Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 4
Johann Karl Wezel

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Drittes Kapitel.

Herrmann wurde weniger durch den Ton dieses Briefes aufgeheitert, als in dem Entschlusse, Ulriken zu meiden, befestigt: er wußte sie glücklich, oder doch solchen Umständen nahe, die sie vor Noth und Bekümmerniß schüzten: was verlangte er weiter zu seiner Ruhe? – Er hatte in keiner gesezmäßigen Ehe mit ihr gelebt; nur wenige Personen wußten um das Geheimniß ihrer Niederkunft; der Zeuge, der es offenbaren konte, war nicht mehr am Leben: was hinderte also eine Trennung, wenn Ulrikens Glück sie foderte? – Die bisherigen Schicksale hatten seiner Vernunft die Augen geöfnet und so sehr emporgeholfen, daß die Liebe zwar zuweilen wider sie murrte, aber doch nicht mehr allein das Wort in seiner Seele führte; er liebte also Ulriken mehr mit Verstande als Leidenschaft, und das Verlangen nach ihrem Besitze war dem Wunsche für ihr Wohlseyn untergeordnet; er sah deutlicher, als jemals, ein, daß sie dies Wohlseyn 221 von jeder Hand eher als von der seinigen empfangen konte: wenn mußte ihm also eine Trennung weniger schwer werden als izt?

Nächstdem hatte sich in der Kummerperiode seiner Oekonomie und in den sechs Wochen seines Wittwerstandes der Ehrgeiz wieder bey ihm emporgearbeitet: er fühlte, daß seine Kräfte weit über alles waren, was er bisher that und unternahm: Vergnügen, Spiel, Liebe füllten seine Thätigkeit nicht ganz aus. Er selbst war bey allen bisherigen Entwürfen, Empfindungen und Handlungen das lezte Ziel gewesen; und gleichwohl hatten die Beispiele großer berühmter Männer, und die darauf gestüzten Grundsätze, die ihm Schwinger in seiner ersten Jugend vorlegte, ihn eine weitere Sphäre kennen gelehrt, wo man Wirkung außer sich verbreitet, wo für den Vortheil Andrer durch unsre Thätigkeit etwas entsteht, wo nicht blos zwey oder drey Menschen erkennen und empfinden, daß wir da sind, sondern tausend und mehrere den Einfluß unsers Daseyns fühlen. – Er hatte bis in sein sechszehntes Jahr den Grafen Ohlau als 222 die Seele eines ganzen Hauses Befehle austheilen und Anordnungen machen sehen: wie sollte sich in seinen thätigen Geist nicht die Begierde zu herrschen eindrücken? die Begierde, andre Menschen, wo nicht nach seiner Vorschrift, doch wenigstens nach seinem Muster denken, empfinden, reden, handeln zu sehn? – Die Pracht des Grafen, seine Gewohnheit, alles mit Feyerlichkeit oder Aufsehen zu thun, theilte der richtiger gestimmten Seele des jungen Herrmanns zwar nicht die Liebe zur Kleiderpracht, zu schönen Equipagen, wohlbesezten Tafeln und ähnlichen Herrlichkeiten mit, aber doch das Verlangen, durch seine Handlungen Aufmerksamkeit und Bewunderung zu erregen. – Die Wichtigkeit, womit ihn die Gräfin anfangs behandelte, erweckte und nährte in ihm die eigne Idee von seiner Wichtigkeit; und da ihn in der Folge wegen seiner geringen Umstände Niemand wichtig finden wollte, so wuchs der Wunsch, es zu werden, desto mehr in ihm. Der Mangel an Vermögen und Geburt ließ es ihm gar nicht einkommen, alle diese Wünsche und Begierden auf die 223 nämliche Weise, wie der Graf Ohlau, befriedigen zu wollen: halb aus Neid sezte er die Weise, wie sie der Graf befriedigte, sogar bey sich herab: er wurde also nothwendig nach den Dingen hingetrieben, die Schwinger seiner Ehrbegierde vorhielt, nach guten edlen nüzlichen Handlungen: die Spiele seiner ersten Jahre mit den römischen und griechischen Gypsköpfen, wo er so viele politische Anordnungen und Staatsgeschäfte besorgte, bestimmten gewissermaßen die Art der guten und nüzlichen Handlungen, das Feld, wo er glänzen wollte. Die Verachtung, worinne er nach dem vorübergerauschten Taumel der hochgräflichen Gewogenheit seine Jugendjahre zubrachte, gab ihm immer mehr Geringschätzung der äußerlichen Vorzüge, und seiner Ehrbegierde immer mehr die Richtung, die sie bereits anders woher empfangen hatte. Die republikanischen Ideen, die er aus seiner Lektüre in seinen Gypssenat übertrug und seiner Fantasie so geläufig machte, daß er mit der lebhaftesten Theilnehmung Empörungen dämpfte, Rebellen züchtigte, Geseze vortrug und verwarf – diese 224 beständige Wachsamkeit über Angelegenheiten eines so großen Körpers, wie das römische Volk; die Handlungen der Antonine, der Titus, der Marc Aurele, die halbe Welten beglückten – alle diese Ideen erweiterten immer mehr den Zirkel, den die Imagination seiner Thätigkeit vorzeichnete.

