Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 4
Johann Karl Wezel

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Zweites Kapitel.

Als alle Zurüstungen zu Stande waren und die Auszahlung des geborgten Geldes in wenigen Tagen geschehen sollte, langte bey seinem Hause ein Mann an, der sich sehr genau nach seinem Namen erkundigte: der Mann trat in die Stube, sah sich sorgfältig allenthalben um – »Ja, es ist wohl so, wie man mirs beschrieben hat,« fieng er an und gab einen Brief ab. Die Hand der Aufschrift war fremd, aber kaum war er geöfnet, so zeigte sich mit dem ersten Blicke Ulrikens Schrift.

M** den 23. August.

»War das nicht, als wenn uns der Wind aus einander führte, liebster Herrmann? Ich dachte, wir wären längst von allen Menschen vergessen, und doch giebt man sich die Mühe, uns zu trennen: aber die Trennung soll nicht lange dauern, hoffe ich.

167 Vermuthlich hast du nicht einmal erfahren, wie mich die schändlichen Leute weggekapert haben. Du mochtest, als dich der Pfarr zu sich rufen ließ, kaum drey oder vier Minuten aus dem Hause seyn, so kam ein Bauermädchen sehr eilfertig gerennt und sagte mir, daß ich dir nachkommen sollte. »Er ist mit dem Herrn Pfarr durch den Kirchhof gegangen und wartet vor der Thür, die aufs Feld geht,« sagte die Verschmizte. Wer sollte dahinter etwas Böses argwohnen? Ich glaube wirklich, das Mädchen, das eine Magd vom Herrnhofe war, sey dir begegnet und von dir geschickt worden, wie sie vorgab. Ich gehe quer über den Kirchhof nach der andern Thüre hin, die auf das Feld geht, und erblicke, wie ich mich nähere, eine Kutsche mit ofnem Schlage vor ihr. Der Anblick machte mich wohl ein wenig stutzig, aber da ich nicht die mindeste Ursache zum Argwohn hatte, ließ ich mich durch nichts beunruhigen als durch die Besorgniß, daß Jemand da seyn möchte, von dem ich nicht gern gesehen seyn wollte: weil ich aber Niemanden gewahr wurde, gab ich der 168 Neubegierde nach, trat in die Thür und fragte den Burschen, der am Schlage lehnte, wem der Wagen gehörte: er nahm tölpisch den Hut vom Kopfe, machte eine tumme freundliche Mine und fragte – »Was?« und hielt mir das Ohr hin, als wenn er taub wäre. Indem ich etwas näher trete und meine Frage wiederhole, ergreift mich plözlich Jemand von hinten und wirft mich in den Wagen hinein – pump! war die Thüre zu, und die Kutsche rollte mit mir dahin: das geschah alles so schnell, daß ich mich kaum besinnen konte. Da saß ich nun in dem verwünschten Kasten und konte gar nicht begreifen, was das bedeuten sollte. Alle drey Fenster waren niedergelassen, und statt derselben hölzerne Schieber vorgesezt, die nur durch drey viereckichte Löcher, so groß als ein Auge, Licht und Luft hineinließen. Mir wurde angst: ich versuchte die Schieber aufzumachen und arbeitete mir die Finger blutig daran: aber es war nicht möglich: sie mußten angenagelt seyn. Die Thüren ließen sich inwendig eben so wenig öfnen: ich befand mich im Gefängnisse und sahe durch 169 eins meiner drey Luftlöcher nach dem andern und erblickte nichts als Stückchen Feld und Bäume, und durch das vorderste ein Stückchen Kutscher: ich rief ihm zu daß er halten sollte, aber er drehte sich nicht einmal um; und der Wagen rollte in Einem fort so barbarisch über Stock und Stein dahin, als wenn mich geflügelte Drachen zögen, daß ich in dem weiten Kasten vor heftiger Erschütterung und von den öftern Stößen, wie ein Knaul, von Winkel zu Winkel herumkollerte. Für einen Spaß von dir war die Komödie zu lang und zu plump: ich konte also nichts als Betrügerey argwohnen. Aber von wem? – Ich quälte mich mit Muthmaßungen und Besorgnissen und konte nicht einmal ruhig muthmaßen; denn ehe ich michs versahe, kam ein Stoß, und dann wieder einer, und warf mich so hoch empor, daß mir die Gedanken aus dem Kopfe fielen.

Endlich, nachdem ich, ohne Möglichkeit mich zu retten, zwey oder drey Stunden bald langsam, bald hurtig zusammengerumpelt worden war, fuhr die Kutsche durch einen Thorweg und 170 hielt an: man öfnete die Thür, und weil der ganze Hof mit Mist überdeckt war, nahm mich der nämliche Bursche, den ich bey dem Kirchhofe am Schlage fand, auf die Arme und trug mich in ein altväterisches gothisches Haus hinein. Die Hausthüre wurde hinter mir zugemacht, und mich empfieng ein entsezlich gepuztes Frauenzimmer – so entsezlich, so linkisch gepuzt, daß man sich des Lachens kaum enthalten konte! Sie gab mir die Hand und führte mich die Treppe hinan. »Aber wo bin ich denn?« rief ich beständig. »Was will man mir denn thun?« – »Das sollen Sie gleich hören, meine Liebwertheste,« antwortete das Schlaraffengesicht und lachte. Die Stimme kam mir bekannt vor, und da ich mir den gepuzten Kobold genauer besehe, ist es Madame Siegfried, unsre allergnädigste Gerichtsherrschaft. »Meine liebwertheste Baronesse,« fieng sie an und keuchte, wie ein Schmiedeblasebalg, und wimperte unaufhörlich mit den Augen dazu, wie sie sonst that – »meine liebwertheste Baronesse, seyn Sie mir doch unterthänig willkommen.«– Was 171 soll ich denn hier? – »Alles Liebes und Gutes, meine wertheste Baronesse! Geruhen Sie nur sich zu setzen und zu essen und zu trinken!« – Nicht einen Bissen, wenn ich nicht weis, was man mit mir willens ist! Wer hat mich so diebischer Weise auffangen lassen? – »Belieben Sie das nicht zu sagen, meine trauteste Baronesse! Sie sind in allen Ehren und Honnetität hieher gebracht worden, und sollen auch heute noch weiter reisen.« – Wohin denn? – »Das werden Sie schon erfahren,« sprach sie lachend. »Lassen Sie sichs nur unterdessen nicht misfällig seyn, sich hier umzuputzen: ich werde die Ehre und das geneigte Vergnügen haben, mit ihnen zu reisen.« – »Das ist eine himmelschreyende Betrügerey, die man mir spielt,« fuhr ich auf; »und ich will doch sehn, wer mich von der Stelle bringen soll, wenn man mir nicht sagt, warum ich hier bin, wer mich hieher hat bringen lassen. – »Seyn Sie nur so geneigt,« unterbrach sie mich, »und folgen Sie mir! Ziehen Sie hier die Schirkassienne (Circassienne) an und belieben Sie dabey etwas von frischer Milch und kalter Küche 172 zu genießen: ich will Ihnen dabey die ganze Historie erzählen.« – »Mir etwas weiß machen? Nicht wahr?« unterbrach ich sie. – »Seyn Sie doch so geneigt und denken nicht so kanalljösisch von mir! Ich will Ihnen ganz reinen Wein einschenken: Sie sollen zu Ihrem Onkel, oder wie ich ihn nennen soll, dem Herrn Obersten von Holzwerder: Sie kennen ihn ja wohl noch? Er war einmal bey Ihro Excellenz, dem Herrn Grafen, Ihrem gnädigen Herrn Onkel zur Vesitte« – Das weis ich wohl; aber was will er denn mit mir anfangen? – »Alles Liebes und Gutes! Ihr Herr Herrmann ist voraus: Sie werden einander dort finden: weiter sag' ich nichts.« – Mährchen sind das! blaue Dünste, um mich ins Netz zu locken! aber ich bin kein Kind und glaube solche Fratzen. – »Sie denken auch gar zu mesantrop'sch von mir, meine liebwertheste Baronesse. Ich bin ja keine meschante Canaille, die mit Lug und Trug umgeht. Ich bin ja eine honnete Madam, die es in aller Ehre und Honnetität mit Ihnen meint.« –

