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Am andern Morgen fiel mir beim Frühstück die triumphierende Miene Marjas auf, mit der sie uns bediente.
Aber da sie stumm blieb, wie fast immer, konnte ich nicht herausbekommen, was wohl die Ursache dieser kaum unterdrückten Freude war.
Freude verschönt, sagt man; bei Marja war das nun nicht gerade der Fall. Ihr grobes Gesicht strahlte zwar, die scharfen Augen hatten aber zugleich etwas so Giftiges und Gehässiges, besonders wenn sie mich mit ihren Blicken streifte, daß ich zu der festen Ueberzeugung kam, der »edle Götterfunken« sei auch imstande, ein recht unedles Feuer zu entzünden. Was mochte sie haben?
Sobald ich mit Lotti allein war, suchte ich zu erfahren, ob sie von dem Vorhandensein eines unterirdischen Ganges etwas wußte. Ich fragte sie, ob ihr erster Gatte nichts von alten Histörchen und Sagen gewußt habe, die sich an diesen livländischen Familiensitz knüpften, von alten Gewölben und dergleichen.
Lotti lachte.
Irgendwelche alte Gewölbe müssen wohl existiert haben, sagte sie; ich erinnere mich, es war die Rede davon, daß Erwins Großvater sie habe zum Teil zuschütten lassen.
Ich horchte auf; das bezog sich auf den Brunnenschacht.
Der Rottmerhof ist unveräußerlich?
Ja, leider; ich hätte ihn sonst nach Erwins Tode verkauft.
Hattest du Gelegenheit dazu?
Ja, es wurde mir sogar ganz unverhältnismäßig viel dafür geboten; es schien dem Käufer sehr viel an dem alten Rumpelkasten zu liegen.
Wann war das?
O, ich weiß nicht genau, es war, wie ich in Genf lebte – doch, ich erinnere mich jetzt, es war kurz bevor ich Sascha kennen lernte.
Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf.
Was war denn das für ein seltsamer Kauz, der so viel für das alte Haus geben wollte? Hier aus der Stadt?
Nein, er schrieb aus Moskau.
Ich schwieg und sah Lotti nachdenklich an. War es ihr nie aufgefallen, daß diesem Liebhaber für den Rottmerhof so bald ein Liebhaber ihrer eigenen Person, der Besitzerin des Rottmerhofs, aus derselben Stadt gefolgt war? Dann fiel mir ein, daß Herr von Löwen wohl schon längere Jahre von Moskau fort war, als sie ihn kennen lernte.
Bist du eigentlich bei den Verwandten deines Mannes in Moskau gewesen?
Nein.
Das kam so zögernd, und dabei sah sie mich so sonderbar an; hatte ich einen Gedanken in ihr geweckt, der sie nun beschäftigte? Dann schüttelte sie sorglos den Kopf und sagte:
Nein, ich kenne niemand von Saschas Familie. Sein älterer Bruder, Stepan, der die Fabrik leitet, ist verheiratet; andere Geschwister hat er nicht. Aber eben die Familie dieses Bruders hätte ich gern kennen gelernt. Ich hab's auch Sascha schon gesagt; es kommt mir fast so vor, als sei seine Familie mit unserer Heirat nicht ganz einverstanden gewesen. Aber ich wüßte doch nicht, weshalb?
Sie unterbrach sich und horchte; ich war schon aufgesprungen und an das Fenster geeilt.
In der Ulmenallee vor der Gartenpforte hielt ein Wagen, dem zwei Herren entstiegen waren, von dem laut bellenden Hund in tollen Sprüngen umkreist. Petruschka und Marja hasteten ihnen aufgeregt entgegen.
Da stand Lotti neben mir –
Sascha, es ist Sascha!
Und Bredow –! staunte sie, faßte Kolja, den unser lautes Gebaren vom Vorsaal hereingelockt hatte, an der Hand, und lief mit ihm in die Halle hinunter.