Seine so erzeugte, so gebildete, so gelenkte, so gestärkte Ehrbegierde mußte unter den Schicksalen, die ihn nach seiner Entfernung von des Grafen Schlosse trafen, unaufhörliche Neckereyen ausstehen: bald rief sie ein günstiger Sonnenblick aus ihrem Winkel hervor, und gleich mußte sie vor einem Unglück oder einer andern Leidenschaft wieder zurückkriechen: durch solche unaufhörliche Krisen wurde sie mitten unter der Herrschaft der Liebe und des Vergnügens wach und munter erhalten. Izt waren die Begeistrungsscenen der Liebe fast alle durchlaufen: er wußte, wie viel Wahres und wie viel Einbildung in ihren Freuden ist: Noth und Verlegenheit hatten ihn das Verhältniß ihrer Täuschungen zu der wirklichen Welt außer ihm gelehrt: was war natürlicher, als 225 daß die Ehrbegierde, die bisher nur als Dienerin und allein zum Besten der Liebe gearbeitet hatte, sich itzo nach gemindertem Widerstande zur Selbstherrscherin in seiner Seele erhob und die Liebe unter sich erniedrigte? – Man kan nicht entschloßner seyn, als er es unmittelbar nach der Durchlesung jenes Briefes war, dem Rufe, den er enthielt, nicht zu folgen.

Sonderbar, daß izt die Liebe dem Ehrgeize so hülfreich die Hände bot, als der Ehrgeiz vorher der Liebe gedient hatte! Der nämliche Brief eröfnete auch seiner itzigen herrschenden Neigung eine schmeichelhafte Aussicht, die er bey dem ersten Durchlesen desselben ganz übersah: er gab ihm Hofnung zu einem Platze bey einem Präsidenten, der ein ganzes Land eigenmächtig regierte: wozu konte ein solcher Platz nicht führen? – Kaum hatten seine Gedanken diesen Pfad betreten, so lief schon seine Einbildungskraft auf ihm bis ins Unendliche fort: so entschlossen er anfangs war, nicht an einen Ort zu gehn, wo die Liebe seinem Emporkommen Eintrag thun könte, so nothwendig, so heilsam schien 226 es ihm nach einer zweiten Ueberlegung, diesem Orte sobald als möglich zuzueilen. »Der Zwang, welchen wir unsrer Liebe auferlegen müssen, wird sie in den Schranken halten, die Ulrikens Glück und das meinige fodert« sagte er sich zu seiner Bestärkung in dem neuen Entschlusse, brachte eilfertig seine Angelegenheiten vollends zu Stande, nahm von Fräulein Hedwig und seinem Vater Abschied und begab sich auf die Reise.

Er hatte im ersten Feuer seiner Entschließung nicht bedacht, daß Madam Dormer die vormalige Vignali war, in welchem Verhältnisse er ehemals mit dieser Frau stund, und mit welchen Gesinnungen er sich in Berlin von ihr schied. Kurz vor der Ankunft fiel ihm dies erst ein, und noch mehr fühlte er es bey dem Empfange: doch Madam Dormer hatte nicht aufgehört, Vignali zu seyn, sondern wußte immer noch mit ihrer vorigen Feinheit ihre Empfindungen zu verbergen, eine entgegengesezte Mine anzunehmen und Andern eine solche Gemüthsverfassung mitzutheilen, als sie haben sollten. Sie schwazte Herrmanns 227 mistrauische Zurückhaltung sehr bald hinweg und stimmte ihn auf den weniger vertraulichen, aber ofnen ungezwungnen Ton, den er izt gegen sie annehmen sollte. Sie lehrte ihn die Kunst, Dendriten zu poliren, und verschafte ihm einen, der die Schlacht bey Molwiz nach dem Leben vorstellen sollte, machte den Obersten begierig, den Besitzer dieses seltnen Kunstwerks kennen zu lernen, und der Weg zu Ulriken war offen: der Oberste fand zwar diese Vorstellung seiner Lieblingsschlacht weniger natürlich als die andre, die er schon besaß, zweifelte sogar, ob sie es seyn möchte, allein er nahm doch den Stein mit vielem Danke an und bezeugte dem Geber des Geschenkes überaus viele Gewogenheit, die sich durch Herrmanns warmen Eifer für die edle Polirkunst und die weitläuftigen Kenntnisse, womit er prahlte, täglich vermehrte: der Oberste freute sich, ein so tüchtiges Subjekt in seine Werkstatt zu bekommen, nahm ihn, wie einen wandernden Gesellen, in Arbeit und lobte allenthalben, ohne weitre Beweise, den großen Kopf und die herrlichen Talente dieses Fremden. 228 Weil in dem kleinen Städtchen der gute und böse Ruf eines Menschen den Umlauf in Einem Nachmittage so völlig machte, als wenn er von der Kanzel verlesen worden wäre, so wies man schon den andern Tag, nachdem Herrmann des Obersten Bekanntschaft gemacht hatte, mit Fingern auf ihn, und bey Hofe und in der Stadt wurde allgemein von nichts als dem neuangekommnen Menschen mit dem großen gescheidten Kopfe gesprochen: die Mädchen lauerten an den Fenstern auf ihn, und die Mannspersonen giengen aus, um ihm zu begegnen. Madam Dormer that das Ihrige redlich, die allgemeine Aufmerksamkeit bey Leben zu erhalten, und erinnerte den Präsidenten bey der nächsten Gelegenheit an sein Versprechen: er gestand zwar, daß er die Wundergaben des vorgeschlagnen Subjekts von dem Obersten Holzwerder selbst erfahren habe, aber demungeachtet wollte er vorsichtig verfahren und seine Entschließung noch ein halbes Jahr verschieben. Madam Dormer bat um Erlaubniß, ihren Klienten zeigen zu dürfen: – »das ist nicht nöthig,« war die Antwort. Sie ließ das 229 Gespräch sogleich fallen und erkundigte sich sehr ehrfurchtsvoll nach des Herrn Präsidenten Turteltauben: sie mußte sie in eigner Person besuchen. – »Der junge Mensch,« fieng sie an, »von dem ich vorhin sagte, wird für Ihre Täubchen sehr brauchbar seyn, wenn er noch die Gnade erlangt, in Ihre Dienste zu kommen: er hat überhaupt starke Kenntnisse von den Vögeln und besizt auch sehr viele Geheimnisse, ihre Krankheiten zu heilen, verlorne Stimmen wiederzuschaffen, und besondre Geschicklichkeit, den Pips zu benehmen.« – »Was?« rief der Präsident: »den Pips zu benehmen? das weis er? Er soll kommen, gleich zu meinem Kanarienvogel kommen: das arme Thier hat ihn auf den Tod. Es muß ein kluger Kopf seyn.« – »Allerdings!« antwortete Madam Dormer. »Er hat sich auf dem Lande mancherley Kenntnisse dieser Art erworben: er ist stark in der Oekonomie«