173 In diesem scheinheiligen Tone überredete sie mir eine gotteslästerliche Lüge, die sie so wahrscheinlich zu machen wußte, daß ich sie wirklich glaubte. Meinen und deinen Aufenthalt sollte ihr Mann durch Schwingern erfahren haben – sehr glaublich! denn du hattest ihm Nachricht davon gegeben, das wußte ich. Dieser Herr Schwinger sollte sich über unsre Liebe erbarmt und an den Obersten Holzwerder gewandt haben, um meine Verbindung mit dir zu bewirken: der Oberste Holzwerder war gleichfalls so geneigt gewesen und hatte sich erboten, unsre Verbindung zu Stande zu bringen: darauf sollte Schwinger an ihren Mann geschrieben und ihn gebeten haben, uns Beide zu dem Obersten zu schaffen; – »und weil mein Mann den Spas liebt,« sezte der häßliche Puderhahn hinzu, »so läßt er ein jedes von ihnen besonders an Ort und Stelle bringen. Sie sollen Beide einander bey des Herrn Obersten von Holzwerder Gnaden finden, als wenn es sopar hussar (par hasard) geschähe: Herr Herrmann ist mit meinem Manne und dem Herrn Pastor spatzieren 174 gefahren: aber sie reisen zu dem Herrn Obersten. Der wird sich wundern, wenn die Spatzierfahrt so lange währt! und wenn Sie nun vollends mit mir, so gleichsam als wie par hussar, ankommen, da wird erstlich die Verwunderung angehn. Aber belieben Sie sich ja nichts davon remerquiren zu lassen, meine liebwertheste Baronesse! denn mein Mann hat mirs bey Kopfabhacken verboten, Ihnen ja nichts davon zu sagen, damit es ein Spas wird, wenn sie einander so gleichsam als wie par hussar rankertiren (rencontriren). Aber ich bin eine viel zu honnete Madam, daß ich meine liebwertheste Baronesse so in der Angst lassen sollte. Das kan ich Ihnen warlich! nicht: Sie würden sich ambrassiren (embarassiren): Nein, das kan ich Ihnen nicht übers Herz bringen, daß ich Sie so ambrassiren sollte.« –

Sah das Fabelchen nicht der Wahrheit so ähnlich, daß sich auch der Klügste fangen lassen mußte? – Es stiegen mir zwar Zweifel dawider auf, aber weil ich so sehr wünschte, daß es keine Fabel seyn möchte, hüpfte ich über die 175 Bedenklichkeiten hinweg, besonders da mir die alte Heuchlerin so oft und mit so anscheinender Aufrichtigkeit ihre Honnetität betheuerte. Ich, leichtgläubiges Geschöpf, zog die Schirkassienne an und die übrigen Reisekleider, die dabey lagen, und freute mich innerlich, wie ein Kind auf Weihnachten, daß sich unser Himmel so unvermuthet aufheitern sollte. Es überfiel mich eine eigne Empfindung, als ich mich zum erstenmale nach beinahe drey Jahren wieder in dem städtischen Putze befand: ich sah mir ganz anders aus, und konte vor Wohlgefallen nicht vom Spiegel wegkommen. Alles Glück und aller Verdruß, den ich sonst in meinen vornehmen Kleidern erlitten hatte, kam mir in die Gedanken zurück: ich sah auf meine ländliche Kleidung, als sie dort auf dem Tische lag, wie auf eine abgeworfne Hülle des Elends hinab, aus welcher ich neugeboren zu einem neuen glücklichen Leben hervorgegangen wäre. Rührung, Freude, Hofnung bemeisterten sich meiner so stark, daß ich in dem Taumel ein großes Glas Milch mit drey hastigen Zügen 176 hinunterschluckte und so viel Butterbrod dazu aß, als wenn ich acht Tage gefastet hätte – alles, ohne daß ichs eher inne ward, als bis ich die Schmerzen der Ueberladung fühlte! Die alte keuchende Siegfried, so widrig sie mir sonst war, schien mir izt eine so liebenswürdige, so eine herzlich gute Frau, daß ich kein Mittel aussinnen konte, ihr meine Zufriedenheit und Zuneigung genug zu beweisen: ich drückte ihr die Hände, ich liebkoste sie, ich überwand sogar meinen Widerwillen und drückte ihr zween Küsse auf die dicken breiten Lippen. Die Küsse gereuen mich diese Stunde noch: wenn ich sie dem schändlichen Weibe nur wieder abnehmen könte!

Die Pferde waren indessen gefüttert und wieder vorgelegt worden; und wir stiegen in vollen Freuden ein: des Nachmittags liefen sie mir zu hurtig, und izt nicht schnell genug. Unterwegs hatten wir ein ewiges Geschwätze – das mir freilich sehr angenehm war – von dem Glücke und dem hohen Vergnügen, das auf dich und mich bey dem Obersten wartete, daß wir zur Landwirthschaft nicht gemacht wären und 177 durch den Obersten in eine angemeßnere Lage gerathen würden. Die ganze Nacht kam kein Schlaf in meine Augen. In dem nächsten Städtchen nahmen wir Postpferde und fuhren die ganze Nacht hindurch, und von Zeit zu Zeit weckte ich meine schnarchende Reisegefährtin durch einen Stoß, als wenn er so par hussar geschähe, damit sie von deinem und meinem Glücke mit mir reden sollte.

Auf der lezten Station empfieng mich der Oberste, ein allerliebster Mann, und mir damals noch tausendmal lieber als itzo, weil er, nach meiner Ueberredung, uns Beiden so herrliche Dienste gethan hatte und thun wollte. Der Postknecht blies, wir nahmen von Madam Siegfried Abschied, fuhren fort: noch war kein Herrmann da. Der Oberste war sehr gesprächig und spashaft, scherzte mit mir, daß in der Stadt, wohin wir wollten, ein hübscher Mann auf mich wartete, beschrieb mir ihn vom Kopf bis auf die Füße und fragte mich bey der Beschreibung eines jeden Stücks an dem hübschen Manne, wie er mir gefiele. Dein Porträt war 178 es nicht, fast in allem das Gegentheil: – »aber,« dachte ich, »er thut das aus Scherz, daß er mir meinen Herrmann so häßlich mahlt;« und in diesen Gedanken lobe ich denn alles in seinem Gemählde, sogar die zwo großen Warzen, die der hübsche Mann auf dem Backen haben sollte, gefielen mir außerordentlich: ich sprach bey meinem Lobe mit wahrem innigen Entzücken. Dem Obersten steckte mein Entzücken so sehr an, daß er sich zusehends verjüngte: er wurde so munter, so belebt, daß er mich küßte, und trotz des stechenden Bartes nahm ich mit seinen Küssen vorlieb. »Der arme Mann!« dachte ich: »unsre Liebe macht ihn ganz jung wieder: er möchte gern auch etwas lieben: es ist doch traurig, wenn man so alt ist und sich mit dem Zusehn abspeisen muß.« Als seine Beschreibung bey den Füßen war, die zuweilen mit dem Podagra behaftet seyn sollten, wollte ich ihm sein Geheimniß ablocken und fragte ihn, wie denn dieser hübsche Mann hieße: der Name Herrmann klang schon in meinen Ohren: am Ende, da er sich lange geweigert hatte, war er es selbst. »Das ist 179 eine Ausflucht, um dir den rechten Namen nicht sagen zu dürfen,« dachte ich und antwortete ihm mit gezwungnem Scherze, daß vermuthlich der Pfarr, der ihn und mich trauen sollte, uns zu Hause schon erwartete: ich war verdrießlich bey mir, daß er mir nicht die Freude machte und den rechten Namen nennte, da mir doch an der Ueberraschung gar nichts lag; und mein Verdruß mußte vermuthlich durch die angenommene scherzhafte Mine durchgeleuchtet haben; denn er sagte mir ernsthaft darauf – »Sie werden doch den Spaß nicht übel nehmen?« – und drückte mir dabey die Hand. Ich versicherte ihn aus allen Kräften das Gegentheil; und den übrigen Weg wurde viel geschäkert, aber nicht mehr auf diese Art. Inzwischen zog ich doch alles, was er sagte, auf dich, und was sich nur im mindsten so auslegen ließ, verstund ich als eine Anspielung auf unsre nahe Trauung: sogar, als er mir die Liebkosungen erzählte, die mir sein kleiner Hund Marquis machen würde, bildete ich mir ein, er meinte dich; und wegen dieser Illusion lachte ich über alles so ausgelassen 180 vergnügt und mannichmal bey Sachen, die gar keinen Anlaß zum Lachen geben konten, daß der Oberste mich oft fragte, warum ich darüber lachte.

