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Schicksal dreier Freunde

(Ein Scherz)

In der Herberge »Zum harmlosen Haustier« waren unter anderen auch drei Handwerksburschen eingekehrt, ein Floh, eine Laus und eine Wanze. Sie waren aus südlichen Ländern gekommen und wollten es nun für einige Zeit mit dem Norden versuchen.

Überhaupt, sie wollten die Welt kennen lernen. Da sie nun ungefähr alle dasselbe Ziel hatten, so ziemlich dieselben politischen Ansichten und alle drei italienisch verstanden, so verband sie bald eine feste Freundschaft.

Die Wanze entstammte behaglichen Verhältnissen. In einem reichen Bauernhaus hatte sie das Licht der Welt erblickt, und sich auch – einem Vertrag gemäß, den die Familie seit Generationen besaß – von dem Blut der angesehenen Familie genährt, zu der gehörig sie sich betrachtete.

Es war mehr Neugier als Notwendigkeit, die sie bewog, ihren reichen Brotkorb zu verlassen und aufs Ungewisse in die Welt hinauszureisen. Aber warne einer die Jugend. Vater und Mutter Wanze konnten nichts anderes tun, als ihren Sohn neu ausstatten, und ihm den einzigen weisen Spruch mitgeben, den sie kannten: Laß dich nicht erwischen.

Bei der Laus standen die Sachen anders. Sie war hinterm Zaun geboren, unter Zigeunern. Da war keine Seßhaftigkeit, kein Eigentum, kein Respekt vor Mein und Dein. Die Köpfe der Leute gehörten jedem, der kam und sich ansiedelte. Gefiel es einem nicht mehr auf diesem Kopf, so probierte man es auf jenem, kurz, der Laus war das Zigeunertum so in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie es bei ihrem Stamm nicht mehr aushielt und sich schleunigst auf Reisen begab. Ihr größter Feind war die Seife, und sie war so darauf eingewöhnt, sie von weitem zu riechen, daß es ihr kaum je geschah, sich auf einem Kopf niederzulassen, der mit Seife in Berührung gekommen. Sie erwartete viel von der Zukunft; die größten Abenteuer und die kühnsten Unternehmungen schreckten sie nicht ab. Ihre Devise war: Ich verfolge meine Feinde.

Der Floh war Sozialdemokrat vom reinsten Wasser. Nicht nur, daß seine Familie sich seit Generationen in Rot kleidete, nicht nur, daß sein Vater auf dem Felde der Ehre gestorben, sondern seine Mutter hatte ihn zur Welt gebracht, als sie eben der Rede eines berühmten Sozialistenführers lauschte, und dessen kostbares Blut war seine erste Nahrung gewesen. So glaubte er sich zu hohen Dingen ausersehen, und ging in die Welt hinaus mit dem Feuer der Begeisterung.

Blut ist ein ganz besondrer Saft, stand auf seinem Gürtel eingestickt.

Diese drei also waren es, die sich im »Harmlosen Haustier« gefunden hatten. Sie plauderten bis spät in die Nacht hinein und machten sich am andern Morgen in aller Frühe auf, um Arbeit und ein Unterkommen zu suchen. Eine Viertelmeile vor der Stadt machten sie Halt. Sie waren an einem Kreuzweg angekommen und wollten sich da trennen. Vorher aber versprachen sie, sich an einem bestimmten Tag wieder zusammenzufinden, um von da aus gemeinsam weiter zu reisen, ihrer Heimat, Italien, zu.

Der Floh war der erste, der die zwei anderen verließ. Ein rüstiger Wandrer, der eben vorüberging, diente ihm als Fortbewegungsmittel. Der Floh hatte sich auf einen Stein gestellt, und war eins, zwei, drei, dem Burschen auf die Schulter gesprungen. Es dauerte keine Minute, bis des guten Mannes Hand tastend über den Rücken fuhr, woran die zwei Zurückgebliebenen merkten, daß der Floh frühstückte.

