Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 4
Johann Karl Wezel

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Zweites Kapitel.

Zwo Stationen vor dem Ende seiner Reise sah er einen Mann, dessen Figur außerordentlich viel Bekanntes für ihn hatte, den jungen Burschen gebieterisch kommandiren, der seinen Kuffer auf den Wagen packte: über eine Weile drehte sich der Mann nach dem Fenster hin, wo ihn Herrmann beobachtete.– »Das ist mein Vater!« sagte sich dieser, und wollte eben Anstalt machen, Erkundigung einzuziehn, als der nämliche Mann in einem gelben Postrocke hereintrat und sein Packgeld foderte: er stuzte, da er Herrmanns Gesicht erblickte, daß ihm das Wort zwischen den Lippen starb. »Herrmann! mein Vater!« rief der Sohn und flog auf ihn zu, seine Hände zu fassen: aber der Alte wehrte ihn von sich ab. – »Geh! du stolzer Halunke! ich kenne dich nicht: ich kenne keinen Sohn, der mich verachtet.«

Er wollte gehn, aber Herrmann zog ihn mit der äußersten Gewalt zurück. – »Ich muß von meinem Vater für seinen Sohn erkannt werden: eher reise ich nicht von der Stelle,« rief er. 50

Der Vater. So kanst du bleiben bis zum jüngsten Tage. Bist du etwa in Noth, daß du mich itzo kennst, du Schandbube? – Du hast mich in Berlin verläugnet, da ich dich brauchte: izt mach' ichs wieder so. Ich bin versorgt ohne deine Hülfe, du hochmüthiger Affe: ich habe mein Brod: suche du dir deins! Geh mir aus den Augen!

Der Sohn. Aber, liebster Vater, nur Ein Wort! Meine Vergehung in Berlin war nicht meine Schuld: die Reue darüber hat mich genug gefoltert. Aus bloßer Reue, um meine schändliche Verläugnung wieder gut zu machen, aus kindlicher aufrichtiger Liebe biete ich meinem Vater die Hand zur Versöhnung. Ich bedarf keine Hülfe: ich habe alles vollauf: ich biete Ihnen an, so viel Sie wollen, so viel Sie bedürfen: ich will gleich den Kuffer öfnen und vor Ihnen alles ausschütten: nehmen Sie, nehmen Sie davon, was Sie brauchen!

Der Vater. Denkst du, Hasenkopf, daß ich meine väterliche Liebe für Geld verkaufe?

Der Sohn. Nein, das ist gar nicht der 51 Bewegungsgrund: blos um Ihnen zu beweißen, daß mich nicht die Noth drängt, Ihre Verzeihung zu suchen; daß ich mein schändliches Leben in Berlin mit der heißesten Reue misbillige; daß ich nicht der Unmensch bin, der sich seines Vaters schämt, sondern daß eine fremde Gewalt mich dazu zwang – blos darum fleh' ich um Verzeihung. – Vater, Ein versöhnendes Wort!

Der Vater. Da! schlag ein, du Halunke! es mag dir diesmal hingehn, weil du nicht mehr so vornehm aussiehst, wie in Berlin. Ja, wenn ich nicht gar zu böse auf dich gewesen wäre, so hätt' ich dir gleich die Hand auf das erste Wort gegeben, so gefällst du mir itzo in dem Aufzuge. Ein allerliebster Kerl bist du in den abgestuzten Haaren und dem runden Hute. So wahr ich lebe! ich habe gar nicht gedacht, daß mein Junge so hübsch ist: – ja, ich will dirs vergeben, weil du so hübsch um die Haare gehst. – Aber du gottlose Brut! willst du denn etwa deinen Vater wieder so trocken abweisen, wie in Berlin! den Augenblick nehm' ich 52 meine Vergebung zurück, wenn du nicht auftragen läßest. –

Der Sohn flog sogleich hinaus und bestellte alles, was zu haben war, in dem reichlichsten Ueberflusse. Sie sezten sich: der Vater zog sein schwarzes Pfeifchen aus der Tasche, schlug Feuer an und rauchte. – »So gefällt mirs,« sprach er dampfend, »daß wir so hübsch vernünftig beysammen sitzen können. In der schönen Stube bey der hochgethürmten gelbschnäblichten Madam in Berlin hätt' ich nicht für meine Sünden seyn mögen: das war ein Hundeleben; und mich gar zur Thür hinauszujagen! – Siehst du, du gottesvergeßner Bube? weil du deinen Vater verläugnetest, hab' ich die Leute ansprechen müssen: von Berlin bis nach Leipzig hab' ich mich gebettelt, bis mich ein Kaufmann aus Hamburg mit sich nahm und mir in seinem Hause eine Versorgung geben wollte: da wir hieher kamen, hörte ich, daß hier im Posthause der Packmeister gestorben war, und weil sie mich brauchen konten, zog ich den gelben Rock an und blieb hier. Bist du nicht der Hölle werth, du 53 ungerathner Sohn, daß du deinen Vater in solche erbärmliche Umstände kommen läßt?