Der Präsident. Oekonomie versteht er? Das ist ja ein Mensch, wie ich ihn haben will. Es muß ein gescheidter Kopf seyn. 230

Madam Dormer. Eine Zeitlang hat er sich auch mit Wettergläsern abgegeben –

Der Präsident. Auf die Wettergläser versteht er sich? Das ist mir gerade recht: ich habe itzo nur vier aufgestellt, aber ich kan doch nicht damit herumkommen, und mein Schreiber bringt mir beständig falsche Beobachtungen. Der Mensch ist auf die Art recht für mich gemacht: es muß ein gescheidtes Kerlchen seyn. Es thut mir recht leid, daß ich ihn nicht gleich annehmen kan: aber ich habe unterdessen nach Leipzig, Göttingen und Altorf geschrieben, daß man mir aus diesen drey berühmtesten Universitäten die besten Subjekte aussuchen und vorschlagen soll; denn ich möchte doch gern einen ganzen Kerl haben, der in allen Wissenschaften wohl beschlagen ist: die Oekonomie muß er aus dem Fundamente verstehn; in der Physik, Mathematik und Jurisprudenz muß er völlig zu Hause seyn, eine hübsche leserliche Hand schreiben, ein paar Sprachen sprechen, besonders lateinisch und französisch – denn in den Sachen, die er mir abschreiben muß, kommen sehr oft lateinische und französische 231 Wörter vor – und hauptsächlich sich auf Wettergläser und Vögel verstehen.

Madam Dormer. Aber Sie brauchen so nothwendig einen Sekretär –

Der Präsident. Ja, das seh' ich nunmehr wohl ein: ich habe mir vorher gar nicht eingebildet, daß er mir so nöthig ist: aber ich muß doch warten, bis die Subjekte von den drey Universitäten ankommen, damit ich das Auslesen habe und dasjenige wählen kan, das in allen Wissenschaften wohl beschlagen ist. Ich gebe einen ansehnlichen Gehalt: er soll jährlich vierzig Thaler bekommen, und wenn er noch ein paar Wissenschaften mehr versteht, als ich verlangt habe, kömmt es mir auf zehn Thaler nicht an: alsdann soll er funfzig haben. –

Ob man gleich das Gespräch noch eine kurze Zeit in diesem Tone fortsezte und darauf dem Gimpel einen Besuch abstattete, mit welchem der Herr Präsident um die Wette pfiff, so konte doch Madam Dormer für diesmal mit allem ihren Betreiben nicht weiter kommen. Desto glücklicher war der Oberste bey der Fürstin: er nüzte 232 eine ihrer guten Launen, als sie sich auf einem Vorwerke befand, wo sie mit den ländlichen Beschäftigungen zuweilen so angenehm spielte, wie Ulrike sonst auf ihrem Bauergütchen, und jedesmal so aufgeräumt war, daß sie nichts abschlagen konte: sie gewährte dem Obersten ohne alle Weigerung sein wohl abgepaßtes Ansuchen und befahl auf der Stelle, die Baronesse herauszuholen, welches auch ohne Verzug geschah. Ulrike war mit der Landwirthschaft besser bekannt, als die übrigen beiden Hofdamen, deren Kenntnisse sich mehr über die Milch erstreckten, von welcher sie die Sahne zum Kaffe abschäumten; und durch die Emsigkeit und Erfahrenheit, womit die neue Hofdame alles angriff, gewann sie in Einem Nachmittage die völlige Gnade ihrer Gebieterin. Die Gesichter der beiden weniger erfahrnen Fräulein wurden von der Minute an so übertrieben süß, wie ihre Herzen bitter: allein da Ulrike die Herzen nicht sehen konte, pries sie sich in ihrem neuen Posten darum glücklich, weil sie die Gnade ihrer Fürstin und die Freundschaft ihrer Kolleginnen besaß.