Wir langten an, fanden den scherzhaften Marquis und Lieschen, des Obersten Ziperkatze, den einen so klaffend, und die andre so schnurrend und krummbucklicht, wie er sie mir beschrieben hatte, alle Tapeten und Möbeln, wie er sie mir beschrieben hatte, aber – keinen Herrmann. Die Nacht vergieng, auch der Morgen: der Oberste zeigte mir alle seine Herrlichkeiten und machte mir vielen Spaß vor, aber ich hatte kein Gefühl dafür: weil ich Betrug argwohnte, hörte auch meine gestrige Auslegungskunst auf: ich hielt keinen von seinen Scherzen mehr für eine Anspielung auf dich und unsre Verbindung, sondern verstund jeden, wie er gemeint war, und so war jeder ohne Reiz für mich: nicht einmal zwingen konte ich mich zum Lachen. Er ließ den Schneider kommen, um mir ein Kleid zu verschaffen, worinne ich mich der Fürstin darstellen könte, und nennte mich unaufhörlich sein liebes 181 schmuckes Bräutchen: der Schneider lachte über seine Schnaken, daß er beständig das Maas falsch nahm: das Bräutchen blieb so ernsthaft, wie die dickköpfigten Chineser auf der Papiertapete rings in dem Zimmer, weil ihr der rechte Bräutigam fehlte. Verdruß und Aerger, daß ich mich so schändlich hatte hintergehen lassen, nahmen sichtbarlich zu, und der Oberste, der meine mürrische Laune dem Mangel an Vergnügen zuschrieb, stellte auf den Nachmittag ein Konzert an. – »Wir haben hier sehr schöne Musikanten,« sagte er mir bey dem Mittagsessen. »Wir haben noch vor drey Vierteljahren eine rechte Sängerin aus Berlin bekommen, die Madam Dormer: sie singt, wie ein Nachtigallchen: Sacre-papier! wenn die Frau in die Höhe mit ihrer Kehle steigt, das geht, das geht, wie mein Lieschen, mein Ziperchen, wenn sie zum Dache hinaufläuft! Wie der Wind ist sie oben; und wenn sie nun oben auf dem Forste mit ihren Tönen sizt, da trillert und tanzt sie so kraus in der Höhe herum, als wenns die Engelchen im Himmel wären; und dann hüpft sie auf einmal 182 – hoptr, hop, hoptr, hop, hop – (er machte die Prahltriller der Sängerin mit seiner unsingbaren Stimme sehr komisch nach) von dem obersten Dachziegel herunter, daß man denkt, die Kehle wird Hals und Beine brechen. Sacre-papier! das ist eine Sängerin, die für den König von Frankreich nicht zu schlecht wäre! Ihr Mann ist auch ein großer Musikant: er pfeift sehr schön auf der Flöte, und fidelt auch auf der großen Rumpelmaschine – wie heißt sie denn gleich? – auf dem großen Basse – rumpel, rumpel! Das geht drauf los, was das Zeug hält, wenn das Kerlchen seine Grimassen hinter dem großen Brummkasten zu schneiden anfängt! daß der Staub herumfliegt, so marschirt er auf den Saiten herum. Und dann haben wir noch einen großen Musikanten: der geht über alle, das sag' ich. Hören Sie! wenn der zu fideln anfängt, das klingt, wie ein Glöckchen, wie wenn ich Ihnen hier mit der Gabel ans Glas schlage, kling, kling, kling! – und dabey will er sich alle Adern am Leibe zerreißen: das ist ein Arbeiten auf der Fidel, daß ihm die 183 Haare um den Bogen herumhängen, wenn er fertig ist. Meine Soldaten können sich nicht so hurtig schwenken und drehen, als der Mensch auf dem Brete mit dem Fidelbogen herumspatzirt. Das ist die Kapelle: aber nun nehm' ich meine Leute dazu; das sind ganze Kerle: wenn sie zu hoboen anfangen, und die Waldhörner und die F–zmaschinen – Fagots heißen sie – dazwischen hineinfallen, das ist ein Gequake und ein Gekreische, daß man davon laufen möchte. Das versichre ich Sie, meine Hoboistenbande ist die schönste in Europa: die Ohren möchten springen, so einen excellenten Lärm machen sie.« –

Ohngefähr in diesem Tone schilderte er mir auch die Talente der Stadtmusikanten und der Liebhaber in der ganzen Stadt, die auf irgend einem Instrumente etwas vorzügliches leisteten. Nachmittags fand sich ein Virtuose nach dem andern ein, ein schreckliches Heer, das die Todten hätte erwecken können. Ich fühlte zum Leidwesen meiner Nerven, daß der Oberste richtig prophezeihte: die Ohren wollten mir springen, und ich wäre gern davon gelaufen. Die 184 Herren griffen sich mir zu Ehren alle so gewaltig an, daß ihnen der Schweis schon bey der ersten Sinfonie am Kopfe hereinlief, und jede Minute plazte eine Saite. Sie wedelten sich insgesamt mit den Schnupftüchern, als sie sich durch das tobende Presto durchgearbeitet hatten; und so angreifend das Getöse in dem kleinen Saale war, so meinte doch der Oberste, daß sie heute nicht so frisch gespielt hätten, wie sonst. Um den Schimpf nicht auf sich sitzen zu lassen, bat der Direktor des Konzerts um eine Verstärkung des Orchesters, nach welcher sogleich Boten ausgesandt wurden, und legte ein Stück auf, wobey Waldhörner, Trompeten, Oboen, Fagotte, Posaunen und fast alle übrige Blasinstrumente hervortraten. Mit großer Betrübniß beschwerte sich der Direktor, daß man die Pauken weglassen müßte. – »Diese will ich machen,« sprach der Oberste und befahl eine Trummel zu holen. – »Geben Sie einmal Acht,« sagte er zu mir, »wie ich die Trummel peitschen will: ich bin sehr stark darinne: ich lehre alle meine Tambours selber.« – Verstärkung und Trummel langten 185 an: mir wurde angst und bange. Das Getöse begann: der Oberste stand in der Mitte mit umgehängter Trummel, gab ihr bald einen einzelnen empfindlichen Hieb, schlug bald einen langen schnurrenden Wirbel, daß man nichts als das Quäken der rauhen Trompeten hören konte: es war eine Höllenmusik: demungeachtet glaubte der Oberste, daß zwey Trummeln einen bessern Effekt thun würden, und konte nicht begreifen, warum die Uebrigen heute so erstaunend leise spielten, daß er nur sich allein hörte. Man schob die Schuld auf die Violinen und beklagte, daß der Stadtmusikant nicht zugegen wäre, der mit seiner Geige sieben andre überschrie. Auf alle Gassen mußten Boten auswandern, den Mann aufzusuchen: er erschien mit seiner gewaltigen Geige nebst einem Tambour: allein wenn man gleich noch sechs Männer mit so gewaltigen Geigen herbeygeschaft hätte, so wäre die Musik für den Obersten immer zu schwach gewesen; und der Lärm war doch so unmenschlich, daß die Leute auf den Gassen zusammenliefen und Feuer riefen, in der Meinung, man 186 habe die Feuertrummel gerührt. Seine Gehörnerven müssen von Stahl seyn; denn die meinigen haben mir acht Tage lang gesaust und gezittert.