Der Sohn. Mein Herz zerschmilzt vor Betrübniß darüber: aber ich gebe meine Seele zum Unterpfande, mein Herz blutete, indem ich dem grausamen Befehle, Sie nicht zu erkennen, gehorchte. –

Er erzählte hierauf die Begebenheit, so weit es zu seiner Rechtfertigung nöthig war, und lag dem Alten inständig an, seinen Platz zu verlassen und ihm zu folgen: das wurde gerade abgeschlagen. Der Sohn verdoppelte seine Bitte, berichtete die Absicht seiner Reise und seinen künftigen Plan, doch ohne Ulrikens zu gedenken. »Ich mag nicht deiner Gnade leben,« antwortete der unerbittliche Alte. Der Sohn ließ seinen Kuffer in die Stube holen und schüttete ihm Geld hin. – »Packe dein Geld ein!« sprach der Alte plözlich, indem er den Kuffer durchwühlte und einen weißen abgedankten Ueberrock fand, der schon einige Zeit zum Puderkleide gedient hatte. »Wenn mir der weiße Rock paßt, will ich mit dir gehn.« – Er machte einen Versuch, 54 und da er ihn für seinen dürren Körper recht geräumig fand, rief er auf einmal voll Freuden: »Junge, ich geh mit dir: komm! mache mir so einen hübschen Kopf, wie Du hast: wir leben und sterben zusammen.«

Der Sohn mußte ihm die Haare verschneiden, einen runden Hut für ihn zurecht machen, und vermittelte bey dem Postmeister seine Entlassung: sie reisten zusammen fort, und der Alte war so vergnügt über seinen neuen Kopfputz, daß er sich in jedem Wasser besah, durch welches sie fuhren.

Herrmann, als sie in dem Dorfe ankamen, aus welchem Ulrikens Brief geschrieben war, fuhr gerade vor die Pfarrwohnung, stieg ab, gieng hinein: es war Niemand als eine Magd zu Hause, die ihn mit seinem Vater in eine Stube wies und ihre Herrschaft aus den Wiesen zu rufen versprach. In der Stube stund außer den gewöhnlichen Möbeln nichts als ein großes altväterisches Himmelbette mit zugezognen kattunen Vorhängen. Langeweile und Ungeduld trieben ihn an, die Sachen in der Stube zu betrachten: 55 besonders zogen die bunten Bettvorhänge, wo auf einem dunkelblauen Grunde eine Menge weißer Israeliten ungeheure Weintrauben an Stangen aus dem gelobten Lande trugen, seine Aufmerksamkeit auf sich: die grotesken Figuren reizten seine Neubegierde, auch die inwendige Verzierung des Bettes zu untersuchen, er schlug die Vorhänge zurück und fand ein schlafendes Frauenzimmer darinne – ein bleiches abgezehrtes Gesicht, aus welchem selbst im Schlafe der Kummer sprach: die dürren fleischlosen Hände lagen kreuzweise über einander auf dem Bette, gerade als wenn sie im Sarge daläge. Herrmann, so wenig er Ulriken in ihr erkannte, zweifelte doch keinen Augenblick, daß sie es wäre. – »Wenn dir ein blasses Mädchen im Sterbekleide vor dem Bette erscheint, dem Kummer und Reue aus den entseelten Zügen sprechen; dann denke: izt starb meine Ulrike!« – Diese Stelle fiel ihm sogleich bey ihrer leichenmäßigen Lage aus ihrem lezten Briefe ein: bestürzt legte er leise die Hand auf ihr Herz, um zu fühlen, ob es noch schlage, empfand in seiner Freude unter seinen Fingern 56 matte langsame Schläge, wollte die Hand zurückziehn, um die Schlafende nicht durch seinen plözlichen Anblick zu erschrecken, wenn sie etwa erwachte, und ließ sie immer liegen, wollte gehen und blieb da, mit banger Wehmuth in ihre traurige Mine vertieft. Plözlich fuhr sie im Schlafe zusammen, als wenn sie ein Traum schreckte: er wollte entfliehen, aber es war zu spät: ihre Augen standen schon offen, ehe er die Hand zurücknehmen konte. Sie sah ihn einige Zeit starr an, als ob sie seine Erscheinung für einen Traum hielt, und kaum öfnete er die Lippen zu einem leisen Ulrike, als sie ängstlich seufzte: »Gott!« und tief ihr Gesicht in die Betten verbarg.

»Wende dich nicht von mir, Ulrike!« sprach Herrmann mit aller möglichen Sanftheit der Stimme, die ihm seine kochende Empfindung zuließ. »Ich komme als dein Helfer, als dein Retter, will dein Herz seines Kummers entladen und ihm Freude und Ruhe wiedergeben, die ich dir nahm. Wende dich nicht von mir! Der Sarg soll nicht deine Brautkammer werden. Sieh! 57 er ist da, den du liebst, und beut dir seine Hand, um dich aus den Armen des Todes zu ziehn. Er ist da und weint die Thränen aus Freude, die er um deinen Tod auf deinen Namen strömen sollte! Er ist da und wartet auf deinen Blick: warum verbirgst du ihn mir?«

Er hörte sie in das Bette hineinschluchzen und mit leisen abgebrochnen Tönen sagen: »verlaß mich, daß ich mich erhole!« – Er gehorchte, machte die Vorhänge fest zu und gieng aus der Stube zu seinem Vater, der im Hofe stand und ein Pfeifchen rauchte. Der Alte erstaunte, daß er die Pfeife auslöschen ließ, als ihm der Sohn Ulrikens Gegenwart und sein Vorhaben, sie zu heirathen, entdeckte: er hielt ihn für verwirrt; denn er wußte von seiner Geschichte weiter nichts, als was auf dem Schlosse des Grafen vorgefallen war, und auch dies hatte er schon längst vergessen. Der Sohn brauchte alle Mühe, ihn zu überzeugen, daß er bey völligem Verstande sey: er entdeckte ihm in verhüllten Worten den bedenklichsten Punkt der Geschichte. – »Was?« fuhr der Vater mit herzinniger 58 Freude auf: »das Mädchen ist schwanger? Du verdammter Hund! so bunt hats ja dein Vater nicht gemacht. Erleb' ich die Freude so zeitig, daß ich Großvater werde? – Ueber den Zeisig!« –

