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Das künstliche Auge

Es war einmal einer, der ein künstliches Auge hatte. Das andere war ein gewöhnliches Auge, wie es jeder Mensch besitzt.

Niemand begriff, warum der Mann Dinge sah, die kein anderer sehen konnte, und warum er oft behauptete, es sei gar nichts da, wenn es alle anderen sahen.

Es kam daher, weil er einmal mit dem natürlichen Auge die Dinge betrachtete, und ein ander Mal mit dem künstlichen Auge. Öffnete er nur letzteres, so verzerrte sich ihm alles, was er sah, und wechselte Form und Farbe.

»Maulwürfe!« höhnte er die Leute, die kopfschüttelnd behaupteten, sie begriffen gar nicht, was er sehe. Oder er lachte sie aus.

»Sie bewundern wieder, was nicht da ist!« sagte er achselzuckend.

Der Mann ging über Land. Es war ein anderer bei ihm, ein Maler mit gewöhnlichen Augen. Der mit dem künstlichen Auge hatte eine mitleidige Verachtung für ihn, der Maler fühlte sie, und es war ihm unbehaglich.

»Ewig diese grünen Bäume,« murrte der Mann, dessen künstliches Auge noch schlief. »Es wird nachgerade langweilig! Grün! Solche altmodische Farbe!« Da erwachte sein Auge.

»Donnerwetter! Sie sind ja gar nicht grün! Da ist ja alles Farbe! Glut, Feuer! Fort mit den grünen Bäumen!«

Zögernd widersprach der Maler.

»Sie sind aber doch grün.«

»So, sind sie grün?« höhnte der andere, »weil ihr Blindschleichen sie grün seht, sind sie grün, nicht wahr?«

Dem Hohn gegenüber sind die Leute feig. Darum schämte sich der Maler und bekehrte sich rasch.

»Es ist wahr, sie sind rot!« sagte er zaghaft. Er sah sie zwar nicht eigentlich rot, aber es schien ihm doch, als ob sie einen rötlichen Schimmer hätten. Und bald kamen sie ihm rot vor, dunkelrot.

Darauf malte er ein Bild mit Bäumen, die wie in Blut getaucht aussahen, und den mächtigen Strom, der sein Bild quer durchschnitt, machte er ebenfalls rot. Auch das Gras, aber dieses mehr bläulich-rot!

Im Vordergrund krochen drei Schnecken, deren Fühlhörner sich berührten.

Der Maler wußte wohl, daß das Publikum sein himbeerfarbenes Bild nicht ohne weiteres annehmen würde. Er nannte es daher: Seelenharmonie. Das würde den Leuten zu denken geben.

Das Publikum stand vor des Malers Bild und lachte. Darauf schalt es. Dann versuchte es die Seelenharmonie zu begreifen. Zuletzt schämte es sich, daß es sie nicht begriff, und als es so weit war, hatte der Maler gewonnenes Spiel. Alle Welt bewunderte die »Seelenharmonie«, und das Museum der Stadt kaufte sie. Der Maler schrieb sich die Sache hinter die Ohren.

Wieder ging der Mann mit dem Maler spazieren. Sein natürliches Auge schlief, und nur das künstliche wachte. Er betrachtete den Wald.

»Hübsch, dieser Silberton,« sagte er daher. Diesmal versuchte es der Maler nicht einmal, seinen eigenen Augen zu glauben. Er sah den Wald sofort im Silberton, ging nach Hause und schuf ein Bild. Grau alles, einförmig, nebelhaft, verschwommen. Im Vordergrund ein schmutzig grüner Sumpf, auf dem eine gelbe Dahlie schwamm. »Toter Haß« hieß das Bild im Katalog.

Drei volle Tage brauchte das Publikum, bis es sich die rote Harmonie abgewöhnt hatte, dann aber hob es mit Begeisterung den »Toten Haß« auf den Schild. Und wieder nach drei Tagen sprach die Stadt von nichts anderem. Der Maler trug einen schweren Geldsack auf die Bank.

Zum dritten Mal gingen die zwei über Land. Der Mann schloß seine beiden Augen und spitzte dafür die Ohren.

»Hören muß man die Schönheit, nicht sehen!« rief er in Ekstase, »gar nichts soll auf der Leinwand sein, damit man voll genieße, empfinde, fühle!«

Der Maler malte ein Bild, und als er fertig war, sah die Leinwand aus, als wäre sie leer.

»Ah!« rief der Mann, »ausgezeichnet! Feuchtes Holz, Moos, faules Holz! Mord! Kühle Schauer zittern über meine Haut!« Er schloß die Augen.

Das Bild wurde zwischen zwei spitzen, schwarzen Bäumen aufgehängt, Klapperschlangen [wanden] sich um die Stämme. Graue Schleier fielen in geraden Falten über die Leinwand. »Mord« stand in langen verzerrten Buchstaben auf dem Rahmen. Er hatte die Form eines Galgens.

Das Publikum kam. Keiner wagte laut zu atmen oder gar sich zu schneuzen. Man empfand das Bild, fühlte es, nahm es auf.

»Ah!« seufzten alle. Ihre Seelen gingen auf den Fußspitzen. Ohne Gänsehaut ging keiner aus dem Saal.

Der Mann und der Maler saßen auf einer der Ruhebänke. Der Mann mit dem künstlichen Auge hielt sein natürliches Auge geschlossen, und der Maler alle beide.

»Wie schwer er an seinem Bilde trägt,« sagten die Leute und betrachteten sein blasses Gesicht.

Da kam ein Fremder zur Tür herein, mit blauen Augen und klarem Blick. Erstaunt betrachtete er den Maler, das Publikum und das Bild. Dann lachte er, laut und herzlich. Von dem Lachen zerrissen die Schleier vor dem Bild, und man sah plötzlich, daß die Leinwand leer war, leer und öde. Da fingen die Leute an sich zu räuspern, zu schneuzen, zu schwatzen und zu husten. Man konnte ordentlich hören, wie ihnen die Augen aufgingen.

Sie scharten sich um den Maler. »Hinaus!« schrie die Menge zornig.

Der Mann mit dem künstlichen Auge war schon fort. »Warte es ab,« sagte er zu ihm, »deine Zeit wird wieder kommen.« Da verkroch sich das Auge so, daß gar nichts mehr von ihm zu sehen war. –

 


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