Sonach war Herrmanns Vergnügen schon 233 wieder aus: so eingeschränkt und gezwungen auch sein Umgang mit Ulriken bisher gewesen war, so sah er sie doch täglich und konte zuweilen durch versteckte Reden und verstohlne Blicke die alte Vertraulichkeit erneuern. Das Poliren der Dendriten wurde ihm nunmehr langweilig, und der Oberste mit ihm unzufrieden, weil sein Fleis erkaltete: Madam Dormer vermochte mit aller Kunst und Verschlagenheit nichts über den Präsidenten: der Gimpel, nach welchem sie geschrieben hatte, blieb auch ewig außen: wer sollte in solchen Umständen nicht verdrießlich werden? Was Herrmanns Verdruß erleichterte, war der Umgang seiner Wirthin und ein geheimer Briefwechsel mit Ulriken, wobey Madam Dormer das Postwesen besorgte. Aus den vornehmsten, die Ulrike schrieb, sollen hier solche Stellen einen Platz finden, die Schilderungen ihrer gegenwärtigen Lage und der Personen enthalten, die auf ihr künftiges Schicksal den meisten Einfluß haben werden.

den 5. November.

»Es lebe der Hof. So glücklich bin 234 ich noch nie gewesen als itzo – versteht sich, in so fern ichs ohne deinen Umgang seyn kan. Die Fürstin begegnet mir so vertraulich, mit so freundschaftlicher Zärtlichkeit, daß es mich rechte Mühe kostet, den Abstand zwischen ihr und mir nicht zu vergessen: sie beschenkt mich sehr oft, aber immer mit Putze: wenns nur Geld wäre, daß ich es mit dir theilen könte! Freilich ist sie sich sehr ungleich, und in ihren trüben Launen bekömmt man so viele empfindliche Bitterkeiten, als Liebkosungen und gnädigste Freundlichkeiten – wie mein Mädchen sich ausdrückt – in den heitern Stunden. Das bin ich von Onkel und Tante noch gewohnt: die Gnade genieß' ich wie den Sonnenschein; ich wärme mich daran und bin munter und vergnügt, daß die liebe Sonne so hübsch warm scheint: kömmt ein Donnerwetterchen der Ungnade, ein Platzregen, ein wenig Schnee mit kleinem Hagel vermischt – Immerhin! denk ich; es regnet und hagelt und donnert ja nicht das ganze Jahr: wenn das Uebergängelchen vorbey ist, will ich mich wieder an der Sonne trocknen. – 235 Also steh' ich unbeweglich und fühllos da, wie ein Baum, und lasse mich geduldig naß und voll regnen: komm' ich zu meinen beiden Freundinnen, dann wird das Herzeleid weggetanzt, weggesungen, weggeplaudert. Ich habe dir schon einmal geschrieben, daß die jüngste unter meinen Kolleginnen entsezlich wild ist: bis zur Unerträglichkeit ist sie es zuweilen: die Alte spielt alsdann die weise Hofmeisterin und lehrt und ermahnt so lange, bis sie von der Lustigkeit angesteckt wird und die tollen Streiche mitmacht, die sie vorher verboten hat. Fräulein Ahldorf – das ist die jüngste – hat eine ganz eigne Neigung auf Steckenpferden zu reiten: jeder Stock, der ihr in die Hände kömmt, muß ihr zum Steckenpferde dienen: auf Stecken reiten, Rosinen und Mandeln aus der Tasche essen und sich über die Leute aufhalten, sind die drey Hauptzüge ihres Charakters. Ehegestern traf ich sie bey einem solchen Ritte an: sie trabte auf dem Blondenstocke in dem Zimmer herum, die alte Limpach saß am Tische und arbeitete, und kiff und brummte über das Reiten, wie sonst meine 236 Guvernante Hedwig: wenn das Knurren gar zu unleidlich wurde, legte ihr die Ahldorfin bey dem Vorbeyreiten eine Rosine oder Mandel auf den Tisch, die die Alte, wie ein Eichhörnchen, aufpickte, und so lange sie mit dem Essen beschäftigt war, welches bey ihr etwas langsam zugeht, schwieg die Strafpredigt. Endlich, da das Knurren gleich wieder angieng, sobald die Bestechung verzehrt war, hatte die Ahldorfin die Bosheit und bot ihr ihren Schecken, wie sie den weißen Stock nennte, zu einer Kavalkade an: die Alte stritt und schmälte und wehrte sich, wie vor einem Verbrechen: aber die boshafte Ahldorfin, die sie kennt, drang so lange in sie, bis sich die Gesezpredigerin bereden ließ und einen kleinen Trab versuchte: so gehts der schwachköpfigen Alten jedesmal, daß sie sich am Ende für ihre heilsamen Lehren auslachen läßt. Um das Gelächter zu vermehren, kam der Goldmacher dazu, der Altgesell in des Obersten Fabrik: der elende Mensch ist der allgemeine Narr des ganzen Hofs: so bald Er erscheint, führt die Ahldorfin ihre Steckenpferde gleich in 237 den Stall, um ihn herumzutummeln. Das Mädchen hat alle kriegerische Neigung von ihrem Vater geerbt, der, glaub ich, General gewesen ist; denn sie spielt mit