Indem seine Freude über die unvermuthete Großvaterschaft sich noch in vollem Strome ergoß, langte die Gesellschaft aus den Wiesen an, die Pfarrfrau voran. Herrmann gieng auf sie zu, dankte ihr für Ulrikens Aufnahme und benachrichtigte sie, daß er gekommen sey, ihr die gehabte Bemühung zu vergelten und sie davon zu befreyen. – »Ach, sind Sie der –?« sagte die Pfarrfrau mit einer scheelen Mine. Ihr Herr Sohn hatte kaum Herrmanns Gesicht erblickt, als er erschrak und furchtsam sich hinter seine Mutter stellte, um dem Menschen nicht in die Augen zu sehn, der ihm sein Geld abgewonnen hatte. Zulezt unter allen kam auch Fräulein Hedwig herangewackelt und schrie laut, da sich Herrmann nach ihr hindrehte. »Ach, du liebes Väterchen im Himmel!« fieng sie an; »sind Sie denn wirklich in propriis figuribus da? 59 Bewahre mich mein Gott! das ist ja wie dort bey dem Virgilio Marus, da Ulysses seine Penelopam in Kindesnöthen wiederfindet. Das wird eine Freude seyn. Haben Sie denn das arme Rikchen schon gesprochen? Das liebe Mädchen ist so krank, sie kan nicht aus dem Bette. Hab' ichs Euch nicht immer gesagt, da ihr noch jung wart, ihr solltet nicht so frey reden und jede Sache deutsch nennen? Aber da hatte der hochweise Herr Schwinger beständig etwas einzuwenden: da mußte man Euch allen Willen lassen, und wenn Ihr Euch in Einem Tage hundert gages d'amour gegeben hättet; da sollte die Liebe durch Hindernisse und Verbote nur wachsen: ja, sie ist gewachsen! Nun kömmt dem überklugen Herrn der Glaube in die Hände. – Ach, die Mannspersonen! das sind doch leibhafte bestiae ferocis, wie sie mit den armen Mädchen umspringen. Es ist auch gar kein Erbarmen.«

Ueber diesem Geschwätze waren sie in die Stube gekommen, wo Ulrike lag. Hedwig watschelte sogleich zu dem Bette, auch die Pfarrfrau gieng hin. »Rikchen, sehn Sie doch, wer da 60 ist! Du liebes Gottchen, sehn Sie doch! er ist ja da! er will Sie heirathen,« rief Hedwig. – »Heirathen, mein trautes Töchterchen!« unterbrach sie die Pfarrfrau. »Nicht sterben, mein Lämmchen! Heirathen! heirathen!« –

So bestürmten sie beide die arme Kranke mit unaufhörlichem Gewäsche und brachten es endlich so weit, daß sie sich umdrehte und noch um einige Minuten Geduld bat, ehe sie Herrmanns Blick ertragen könte: man ließ sie in Ruhe. Herrmann erzählte seinen ganzen Plan, und alle billigten ihn außerordentlich. Die Pfarrfrau, die ungemeine Liebhaberin vom Heirathen war und nur deswegen ihre anfängliche scheele Mine verlor, weil Herrmann Hochzeit machen wollte, rechnete ihm schon alle Unkosten der Trauung und des Hochzeitschmaußes vor, belehrte ihn über das Cerimoniell, ordnete schon die Schüsseln auf der Tafel, sezte die Gäste nach der Rangordnung um sie herum und holte ein hohes Sieb herbey, um ihm das Maas des Brautkuchens zu zeigen, und meldete mit innigem Vergnügen, daß ihr eigner in dieser Form 61 gebacken worden sey. Fräulein Hedwig wurde über diese Seelerfreuenden Anstalten so betrübt, daß sie ans Fenster trat und den Schmerz über ihre zweyundfunfzigjährige Jungferschaft, für welche sich wahrscheinlicher Weise keine Abnehmer erwarten ließen, in häufigen Thränen ersäufte, wiewohl sie vorgab, daß sie aus Rührung über das unverhofte Glück der jungen Leute weinte. Der alte Herrmann verwarf alles, was die Pfarrfrau vorschlug, als unnütze Alfanzereyen und wäre beinahe über die Größe des Brautkuchens in einen Zank mit ihr gerathen; aber wenn sie einmal über einen Punkt einstimmten, dann gaben sie einander die Hände und lobten sich, daß sie so gescheidte Einfälle hatten: die Pfarrfrau erinnerte zwar hie und da mit bedenklichem Achselzucken, daß es viel kosten werde: – »aber,« sezte sie hinzu, »es muß seyn; und man macht ja nicht alle Tage Hochzeit; und zudem reut mich kein Geld weniger, als was mich meine Hochzeit gekostet hat.« – »Ach, der Junge hat Geld!« unterbrach sie der alte Herrmann: »Geld in Menge! Sie 62 können fürstlich zusammen leben. Wenn nun der Teufel nur auch meine Nille herbeyführte! Das Henkersweib würde schwänzen und trippeln, wenn sie die Hochzeitanstalten mit machen sollte: die würde schnattern und gackern und heulen vor Freuden! Für unsre Ohren ist es ganz gut; aber ich wollt' ihr doch die Freude gönnen, wenn sie nicht etwa mit dem christlichen Leinweber selber Hochzeit gehalten hat. Nille, Nille. wenn ich das erfahre!«