Endlich erschien auch Madam Dormer, die große Sängerin: ich freute mich, daß meine Ohren wenigstens auf eine andre Manier die Tortur leiden würden. Die Frau trat mit vielem Anstande und edler Stellung herein: alles stellte sich in ehrerbietige Parade, als wenn die Fürstin ankäme: der Oberste brachte sie gleich zu mir und machte sie mit mir bekannt. Rathe, Herrmann, rathe, wer diese große Sängerin war! – Vignali, die leibhafte Vignali! Wir erschraken Beide nicht wenig, uns hier wiederzufinden, aber behielten doch so viel Fassung, daß sich keins verrieth. Sie schämte sich außerordentlich, in ihrer itzigen Qualität vor mir zu erscheinen, und war durch keine Bitten zu bewegen, daß sie sang: sie wandte einen Katharr vor.

Die Neugierde und die räthselhafte Beschuldigung der Madam DüpontIn diesem Bande, 21. und 22. S. auf meiner Flucht von Dresden, daß ich die Ursache von 187 Vignali's Unglücke wäre, ließen mir keine Ruhe: ich suchte mit ihr in ein Nebenzimmer zu kommen, um mich nach ihrer Geschichte zu erkundigen: kaum hatte ich die erste Frage gethan, was sie hier mit mir zusammenbrächte, und zur Antwort erhalten – »das Unglück!« – so führte das Unglück schon ein Paar Fräulein zu uns, die während des Konzerts, dem sie beywohnten, so eine seltsame Zuneigung zu mir gefaßt hatten, daß sie mir auf allen Tritten nachgiengen: alle drey Minuten drückte mir die Eine die Hand und fragte mich: »Sind Sie mir nicht ein bischen gut?« – und die Andre erkundigte sich unaufhörlich, wie mir die Musik gefiele: die beiden zuthuenden Gänschen waren mir izt doppelt zur Last, weil sie die Befriedigung meiner Neugierde hinderten. Nach dem Konzert bat ich den Obersten um Erlaubniß, Vignali oder wie man sie izt nennen muß, Madam Dormer morgen zu besuchen. – »Nein,« antwortete er sehr ernsthaft, »das schickt sich nicht: Sie können ja eine Sängerin nicht besuchen. Sie kömmt sehr oft zu mir und arbeitet mit uns: 188 da werden Sie Gelegenheit genug haben, die Frau zu sprechen, wenn sie Ihnen gefällt.« – Sie arbeitet mit Ihnen! wie denn das? fragte ich. – »Gedulden Sie sich nur!« antwortete er lachend. »Sie sollen schon auch ein Geselle in meiner Werkstatt werden: aber erst muß ich Sie als Lehrbursch aufnehmen: das soll morgen geschehn; und wenn Sie sich gut anschicken, können Sie in acht Tagen schon Geselle seyn.« – Mehr wollte er mir vor der Hand nicht entdecken: daß die Leute doch die Ueberraschung so sehr lieben!

Den folgenden Morgen gleich nach dem Frühstück wurde ich von ihm selbst in seine Werkstatt abgeholt: der tändelnde Mann band mir ein weißes Schurzfell um, mit rothem Bande eingefaßt, und wies mir meinen Platz auf einem Taburet an, wo ich zusehn sollte, um die Handgriffe und Geheimnisse seiner Kunst zu lernen: – »einen Stuhl mit der Lehne bekommen nur die Gesellen und Meister,« sezte er sehr wichtig hinzu. Ich erfuhr immer noch nicht, zu was für einer Kunst ich eingeweiht werden sollte, 189 und konte es auch nicht rathen; denn in dem ganzen engen Stübchen war nichts, woher ich Muthmaßungen nehmen konte, als alte grüne Tapeten, mit einem gräulichen Staube über und über bedeckt: woraus ich schloß, daß man entweder hier sehr lange nicht ausgefegt habe, oder daß es Staub bey der Arbeit gebe. Auf dem Tische lagen Stücken Bimstein, Leder und andre Sachen, und vorzüglich viel Staub. Als ich noch meinen Muthmaßungen nachhieng, trat ein Mann in blauem Rocke, rother Weste, gelben Beinkleidern und grauen wollnen Strümpfen herein, die verwirrte Perücke nicht zu vergessen – der Himmel weis, ob sie von Natur oder aus Mangel des Puders schwarz ist: – aber da sie sich seit unsrer ersten Bekanntschaft bis diese Stunde unveränderlich gleich geblieben ist, mag sie wohl natürlich schwarz, und vor Alter und Gram etwas rothgrau geworden seyn, besonders weil sie ihm nach aller Wahrscheinlichkeit auch zur Nachtmütze dient. Alle Kleidungsstücke waren in kläglichen Umständen, auf dem beschabten blauen Rocke lagen die groben 190 Grundfaden offen da, wie weißer Bindfaden, und die rothe Weste war mit großen und kleinen Flecken von mancherley Farbe, wie eine Landkarte, illuminirt. – »Da kömmt mein Altgesell,« sagte der Oberste, als der Mann mit einem »sehr schönen guten Morgen« hereintrat. Ohne im mindsten zu bemerken, daß eine fremde Figur in der Stube war, legte er sogleich seinen Hut hinter seinen Stuhl auf den Fußboden, sezte sich, zog eine Brille heraus, wischte sie an einem kleinen weißen Schnupftüchelchen rein, ohngefähr von der Größe, wie sie meine ehmalige Puppe, glorreichen Andenkens, an Sonn- und Festtagen zu brauchen pflegte: darauf stellte er die Brille mit vieler Accuratesse auf die Nase – da saß er, die Arme auf den Tisch gelegt! Es ist, wie ich hernach vom Obersten erfuhr, ein gewesener Apotheker, der den tollen Einfall gehabt hat, alle seine Büchsen in Gold verwandeln zu wollen; und da sie ihm, ungeachtet aller Mühe und Unkosten, den Gefallen nicht erzeigt haben, sondern gutes ehrliches Holz geblieben sind, wie es der liebe Gott erschuf und der Drechsler drehte, 191 so hat er sie versilbern, das heißt, für Silbergeld verkaufen müssen: – dieser Spas mit der Versilberung ist von dem Obersten, um seinen Witz in deine Bekanntschaft zu bringen. Von dieser Versilberung lebt er itzo, behilft sich elend und schlüge Jedermann ohne Ansehn der Person hinter die Ohren, der ihm die Kunst, alles in Gold zu verwandeln, nicht zugestehn wollte. Er ist dabey entsezlich gelehrt, daß mir mannichmal ganz schwarz vor den Augen wird, wenn er disputirt: griechische Wörter mit langen, langen Schwänzen, und noch viel mehr Latein, als Fräulein Hedwig, speyt er den Leuten, wie einen Hagelregen, an den Kopf: der Oberste weis zuweilen vor Angst nicht wohin, so übel bekömmt ihm die grausame Gelehrsamkeit des Mannes. Das war also der Altgesell en Skize – mit dem Mahler zu reden, der gestern eine Thüre bey uns anstrich.

»Es ist doch wahr, daß ehegestern Nacht ein Geist bey der Mamsell – (ich weis nicht mehr, wie er sie nannte) gewesen ist,« fieng er an: »er hat eine glühende rothe Nase und an jeder Hand 192 sechs Finger gehabt.« – Ich mußte lachen: das nahm er übel, gab mir einen Verweis und erklärte mir, warum die Geister lieber zu den Mädchen als den Mannspersonen kämen. Ich habe seine langweilige Erklärung vergessen, aber soviel weis ich noch, daß seine Geister so gescheidt sind und sich lieben und heirathen, wie unser eins. Er bildet sich ein, daß er sie citiren kan, auch die Seelen der Lebendigen: ich nahm mir die Freiheit, mir die deinige zu einem tête-à-tête bey ihm zu bestellen: aber entweder hat der Mann seine Kunst verlernt, oder deine Seele ist zu fest an den Körper gewachsen; denn seitdem ich hier bin, muß ich alle Abende deinen Namen auf Papier schreiben, verbrennen und ihm die Asche überliefern, und er citirt, daß ihm der Angstschweis am Kopfe hereinströmt: aber die liebe Seele will nicht kommen. Er ist so unverschämt zudringlich, daß man sich seiner gottlosen Künste gar nicht erwehren kan, wenn man sich zum Spas einmal mit ihm einläßt: so geht es mir mit deiner armen Seele, so sehr ich ihn auch bitte, er soll sie in Ruhe lassen.

