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Drittes Kapitel.

Als ich am andern Morgen erwachte, war das große Zimmer ganz von einem lichten, warmen Goldton erfüllt, und unter den schweren Falten der gelblichen Vorhänge hervor schoß es in leuchtenden Bändern weit über den tiefroten Teppich, der den Boden bedeckte.

Lottis Erzählung in der vergangenen Nacht lag wie ein schwerer, wirrer Traum hinter mir; ich wußte jetzt, wie meine ängstliche kleine Freundin unter all diesen geheimnisvollen Vorkommnissen litt, und ich beschloß, nicht eher nachzulassen, als bis es mir gelungen war, das Rätsel des Rottmerhofs zu lösen.

Es war, als sei der Sommer noch einmal zurückgekehrt, als wir bei weit offenen Fenstern im Erker des Wohnzimmers unsern Kaffee tranken. Der Himmel war tiefblau, und die Sonne warm und strahlend und nur die rote Färbung der Ulmenblätter in der Allee und der Teppich des bunten Laubes auf den Wegen erinnerten an die Herrschaft des Herbstes.

Frau Marja hatte ein sehr erstauntes Gesicht gemacht, als sie Lotti angekleidet an Nicolais Bettchen fand; aber ich hatte meiner Freundin zugeredet, falls sie sich wohl genug fühlte, die Komödie ihrer Erkrankung nicht weiter zu spielen; ich sagte ihr offen, daß ich es würde richtiger gefunden haben, wenn sie einfach von ihrer Autorität Gebrauch gemacht hätte – einem bestimmten Befehle würden selbst diese beiden recht eigenmächtigen Perlen sich doch wohl nicht widersetzt haben.

In gewisser Hinsicht aber war Lotti wirklich krank, und ihre Mut- und Energielosigkeit nur eine Folge davon. Ihr ganzes Nervensystem schien erschüttert, aber ich hoffte, daß frische Luft und Bewegung ihr guttun würden. Zunächst waren ja weitere Spaziergänge ausgeschlossen, da Lottis Fuß noch immer schwach war, aber wir planten eine weite Ausfahrt mit Kolja, und es machte mir viel Freude, zu sehen, wie die blassen Wangen meiner Freundin sich leise röteten, wie ihre matten Augen einen fröhlichen Glanz bekamen. Ich war entschlossen, mit allen Kräften zu verhindern, daß Lotti noch tiefer in ihre gefährliche Gemütsdepression versank.

Ueber meine Bedenken ihrem Gatten gegenüber wollte ich mich, aus Liebe zu ihr, hinwegsetzen; schließlich, da er seine kleine Frau lieb hatte, konnte es ihm doch nur recht sein, wenn ich zu ihrer Genesung beitrug. Auch hatte Lotti mir versprochen, mit einem Bericht über meinen Besuch nicht zu zögern.

Sie hatte ein großes Kabinettbild ihres Mannes, das in einem schweren Bronzerahmen auf ihrem Schreibtisch stand, herbeigeholt und mir voller Stolz gezeigt. Es war ein schöner, edler Kopf, der mir von dem dunklen Hintergrund entgegensah, ein mageres Gesicht mit großen ausdrucksvollen Augen, eine hohe Denkerstirn, ein feiner Mund; ein Gesicht, das mehr Intelligenz ausdrückte, als Kraft und Willen. Dazu ein fast schwermütiger Ernst.

Ja, er ist meist ernst, antwortete Lotti auf meine Frage, aber er kann auch sehr, sehr ausgelassen sein, du würdest es kaum glauben.

Und sie erzählte allerhand Lustiges aus ihrem gemeinsamen Aufenthalt in Genf.

So genossen wir fröhlich diese sonnige Morgenstunde und freuten uns über Kolja, der sich nach Art aufgeweckter Knaben das versprochene Vergnügen der kleinen Landpartie in immer glühenderen Farben ausmalte und uns mit seinen drolligen Fragen in Atem hielt. Nachdem wir seine ausschweifendsten Erwartungen ein wenig gedämpft hatten, wurde zum Aufbruch gerüstet.