Herrmann stand, ohne zu reden, neben einem Tische, ließ die Leute Anstalten machen und dachte bey sich, keine einzige auszuführen; denn er wollte sich ohne alle Feierlichkeiten, wo nicht den nämlichen Tag, doch den folgenden am Bette mit ihr trauen lassen. Die Freude, die die Berathschlagung der Pfarrfrau und des alten Herrmanns belebte, theilte sich endlich auch der Kranken mit: sie vergaß ihren Kummer, überwand ihre Scham, öfnete von Zeit zu Zeit die Vorhänge, um nach ihrem Herrmann hinzuschielen, und ließ sie hurtig wieder zufallen: sie konte sich nicht bezwingen: nach langem 63 Kampfe mit sich selbst, da die unendlichen Hochzeitgespräche die Liebe wieder in ihr aufwecktem und die Freude sie dreist machte, steckte sie den Kopf durch die geöfneten Vorhänge und rief leise mit bebender Stimme: »Heinrich!«

Der Laut hatte kaum sein Ohr berührt, so eilte er zu ihr hin, kniete vor dem Bette nieder und drückte ihre Hand feurig an seine Lippen: die Freude hemmte Beiden die Zunge.

Ulrike. Kömmst du so zeitig, um auf meinem Grabe zu weinen?

Herrmann. Nein, Ulrike, um dich aus dem Grabe zu reißen! Schmücke dich mit Freude, wie eine Braut! du bist es! du bist es!

Ulrike. O Heinrich! das Ende des Mays, wenn die Frühlingsblumen sterben. da wird dir der Tod eine pflücken –

Herrmann. Keine solche finstern Gedanken! Unser bisheriges Leben war Tod, so lange uns das Unglück trennte: aber izt, izt beginnt es neu, frisch und duftend, wie ein junger Morgen.

Ulrike. Ich kan mich des traurigen Gedankens nicht erwehren, daß ich sterben werde. 64 Heinrich, ich sterbe gewiß: alles, was ich nur anblicke, was ich nur höre und empfinde, alle meine Sinne rufen mir zu: du stirbst!

Herrmann. Fantomen des Kummers und einer entflammten Einbildung! Sind nicht Tausende Mutter geworden, ohne daß sie starben? Warum sollte der Tod nur dich auszeichnen?

Ulrike. Aber keine stritt mit so langem Kummer, mit Reue, Schande und Mangel. Meine Lebenskräfte sind aufgezehrt, mein Athem nur noch ein schwacher Hauch: siehst du diese eingefallnen Hände, ein Knochengerippe mit Haut überzogen? und du zweifelst noch, ob ich sterben werde? – Ich bin gefaßt darauf: mein glimmender Lebensfunke wird ein neues Leben anzünden und erlöschen. Das Bild des Todes ist nicht aus meinem Gehirne gewichen, so lange ich hier wohne: immer steht das schreckliche Gerippe mit ausgeholter Sense vor mir, daß ich oft den Hals ängstlich drehe und wende, und jeden Augenblick denke: izt wird er dich wegmähen, wie eine Graßblume! Dort im Winkel seh ich seit drey Tagen, daß ich vor Schwäche nicht 65 das Bette verlassen kan, meinen Sarg stehen – gerade wie der Sarg der Sechswöchnerin, die man vorige Woche begrub – braun mit silbernen Leisten! Wenn das Tuch zum Essen auf den Tisch gebreitet wird, scheint es mir ein Leichentuch: ich höre laut und feyerlich mein Sterbelied singen, und jedesmal, wenn die Kinder vor der Thür bey ihren Spielen ein Begräbniß aufführen, tönt mir ihr Gesang so ernst, so melancholisch! – ich glaube alsdann schon im Sarge zu liegen, die schwarzen Träger treten herein, um mich aufzuladen: tragt mich fort! sprech ich weinend: nur sagt meinem Heinrich, wo ihr mich hinlegt! – O warum kamst du, mich in meinen Todesgedanken zu stören?

Herrmann. Nicht blos stören, verscheuchen will ich sie! – Betrachte dich als eine Auferstandne, von der Liebe aus dem Todesschlafe des Kummers erweckt! Diese Hand, deren Druck die deinige erwärmt, bietet dir ein kleines Glück, das freilich ein zufriednes Herz fodert, um ein Glück zu heißen: aber, Ulrike, Liebe und Mäßigkeit sollen uns jeden Goschen verdoppeln, Freude 66 den sparsamen Bissen würzen, und Zufriedenheit unsern Acker zum Königreiche machen. Wir werden durch den Trauring vereinigt, sobald es deine Schwäche zuläßt: ich kaufe ein kleines Bauergut; und, Ulrike, hat uns dann nicht der Himmel einen Wunsch gewährt, den wir in jener Nacht der Liebe thaten?

Ulrike. Die Wonne ist zu groß, als daß ich sie glauben sollte: meine Brust ist zu enge für sie. – Aber gewiß, Heinrich! ich werde sie nicht erleben, werde vielleicht den ersten Morgenschimmer dieses Glücks sehen und sterben.