Darauf machte sich die Wanze auf den Weg. Sie mußte ziemlich lange gehen, ehe sie einen mit Stroh gefüllten Wagen traf, an dem sie hinaufkletterte und sich verbarg. In dem Stroh waren Güter, die zur Eisenbahn geführt werden sollten, und so kam die Wanze bequem in die große Stadt.

Die Laus, die als Letzte zurückblieb, wartete geduldig. Um die Mittagsstunde kam ein Vagabund, der sich unter einer Linde am Weg niederlegte und sein Mittagsschläfchen hielt. Die Laus bezog ihn und war froh, auf diese Weise bis zur nächsten Stadt transportiert zu werden, von wo aus sie nach Osten weiter reiste. –

Der Tag war da. Die Sonne schien warm auf die Linde, die am Wege stand, und die neugierig war zu erfahren, wie es den drei Burschen wohl ergangen sei, die sich versprochen hatten, unter ihrem Schatten wieder zusammenzutreffen.

Da sah man von ferne die Wanze daherkommen. Wohlgenährt und behäbig sah sie aus. Aufs schönste parfümiert und poliert. Sie ließ sich an dem kleinen Abhang nieder, der neben der Landstraße zum Sitzen einlud, und wartete auf ihre Gefährten. Sie mußte lange warten, nichts ließ sich sehen weit und breit.

Sie wollte schon aufbrechen, um im nächsten Dorf Einkehr zu halten, da hörte sie ein lautes Summen, und ein Bienchen ließ sich neben ihr nieder, das ihr mit einer Verbeugung einen Brief überreichte. Erstaunt nahm die Wanze den Brief, öffnete ihn und las mit höchster Überraschung, was die Laus schrieb:

»Liebe Freunde. Es ist mir leider unmöglich, heute an unserer geplanten Zusammenkunft teilzunehmen. Meine Stellung erlaubt mir nicht, mich auch nur einen Tag von hier zu entfernen, – ich bin nämlich in Belgrad, Serbien – denn es lauern zu viele darauf, sie einzunehmen.

Ich kam vor einem Jahr nach Belgrad auf dem gewöhnlichen Weg, Eisenbahn vierter Klasse, mit einem Slovaken. Von da zog ich zu einem Soldaten, einem Unteroffizier, später wurde ich ins Offizierskasino eingeführt durch einen der Burschen, und nachher war es nicht mehr schwer, mich zu den höchsten Stellen emporzuschwingen.

Kurz und gut: Ich war anwesend, als ein gewisses Telegramm vorgelesen wurde, kurz vor der Ermordung des Königspaares. Ich merkte mir alles, was geredet wurde, und verbarg es still in meinem Herzen. Nachdem ein neuer König den Thron bestiegen, versuchte ich, in seine Nähe zu gelangen, und ich erreichte es verhältnismäßig leicht. Ich wartete den Augenblick ab, in dem der Herrscher vor seiner Privatschatulle saß und darin wühlen wollte. Ich trat vor und sprach:

»Majestät,« sagte ich, »ich bin Mitwisser wichtiger Geheimnisse. Will Majestät mir eine verbürgte und verbriefte Stellung als Ober-Hof-Laus anweisen, so bewahre ich dies Geheimnis in meinem treuen Busen. Wenn nicht, so habe ich Zeugen, um meine Aussage zu bestätigen. Sollte mir etwas passieren, so sind meine Memoiren an sicherer Stelle niedergelegt. Majestät wähle.«

Majestät wählte, und ich bekam die Stelle als Ober-Hof-Laus. Da höchstdieselbe mir nicht ihr eigenes Haupt anbieten durfte – die Serben halten streng darauf, daß ihr König nur die besten Seifen gebrauche – so konnte ich nach Belieben auswählen, wo ich meine Residenz aufschlagen wollte. Seither lebe ich in Freuden und Herrlichkeit, und ihr werdet wohl begreifen, daß ich keine Lust habe, mich weiter zu begeben. Ich teile euch auch mit, daß ich meine Devise: Ich verfolge meine Feinde, umgeändert habe in: Üb immer Treu und Redlichkeit, und euch ersuche, davon Vormerkung nehmen zu wollen. Im übrigen bitte ich euch, mein teures Vaterland zu grüßen, wenn ihr dorthin zurückkehrt.