193 Der Oberste, der sich sonst um die Geisterangelegenheiten sehr gern bekümmert, aber seine Arbeit doch höher achtet, unterbrach den Altgesellen damals sehr bald in seiner Erklärung und befahl ihm kraft seiner Meistergewalt, nicht müßig zu gehn, sondern erst zu arbeiten und dann zu schwatzen. Indem der Geisterseher die Arbeit aus dem Tischkasten hervorsuchte, traf auch der Junggeselle ein, Madam Dormer: sie warf eilfertig ihre Saloppe ab, und gleich über die Arbeit! – Es ist doch wahrhaftig das verschmizteste Weib auf der Erde: weil sie weis, daß man sich durch solchen Eifer bey dem Obersten überaus beliebt machen kan, thut sie so geschäftig und behandelt alles mit einer solchen Wichtigkeit, als wenn von der Spielerey dieser drey Leute die Wohlfahrt des ganzen teutschen Reichs abhienge. – »Nunmehr,« fieng der Oberste sehr gravitätisch an, was er gewöhnlich gar nicht ist, und wandte sich zu mir, – »nunmehr will ich Ihnen die Geheimnisse unsrer Kunst offenbaren. Sie sehn hier in meinen Händen einen gräulichen Stein, Dendrit genannt: in diesen Stein hat die Natur alles gezeichnet, was auf der Welt ist, Menschen, Thiere, Bäume, Häuser, Landschaften, Städte, Armeen, ganze Feldzüge und Schlachten.« – »Aber«, nahm der Goldmacher das Wort, »wie die Natur überhaupt alle ihre Schätze tief verborgen hat, damit sie des Menschen ingenium und Fleis hervorsuche und herausziehe, wie par Exempel das Gold, welches in allen, auch den verächtlichsten Materien enthalten ist: wir essen es im Brodte, wir tragen es in unsern Kleidern auf dem Leibe, (wobey er auf seinen kahlen blauen Rock wies) wir treten es auf unsern schmuzigen Gassen mit Füßen, die Magd kehrt es mit dem Besen aus der Stube, wir haben es in uns, in Blut und Eingeweiden: nun muß des Menschen Fleis und Geschicklichkeit aus allen diesen Goldgruben jenes köstliche Element heraussuchen und aus den verächtlichen Materien gleichsam herausziehen« – »Nicht so weitläuftig, Altgesell!« unterbrach ihn der Oberste. »Sehn Sie, Rikchen!« sprach er darauf in seinem alltäglichen Tone zu nur: »wir reiben und poliren die Steine so lang, bis die 195 vortreflichen Zeichnungen, die die Natur hineingelegt hat, zum Vorschein kommen.« – »Das ist,« hub der Goldmacher wieder an, »das ist par Exempel just wie mit einer sympathetischen Tinte – Sie wissen doch, was eine sympathetische Tinte ist?« fragte er mich und sagte mir einige Recepte, sie zu verfertigen: aber er kam nicht weit mit seinen Recepten; denn der Oberste schrie – »Gearbeitet! gearbeitet, Altgesell! und dann geschwazt!« – Sogleich wandte er sich wieder zu mir und versprach mir eine Probe von diesen Wunderzeichnungen der Natur zu weisen. Er holte einen großen Kasten herbey, worinne eine Menge polirte Dendriten nach der Ordnung lagen, wie die Geschichten erfoderten, die er sich darauf vorstellte. – »Sehen Sie!« begann er: »das ist der Einfall des itzo allergnädigst regierenden Königs von Preußen in Schlesien anno 40: – das hier ist die Schlacht bey Molwiz, wo mich eine Kugel am Arme streifte: Sie können das sehr deutlich sehen. Hier steht unser Bataillon; hier steh' ich als Lieutenant, und hier kommt die 196 verfluchte Flintenkugel und fährt mir so dicht am Arme hin, daß sie mir ein Stück Haut wegnimmt.«– Ich sahe auf dem Steine nichts als schwarze Punkte, die wohl Bäumen, aber keinen Soldaten ähnlich waren: allein aus Gefälligkeit sah ich alles, was er darauf erblickte. – »Das hier,« fuhr er fort, »ist die Aktion bey Hennersdorf, wo ich meinen Hut verlor und eine Kugel ins linke Schulterblatt kriegte: ich bin zweimal darauf: hier fällt mein Hut, und hier kömmt die Kugel: sehn Sie! es ist alles deutlich.« – Der Goldmacher schüttelte den Kopf. »Halten Sie mir zu Gnaden,« fieng er an: »mit der Aktion bey Hennersdorf ist es nicht richtig. Ich setze Leib und Leben zum Unterpfande, Sie irren sich. Es ist die Geschichte Lutheri, wie er dem Teufel das Tintenfaß an den Kopf wirft: das fliegende Tintenfaß sehn Sie für eine Flintenkugel an, und die Tinte, die hier dem Teufel vom Kopfe läuft, halten Sie für den Hut, der Ihnen bey Hennersdorf vom Kopfe fiel« –

Der Oberste. Und was Sie für den Teufel ansehn, das bin ich? – Sie müssen behext 197 seyn oder den Stahr haben, wenn Sie mich hier nicht erkennen wollen. Sacre-papier! sieht mich für den Teufel an!

Der Apotheker. Ich sterbe darauf. Sehn Sie hier nicht deutlich die Hörner, den Schwanz und die Pferdefüße?

Der Oberste. Sacre-papier! das ist mein Tupé, mein Degen und die Vorderfüße von meinem Pferde. Sie sind ja sonst nicht so tumm, daß Sie das nicht begreifen können.

Der Apotheker. Herr Oberster, ich will in der Minute des Todes seyn, wenn ich nicht Recht habe. Mit Ihrer Schlacht bey Molwiz ist es nicht anders. Das bin ich, als ich den lezten Versuch machte, der mich ins Unglück brachte. Das reine Gold war schon da: gleich kömmt ein Bergmännchen (eine Art von seinen Geistern) und giebt mir eine Ohrfeige, daß ich die ganze köstliche Materie vor Schrecken zusammenwerfe: dort lagen alle meine Reichthümer! Sehn Sie hier nicht das Bergmännchen ganz deutlich, so natürlich, wie es damals vor meinen Augen stund? 198

Der Oberste. Der verfluchte Goldmacher! Nun sieht er mich auch noch für ein Bergmännchen an! – Wofür wird er mich nun hier auf dieser Platte ansehn? Bin ich das nicht, wie ich vor zwey Jahren meine Soldaten auf der großen Wiese manövriren ließ? Sieht Er hier nicht deutlich die zwey Divisionen, die ich machen ließ?

Der Apotheker. Nein, das sind die sieben thörichten und sieben klugen Jungfrauen aus dem Evangelio, und was Sie für Ihre eigne Person halten, ist der Bräutigam, der ihnen entgegenkömmt.

Der Oberste. Altgesell! Er ist ein Narr. Sacre-papier! Da wird sich wohl die Natur die Mühe geben und ihm seine sieben thörichten Jungfern auf die Steine mahlen. Gearbeitet! damit wir etwas vor uns bringen. –

»Ach,« fieng Madam Dormer an, »was Sie für die Schlacht bey Molwiz halten, ist der natürliche Thiergarten bey Berlin: hier ist die Jägerhütte, in welche zwey Verliebte gehen, um die Brautnacht darinne zu feyern.« – Ich 199 glaubte, ein Bergmännchen gäbe mir eine Ohrfeige, wie dem Apotheker, als die Frau den heimtückischen Einfall sagte: ob ihn gleich Niemand außer uns Beiden verstund, wußte ich doch vor Verlegenheit nicht, wo ich mich hinwenden sollte. Sie ist immer noch die vorige freundlich-hämische Vignali: aber ich muß ihr schmeicheln, damit sie meine Geschichte nicht verräth und es bey solchen tückischen Neckereyen bewenden läßt, die sie auch nicht spart.