Herrmann. Neu verjüngt leben, willst du sagen! Wir wollen ganz werden, wozu die Natur den Menschen bestimmte – den Acker bauen und uns lieben! Bedenke, welche herrliche Auftritte auf uns warten! Auftritte, so schön du sie dir nie in deinem Arkadien auf dem Schlosse deines Onkels dachtest!

Ulrike. Die Freude wird mich tödten, so gewaltig ergreift sie mein Herz bey deiner Beschreibung. Du bist mir, wie ein Bote des Lebens, der einem Gefangnen auf Tod den 67 finstern Kerker öfnet: wie eine Sonne, hast du alle Bilder in meinem düstern Gehirn erleuchtet. – Ach, wenn dies nur ein glänzender Traum wäre, den der Tod hinwegrafte!

Herrmann. Nennst du einen Traum, was man in der Hand hält? – So fest, so wirklich als meine Hand die deinige faßt, so wirklich fassen wir auch unser Glück. – Welch' ein Himmel, wenn unter den kleinen wirthschaftlichen Sorgen im überfließenden Genusse der Liebe und Wonne unser Leben dahineilt, wie Ein freundschaftliches muntres Gespräch! Wenn ich hinter dem Pfluge dahinschreite, oder den Samen für das künftige Brod ausstreue, oder mit dir die Garben sammle und einführe, und dann in der Sonnenhitze deine Hand mir den Schweis abtrocknet, deine Hand mir den Trunk reicht, der mich laben soll! Wenn ich nur für dich Beschwerlichkeiten trage, für dich säe, für dich ärnte! Wie wird dieser Gedanke alle meine Nerven anspannen, meinen Schultern die Last erleichtern und den Händen das Grabscheit oder die schwere Hacke zum leichten Spane machen! – 68 Wir wollen ganz Landleute seyn, wie es sich gehört, nicht wie faule Müßiggänger die Arbeit fremder Hände genießen, sondern mit unsern eignen unser Leben verdienen. Keine Beschäftigung, keine Mühe soll für mich zu geringe, zu verächtlich seyn: du erleichterst den Kühen die hängenden Euter, streust reinliches Stroh auf ihr Lager, schafst aus der fetten Milch unsern labenden Nachtisch, oder reichst sie mir zum erquickenden Trunke in der hölzernen Schale; sammelst um mich herum das duftende Futter der kleinen Heerde, wie es unter meinem Sensenhiebe dahinfällt; pflanzest, begießest; und jede Arbeit, die wir zusammen verrichten, versüßt muntres fröliches Gespräch. Schon seh' ich dich, wie eine geschäftige Hausfrau, im leichten kurzen Unterrocke, mit aufgestreiften Armen, die Haare unter das runde verschobne Häubchen gesteckt, ohne städtischen Putz, in kunstloser reizender Nachlässigkeit herbeyeilen und das selbstbereitete Mahl auf dem reinlichen hölzernen Teller mir vorsetzen, vor Betriebsamkeit kaum Einen Bissen ruhig genießen, immer auf das fehlende 69 Bedürfniß sinnen und schnell es herbeyschaffen, noch ehe man es vermißt: schon sitz' ich neben dir des Abends unter den Linden vor der Hausthür und verzehre mit dir von deinem Schooße die mäßige Abendkost, und trinke aus dem neben uns stehenden Kruge, heiter, frisch, belebt, wie die Luft, die um uns weht: wenn dann Nachbarn und Nachbarinnen sich zu uns gesellen, sich um uns herum setzen und mit ofnem neugierigem Munde die Geschichte der großen Städte von uns hören, und über die Fratzen, Thorheiten, Gebräuche und Bedürfnisse der vornehmen Welt, wie über Seewunder, lachen, vor Erstaunen die Hände gen Himmel heben und glauben, wir erzählen ihnen kurzweilige Mährchen aus einem Fabelbuche! – Ich vermag sie nicht alle zu schildern, die himmlischen Scenen, in so unzählbarer Menge eilen sie mir entgegen! – Unsre Nachbarn werden uns lieben, weil wir sie lieben: wir stimmen uns allmälich zu der Kindheit ihres Herzens und ihres Verstandes herab, beneiden, tücken, verfolgen einander nicht, da ein jedes genug hat, weil es nur wenig braucht: 70 Zwang, Langeweile, Verdruß kennen wir gar nicht; und dann, Ulrike! in so vertraulicher harmloser treuherziger Gesellschaft Liebe zu fühlen, wie wir sie empfinden! nach so mannichfaltigen Verfolgungen, Mühseligkeiten, Hindernissen und Qualen an der Brust der Liebe zu liegen und volles reines süßerquickendes Entzücken, wie Kinder ihrer Mutter Milch, zu saugen! – Ulrike! kanst du noch an den Tod denken, wenn sich dir ein solches Leben eröfnet?

Ulrike. O Heinrich! du bist mir ein Engel, der aus rosenfarbnen Wolken Licht und Feuer in meine bekümmerte Seele herabgießt: deine Reden haben alle meine Gedanken und Empfindungen über sich selbst erhöht: komm! faß mich in deine Arme, daß mir die Freude nicht die schwachen Nerven zerreißt! –

Er faßte sie auf, als sie eben, entkräftet von der Wonne ihrer Einbildung, zurücksinken wollte: schluchzend an seiner Brust, sprach sie einmal über das andre: »so geht dann nunmehr der Traum meiner Kindheit in Erfüllung! so hab' ich dann nunmehr mein Arkadien, wie ichs 71 in dem Garten meines Onkels mir träumte!« – Ihre aufgebrachte Fantasie arbeitete so heftig, daß ihr Körper unter der Anstrengung erlag: sie wurde so schwach, daß sie in Herrmanns Armen einschlief: er legte sie sanft auf das Kopfküssen nieder und verließ sie.

