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Die Ratgeber

Trübselig saß eine Henne im Sand, und blinzelte müde mit den runden Augen. Sie fühlte sich krank, mochte nicht mehr Eier legen, auch nicht spazieren, und nahm die fette Kellerassel, die der Hahn ihr bot, nicht an.

Er stand vor ihr, schön und stolz, und schüttelte seinen blutroten Kamm.

»Du hast dich überfressen,« sagte er, »faste, und morgen bist du wieder gesund.« Er muß es wissen, dachte die Henne, denn er ist der Hahn.

»Wie du meinst,« sagte sie ergeben. Sie hatte keinen Appetit, daher ließ sie die Assel sich vor dem Schnabel vorüberspazieren. Der Hahn stolzierte der Wiese zu.

Die alte Pekingente, bei der sich jung und alt Rat und Weisheit holte, hörte von dem Hahn, daß seine Lieblingshenne krank sei, und kam eilig angewatschelt, den vom Alter braunen Schnabel in die Brustfedern gedrückt.

Sie sah das Huhn durchdringend an.

»Öffne den Schnabel.« Das Huhn riß ihn auf. »Wackle mit dem Schwanz.« Das Huhn wackelte. »Plustere dich.« Das Huhn plusterte sich. »Du hast den Pips,« sagte die Ente, deren Bauch bis auf die Erde hing, bestimmt. »Äußerlich reibst du den Hals mit frischen Schnecken ein, innerlich trinkst du angemachtes Ameisenwasser. Tue, was ich dir sage, und morgen bist du wieder gesund.«

»Wie du meinst, Entenmutter,« sagte das Huhn. Es war überzeugt, daß die Ente alles wußte, denn alle glaubten an sie. Es machte sich auf die Suche nach Ameisen und Schnecken, mußte aber oft in die Furchen sitzen, denn es war recht schwach. Die Alte wackelte schnatternd davon.

Die Pute des Nachbarn, die ebenso dumm als abergläubisch war, trippelte heran, gluckte und sprach dem Huhn von einem unfehlbaren Sympathiemittel, an das sie unverbrüchlich glaubte.

»Suche drei Federn des Hahns, die er an einem Sonntag verloren hat, nimm die Schale von einem Erstlingsei, auf das die Henne nicht stolz war, und einen Engerling, der noch nichts im Magen hat, verbrenne das alles und laß den Tau darauf fallen. Die Asche wird dich heilen, so wahr ich schön bin.« Sie schritt gespreizt, sich verneigend und immerfort glucksend, davon. Das Huhn hatte seine rotgeränderten Augen aufgerissen und sich bei der Pute bedankt. Es glaubte an ihre Kunst, und fing mühsam an, die Erde nach Engerlingen zu durchwühlen.

Da kam zufällig die Hauskatze daher, die mit dem Huhn auf gutem Fuße stand, und fragte, was es da mache.

»Dummes Zeug,« sagte sie, als die Henne sie über ihre Bestrebungen aufgeklärt, »das ist alles Narretei. Daran glaubt kein kluges Huhn. Nein, in Honig gekochter Mäusedreck ist gut für dich, der hilft über Nacht.« Die gutmütige Katze strich sich den Schnurrbart und schob das entkräftete Huhn der Scheune zu. »Dort finden wir, was wir suchen,« sagte sie.

Aber an dem Scheunentor stand der Hund und lachte Huhn und Katze aus, als er hörte, was sie wollten.

»Was weiß die Katze! Die versteht nichts von Medizin,« sagte er verächtlich. »Ich hole dir den Doktor, der hilft dir sicher.« Böse lief die Katze davon, und der Hund geleitete die Kranke nach Hause.

»Wie du meinst,« sagte die Henne mit ihrer letzten Kraft. Im Hühnerhof streckte die Bedauernswerte beide Beine von sich und atmete mühsam und stoßweise.

»Sie muß besser genährt werden,« sagte eine gefräßige, grünschillernde Ente, »gebt ihr doch zu essen.« Sie stopfte so viele Regenwürmer, Käfer und Erde in den Schnabel des Huhnes, als hineingehen wollte. Das gute Tier behielt den Schnabel gleich offen, damit die Ente weniger Mühe habe. Die mußte es verstehen, einen Kranken zu nähren, denn sie fraß selber den ganzen Tag. Alle Hühner, Puten, Perlhühner und Truthähne standen im Kreis um das Huhn herum. Jedes tat sein Bestes mit guten Räten. »Wie du meinst,« sagte das Huhn zu einem jeden. Zuletzt konnte sie auch das nicht mehr sagen.

Da kollerte der Truthahn, blies sich auf, wurde rot und trommelte: »Fieber hat sie. Ihr Leib ist zu heiß, sie hat zu viel Federn,« und er und seine Henne ließen es sich angelegen sein, dem Huhn die Brustfedern auszurupfen. Es zitterte heftig, wehrte sich aber nicht und sagte nichts. Sie mußten ja wissen, was sie taten.

Da kam der Hund mit dem Doktor.

Er fühlte an der Kranken herum, sah ihr in den Schnabel, untersuchte ihr die Augen, sah nach, ob es ihr am Vermögen zum Legen fehle und wollte eben seine Verordnungen zum besten geben.

Da wurde das geduldige Huhn plötzlich wütend. Es hatte genug. Es schrie und gackerte gellend und heiser, rannte, als hätte es den Verstand verloren, im Kreise herum, sprang in die Höhe, schlug sich den Kopf an die Baumstämme, tobte und wütete, daß alle die Umstehenden entsetzt und in großer Angst zurückwichen.

»Sie ist verrückt geworden,« dachte der Hahn und ergab sich in das Schicksal, eine andere Henne zu seinem Lieblingshuhn ernennen zu müssen.

»Warum hat sie nicht getan, was ich ihr riet,« schnatterte die alte Ente erbost. Sie vertrug alles, nur nicht, daß man ihren Rat mißachtete.

»Geschieht ihr recht,« brummte der Hund, »warum holt sie den Doktor nicht und glaubt jeder dummen Katze.«

»Hätte sie Sympathie angewendet,« sagte die Pute leise zu einem Perlhuhn. »Sie wäre munter wie ein Fisch im Wasser.«

»Geschieht ihr recht, warum nahm sie alle die fetten Kellerasseln, die ihr der Hahn bot, und ließ uns keine übrig,« nickten zwei verrupfte Hühner, die keinem Hahn der Welt mehr gefallen konnten, aber doch gern Leckerbissen aßen.

»Jetzt gibt's Platz für mich,« dachte triumphierend das jüngste Huhn und machte sich in die Nähe des Hahns.

Alle sahen auf das Huhn, das noch immer wie rasend herumtobte, endlich zur Erde fiel und sich in den Stall schleppen ließ.

Dort verfiel es in einen tiefen Schlaf, schwitzte und wachte bis zum Morgen nicht auf, denn es wagte sich niemand mit Ratschlägen an das Verrückte heran. Am nächsten Tag war es wieder gesund und sagte guten Morgen.

 


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