Ich konte meine Neubegierde nach ihrem Unglücke nicht eher befriedigen als Nachmittags, wo der Oberste mit dem Apotheker ausgieng, um der Sektion eines Frosches beyzuwohnen, die einer ihrer Bekannten ihnen schon lange versprochen hatte. Madam Dormer empfieng Befehl, daß sie mich unterdessen in den Handgriffen, Dendriten zu poliren, unterrichten sollte: aber wir wandten die Zeit besser an. Auch sie gab mir die Schuld, daß sich der Herr von Troppau mit ihr entzweyt hatte: ich fragte sie voll Verwunderung, wie das möglich wäre. – »Troppau,« antwortete sie mir, »hatte in Erfahrung 200 gebracht, daß Sie nebst Ihrem Liebhaber durch meinen Vorschub entkommen waren: er beschwerte sich mit den bittersten Anzüglichkeiten darüberMadam Dormer wischt hier sehr fein über die Ursache hinweg, warum der Herr von Troppau so aufgebracht war, daß sie Ulrikens Flucht aus Berlin bewerkstelligt hatte. Er merkte schon lange vorher, daß sie seine Vermählung mit der Baronesse nicht nur ungern sah, sondern, unter dem Schein sie zu befördern, zu hintertreiben suchte. Seine betrogne Liebe machte ihn also so wütend und bitter gegen Vignali, die so trotzig war, daß sie ihm nicht einmal auf sein Verlangen den Ort sagte, wohin sich Ulrike gewandt hatte. Er gab sich hernach noch viele Mühe ihn auszukundschaften; allein da alles vergebens war, vermählte er sich ein Jahr darauf mit einem andern Fräulein und führte, so viel man weis, eine vergnügte Ehe. Er sagte der Madam Dormer bey dem Zanke, dessen sie in ihrer Erzählung erwähnt, geradezu ins Gesicht, daß er argwohne, sie habe Ulriken belogen und Schrecken oder Furcht angewandt, um sie aus Berlin zu bringen. »Sie glauben,« sagte er, »daß ich Sie nicht mehr lieben werde, wenn ich vermählt bin: meine Liebe hätte so bald nicht aufgehört, aber Ihr falsches hinterlistiges Verfahren, Ihre schändliche Verstellung hat sie ausgelöscht. Ich liebe sie nicht mehr.« und schalt mich förmlich aus. Ein so 201 ungewohnter Ton verdroß mich, besonders da er mir mit der ärgsten Beleidigung sagte, daß ich ihm einen Gefallen gethan hätte, wenn ich mit Ihnen gereist wäre. Ich verließ mich ein wenig zu sehr auf seine vorige Liebe und meine Gewalt über ihn, und antwortete ihm im Zorne, daß es noch Zeit wäre, wenn seine erkaltete Liebe eine Trennung wünschte. Ein Wort führte das andre herbey, und wir sagten einander alle Gemeinschaft und Liebe auf. Ich bildete mir närrischer Weise ein, daß der Mann nicht ohne mich leben könte, und hofte jeden Augenblick, daß er den ersten Schritt zur Versöhnung thun würde; aber die Männer sind ein gottloses Geschlecht: so lange das Vergnügen neu ist, das wir ihnen geben, sind sie unsere Sklaven; aber wenn die Sättigung sich einstellt, oder ein neueres Vergnügen winkt, dann werden sie wilde Bäre, die alle Banden zerreißen, wenn man sie auch nur mit einem Zwirnfaden regieren will. Ich merkte wohl bald, daß ich eine Uebereilung begangen hatte, und bot auch von fern die Hand zur Versöhnung: sein Herz war ohne Rückkehr 202 verloren. Ich bekam die Pension, die er mir auf den Fall einer Trennung ausgesezt hatte, richtig ausgezahlt: aber was half mir das? Meinen vorigen Aufwand konte ich nicht fortsetzen: alle meine Freunde verließen mich: nachdem ich so lange stolz gefahren war, sollte ich nunmehr demüthig zu Fuße gehn: Berlin wurde mir verhaßt, und ich wünschte eine Gelegenheit, die Stadt zu verlassen, wo ich so tief unter mir selbst gesunken war. Von ohngefähr bringt einer meiner vorigen Freunde, der mich allein im Unglücke nicht vergessen hatte, den jungen Dormer, meinen itzigen Mann, in meine Bekantschaft: er kam damals von Reisen aus Italien und suchte bey der Kapelle eines teutschen Hofs anzukommen. Er besuchte mich oft, und aus Verzweiflung und Verdruß verliebte ich mich in ihn: er that mir einen Heirathsantrag, und aus Verzweiflung und Verdruß nahm ich ihn an. Die Pension, die mir Troppau nur so lange versprochen hatte, bis ich mich verheirathen würde, fiel freilich nunmehr weg: aber das kränkte mich nicht sonderlich; denn ich mochte dem Manne, der meine Liebe mit solchem Undanke 203 belohnte, nicht gern die Verbindlichkeit meiner Erhaltung schuldig seyn. Ich verkaufte mein Haus und verließ mit meinem Manne Berlin, wo ich durch die Blindheit der Mannspersonen so hoch gestiegen, und durch ihre Treulosigkeit so tief gefallen war. Wir zogen herum und konten an keinem Hofe unser Unterkommen finden. Mein Mann war an ein verschwenderisches wüstes Leben gewohnt, oder gewöhnte sich daran, als er mich und meine Paar tausend Thaler in seiner Gewalt sah: alle meine Vorstellungen, alle meine Klugheit vermochte nichts über den Wildfang, der Schulden auf Schulden häufte und mich mishandelte, wenn ich sie nicht bezahlte. So wurde mein kleines Vermögen innerhalb eines Jahres durchgebracht, und weil keine andre Rettung übrig war, gesellten wir uns zu einer herumziehenden teutschen Schauspielergesellschaft. Ich mag die Schande nicht aufdecken und Ihnen die nächste Ursache sagen, warum mein Mann diese Partie ergriff: ich war so thöricht, ihn wirklich zu lieben, und dachte, ihn von seiner Untreue zurückzubringen: deswegen 204 willigte ich in seinen tollen Entschluß. Ich hatte mein bischen Musik seit meiner Verheirathung wieder hervorgesucht und meine Kehle so ziemlich wieder geübt. Die ganze Truppe bestund aus trägen frostigen steifen Figuren, aus Leuten ohne Erziehung und Sitten, die aus Markis, Grafen und Baronen Schuhflicker machten und alle Rollen so spielten, als wenn der Dichter ihre eigne elende Person hätte schildern wollen: unsre Stutzer waren Hanswürste, denen nichts als die Pritsche fehlte, und unsre Könige saßen auf ihren glanzleinewandnen Thronen, wie auf Nachtstühlen, und schrien und lärmten, als wenn die Dyssenterie in ihren Eingeweiden wütete. Wir spielten meistens Trauerspiele, und wenn einmal einer von den Helden böse oder eifersüchtig wurde, dann blökte er, als wenn ihn der Satan bey den Haaren zauste, und die Uebrigen stunden um ihn herum, wie Schafe, die der Wolf fressen will. Ich konte sehr wenig teutsch, ob ich mir gleich Mühe gab, es zu lernen: mein Hals wollte sich an die rauhen Töne gar nicht gewöhnen; aber das 205 schadete nichts: mein Mann oder der Direktor der Gesellschaft sagte mir meine Rollen vor, und ich lernte die Worte auswendig, ohne viel davon zu verstehen. Ich beschwerte mich zwar oft darüber, daß ich niemals verstünde, was ich sagen müßte: allein man versicherte mich, daß es den Uebrigen allen nicht besser gienge, und daß darauf auch nicht viel ankäme. An dieser Stelle müssen Sie zornig thun, an jener verliebt; hier weinen, dort lachen; hier sauer, dort süß aussehen – das war mein ganzer Unterricht; und weiter brauchte ich nichts, um die größten Rollen mit Beifall zu spielen. Ich habe gefochten mit Händen und Füßen, wie eine Beseßne, und geschrien, daß mir die Aerzte ein Lungengeschwüre prophezeihten; denn das hatte mir der Direktor vorzüglich zu thun empfohlen. Es gieng alles nach Wunsch: doch in einer barbarischen Rolle sollte ich so viele R schnurren, daß mir die Ohren sausten: ich bekam mitten in der Rolle von dem verwünschten Schnurren der vielen R einen erstickenden Husten, daß ich sehr schwach sprechen mußte: dies verursachte meinen gänzlichen Fall 206 in der Gunst des Publikums. Seitdem sang ich italiänische Arien zwischen den Akten und schwang mich dadurch so sehr wieder in die Höhe, daß die Zuschauer wünschten, das ganze Schauspiel möchte aus italiänischen Arien bestehen. Weil mein Einfall dem Direktor viel Geld einbrachte, spielte er alle Stücke mit italiänischen Arien, und Zaire, als sie den tödtlichen Stich empfangen hatte, starb mit einer italiänischen Bravourarie, die ich hinter der Scene sang, weil die sterbende Zaire nicht singen konte. Die Begierde, Arien zu hören, wurde zu so rasender Wuth, daß zulezt die Lampenputzer nicht anders als singend die Lampen putzen durften. Ein so allgemeiner Beifall erregte den Neid und die Verfolgung der ganzen Trauerspielbande wider mich; denn mit Einer italiänischen Arie sang ich alle die bärbeißigen Mörder darnieder: man kränkte und plagte mich so gewaltig, daß ich nebst meinem Manne die Gesellschaft verließ. Wir giengen noch einige Zeit in der Irre herum, ließen uns an unterschiedlichen Höfen hören und wurden endlich an dem hiesigen angenommen, 207 wo ich Gott sey Dank! die größte Sängerin in Europa bin.« –