Die Pfarrfrau war unterdessen mit der übrigen Gesellschaft hinausgegangen, um ihr den Platz in natura zu zeigen, wo das Hochzeitessen gehalten, wie die Tafel gesezt werden, und wie die Gäste sitzen sollten; und Herrmann wartete ungeduldig auf die Ankunft ihres Mannes, um mit ihm über die Trauung zu sprechen: die Frau hatte vor Freuden, daß sie Hochzeitanstalten zu besorgen bekam, schon etlichemal nach ihm geschickt, allein er saß bey dem Bader und spielte mit ihm und dem Förster KuhschwanzEin gemeines Kartenspiel., und die Partie war so ernsthaft, daß er sich unmöglich losreißen konte. Endlich, nach der vierten Gesandschaft an ihn, langte er an: Herrmann trug ihm nach der ersten Begrüßung sogleich sein Anliegen vor und bat, daß er ihn 72 morgenden Tages mit Ulriken verbinden möchte. Der Pfarr gab ihm zur Antwort: »Um getraut werden zu können, müssen Sie sich erst dreymal aufbieten lassen: wollen Sie nicht dreimal aufgeboten seyn, so geschieht es nur zweimal: wollen Sie nicht zweimal, so geschieht es nur einmal: wollen Sie auch nicht einmal, so geschieht es gar nicht.«

Herrmann. Das ist ja gerade mein Wunsch.

Der Pfarr. Wenn Sie gar nicht aufgeboten seyn wollen, müssen Sie Dispensation haben: wenn Sie Dispensation haben wollen, müssen Sie sich an meine Vorgesezten wenden: wenn Sie sich an meine Vorgesezten wenden, müssen Sie ihnen Geld geben, damit sie Ihnen Dispensation geben; und ehe Sie Dispensation kriegen können, müssen Sie Ihren, Ihrer Braut, Ihrer beiderseitigen werthen Aeltern Namen, Ihren beiderseitigen Geburtsort, Geburtsjahr und Zeugniß von dem Pastore Ihrer beiderseitigen Geburtsörter beybringen, damit man sicher und zuverlässig weis, daß Sie mit Einwilligung Ihrer beiderseitigen werthen Eltern und ohne 73 Schaden und Nachtheil eines Dritten sich verlobt und versprochen haben. Wenn Sie die Dispensation erlangt und bezahlt haben, ergeht an mich ein Befehl, und wenn ein Befehl an mich ergangen ist, trau' ich Sie, sobald Sie die priesterliche Kopulation und Einsegnung begehren.

Herrmann. Das ist ja ein unendlicher Weg zum Ehestande.

Der Pfarr. Anders geht es nicht; und wenn Sie eins von den genannten Erfordernissen nicht gehörig beybringen können, so bekommen sie keine Dispensation, so darf ich Sie weder dreymal, noch zweymal, noch einmal aufbieten, so werden Sie nicht getraut.

Herrmann. Himmel! so sind die Geseze noch grausamer als die grausamsten Menschen!

Der Pfarr. Ich habe die Geseze nicht gemacht: wer die Geseze gemacht hat, machte sie zum Besten vieler tausend Menschen; und was für viele tausend Menschen gut ist, kan um eines einzigen willen nicht aufgehoben werden.

Herrmann. O zum Besten der Menschen, 74 daß man mit den Zähnen knirschen möchte! Priesterliche Gewinnsucht erfand sie, die Begierde jede Handlung des menschlichen Lebens zinsbar zu machen: Herrschsucht und Geiz brüteten sie aus, und Aberglauben und Einfalt nahmen sie an.

Der Pfarr. Das kan in der Kirchenhistorie wohl wahr seyn: ich bekümmere mich nur um das Gegenwärtige, und lasse das Vergangne vergangen seyn.

Herrmann. Ich mag Ihre eitele Cerimonie gar nicht: unsre Herzen sind zusammengeknüpft und werden es unzertrennlich bis in den Tod seyn: – was vermag die Hand eines Priesters dabey? – Wenn zween Willen sich vereinigen, dann geht die Ehe an: wenn zween Willen sich trennen, dann hört sie auf. – Ich Thor! was will ich mich durch einen leeren Gebrauch an meinem Glücke hindern lassen? – Wir sind getraut: es bedarf Ihrer Hand nicht dazu. Hat uns das Unglück nicht genug geängstigt, soll es auch noch ein eitler Gebrauch thun?

Der Pfarr. Ja, in der Welt haben wir Angst. – Sie spielen ja wohl ein Lomberchen?

Herrmann. Ulrike ist von dieser Minute an 75 meine Frau: sie soll bey und mit mir leben, so bald ich eine Bauerhütte gekauft habe, die uns vor Wind und Wetter schüzt, und einen Acker, der uns nährt.

Der Pfarr. Sie wollen sich ankaufen? – Bleiben Sie bey uns! werden Sie unser Gerichtsherr! Das Gut wird subhastirt werden. Es war jammerschade um unsern vorigen Herrn, daß er starb: wir werden so leicht keinen wieder bekommen, der so gut Lomber spielte. Ich versichre Sie, er machte Bete oder Codille, und wenn der Andre alle Hände voll Trumpf hatte. Es sollte mir eine Herzensfreude seyn, wenn Sie unser Gerichtsherr würden.