nichts lieber als mit Soldaten und Kanonen. Der Apotheker, der ein Tausendkünstler seyn will, bringt ihr immer ganze Taschen voll Musketirs, Grenadiers, Reiter und Kanonen, aus Kartenblättern geschnitten: das alte Kind stellt alsdann mit der Ahldorfin die Kartenarmee in Schlachtordnung, und sie brauchen Erbsen statt der Kanonenkugeln, womit sie auf die armen Papiermänner losfeuern, daß sie Hals und Beine brechen: sind die beiden feindlichen Heere sämtlich daniedergeschossen – denn gewöhnlich kömmt auch nicht Ein Mann mit dem Leben davon – so kanoniren sich die beiden Heerführer, und der arme Apotheker zieht meistens den Kürzern: wenn seine Gegnerin ihre Erbsen verschossen hat, wirft sie ihm Rosinen, Mandeln, Schnupftuch, Scheere, und was sie sonst in den Schubsäcken oder in der Nachbarschaft um 238 sich findet, an den Kopf: für die Limpachin ist dieser lezte Theil der Komödie der interessanteste, und sie beweist sich außerordentlich geschäftig dabey. So vertreiben wir uns die Zeit in den itzigen ewigen Winterabenden: zuweilen wird Blindekuh, oder ein andres Spiel von diesem Schlage gemacht; aber bey jedem ist der Apotheker die lustige Person, auf dessen Unkosten gelacht wird. Mir ist der Mann dadurch, daß er sich mit so großem Vergnügen von Jedermann zum Narren gebrauchen läßt, äußerst verächtlich geworden: er macht freilich den weisen Unterschied, daß er Niemanden Spaß mit sich treiben läßt, der nicht wenigstens von Adel ist; aber er kömmt mir wegen dieses Unterschiedes nur noch kleindenkender und armseliger vor, weil er von der Würde eines Menschen gar kein Gefühl haben muß. Ich kan nicht mit ihm reden; und er nimmt mirs sogar übel, daß ich ihn nicht zum Narren habe, und schilt mich deswegen stolz. Ueberhaupt weis ich nicht, warum ich hier allgemein für stolz gehalten werde: bin ichs denn wirklich? Bey dem Onkel tadelte man mich 239 beständig, weil ich zu lustig und zu gemein seyn sollte; und hier muß ich mir unaufhörlich Stolz und Ernsthaftigkeit vorrücken lassen. Freilich ist es wohl wahr, ich muß mich meistens zum Lachen zwingen, wenn die Andern beynahe den Athem verlieren, und mit den Leuten, wie der Apotheker, deren es hier eine Menge giebt, kan ich mich unmöglich einlassen: sie sind so plump oder so tumm, daß sie mir zu ekelhaft werden, um etwas Lächerliches an ihnen zu finden. Zum Glücke muß ich oft bey der Fürstin seyn und ihr aus einem Romane oder andern Büchern erzählen. Sie giebt mir das Lob, daß ich sehr gut erzähle; und sie hat das eigne Unglück, daß sie weder selbst lesen, noch vorlesen hören kan: sie läßt also die Bücher kaufen, ich muß sie lesen und ihr das Gelesene wieder erzählen. Es klingt nicht so natürlich in den Büchern, sagt sie, als wenn mirs Jemand mündlich erzählt. – Am liebsten hört sie Feenmährchen und Gespensterhistorien: je ungereimter und abentheuerlicher, je lieber: ich habe die Zeit her des Zeugs so viel lesen müssen, daß ich alle Nächte von Ogern, 240 Kobolten, Hexen, bezauberten Prinzeßinnen und geflügelten Drachen träume. Von den Büchern, wo sich die Leute lieben und heirathen, will sie gar nichts hören: das nennt sie Alfanzerey, verliebte Possen. Aus Trauerspielen läßt sie sich am liebsten erzählen, wenn sie recht gräßlich sind: im Komischen sind Holberg und Moliere ihre Leibautoren, aber der Lezte nur Scenenweise. Wenn sie selbst liest oder sich vorlesen läßt, muß das Buch französisch und nicht stark seyn. Nichts wundert mich so sehr, als daß sie im französischen für die besten Sachen, und im teutschen nur für die schlechten Geschmack hat: ich stimme überhaupt selten mit ihren Urtheilen überein, ob ich es gleich nicht merken lassen darf: was mir nur mittelmäßig scheint, hält sie immer für das schönste. Am höchsten steigt meine Verwunderung, wenn sie sich mit einem von den privilegirten Narren abgeben und über ihre plumpen Einfälle lachen kan, als wenn es die sinnreichsten Bonsmots wären: der Apotheker und einer von den Laufern müssen sich zuweilen in ihrer Gegenwart schrauben, wie es hier 241 genannt wird, und die Schrauberey geht oft so weit, daß der Eine dem Andern einen Bart macht, ein Bein stellt, oder ihn mit Koth bewirft, daß er nicht aus den Augen sehen kan. Mein Unglück ist es, daß ich die Widrigkeit, die ich bey solchen Lustbarkeiten empfinde, unterdrücken und noch oben drein mitlachen muß. – – –


den 16ten Nov.