So ohngefähr erzählte sie mir: ich habe, so viel ich konte, ihre eignen Worte beybehalten; aber du weißt, wie sie erzählt: man kan es ihr unmöglich nachthun. Laß dir besonders ihren theatralischen Lebenslauf noch einmal von ihr selbst erzählen, wenn du zu uns kömst: sie hat mir ihn fast alle Tage wiederholen müssen: der Frau möchte man Tag und Nacht zuhören, so bezaubernd spricht sie. Sie hat hier schon Jedermann eingenommen, und mischt sich in alles. Es ist zwar etlichemal übel für sie abgelaufen, daß sie ihre Hand bey Sachen im Spiele haben will, um welche sich eine Sängerin nicht bekümmern darf: allein sie kan ihren Vorwitz nicht lassen und ohne Intrigue nicht leben: daher bringt sie Dinge zu Stande, die man für unmöglich hält, und sogar bey Leuten, die auf sie zürnen, daß sie sich mit Angelegenheiten abgiebt, die nicht für sie gehören: besonders bey der Fürstin steht sie in großer Gnade.

Sie erkundigte sich sehr nach dir, oder, wie 208 sie dich nennt, nach meinem Adonis. Ich habe sie um dieses Ausdrucks willen wieder recht lieb gewonnen: sie ist gewiß eine unvergleichliche Frau, und gar im mindsten nicht so hämisch und tückisch, wie wir geglaubt haben, oder wie es zuweilen scheint. – Mein Adonis? antwortete ich und küßte ihr die Hand: sie lachte über den respektvollen Kuß, und ich weis selber nicht, wie ich auf den sonderbaren Einfall kam. – Mein Adonis, sagte ich, lebt, aller Welt abgestorben, in philosophischer Einsamkeit auf dem Lande. – »Wirklich?« rief sie und lachte. »Der Mensch hat mannichmal wunderliche Grillen: bey mir in Berlin bekam er auch zuweilen seinen philosophischen Koller: wenn er nicht beständig unter der scharfen Zucht einer Frau oder eines Mädchens steht, so verdirbt er gleich. Im zwey und zwanzigsten der Welt abzusterben! wenn alles so hurtig mit dem Menschen geht, so ist er im fünfundzwanzigsten begraben, und im dreißigsten schon kanonisirt: er soll mein Patron werden, wenn ich noch so lange lebe. Wollen Sie ihn kommen lassen?« – Ich antwortete mit einem 209 tiefen Seufzer. – »Der Seufzer heißt: Ja, ich möchte wohl, aber ich kan nicht,« sprach sie lächelnd. »Lassen Sie ihn kommen! er soll bey mir wohnen und speisen, wenn er mit mir und meinem Manne vorlieb nehmen will. Sollte man ihn denn nicht irgendwo unterbringen können?« – Sie sann herum. »Bravo!« fieng sie wieder an. »Sie haben wohl noch nichts von dem Präsidenten Lemhoff gehört? Man nennt ihn hier den kleinen Fürsten, weil er im Grunde das ganze Land nach seinem Gefallen regiert. Das nächstemal, wenn ich bey ihm singe, will ich ihm weißmachen, daß er einen Sekretär braucht, und daß er an dem Schreiber, den er itzo hält, nicht genug hat. Was wetten Sie? er soll mirs glauben, und Herrmann sein Sekretär werden, so bald er bey uns ist. Machen Sie indessen einen Brief an ihn fertig, geben Sie mir seine Adresse, ich will die Aufschrift machen und ihn durch einen Expressen in meinem Namen bestellen.« –

Mein Brief ist bis hieher fertig: mit welchen Aussichten oder Hofnungen ich ihn schließen 210 werde, hängt von der Antwort der Madam Dormer ab. Ich will von Zeit zu Zeit das Merkwürdigste, was mir begegnet, hinzusetzen.

* * *

den 29 August.

Gestern bin ich der Fürstin vorgestellt worden: sie empfieng mich überaus gnädig, aber beinahe wäre ich aus aller Fassung gerathen. Sie fragte mich, ob ich die Dormerin kente, und ich einfältiges Geschöpf bilde mir ein, daß sie diese Frage nicht thun kan, ohne meine Berliner Bekanntschaft mit dieser Frau und meine ganze Geschichte zu wissen. Ich stammelte ein erschrocknes Ja und fürchtete jeden Augenblick, daß sie mich auch fragen würde, ob ich nicht einen gewissen Herrmann liebte. Sie sah mich lange mit Verwunderung an: nach meiner Empfindung zu urtheilen, mochte sie auch Ursache zur Verwunderung haben; denn meine Mine muß in dem Augenblicke entsezlich albern und furchtsam gewesen seyn. Indem wir einander so stumm ansahen, trat der Fürst ins Zimmer: die Fürstin präsentirte mich ihm: er sah mir steif 211 und unbeweglich in die Augen, als wenn er mich durchbohren wollte. – »Das Mädchen sieht sehr verliebt aus,« sprach er halb leise zur Fürstin: sie lächelte, und ich glaubte vor Schrecken, der Himmel läge auf mir. Sie that noch ein Paar Fragen und ließ mich von sich. Ich habe bey dieser Gelegenheit nachher die Bekantschaft ihrer beiden Hofdamen gemacht: zwo herzlich gute Seelen sind es: sie liebkosten und küßten mich, und freuten sich ungemein, daß sie Hofnung hätten, mich zu ihrer Gefährtin zu bekommen. Die Eine ist überaus aufgeräumt, aber sie muß sich gern über alles aufhalten: diese Neigung leuchtet aus allen ihren Reden und Minen hervor. Die Andre scheint mir ziemlich alt und schwächlich, aber sie ist gleichfalls sehr munter: Beide gehn so vertraut und freundschaftlich mit mir um, daß ich sie ungemein liebe.