Bredow?
Mir klopfte das Herz. Der Name war garnicht gefallen zwischen Lotti und mir. Ich weiß selbst nicht, was mich davon zurückgehalten hatte, ihr zu erzählen, daß ich ihn in Dünaburg gesehen. Vielleicht fürchtete ich ihre oft vielsagenden Augen, und meine törichte Neigung, bei den unpassendsten Gelegenheiten zu erröten. Wie kam er jetzt hierher?
Ich blieb am Fenster stehen und sah den Ankömmlingen mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Der eine der beiden Herren, in dem ich nach der Photographie sofort Herrn von Löwen erkannte, eilte gefolgt von Marja mit raschen Schritten auf das Haus zu und verschwand gleich darauf in der Haustür. Ich hörte lebhafte Ausrufe und Lottis lachende Stimme. Und der andere, der da langsam durch den Vorgarten kam, – groß, blond und breitschultrig, ja, das war er! Das war Werner Bredow. Seine leuchtenden Augen flogen musternd über das alte Haus, und als er mich sah, blieb er stehen und schwenkte grüßend den Hut. Er hatte mich erkannt, und er schien sich zu freuen, und doch, nie war es mir mehr zum Bewußtsein gekommen als jetzt, daß ich im Rottmerhof ein unwillkommener Eindringling war.
Lieber Sascha, sagte Lotti mit ihrer glücklichen Harmlosigkeit, das ist meine allerbeste Hannah, die ich mir erst erkämpfen mußte, du böser, alter Haustyrann! Aber lerne sie nur erst kennen ...
Ich unterbrach sie durch eine unwillkürlich abweisende Handbewegung, während Herr von Löwen zögernd auf mich zutrat; sein mageres, bartloses Gesicht war blaß, mit tiefen Schatten unter den ruhelosen Augen.
Die Freundin meiner Frau – er stockte ein wenig – ist mir selbstverständlich willkommen.
Aber den Worten widersprach ein feindseliger Blick, den er, trotz aller Selbstbeherrschung nicht zu unterdrücken vermochte.
Lotti lächelte mir zu; sie schien sehr befriedigt.
Fräulein Lassen, hier ist noch jemand, der Sie begrüßen möchte, sagte eine tiefe Stimme neben mir.
Ich wandte mich um. Vor mir stand Werner Bredow, der mir sogleich kräftig die Hand schüttelte. Freudig sah ich zu ihm auf, auch ein wenig erwartungsvoll. Ja, er freute sich, mich zu sehen, darüber konnte ich mich nicht täuschen! Aber schien er mir in diesem Augenblicke nicht verändert? Oder waren es nur seine Augen, die mir seltsam ernst vorkamen und nicht zu der gewöhnlichen heiteren Ruhe seines Wesens passen wollten?
Sind Sie garnicht überrascht, Herr Doktor, mich hier zu finden?
Ich wußte durch Sascha, durch meinen Freund Löwen, daß ich Sie hier treffen würde. Das hätte ich mir aber bei meiner Mutter Grete nicht träumen lassen!
Er scherzte noch mehr und schlug dabei einen heiteren Ton an, aber es war mir, als käme das heute den blonden Riesen merkwürdig sauer an. Was hatte er nur?
Noch lange, nachdem wir alle das Zimmer verlassen hatten, die Herren, um den Reisestaub abzuschütteln, ich um in den Garten zu gehen, mußte ich darüber nachgrübeln. Was hatte ich von ihm zu halten? Er war der Held meiner Jugendträume, ja, das leugnete ich mir nicht! Aber was wußte ich sonst von ihm? Da Herr von Löwen ihn selbst mitbrachte, mußte er ihn nicht zu fürchten haben. Also ein Mitwisser? Ein Helfer vielleicht bei dem unterirdischen Werke? Nein, das konnte und das wollte ich nicht glauben! Was sollte ich tun; wie mich jetzt verhalten? zu Herrn von Löwen gehen und ihm sagen, das und das habe ich entdeckt, es sieht mir verdächtig aus, ich bestehe im Interesse meiner Freundin auf eine glaubwürdige Erklärung, andernfalls ich es für meine Pflicht halten würde, Lotti zu verständigen? Und wenn er mir dann Lügen auftischte, oder mir das Hierbleiben unmöglich machte und Lotti ganz schutzlos in seinen Händen war?