– Die Fürstin ist wirklich eine vortrefliche Frau und hat sich heute so sehr in Gunst bey mir gesezt, daß ich ihr ihren übeln Geschmack in den Vergnügungen herzlich gern vergebe. Sie fuhr spatzieren, und ich mußte sie begleiten: wir stiegen aus, um in dem Sonnenscheine herumzugehn, den sie ungemein liebt. Ein Bauer näherte sich uns und bettelte. Warum bettelt ihr? fragte die Fürstin. Ihr seyd ja gesund und auch nicht schlecht in Kleidung. – »Das will ich Ihr wohl sagen,« antwortete der Bauer, »aber Sie muß mich nicht verrathen. Unser Amtmann 242 straftgern; und wenn man nur einen Schritt der Queere thut, so rasselt gleich der Amtsdiener an der Hausthür. Ich hab' ihn, mit Ehren zu melden, einen Scheiskerl geheißen und dafür soll ich ihm zwey Thaler bezahlen. Sie ist ja die Fürstin: sag Sie doch dem Amtmanne, daß er mich ungeschoren läßt: aber er riecht das bischen Geld, das ich izt vom Markte nach Hause bringe. Ich wollte mirs also von Ihr ausbitten, daß Sie bey dem Herrn Amtmann ein gutes Wort für mich einlegen möchte, Frau Fürstin, damit er mir nachsieht und mich nicht pfänden läßt: ich wills herzlich gern wieder gleich machen.« – Die Fürstin lächelte und befahl mir, ihm zwey Thaler zu geben. »Da!« sprach sie: »bezahlt Euerm Amtmanne den Ehrentitel, den Ihr ihm gegeben habt.« – »Ach!« sagte der Bauer äußerst treuherzig: »Sie giebt sich gar zu viele Mühe. Hat Sie kein schlechter Geld? Dies ist für den Amtmann zu gut. Sie thut sich aber doch auch keinen Schaden, wenn Sie mir soviel Geld giebt?« – Eine so originale Mischung von Einfalt, 243 Treuherzigkeit und bäuerischem Witze veranlaßte die Fürstin, daß sie sich lange mit dem Menschen unterhielt: er gab ihr etliche Aufträge an den Fürsten, daß er ihm die Felder nicht vom Wilde möchte abfressen lassen, und die Saat nicht mit der Falkenhetze zu Grunde richten. Die Fürstin entledigte sich des Auftrages, und die Falkenhetze wurde stark belacht: ob die Erinnerung etwas fruchten wird, steht dahin, wiewohl der Fürst solche offenherzige Beschwerden der ländlichen Einfalt sehr wohl aufnimmt.

Weil ich mich so gut auf Oekonomie verstehe, bin ich die Almosenpflegerin geworden, und jeder Arme in der ganzen Stadt, der sich des Bettelns schämt oder seine Dürftigkeit nicht bekannt werden lassen will, meldet sich bey mir und empfängt wöchentlich so vielen Zuschuß, als die Armenkasse verstattet, worüber ich Rechnung führen muß. Für mich ist dies die liebste unter allen meinen Beschäftigungen: nur Schade, daß die monatliche Summe, die ich in meine Kasse empfange, zu klein, und die Zahl der Armen zu groß ist! die Portionen werden etwas klein: aber 244 ich halte alle Tage um Vermehrung an, und ich hoffe, sie zu bekommen. Niemand weis außer der Fürstin und mir, wer aus meiner Kasse etwas erhält: ich freue mich die ganze Woche auf den Sonnabend, wo meine Vögelchen sich jedesmal ihr Futter holen.


den 22ten November.