Ich begreife gar nicht, warum man den Hof beständig so gefährlich, so voller Zwang, Haß, Neid und Verfolgung beschreibt: ich habe mir ihn wegen dieser Beschreibungen ganz anders vorgestellt, als ich ihn finde. Die Großen dachte 212 ich mir tausendmal ceremoniöser, stolzer und einsylbiger, als meinen Onkel, den Grafen: weit gefehlt! so herablassend, so mild, so freundlich ist mein Onkel in seinem ganzen Leben nicht Eine Minute, als Fürst und Fürstin täglich und gegen Jedermann sind. Das Schloß des Grafen war ein leibhaftes Zuchthaus; jeden Tritt, jede Mine, jedes Wort mußte man abmessen, und Jedermann gieng dem Andern aus dem Wege: hier lebt man so frey, so ungezwungen, ohne alle langweilige Komplimente und steife Grimassen. Bey meinem Onkel sahen die Leute alle so mürrisch, verdrießlich und so bitter und böse, wie erboßte Meerkatzen aus: hier lacht Freundlichkeit, Vergnügen und Freundschaft aus allen Gesichtern: die Leute scheinen sich alle so herzlich gut zu seyn, wie Brüder und Schwestern. Du hast mir so ein wunderliches Mistrauen gegen die Menschen beygebracht, daß ich immer bey mir zweifle, ob es ihnen auch von Herzen geht, wenn sie mir so gütig und freundlich begegnen: aber ich zwinge mich alle Tage mehr, das unglückliche Mistrauen zu verlieren. Einbildungen, 213 nichts als schwarze Einbildungen sind es, die man sich bey übler Laune oder im Unglücke macht! In Berlin schrieb ich der Vignali unsre Zwistigkeit zu, glaubte, daß sie mich verfolgte und von dir trennen wollte, und hielt sie für so hämisch und tückisch und falsch, wie ein Tigerthier; und es ist doch die beste Frau von der Welt, die sich izt so lebhaft für dich und mich interessirt, wie eine Mutter für ihre Kinder: sie läuft und rennt unsertwegen herum und spricht allenthalben Gutes von mir. So mag es dir in den meisten Fällen auch gehen: du bürdest die Schuld deiner übeln Laune und deines Unglücks den armen Menschen auf die Schultern. Komm nur zu uns! du wirst mir gewiß beypflichten. Wenn einmal in einer trüben Stunde Jemand, der dir vorher schmeichelte, aus Versehen an dich stößt, so hältst du ihn gleich für falsch: ich mach' es nicht besser, und ich schäme mich zuweilen vor mir selbst, daß ich so argwöhnisch bin. Ich liebe die Leute alle, daß ich jeden gern in mein Herz schließen möchte, und mitten unter der Liebe ist mir beständig, als wenn ich 214 ihnen nicht recht trauen dürfte; aber ich will mir die Unart schon abgewöhnen.

* * *

den 12 Sept.

Endlich, nach vielen Tagen und Wochen kömmt Madam Dormer mit einer erwünschten Nachricht. »Setzen Sie sich!« sagt sie mir eben izt. »Ich will Ihnen den Brief diktiren, damit Ihr Herrmann sieht, wie gelehrt ich indessen in der teutschen Sprache geworden bin.« – Das wird ein sauberes Briefchen werden: ich schreibe buchstäblich, wie sie mir es vorsagt. –

»Komm Sie su uns, Monsieur Erman! Sie soll werde eine Sekretär bey die Herr von Lemhoff: Sie mir hat gegebet seine Wort. (Er hat mir sein Wort gegeben, wollen Sie sagen, meine hochgelehrte Dame.) Er liebet sehr die Gimpel, Vous-même, tant mieux pour VousNon, non, raïez celà. Ich will sage teutsch. – Wenn Sie kan werde ein Gimpel Sie selbst, der Herr Prasident sie nehmet 215 lieber in Dienst. Kaufe Sie ein Gimpel, der wohl peifet – (pfeift, wollen Sie sagen.) Quel diable de mot! säuft? – (Nein, nein, das heißt boire.) – Mais je ne veux pas dire celà. keift? – (Eben so wenig, das heißt gronder.) – Eh, mon Dieu, comment se peut-il donc qu'un oiseau gronde? – (Sie wollen sagen, pfeift.) – Eh bien, feif ou säuf, comme il Vous plaira. Ecrivez! – Kaufe Sie ein Gimpel, der wohl peift, und machet daraus ein Present dem Mr. le President: kaufe Sie auch ein Paar – attendez! comment est ce que celà s'appelle en allemand? des tourterelles. – (Turteltauben!) – Ecrivez donc! Turteltauben. Das wird Sie legen in die bonnes graces von Herr President; und wenn die Purzeltauben – que riez-Vous? – Wenn die Gimpel wohl singet und die Buttertauben – Mais qu'avez-Vous donc? – Wenn die tourterelles wohl lachet, der Herr President lachet und säufet mit sie. (pfeifet mit ihnen.) Sie soll logircomment dit-on? mit ou zu Madam Dommer? Mon 216 Dieu, Vous Vous etouffez de rire. Comment faut il donc dire? – (Bey Madam Dormer. Sie können Ihren eignen Namen nicht einmal aussprechen.)– Madam Donner? – (Dormer! ) – Ne me chicanez pas; ce n'est pas le nom de mon mari. Allons, finissons la lettre. – Adieu, meine liebe Herr Ermann. Madame Vignali, si Vous la connoissez, Vous donne sa benediction. –

Heut Aben um acht Uhr schick Sie mir den Brief, Mademoiselle, oder noch besser, ich will kommen holen.«

* * *

Nun noch ein Paar gescheidte Worte unter uns, eh' es achte schlägt!

Also kömmst du? – denn was sollst du allein in der kümmerlichen traurigen Bauerhütte anfangen? Glaube mir, unter den Leuten in der Stadt und am Hofe ist es tausendmal besser als unter deinen Bauern: wenn wir uns nicht so sehr geliebt hätten, so wären wir im ersten Jahre vor Langerweile gestorben; und an unsern Kummer in der lezten Zeit mag ich herzlich gern 217 nicht denken. Nunmehr danke ichs den Leuten, die mich aus der Jammerhöle herausgestolen haben: sie wollten mir einen recht übeln Streich spielen und thaten mir die größte Wohlthat. Das neue angenehme Leben hier und die muntre Gesellschaft und die guten Leute, die mich alle so herzlich lieben, daß ich zuweilen recht verlegen bin, wie ich sie genug wieder lieben soll – alles das hat deine Ulrike so munter, so frölich gemacht, daß man denken sollte, es fehlte mir nichts; und doch fehlt mir alles – Du!

Leider! müssen wir einmal wieder fremd gegen einander thun, wenn du zu uns kömst! Es ist doch etwas unglückliches in der Welt, daß man nie eine Freude ganz genießen kan: immer darf man nur auf den Raub kosten und muß dabey sich umsehn, ob es Jemand gewahr wird. Madam Dormer wird dich im Poliren der Dendriten unterrichten und bey dem Obersten bekannt machen: und dann wirst du mein Mitgeselle: was kan erwünschter seyn? Es ist mir zwar nicht recht, daß du bey der Dormerin wohnen sollst: die verführerische Frau – Schon wieder 218 Mistrauen? und ich hab' es doch ganz aus mir verbannen wollen! Nein, du sollst bey ihr wohnen; und wenn ich nur Ein mistrauisches Wort wieder äußre, so strafe mich! Du sollst um und mit mir leben: wie ich stolz seyn will, wenn dir Liebe und Achtung von allen Seiten entgegenkömmt! Die guten Leute, die ich hier kenne, werden dich zu ihrem Abgotte machen; und wie das wohl thun muß, wenn man statt des Hasses und der Verfolgung endlich einmal Liebe und Freundschaft findet! als wenn man aus der tiefsten Finsterniß ans helle Tageslicht kömmt! Ich möchte jedermann küssen, der mir nur zu Gesichte kömmt, seitdem mir Madam Dormer die glückliche Nachricht gebracht hat, daß dich der Präsident annehmen will. Es muß ein vortreflicher Mann seyn, der Präsident: die Leute sprechen zwar nicht gut von ihm, aber die Leute sind nicht gescheidt. Zu Fuße möcht' ich ihm fallen, so viele Hochachtung und Ehrfurcht fühle ich für den göttlichen Mann; und Madam Dormer! – mein Herze hüpft ihr entgegen, wenn ich nur ihren Namen denke: dem Obersten möcht' 219 ich um den Hals fliegen, und selbst den Apotheker hab' ich so liebgewonnen, daß er mir viel hübscher vorkömmt als sonst. O welche Wonne, unter so braven Leuten zu wohnen, die man lieben kan! und wenn nun vollends der bravste, der schönste, der beste unter allen, mein kleiner Abgott dabey seyn wird – o dann brauchen wir gar nicht erst zu sterben, um in den Himmel zu kommen: wo man alle Menschen liebt und von allen geliebt wird, da ist er. Komm! fliege! in diesem Himmel erwartet dich

Deine

glückliche
Ulrike
       

 


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