Ich beschloß zu schweigen und zu warten. Was konnte ich Besseres tun? Vielleicht war mir das Glück günstig, und ich fand eine unbeachtete Stunde, um den Artikel über das Kloster Am Stein nachzulesen, der mich so sehr interessierte, weil ich bestimmt hoffte, durch ihn über die geheimen Pläne Löwens aufgeklärt zu werden.
Langsam war ich den schmalen Pfad im Gebüsch zurückgewandert, der am östlichen Flügel endete; dort hatte ich neulich, unmittelbar an der Hausecke, ein erhöhtes Plätzchen entdeckt, einen schmalen Altan, zu dem ein verfallenes Steintreppchen hinaufführte. Rasch kletterte ich die moosigen Stufen hinauf und ließ mich auf der Brüstung nieder. Von hier konnte man weit über die Ebene sehen, die im Mittagsglanz lag; rechts stiegen hinter den Ulmen der Allee und den Parkbäumen die schloßartigen Umrisse des Museums auf, des früheren Klosters. Ich sah erst jetzt, wie nahe es dem Rottmerhof lag.
Indem ich den Kopf an die moosigen Quadersteine hinter mir lehnte, überließ ich mich meinen Träumereien. Plötzlich schrak ich auf, ich hörte eine Tür gehen, und Herr von Löwens Stimme drang deutlich an mein Ohr. Er mußte in das Zimmer getreten sein, dessen offenes Fenster dicht neben mir war.
»Nein, nein, es steht zu viel auf dem Spiel; das wage ich nicht. Fräulein Lassen sieht mir sehr willensstark aus. Was dann, wenn sie nach der Polizei schreit?«
Ich sprang auf und räusperte mich laut. Rasche Schritte näherten sich dem Fenster, dann drang ein starker Zigarettenrauch zu mir; ich hob den Kopf und sah trotzig zur Seite. Der blonde Gast des Herrn von Löwen lehnte weit über die Brüstung, sandte kunstvolle Rauchringe in die Luft, und sah anscheinend völlig gemütsruhig zu mir herüber. Ich zitterte vor Aufregung und Aerger, aber er schien das garnicht zu bemerken; er plauderte harmlos über dies und jenes, ohne meine Schweigsamkeit bemerken zu wollen.
Endlich warf er seine Zigarette fort, strich sich nachdenklich über den spitzen Vollbart und sah mich prüfend von der Seite an.
Sie scheinen erregt, Fräulein Lassen?
Natürlich! Können Sie sich nicht denken, wie peinlich es mir sein muß, von Herrn von Löwen für eine Horcherin gehalten zu werden!
Ich werde ihn sofort aufklären.
Aber – ich habe alles verstanden, was Herr von Löwen gesagt hat; er sprach so laut, und ...
Sie haben recht; eine schlechte Angewohnheit von ihm.
Besonders wenn ...
Bitte, fahren Sie fort, wenn?
Wenn das, was man sagt, nicht für jedermanns Ohren ist. Für meine ganz speziell nicht!
Ich bekam nicht gleich eine Antwort. Bredow räusperte sich, öffnete umständlich seine Zigarettendose, ohne hineinzugreifen, schloß sie wieder und steckte sie bedächtig fort. Dann zuckte er die Achseln und sagte möglichst gleichgültig: Ich erinnere mich wirklich nicht mehr.
Ich war empört!
