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Das Begräbnis

Eine sehr angesehene Maus war tot und sollte begraben werden. Um das Lager des Verstorbenen war die Familie versammelt, und wartete auf die Eingeladenen. Zwei Mäuse standen abseits, eine graue und eine weiße. Die Weiße hatte einst die tote Maus geliebt, und die graue war von dem Verstorbenen geliebt und verlassen worden.

»Er hat die Seinen genug gequält,« sagte sie; »ich habe jahrelang zugesehen, und seine Witwe wird ihm nicht manche Träne nachweinen.«

»Sie war auch darnach,« sagte giftig die Weiße; »ich habe sie in ihrer Jugend gekannt. Gefallsüchtig und faul und ... Guten Abend, lieber Freund! Es freut mich, Sie zu sehen, wenn auch der Anlaß ein trauriger ist.«

»Ein sehr trauriger, liebe Cousine. Wir alle verlieren viel an ihm. Die ganze Gesellschaft trauert mit der Familie.« Der Vetter der weißen Maus trat beiseite, und sprach mit einem Neueingetretenen.

»Sehen Sie dort die weiße Maus,« sagte der. »Sie hat in ihrer Jugend den Verstorbenen geliebt und trauert nun um ihn, als wäre sie seine Witwe.«

»Vielleicht mehr als die Witwe selbst,« meinte bedeutungsvoll der Angeredete; »ich könnte Ihnen Dinge erzählen, an denen der Tote keine Freude gehabt hätte!«

»Was Sie nicht sagen.«

»Ein ander Mal; hier könnte man uns hören.«

Eine kräftige braune Maus trat zu der Witwe. »Im Namen sämtlicher Mäuse unserer Gesellschaft spreche ich Ihnen mein tiefstes Beileid aus. Wir alle trauern mit Ihnen. Da ist keiner und keine, die nicht an Ihrem Schmerz Anteil nehme, und die nicht die Hochherzigkeit, die Freigebigkeit und die Güte des Verstorbenen priese.«

»Der und freigebig!« sagte verächtlich die graue Maus zur weißen. »Ja, wenn es alle wußten und ihn dafür lobten, da gab er; aber frag' die Maus, seine Frau, die könnte dir erzählen. Ein Geizhals war er, ein gemeiner.«

»Er wird auch nicht allein schuld sein,« sagte aufgeregt die Maus, die ihn unglücklich geliebt hatte. »Da hätte ich seine Frau sein sollen! Ich hätte anders sparen und zu seiner Sache sehen wollen! Die Äpfel ließ sie im Keller verfaulen und die Würmer fraßen den halben Weizen! Begreifst du überhaupt, daß er sie nahm? Aus einer solchen Familie? Arm! Und nicht einmal hübsch!«

»Nicht hübsch! Sie war doch sehr hübsch!«

»Der Geschmack ist verschieden,« sagte schnippisch die weiße Maus.

»Ja leider,« wisperte die Graue.

»Ich möchte eigentlich wissen, woher er die Mittel hatte, so großartig zu leben,« sagte der Vetter zu seinem Nachbarn; »er war doch nicht eigentlich reich.«

»Oho! Reich war er schon! Ganze Haufen Weizen lagen da und Kerzen und Speck. Wie er dazu kam, ist freilich eine andere Sache.

»So, so! Aha! Ja, ich habe auch schon etwas munkeln hören.«

Mehr und immer mehr Trauernde waren gekommen. Arme Mäuse waren keine da. Aber viele Mäusevereinsvorsteher. Sie alle lobten den Verstorbenen, seinen wohlwollenden Sinn, seine Freigebigkeit. Die junge schöne Maus, die dort am Lager des Toten stand, hörte gar nicht mehr, was die vielen redeten. Alle hatten dasselbe gesagt, und allen hatten sie dasselbe geantwortet.

»Nun kann ich von unseren Vorräten nehmen, soviel ich will; es hat mir keiner mehr darein zu reden!« dachte sie. »Und geben kann ich davon, wem ich will!« Sie versank in Luftschlössern. Auch die kräftige braune Maus, die so schön an der Bahre gesprochen hatte, machte solche.

»Vielleicht wäre es ganz klug, wenn ich die Witwe heiratete. Dann ist all der Weizen mein.« Und die braune Maus drückte die Pfoten der verwitweten Maus und sah ihr mitleidig und bedeutungsvoll in die Augen.

»Verfügen Sie ganz über mich.«

»Mit dem hätte ich ein anderes Leben führen können«, dachte die Witwe und fragte sich, wann die braune Maus wohl kommen werde, um sie zu trösten.

»Vielleicht gleich nach dem Begräbnis. Ich wollte, es wäre schon vorbei.«

Die reiche Maus wurde begraben. Der Verstorbene lag nun still da und konnte alles das nicht mehr tun, was er bei Lebzeiten so gerne getan hatte: Seine Frau ärgern, seinen Freunden sagen, er könne ihnen – leider! – nicht helfen, vor seinem Weizenhaufen sitzen und sich freuen, daß er ihn gestohlen, die armen Mäuse anfahren, wenn sie bettelten, und den Reichen geben, wenn es nachher im Mäuse-Tagblatt stand. – Das alles konnte die tote Maus nicht mehr. – Der Mäuseverein-Vorsteher sprach aber sehr schön an des Verstorbenen Grab. Die weiße Maus, die ihn in ihrer Jugend geliebt hatte, weinte, aber freute sich, daß die Witwe, die sie ihr ganzes Leben lang beneidet, ihn nun auch nicht mehr habe.

Die braune kräftige Maus freute sich, daß der Verstorbene solche Haufen Weizen hinterlassen, und ihm nun durch seine Witwe Gelegenheit gebe, die Haufen zu genießen.

Die Witwe sogar trauerte dankbar. Dankbar dafür, daß er nun tot war. Und zierlich führte sie ihr Schwänzchen an die Augen – sie waren ihr wahrhaftig feucht geworden.

 


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