– O Heinrich, in welcher Verlegenheit bin ich heute gewesen. Fürst und Fürstin sprachen zusammen: ich stund an der Seite, ohne auf ihr Gespräch zu hören: auf einmal wurde es äußerst lebhaft, und wie ich meine Aufmerksamkeit darauf richte, höre ich, daß sie von Mädchen sprechen, welche die Liebe zu einem Fehltritte verleitet hat. Schon der Inhalt der Unterredung brachte mein ganzes Blut in Bewegung, und die grausame Strenge, womit die Fürstin sich wider solche unglückliche Schlachtopfer der Liebe erklärte, machte, daß ich am ganzen Leibe zitterte. Der Fürst urtheilte viel billiger und behauptete, daß sie meistens Mitleiden, aber keine Strafe, und 245 noch weniger Haß und Verachtung verdienten: die Fürstin hingegen versicherte mit der größten Hitze, daß sie eine solche Person nicht eine Minute um sich dulden könte. Ihr Gemahl machte ihr lachend den Einwurf, daß sie nicht wüßte, ob nicht vielleicht alle ihre Fräulein und Jungfern solche Personen wären. Wer weis, sprach er und wies aus mich, ob nicht gar dies stille Schäfchen schon einmal Mutter gewesen ist. – »Den Augenblick jagt' ich dich fort, wenn ich nur das mindste dergleichen von dir erführe,« sagte sie drohend und entrüstet zu mir. – »Wir haben das arme Mädchen ganz roth gemacht,« fieng der Fürst nach einer Pause an und sah mir steif ins Gesicht, um mich noch rother zu machen. – »Für diese wollt' ich wohl selber gut sagen,« sezte er hinzu: »das ist die Unschuld, wie sie leibt und lebt.« – »Wir wollens wünschen,« gab die Fürstin mit einem Tone zur Antwort, der mich verdroß. Meine Angst während der ganzen Unterhaltung kan ich dir nicht beschreiben; und in solcher Angst schwebe ich fast jeden Tag; denn die Fürstin spricht von keiner 246 Sache lieber, und jedesmal mit gleicher Heftigkeit und Barbarey. Barbarey ist es wirklich, wenn Personen ein so strenges Urtheil sprechen, die selbst nie in der Versuchung gewesen sind, noch wegen der genauen unaufhörlichen Aufsicht darinne scheitern können. Ihre Tugend kostet ihnen nichts als das bischen Kampf wider die Regungen der Natur: sie haben nie mit den mannichfaltigen Einladungen der Liebe, mit den überraschenden Gelegenheiten, mit den überwältigenden Eindrücken gestritten, die in jedem niedrigern Stande möglich sind: der Vogel im Käfig kan sich freilich rühmen, daß er kein verbotnes Hanfkorn genascht hat. Hätte die strenge Moralistin nur Einmal die Gewalt der Liebe und die zauberischen Künste der Gelegenheit empfunden wie ich, o wie würde sich ihre richterliche Unbarmherzigkeit mildern! Täglich bin ich auf der Folder: immer fürcht' ich, izt wird das Gespräch auf deinen Fall kommen; und wenn eine ähnliche Geschichte, wie die meinige, erzählt wird, dann denk' ich immer, izt wirst du dich verrathen: mannichmal bilde ich mir sogar ein, daß die Fürstin meinetwegen so häufig darüber moralisirt.

247 Wie schwer drückt eine verheimlichte Schande! Wie auf Stacheln steh' ich, vor Furcht entdeckt zu werden. – –


den 30. November.

– – Nach gerade fange ich an, mein itziges Leben ein wenig seltsam zu finden. Gestern blizten und hagelten Verweise und grämliche Reden auf mich herab: nichts kont' ich recht machen: wenn ich nur eine Mine verzog, traf mich ein derber Ausputzer; und gleichwohl durft ich nicht vom Flecke gehn, damit meine gnädige Dame Jemanden hatte, an dem sie ihre üble Laune auslassen konte. Bald sollt' ich das, bald jenes holen lassen: nun kam es nicht hurtig genug; da traf mich das Unglück, daß das Mädchen, welches ich geschickt hatte, nicht fliegen konte: langte die Sache endlich an, so war ihr die Sehnsucht wieder vergangen, oder es gab etwas daran auszusetzen: es mußte etwas anders geholt werden: unterdessen änderte sich die Lust wieder; hurtig wanderte ein zweiter Bote dem ersten nach, 248 um ihm Gegenordre nachzutragen, und ein paarmal schickte ich dem zweiten einen dritten nach, und wenn sie alle drey ohne Athem wiederkamen, dann hatten sie alle drey den Weg umsonst gemacht. Etlichemal hatte ich alle Leute ausgesandt, die Befehle von mir annehmen: der Fürstin kam eine neue Grille ein, aber ich konte Niemanden auftreiben, dem ich den Auftrag zumuthen durfte, ob ich gleich allenthalben herumrennte: nun wurde ich ausgezankt, erstlich daß ich nicht gleich wiedergekommen war; zweitens daß ich die Leute alle ausgeschickt hatte; drittens daß alle die ausgeschickten Leute zu langsam giengen. So willkommen ist mir noch kein Abend gewesen, als der gestrige, der dem durchschmälten Tage ein Ende machte: wie ein Züchtling, der den ganzen Tag Farbenholz geraspelt hat, begrüßt' ich die Nacht und mein Bette.

Heute früh stand der Himmel offen und regnete nichts als Gnade und Freundlichkeit auf mich herab: ich wurde bey allem um Rath gefragt, und was ich vorschlug, gefiel allemal: wie ein Orakel, mußte ich über die unbedeutendste 249 Kleinigkeit meine Meinung sagen, und meine Meinung war die einzig richtige in der ganzen Christenheit: ich hätte ihr rathen können, die Schuhe an die Hände zu ziehen, und es wäre gewiß geschehen. Jeden Augenblick ließ sie mich zu sich rufen: gestern jagte mich die üble Laune herum, und heute die große Gnade. Den Beschluß machte ein sehr ansehnliches Geschenk – ein vortrefliches Kleid und Geld, das ich nicht besser anwenden kan, als wenn ich dirs mit diesem Briefe überschicke. Könt' ich dir jeden Tag so viel verdienen, so trüg' ich jeden Tag mit Freuden so eine Tracht üble Laune wie gestern.


den 9ten December.