O, Sie wissen ganz genau, was ich meine; Sie sprachen doch von mir!
Jetzt versuchte er ein harmloses Lächeln.
Von Ihnen – aber natürlich! Und lag das nicht sehr nahe? Wir haben uns so lange nicht gesehen; die Freude, ja wirklich die große Freude über das Wiedersehen – können Sie mir verdenken, wenn ich mich darüber äußerte?
Geben Sie sich keine Mühe, unterbrach ich zornig seine wortreiche Erwiderung; von Ihnen habe ich überhaupt kein Wort gehört. Aber bitte, lassen Sie uns nicht mehr davon sprechen.
Ich neigte kurz den Kopf und eilte ins Haus. Es war mir nicht möglich, Gleichgültiges mit ihm zu reden, wo die Worte Löwens und Bredows zweifelhaftes Verhalten mich so unruhig und unglücklich machten. Ach, warum war er nicht offen! Er war mißtrauisch gegen mich, wo es seinem Freunde gegenüber besser angebracht gewesen wäre, diesem seltsamen Menschen, der, – ein neuer Beweis für meine Befürchtungen – augenscheinlich die Polizei zu fürchten hatte. Und wie würde sich Löwen jetzt mir gegenüber stellen? Würde er mich nicht doch für eine Spionin halten, die unter den Fenstern horchte? Das war ein Gedanke, der meinem Stolz eine harte Wunde schlug.
Nach dem Mittagessen, das in dem großen Saal im andern Flügel, jenseits der Halle, eingenommen wurde, zog ich Lotti beiseite. Ich hatte mich während der peinlichen Stunden an der Tafel entschlossen, die Frage meines Bleibens ganz nach Lottis Wünschen zu entscheiden, wenn auch meine Empfindlichkeit nur schwer die demütigende Situation von vorhin verwinden konnte, wiewohl die beiden Herren, das mußte ich mir gestehen, mich durch ihr Benehmen nicht im geringsten daran erinnerten. Vielmehr wollte es mir so scheinen, als sei im Wesen Herrn von Löwens mir gegenüber eine Wandlung eingetreten; er schien mir von einer ganz unbefangenen Höflichkeit.
Lotti, fing ich an, ich bin dir nun entbehrlich geworden, liebes Herz; laß mich morgen wieder in meine Wohnung zurückgehen.
Sie sah mich groß an.
Das wirst du mir nicht antun! Du bist mir zuliebe gekommen; soll ich glauben, daß mein Mann dich zum Dank aus dem Hause treibt? Fühlst du dich durch sein Benehmen verletzt? Liebste, er ist immer wortkarg; oft fast finster. Ich habe ihm gesagt, wie ich gelitten, ehe deine Ruhe und Besonnenheit mich beruhigt hatten. Wie er es nur dir verdankt, wenn seine kleine Frau eingesehen hat, wie sehr unnötig sie sich geängstigt hat; wenn sie nicht mehr in Todesangst schwebt, sowie der Wind den alten Bau rüttelt und ihre eigenen Nerven ihr böse Streiche spielen!
Du hast ihm das gesagt?
Lotti nickte; und ich dachte: Nun weiß man, woher Herrn von Löwens größere Freundlichkeit stammt.
Das ist alles gut und schön, meine Lotti, aber meine Schule beginnt in wenig Tagen, und ich wollte mich noch etwas vorbereiten.
Aber kannst du das nicht auch hier? bat Lotti beweglich.
Du wünschest es wirklich, wiewohl dein Gatte jetzt hier ist?
Trotzdem, sehr, sehr! Du bleibst?
Ich nickte; es war entschieden, und ich empfand eine große Erleichterung darüber.
Natürlich, es war doch auch eigentlich meine Pflicht, sie nicht zu verlassen, solange meine Befürchtungen wegen der geheimnisvollen Vorgänge im Rottmerhof nicht zerstreut waren.