken alles muthmaßen ließ, was dahinter versteckt seyn konte, drang noch lange Zeit auf eine bestimmtere Erklärung, und da Hermann beständig blos die nämlichen Worte wiederholte und mit Fleis alle größre Deutlichkeit vermied, so ließ ihn der Herr von Lemhoff mit einiger Aengstlichkeit von sich, nachdem er ihm die 323 angebotne Belohnung seiner treuen Dienste beinahe aufgedrungen hatte: aber Herrmann schlug sie standhaft aus und beharrte bey allen folgenden ähnlichen Versuchungen in seiner Standhaftigkeit. Der Präsident wurde äußerst unruhig und suchte wenigstens die Kanäle zu verstopfen, durch welche die Anzeigen seines gewesenen Sekretärs zu dem Fürsten gelangen könten: er sprach wieder sehr vortheilhaft von der Musik, wirkte der Madam Dormer wieder ihren vorigen Gehalt aus, den nach seinem Angeben bisher die Verminderung der fürstlichen Einkünfte nothwendig gemacht haben sollte, gab wieder Konzerte in seinem Hause, worinne Madam Dormer und Herr Arnold mit seinem größten Beifalle Stimme und Flöte hören ließen: sein Enthusiasmus für die Musik stieg so hoch, daß man ihn in Verdacht nahm, als wenn ihn verliebte Absichten auf Madam Dormer damit angesteckt hätten. Arnold, den er wegen seiner Gunst bey dem Fürsten lieber mit den Blicken getödtet hätte, wurde sein Herzensfreund und erhielt, wo sie einander trafen, einen gnädigen Druck von seiner Hand.

324 Unterdessen starb einer von den alten Räthen des Kollegiums und man glaubte allgemein, daß der Fürst schon längst seinen Platz Herrmannen bestimmt habe: auch der Präsident zweifelte nicht daran und baute heimlich vor; allein da er merkte, daß alles Vorbauen nichts half, sondern daß Ulrike durch die Fürstin und Arnold bey dem Fürsten aus allen Kräften für Herrmanns Erhebung arbeiteten, so hielt er es für klug, einen Mann, in dessen Gewalt er gewissermaßen war, nicht durch Widersetzung gegen sein Glück aufzubringen, und erklärte sich daher mit so vieler Wärme für ihn, daß der Fürst selbst darüber stuzte und beinahe Mistrauen gegen Herrmanns Unbestechbarkeit gefaßt hätte: dieser Umstand brachte indessen nur eine kleine Verzögerung seines Glücks zuwege. Der Präsident war der Erste, der ihm zu seiner Erhebung feurig Glück wünschte, und seine Freundschaftsbezeugungen wuchsen mit jedem Tage: Arnold und Madam Dormer freuten sich voller Stolz über den neuen Rath, weil sie ihn für ein Werk ihres Einflusses ausgaben; und Ulrike schwebte 325 den ganzen Tag nach der Ernennung ihres Geliebten auf den Fittichen der Freude: so lange sie am Hofe war, hatte die Fürstin noch keine so lustige Laune an ihr bemerkt und fragte sie nach der Ursache: Ulrike that als wenn sie keine anzugeben wüßte. »Freust du dich denn etwa über den neuen Rath?« fragte die Fürstin zum Scherz, »weil dir deine Empfehlung so wohl gelungen ist?« – »Vielleicht,« antwortete Ulrike, »hat das wirklich etwas dazu beygetragen; denn es soll ein ganz vortreflicher Mann seyn.« – Sie sprach dies mit einem Tone des Entzückens, der mehr im Herze muthmaßen ließ, als die Worte ausdrückten; und die Fürstin sagte ihr deswegen etwas ernsthaft: »Mädchen, du hast dich wohl gar in deine Empfehlung vergaft?« – Ulrike senkte die Augen, erröthete und gerieth so sehr außer Fassung, daß sie zu antworten vergaß: der Scherz wurde von der Fürstin noch einige Zeit fortgesezt, bey der nächsten Unterredung dem Fürsten erzählt, der ihn gleichfalls mit vielem Vergnügen fortsezte: als ihn Fürst und Fürstin fallen ließen, fiengen ihn die 326 dabeystehenden Kawaliere auf, von ihnen schnappten ihn die Lackeyen auf, überlieferten ihn den Hofjungfern als ausgemachte Wahrheit: die Hofjungfern schickten die ausgemachte Wahrheit mit dem ersten Mädchen, das aus dem Schlosse gieng, in die Stadt, und in zwey Stunden war es am Hofe und in der Stadt ein allgemeiner Glaubensartikel, daß Fräulein Breysach übermorgen mit dem neuen Rathe getraut werde. Der Oberste Holzwerder, als ihm sein Altgeselle die zuverlässige Nachricht davon brachte, warf den Dendriten, der unter seinen Händen war, in den Tischkasten sogleich hinein, lief gerades Weges zur Fürstin und bat inständigst um Gehör, wie in der dringendsten Angelegenheit: die Fürstin ließ ihn nicht vor sich. Der Oberste lief zum Fürsten, kam vor ihn und bat unterthänigst, daß er doch eine solche Heirath nicht zugeben möchte, da es die erste wäre, so lange die Familie stünde. Der Fürst lächelte über die Ereiferung, womit der Alte bat, und versicherte ihn, daß er weiter nichts davon wüßte, als was ihm die Fürstin im Scherz gesagt hätte: das 327 war dem Obersten nicht genug; er wiederholte seine unterthänigste Bitte einmal über das andre, daß der Fürst die Heirath verbieten möchte, wenn etwa eine Verliebung bey seiner Cousine vorgegangen wäre. – »Ich kan ja den Leuten nicht verbieten, sich zu heirathen, wenn sie sich lieben,« sagte der Fürst.