– Himmel, das ist nicht auszuhalten: ich entlaufe. So ist keine Viehmagd in ihrem Leben ausgescholten worden, wie ich vor zween Tagen: mein Herz bebt mir noch vor Aerger: ich glaubte, ein Gallenfieber zu bekommen, so übel hab' ich mich seitdem befunden; und kanst du dir einbilden, warum? – Der Fürst 250 begegnete mir im Korridor und fragte mich, wohin ich so eilfertig wollte: ich antwortete, und aus der Frage und Antwort wurde ein Gespräch, das ich in der Minute wieder vergaß, so geringfügig war es, und bey dem Abschiede klopfte er mich auf die Backen. Der Himmel weis, welch schadenfrohes Geschöpf es sieht und der Fürstin mit Verschönerungen hinterbringt. Fünf Minuten darauf werde ich zu ihr gerufen und wie ein Delinquent auf Tod und Leben verhört. Ob ich mit dem Fürsten gesprochen hätte? – Ja. – »Warum? wie lange? was?« – Die Fragen waren mir alle schwer zu beantworten, wenigstens mußte ich mich vorher lange besinnen, weil ich die Sache nicht für so wichtig hielt, um nur einen Augenblick Aufmerksamkeit darauf zu verwenden: ich erzählte indessen alles aufrichtig, was mir einfiel. Daß sie mir ein Wort geglaubt hätte! Ich sollte wer weis wie viel heimlich gesprochen haben, das ich mich zu gestehen schämte: ich sollte nicht läugnen, und gleichwohl konte ich nichts gestehen: also mußte ich ganz geduldig die bittersten Verweise und 251 Drohungen über mich ausschütten lassen. »Geh mir aus den Augen!« war die gnädige Beurlaubung.

Ganz ohne einen Schatten von Schuld um einer wunderlichen Einbildung willen so empfindlich zu leiden, war für mich so angreifend, daß ich mich in mein Zimmer verschloß: die Thränen strömten mir aus den Augen, und der Aerger wühlte in allen meinen Eingeweiden herum. Ich wünschte mich mit jedem Pulsschlage auf dein Bauergütchen in Kummer und Mangel zurück: ich aß dort kümmerlich, aber doch in Freiheit und ohne Unrecht zu leiden: was nüzt mir hier der Ueberfluß, wenn mir jeden Bissen Verdruß, Aerger und Unruhe verbittern? – O wie leicht war alle mein bisheriger Kummer gegen den Schmerz einer so unwürdigen Behandlung!

Die Hauptveranlassung dazu mochte wohl seyn, weil sie wider ihren Gemahl aufgebracht war: er hatte ihr kurz vorher widersprochen, und nichts kan sie weniger ertragen als Widerspruch: da sie ihren Zorn an ihm nicht 252 auslassen durfte, nahm sie die nächste Gelegenheit und entledigte sich ihrer Galle an mir. Sie ist außerordentlich argwöhnisch in dem Punkte, worüber sie mit mir zankte; und so artig und gesittet der Fürst spricht, so vermeide ich doch alle Unterredung mit ihm, so sehr es sich ohne Unanständigkeit thun läßt; und gerade muß ich sie nicht vermeiden können, da es am gefährlichsten war! Das Gerüchte geht sehr stark, daß er Madam Dormer seiner Vertraulichkeit würdigen soll: ich habe sie vor dem Unwillen der Fürstin gewarnt, wenn diese Nachricht zu ihren Ohren gelangte; allein sie antwortete mir sehr stolz – »Den Unwillen fürchtete ich nicht, wenn ich sonst Lust hätte, das Gerüchte wahr zu machen.« – Sie verläßt sich ein wenig zu sehr auf die Gnade der Fürstin, die ihr freilich sehr gewogen ist, weil sie alle Zeitungen am Hofe und in der Stadt zusammenträgt. Diese unendlichen Klatschereyen, womit sich Jedermann in Gunst setzen oder die Zeit vertreiben will, sind mir das Unausstehlichste nächst den Hofnarren, die ohne Narrenkleid so zahlreich herumlaufen: so gut als 253 wenn man alles unter freyem Himmel thäte, wird man beobachtet, und die kleinste Posse läuft gleich von Ohr zu Ohr: in der nächsten Minute weis schon der ganze Hof, was man in der vorhergehenden gedacht hat.

O lieber Herrmann, wenn du nicht glücklicher bist, als ich, so sind wirs Beide nicht. Ich habe meinen Aerger verbeißen und heute schon wieder den ganzen Vormittag um die Fürstin seyn müssen: aber ich gab mir nicht die geringste Mühe meinen Verdruß zu verhelen, ob es gleich nicht sehr hofmäßig ist. Madam Dormer maßt sich an, die Aussöhnung bewirkt zu haben, und rieth mir um Vergebung zu bitten. »Weswegen?« antwortete ich. »Daß ich unschuldiger Weise ausgehunzt worden bin?« – Sie rümpfte die Nase und gieng. Die Frau ist unleidlich hofmännisch geworden. – – 254

 


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