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Eintagsfliegen

Ein paar leichtbeschwingte Fliegen summten um den schön gezapften Misthaufen im Hühnerhof herum.

Eine von ihnen, eine behäbige, wie blaues Metall glänzende Roßfliege setzte sich auf den hölzernen Zaun, der den Hof umschloß, denn es war unter ihrer Würde, sich tiefer unten niederzulassen. Sie hatte der Welt Großes geschenkt. Eine Entdeckung von Ewigkeitswert war ihr gelungen: Sie hatte die Grenze der Erde erreicht. Triumphierend sah sie sich um.

»Die ganze Welt ist nun unser,« sagte sie, und ein Schauer der Ehrfurcht machte die zarten Flügel der andern erzittern.

»Unser, im wahren Sinn des Wortes,« sagte bewundernd eine kleine, muntere Fliege. »Nach allen Richtungen haben wir sie erforscht. Sie birgt kein Geheimnis mehr für uns.« Die tausend Augen der Zuhörer richteten sich wieder auf die Roßfliege, die aber unwillig surrte, denn sie liebte es nicht wenn andere in der Mehrzahl von ihrer Entdeckung redeten.

Die muntere Fliege kratzte sich etwas verlegen mit dem dünnen Beinchen den Kopf.

»Ich sage wir, weil ich dadurch andeuten möchte, daß das Universum teilnimmt an dem Großen, das in diesen Tagen geschah. Und auch, weil wir andern es uns nicht nehmen lassen wollen, uns als einen Teil des Ganzen zu fühlen, als einen Stein am Bauwerk der Wissenschaft, als eine Staffel an der Leiter des Ruhms, deren höchste Stufe unsere glorreiche Roßfliege – es verneigten sich alle zum Zeichen des Respekts und schwirrten mit den Flügeln – erreicht hat.«

Die Gefeierte sah bescheiden mit den tausend Facetten ihrer Augen zum Himmel auf, mit der anderen Hälfte spiegelte sie im Kreis herum, ob man ihr auch allseitig die gebührende Hochachtung erweise.

Plötzlich flogen alle Anwesenden erschrocken auf, denn es nahte sich ein großer, unbekannter Fliegenschwarm. Sie setzten sich aber sogleich wieder, da die Herannahenden kamen, um dem blauglänzenden Forscher Ehre zu erweisen.

Ein gegenseitiges, höfliches Flügelrauschen, Summen und Surren erhob sich. Ein bewunderndes Auf- und Abwogen, ein Gratulieren, bescheidenes Abwehren, interessiertes Fragen, bestimmtes, sicheres Antworten. Eine grünschillernde Fliege sprach für die andern. Sie wandte sich an die Roßfliege.

»Du hast es erreicht,« begann sie. »Ohnegleichen ist dein Ruhm. Himmel und Erde sind dir kein Geheimnis mehr. Die Grenze der Welt hast du erforscht. Unter die Unsterblichen bist du aufgenommen worden.« Sie funkelte mit ihren geschliffenen Augen die Roßfliege an, die zusehends dicker, größer, blauer und haariger wurde. Alles an ihr wuchs und gleißte.

Sie surrte auf das korrekteste ihren Dank, nahm den Orden der erlösten Paradiesfliegen entgegen, und geleitete darauf die Deputation über den Misthaufen, durch den Hof, weit in den Garten hinaus. –

»Die Blaue platzt noch vor Hochmut,« sagte eine Biene, die an ihr vorüberflog. Sie kroch in eine rosafarbene Primel, blieb dort eine Weile, und kam heraus, die Füßchen voll Blütenstaub. »Was hat man davon, wenn man weiß, daß am Ende der Welt ein Berg ist, den keiner überfliegen kann?« fragte sie.

»Nichts,« sagte verächtlich ein Schmetterling, der aus der Primel saß. »Aber was hast du von deiner Arbeit?«

Verblüfft sah die Biene ihn an.

»Genug, meine ich. Die Welt bewundert uns und braucht uns. Ohne uns schritte der dürrbeinige Hunger durch das Land. Ohne uns stürbe, was Odem hat. Was ich davon habe? Dumme Frage: Wir sind die Ernährer der Welt.« Zornig schnellte sie ihren Stachel gegen den samtnen Schmetterling.

Er wiegte sich jetzt auf einer frühen Narzisse, die weiß wie er, ihr goldenes Krönchen auf der Stirne, ihren zarten Duft verbreitete.

»Arbeitstiere ihr,« sagte er verächtlich. »Ihr braucht auf euren Stand auch noch stolz zu sein. Grobes Volk, aller Schönheit bar. Wir Schmetterlinge sind der Zweck der Schöpfung. Wir sind das Schöne. Wir tragen den blauen Himmel, die bunten Blumen, die durchsichtigen Steine und den Schimmer des Goldes auf unsern Flügeln. Wir baden uns im flirrenden Sonnenstrahl und nähren uns von glitzerndem Tau. Wir leben um zu genießen. Ohne uns wäre die Welt öde, glanzlos, traurig.«

Er berührte den silberschimmernden Atlas der Narzisse mit den zarten Flügeln. Die Biene flog mürrisch summend davon, dem Garten zu, wo ihr Korb stand. Sie flog mit ihren beschwerten Füßen langsam an der blauen Roßfliege vorüber, die eben heimkehrte in der Mitte ihrer Anbeter.

»Faulenzer,« brummte die Biene.

In der Nacht kam ein Frost. Am Morgen lagen sie alle starr und steif am Boden, die Fliegen, die Biene und der Schmetterling. Auf dem Rücken lagen sie und streckten die Beine gen Himmel. – Über ihnen lächelten die Sterne.

 


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