Herrmann. Nein, so hoch steigen meine Wünsche nicht. Ein Bauer, ein wirklicher leibhafter Bauer will ich werden, ein mittelmäßiges Gütchen kaufen, das mich und Ulriken durch unsrer Hände Arbeit erhält.

Der Pfarr. Sie ein Bauer? – Ein Bauer ist des lieben Gottes Esel, dem er alle Säcke aufladet, die die übrigen Menschen nicht tragen wollen – geplagt vom Morgen bis zum Abend, 76 von der Wiege bis ins Grab: er muß geben für alle, und Jedermann will durch seine Arbeit oder seinen Schaden reich werden: verachtet, bevortheilt, immer nur halb gesättigt, muß er sich sein Leben lang quälen, damit es andern Leuten wohlgeht. Hat er sein Aeckerchen mit Mühe durchwühlt, gesäet, geärntet, verkauft, dann trägt er sein gelöstes Geld zu Steuern und Gaben hin und darbt oder lebt kümmerlich, bis er wieder ärnten und geben kan; und noch muß er die Zeit zur Bestellung wegstehlen: da giebt es Spanndienste, Handdienste, Botdienste, Fröhnen, Hofdienste, Kriegsfuhren, Kammerfuhren, und Gott weis, was weiter: viel geben, viel arbeiten und nichts haben, ist der Lebenslauf eines Bauers.

Herrmann. Unglücklicher Mann! Sind Sie denn bestimmt meinen liebsten Wünschen zu widersprechen? – Milzsucht und Menschenhaß können nur so ein finsteres Bild von dem glückseligsten Stande entwerfen, den die Menschheit kennt: aber alle Ihre misanthropischen Gemählde 77 sollen mich nicht erschüttern: mein Entschluß bleibt unverrückt.

Der Pfarr. Mir soll es sehr gelegen seyn: so bekomme ich mit meinem Herrn Konfrater in der Nachbarschaft den dritten Mann zu einem Lomberchen; und kömmt noch ein guter Gerichtsherr dazu, so spielen wir Quadrille, Trisett, Tarock mit dem König, spielen Billard à la guerre, à la ronde, oder wie Sie wollen; ich bin bey allem. Bauergüter sind immer zu bekommen: unsre Bauern richten sich immer so ein, daß man ihnen in zwey Jahren nichts mehr nehmen kan als die Haut: es werden zwey oder drey Höfe im Dorfe zu verkaufen seyn. –

Herrmann freute sich ungemein über diese Nachricht, und nahm sich vor, gleich den folgenden Tag die verkaufbaren Bauergüter zu besehen und, wo möglich, den Handel auf der Stelle zu schließen. Die Pfarrfrau, als sie hörte, daß er keine Hochzeit haben wollte, gerieth in die äußerste Unruhe: sie stellte ihm viele klägliche Beispiele von solchen selbstgemachten Ehen ohne Trauung und Hochzeitschmauß vor, 78 und empfahl aus allen Kräften ein dreymaliges Aufgebot und priesterliche Kopulation: sie bat ihren Mann angelegentlich, die Sache nicht so genau zu nehmen, damit sie nur eine Hochzeit auszurichten bekäme: allein der Pfarr war eben so standhaft in seiner Pflicht, als Herrmann in seiner Verachtung gegen die Kopulation. In einer solchen Verlegenheit mußte sich die gute Frau mit dem Gevatterschmauße trösten, den Ulrikens Umstände bald zu erfodern schienen, und lag dem jungen Hausvater eifrigst an, die Anstalten dazu beyzeiten durch sie machen zu lassen. Auch Ulrike verfiel in keine geringe Betrübniß, als sie die Unmöglichkeit einer gesezmäßigen Verbindung erfuhr, wenn sie nicht durch die Anzeige ihrer Abkunft sich der Gefahr aussetzen wollte, entdeckt zu werden und in Untersuchung zu kommen: doch Herrmann beruhigte sie, trat zu ihrem Bette und sprach: »Ulrike, wir sind getraut, durch stärkere Fesseln verbunden, als ein Priester verbinden kan. Zum Zeichen unsrer ewigen Treue trag' ich hier am emporgehaltnen Finger den Ring, womit du unter dem 79 Baume im Garten deines Onkels ihn schmücktest: zum öffentlichen Bekentnisse deiner Liebe trägst du den meinigen: ihr insgesamt, Vater, Freund und Freundinnen, seyd Zeugen, und noch mehr das Wesen, das den Meineid bestraft, daß ich hier dieser lieben Seele eheliche Treue und Liebe bis in den Tod angelobe; und wer sie bricht, den treffe der Fluch des Himmels, so lang' ein Gedanke in ihm lebt! Dieser Kuß besiegele unser Versprechen. – Nun sind wir getraut: welcher Ceremonie bedarf es weiter?«