Euer getreuer

Janos-Laus, Ritter des Georgienordens 1.

 

Starr vor Staunen hatte die Wanze gelesen. Dem ist es noch besser gegangen als mir, dachte sie.

Denn auch sie war in recht angenehmer Stellung gewesen. Als sie in Berlin ausgepackt wurde, befand sie sich in der Wohnung der ersten Hof-Opern-Sängerin. Es schien der Wanze ein Ort zu sein, wo es sich leben lasse. Sie kroch still in ein reich mit Spitzen besetztes Bett und hoffte, die reizende, zarte Italienerin, die sich im Zimmer befand, möchte die Besitzerin des Bettes sein. Und ihre Hoffnung betrog sie nicht.

Als sie in dunkler Nacht das süße Blut der Dame kostete, durchrieselte sie ein langentbehrtes Gefühl. Italienerblut, das geliebte, belebte sie. Sie vergaß der Vorsicht. Ein Lichtstrahl traf sie, und: Wanze, rief eine helle Stimme in der Sprache ihrer Heimat, denn auch die Italienerin grüßten durch das Tier italienische Erinnerungen. Die Diva setzte die Wanze wieder sorgfältig unter die Matratze ins Dunkle. Dort blieb sie und wurde dick und fett. Dennoch packte sie das Heimweh, so daß sie sich nun auf der Reise nach der Heimat befand. –

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und noch war kein Floh zu sehen. Die Wanze wurde ungeduldig. Sie sah sich suchend um und bemerkte ein Stück Zeitungspapier, in das ein reisender Handwerksbursche seine Wurst gewickelt und weggeworfen haben mußte, denn es waren Fettflecke darauf. Die Wanze begann aus Langerweile darin zu lesen. Ihre Augen wurden größer und größer.

In dem Blatt stand gedruckt: Majestätsbeleidigung. Wieder wurde das Verbrechen begangen, das in letzter Zeit unsere Polizei und unsere Staatsanwälte ihrer kostbaren Zeit beraubt. Wir meinen die Majestätsbeleidigung. Zum Glück trifft es diesmal nicht einen Untertanen der Majestäten, sondern einen Italiener, aus bekannter, sozialdemokratischer Familie, einen Floh, der seiner verdammenswerten Gesinnung in den Worten Ausdruck gab: Blut ist ein ganz besondrer Saft, die auf seinen Gürtel eingestickt waren. Besagter Floh konnte sich – wie es zuging, ist uns durchaus unbegreiflich – bis in die Gesellschaft einschleichen, welche die Ehre hatte, mit einer hohen Persönlichkeit den Abend zu verbringen.

In gänzlich schamloser Weise rühmte sich der Angeklagte später bei seinesgleichen, er habe das Blut des Kronprinzen getrunken, und – darin bestand eben die Ruchlosigkeit – es habe ihm nicht besser geschmeckt als anderes auch.

Für diese Beleidigung eines hohen Herrn wurde der Angeklagte zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, was jeden treuen Untertanen des prinzlichen Hauses mit Genugtuung erfüllen muß.

So las die Wanze, und sie konnte nicht im Zweifel sein, daß es sich um ihren Freund handle. Schmerzlich bewegt von seinem Schicksal raffte sie sich auf und begab sich auf die Heimreise.

Oft gedachte sie des Janos-Laus am serbischen Hof und des Flohes, der im Gefängnis, seiner Überzeugung treu, schmachtete. Später hörte sie, daß er in einem Anfall von Wahnsinn sich auf den Wärter gestürzt, und daß dieser ihn einfach zerdrückt habe. So endete der hoffnungsvolle Sprößling einer für die gute Sache begeisterten Familie.

 


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