Während Lotti noch einige hausfrauliche Pflichten zu erledigen hatte, beschloß ich, in den Garten zu gehen. Ich durchschritt den Vorsaal und trat auf die Galerie hinaus, von der eine breite Treppe in die mächtige Halle herunterführte. Dieser riesige Raum machte bei vollem Licht einen viel großartigeren Eindruck, als man dem alten Kasten von außen zugetraut haben würde. Das schwere, geschnitzte Eichengeländer der breiten Treppe lief in ein paar massige Pfosten aus, die schmiedeiserne Laternen von anscheinend großem Kunstwert trugen. An den Wänden hohe, altersbraune Holztäfelung, darüber an schlicht grau getünchten Flächen mächtige Geweihe, an der Decke fast schwarzes Eichengebälk. Ueber die roten Steine des unebenen Fußbodens liefen dicke Läufer; vor dem unförmlichen, weit in den Raum ragenden Kamin lag das große Fell eines schwarzen Bären. Das Ganze wirkte äußerst stimmungsvoll, aber zugleich schien diese uralte Halle von unbestimmter Traurigkeit erfüllt.

Dem schweren Eingangstor der Vorderseite gegenüber führte eine Hintertür ins Freie. Es war ein äußerst malerischer alter Garten, der sich hier meinen Blicken bot, mit dickstämmigen Eichen und Birken und üppigen, völlig verwilderten Bosketts. Die Wege bemoost, die Rasenflächen Wiesen gleichend, statt der Blumenbeete ganze Flächen wurzelechter Rosen, von denen noch jetzt einige gloire de Dijon die schweren, duftenden Blüten in dem Herbstsonnenschein badeten. Ich wanderte selbstvergessen in diese glühende Farbenpracht hinein, denn die alten Eichen trugen noch stolz ihren vollen Blätterschmuck in den goldhellen und purpurnen Farben des Herbstes. Als ich mich dann zum Hause zurückwandte, erschrak ich fast, so düster und drohend ragte der Rottmerhof vor mir auf. Uralter, schmalblättriger Efeu bedeckte die Mauern und hing von allen Vorsprüngen und Kanten in wirren Massen herab. Die Fenster des Erdgeschosses waren wie die der Vorderfront fest geschlossen und mit Läden verwahrt.

Während ich mich noch umsah, öffnete sich die Hintertür, und ein alter Mann trat heraus, gewiß der Haustyrann, um dessentwillen mich Frau Marja gestern abend auf heimlichen Wegen ins Haus geschmuggelt hatte. Die Frau hatte heute morgen so verkniffen ausgesehen – der alte Herr war vermutlich sehr unangenehm geworden. Er sollte finden, daß er mir nicht imponierte.

Er grüßte kurz und mürrisch und sah mir mit einem aufmerksamen Forschen in das Gesicht, wenn auch nicht gerade frech, aber doch ziemlich befremdlich für einen Dienstboten. Er hatte ein graues, faltiges, sehr knochiges Gesicht, eine große krummgebogene Nase, die fast über den schmallippigen Mund hing, einen kurzen, struppigen Bart um das breite Kinn und tiefliegende, ungemein finstere Augen. Der Bart und das borstige Haar waren grau und äußerst ungepflegt. Ueber dem roten russischen Hemd trug der Mann eine halblange graugrüne Joppe von grobem Stoff. Ich sah ihn möglichst unbefangen an.

Sie sind Gärtner hier bei Frau von Löwen?

Bei Herrn von Löwen.

Nun, das ist wohl einerlei; übrigens gehört der Rottmerhof, soviel ich weiß, meiner Freundin.

Er warf mir einen feindseligen Blick zu, schwieg aber. Ich hatte das deutliche Empfinden, daß der Alte nicht ohne Absicht mir in den Weg getreten war, und ich sollte mich nicht irren. Ohne seine Augen von meinem Gesicht zu nehmen, sagte er plötzlich:

Denken Fräulein längere Zeit im Rottmerhof zu bleiben?

Er sprach in dem harten Deutsch des eingeborenen Deutsch-Russen.

Das kommt darauf an, antwortete ich. Jedenfalls solange meine Freundin mich braucht. – Ich finde übrigens die Frage von Ihrer Seite nicht sehr angemessen.

Nun, wenn Fräulein es für angemessen hielten, gestern abend heimlich ins Haus zu dringen, so darf ich mir auch wohl erlauben ...

Ich war ärgerlich und fühlte, wie mich die Röte überflog. Das hatte ich nun davon, daß ich der alten Marja auf ihren Schleichwegen gefolgt war.

Das ist nicht meine Schuld, antwortete ich abweisend. Glauben Sie nur ja nicht, daß ich mich gescheut hätte, den direktesten Weg zu gehen! Welchen Grund hätte ich wohl gehabt, mich zu verstecken –?

Nun, da Sie gegen den Willen des Hausherren kamen –

Ich unterbrach ihn ziemlich aufgebracht:

Zunächst wußte ich das gestern noch nicht! Ob ich aber nicht trotzdem dem Rufe meiner Freundin gefolgt wäre, geht Sie nichts an. Und dann, da er verreist war, wäre diese Vorsicht doch überflüssig gewesen.