Den Tag darauf betrieb Herrmann sein vorgenommenes Geschäfte mit seiner gewöhnlichen Hitze: er schloß den Handel, so sehr sich auch der Pfarr dawidersezte, und viel weniger vortheilhaft als er thun konte, wenn er nicht mit Leidenschaft kaufte. Er ließ sich von einem erfahrnen Landmanne in den Geheimnissen der Wirthschaft unterrichten, lernte von ihm den Pflug regieren, säen, eggen und die übrigen ländlichen Verrichtungen: der Bauer hatte noch nie einen so gelehrigen Schüler gehabt, der mit so vieler Lust und Emsigkeit an seine Lektion 80 gieng. Wenn ihn der Pfarr des Abends zu einer Partie Piquet aufsuchte, saß er bey drey, vier Bauern und ließ sich in der ökonomischen Klugheit unterweisen: der Unterricht war angenehm und fruchtbar, obgleich die schlechte Methode und der verworrne Vortrag der Lehrer ihn nöthigte, alles durch Fragen aus ihnen herauszuziehn und deutlich zu machen. Er schafte die nöthige Geräthschaft, Hausrath und andre Bedürfnisse an, baute in seiner neuen Wohnung, so viel sich in der Geschwindigkeit thun ließ, und machte die häuslichen Einrichtungen mit Hülfe der Pfarrfrau, die vor Vergnügen über diese Geschäftigkeit um zehn Jahre jünger wurde. Die beiden Leute thaten alles mit einer Heftigkeit, als wenn sie in vierundzwanzig Stunden fertig seyn wollten: Herrmann rennte die Treppe hinauf, die Pfarrfrau hernieder, sie stießen mit Armen und Köpfen zusammen, ohne sich aufhalten zu lassen, eins ordnete hier an, das Andre dort, und meistens befahl Jedes das Gegentheil von dem, was auf Befehl des Andern schon geschehn war. 81 Selten waren sie einerley Meinung: die Pfarrfrau trozte auf ihre längere Erfahrung, und Herrmann auf seinen größern Verstand: sie richtete sich pünktlich nach der hergebrachten Gewohnheit, und er wollte keine andre Regel als Schicklichkeit und Vernunft anerkennen: freilich wollte er der armen Frau mit unter manche ehrliche Grille für Vernunft aufdringen, aber sie ließ sich durch die schönsten Scheingründe nicht täuschen. Er verlangte von allen Vorschlägen und Anordnungen das Warum zu wissen, und weil seine Gehülfin immer keinen andern Grund angeben konte als – »es muß so seyn,« – so geriethen sie in unendliche Streitigkeiten mit einander: er demonstrirte ihr deutlich und bündig, daß es anders besser wäre, und sie behauptete, ohne seine Gründe zuzugeben oder zu widerlegen, daß es so seyn müßte. Beide waren in ihren Meinungen hartnäckig; und so zankten sie sich fast alle Stunden einmal: bey jedem Zanke schwur die Pfarrfrau, nichts wieder zu sagen, keinen Fuß wieder in so ein unordentliches Haus zu setzen, so einen verkehrten eigensinnigen 82 Menschen seiner Blindheit zu überlassen; und kaum war der Schwur über die Lippen, so flog schon eine neue Anordnung zum Munde heraus, die Herrmann von neuem misbilligte, und worüber sie sich von neuem stritten. Der ernsthafteste Bruch entstund über die Stellung der Betten: da das Haus gegen Morgen lag, wollte er das seinige schlechterdings so gesezt haben, daß ihn die aufgehende Sonne jeden Morgen zur Arbeit weckte, und die Pfarrfrau versicherte ihn, daß es eine ganz unerhörte Unordnung sey, das Haupt des Bettes an die Kammerthür zu stellen: er sezte seinen Willen mit Gewalt durch, und die Pfarrfrau betheuerte auf ihr Gewissen, daß sie Zeitlebens sich der Sünde nicht theilhaftig machen werde, über die Schwelle eines Hauses zu schreiten, wo die Leute mit den Köpfen an der Kammerthür lägen: sie gieng mit der Prophezeihung hinaus, daß unter dieses Dach weder Segen noch Gedeihen kommen könne, kam einen ganzen halben Tag nicht hinein, und am folgenden Morgen war sie schon wieder die erste auf dem Platze.

Auch Fräulein Hedwig wurde vom Fieber der 83 Landwirthschaft angesteckt: sie molk der Pfarrfrau alle Kühe rein aus, wo sich nur eine blicken ließ, gab allen lateinische Namen und sprach so viel lateinisch und französisch mit ihnen, daß sie zulezt vor Gelehrsamkeit keine Milch mehr gaben; und die Pfarrfrau war sehr der Meinung, daß ihre Trockenheit von den fremden Sprachen herrührte, die das arme Vieh nicht gewohnt wäre. Die Sichel zu führen, Futter vorzulegen, Stroh einzustreuen übte sich das hochgelehrte Fräulein Tag für Tag: um den Unterricht nicht umsonst zu empfangen, lehrte sie dafür die Mägde, wie Virgilius und Homerus Sichel und Graß lateinisch nennten. Der alte Herrmann wählte die bequemste Beschäftigung: er lernte die Schafe hüten. Der Pfarr war bey dieser allgemeinen Regsamkeit um nichts so sehr bekümmert als wegen des neuen Gerichtsherrn: keiner unter allen, die das Gut schon besehen hatten, stund ihm an; und er gab eines Tages Herrmannen mit tiefer Betrübniß die Nachricht, daß es wahrscheinlicher Weise ein Gutbesitzer aus der Nachbarschaft erstehen werde, ein Mann, 84 der ehemals Bedienter gewesen sey, sich durch Spitzbübereyen bey seinem Herren reich gemacht habe und von seinem Raube nunmehr ein Gut nach dem andern kaufe: – »er kan unmöglich gut Lomber spielen, weil er ein Spizbube ist,« sezte er untröstlich hinzu.

 


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