Der Oberste. Aber Ihre Durchlaucht geruhen nur zu bedenken – die Ehre der Familie leidet doch nicht, daß ich so ruhig dabey bleibe –

Der Fürst. Macht denn ein Rath, der in meinen Diensten steht, der Familie Schande?

Der Oberste. Der Rath wäre wohl gut, der Rath – aber es ist doch nur ein Rath.

Der Fürst. Und ist sowohl mein Diener als der Oberste.

Der Oberste. Freilich wohl sind wir allzumal unnütze Knechte und Eu. Durchlaucht unterthänige Diener – und möcht' es auch ein Rath seyn, da Eu. Durchlaucht uns alle machen können, wozu es Eu. Durchl. gnädigst gefällt – aber, aber da er nicht von Familie ist – 328

Der Fürst. Ich will mich erkundigen, wie weit die Sache gekommen ist. –

So entließ er ihn. Der beunruhigte Oberste lief zu Ulriken und fand sie nicht, lief zur Fürstin und fand sie nicht: erst den andern Tag konte er seine Unruhe vor ihr ausschütten. Sie gab ihm zur Antwort, daß Ulrike zu dem Rathe vielleicht eine geheime Zuneigung haben könte, aber um ihn heirathen zu wollen, schiene sie ihr zu verständig. Der Alte hörte nicht auf zu bitten, bis die Fürstin seine Cousine rufen ließ, um sie in seiner Gegenwart zu verhören: Ulrike gestund auf ihre Frage unverholen, daß ihr der Rath gefalle, sehr gefalle. Als es an den Punkt des Heirathens kam, schwieg sie, wurde zum zweitenmale gefragt und antwortete betrübt: »wenn ich dürfte!« – »Eu. Durchl. haben Sie die einzige Gnade und verbieten Sie ihr das!« rief der Oberste. »Haben Sie die einzige Gnade!« – Die Fürstin sah Ulriken lange schweigend an und sagte endlich: »Laß dir nicht solch tolles Zeug einkommen! Es fehlt ja nicht an Kawalieren, wenn dir das Heirathen 329 am Herze nagt.« – Das war der Bescheid, und Beide giengen ungetröstet hinweg. Der Oberste folgte Ulriken auf ihr Zimmer und hielt ihr mit der gutherzigsten Wärme eine Ermahnungspredigt, daß sie vor innerlichem Verdruß weinte: wie jeder schlechte Prediger, hielt er ihre Rührung für eine Folge seiner Predigt und schmeichelte sich, ihre Sinnesänderung bewirkt zu haben, da doch gerade das Gegentheil ihre Thränen erweckte – Betrübniß über die neuen Hindernisse, die sich ihrem Wunsche entgegensezten. Fürst und Fürstin betrachteten ihre Liebe als eine vor kurzem erst entstandne fliegende Hitze; und da ihr jedesmal die Thränen in die Augen stiegen, wenn man mit ihr darüber scherzte, so schonte man ihre Empfindlichkeit und dachte weder im Scherz noch im Ernst mehr daran, um die Liebe im Stillen verdampfen zu lassen: Hof und Stadt sagte izt allgemein – »Fräulein Breysach und der neue Rath werden nicht getraut.« Die ganze Sache schlief ein. 330

 


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