Ja, aber ich war da! Da ist nichts zu lachen, Fräulein; ich bin hier an Stelle des Herren. Sein Hausverwalter, sein Vertreter. Und das weiß die gnädige Frau sehr gut!

Nun, sagte ich scharf, die gnädige Frau wird vor allen Dingen wohl selbst wissen, was sie zu tun und zu lassen hat, mein Lieber.

Damit wollte ich ihm den Rücken kehren, aber er ließ es nicht dazu kommen, er stand plötzlich dicht vor mir und sagte dringend, als habe er meine Zurechtweisung garnicht verstanden und folge nur seinem eigenen Gedankengange:

Aber nun Sie wissen, Fräulein, wie mein Herr denkt, werden Sie doch ...

Ja, gewiß, ich werde bleiben, solange meine Freundin das wünscht! Lebt Frau von Löwen hier im Gefängnisse? Es ist die höchste Zeit für sie, sich dieser unwürdigen Bevormundung zu entziehen.

Sein knochiges Gesicht färbte sich mit einer fahlen Röte, und seine kleinen Augen funkelten wie die einer gereizten Bulldogge.

Mein Herr will aber nicht, stieß er jetzt wie fauchend heraus, daß auf dem Rottmerhof Hausbesuch ist!

Wirklich? Ich bin nicht sein Gast.

Der Herr hat es uns streng verboten ...

Uns? Ihnen? Sie meinen der gnädigen Frau, denn ich wüßte nicht, was Sie –

Doch, es geht mich auch an. Mich und die Marja.

Er sagte das so ruhig diesmal, in durchaus gemäßigtem Ton, daß ich die heftige Zurechtweisung, die ich auf den Lippen hatte, unterdrückte.

Möchten Sie mir das erklären?

Er räusperte sich.

Ich bin eigentlich nicht befugt dazu, aber unter einer Bedingung – ich muß mich dem Fräulein doch verständlich machen; also, wenn Fräulein der gnädigen Frau nicht darüber sprechen will?

Ich nickte.

Die gnädige Frau ist gemütsleidend.

Ich erschrak. Sprach er die Wahrheit? Waren die Beängstigungen der Aermsten nichts wie Auswüchse einer krankhaften Phantasie? Ich wußte, wie schwer es für einen Laien ist, zu unterscheiden was wahr ist und was eingebildet und krankhaft. Das seltsame Geräusch hatte ich ja selbst gehört, aber wer sagte mir, daß es nicht doch auf die einfachste Weise zu erklären war? Sollte er recht haben, dieser finstere alte Mann, und waren er und Marja nur die bestellten Wärter einer Kranken? Dann freilich war es meine Pflicht, den Anordnungen des fernen Gatten nachzukommen.

Werden Fräulein heute wieder fortgehen?

War es das Dringliche der suggestiven Frage, oder war es sonst etwas in dem Ton, ich kann es nicht sagen, aber es machte mich plötzlich wieder stutzig, so daß ich mit neu erwachtem Mißtrauen sein Auge suchte. Er war auf seiner Hut; ich sah nichts als finsteren Ernst und eine besorgte Bitte, wie sie den angegebenen Tatsachen entsprechen konnte. Und doch, so leicht sollte er mich nicht überzeugen.

Ich kann nicht glauben, daß Frau von Löwen gemütskrank sein soll.

Würde das Fräulein meinem Herren Glauben schenken?

Das – müßte ich.

So werde ich meinen Herren bitten, mir für das Fräulein ein paar Zeilen beizulegen und mein Vorgehen Ihnen gegenüber zu rechtfertigen.

Ich nickte stumm; ich wußte nicht, was ich dem entgegensetzen sollte. Es klang verständig, fast überzeugend, ich mußte es mir zugeben; und doch – mehr wie je – ich glaubte ihm nicht!

Ich nahm mir vor, die Augen offenzuhalten, solange ich noch hier war und auch Lotti scharf zu beobachten. Dann fiel mir etwas ein –

Was ist das für ein seltsames Geräusch? fragte ich und sah ihm voll ins Gesicht – ein Geräusch, das ich vorige Nacht hörte?

Diesmal merkte ich doch eine leichte Verwirrung in seinen Zügen. Seine roten Augenlider zwinkerten unsicher und er sah zur Seite.

Diese Nacht? Er zuckte die Achseln. Ich weiß nicht, was Fräulein meinen.

Das wissen Sie sehr gut, da die gnädige Frau sich auch schon darüber beklagt hat, sagte ich schnell.

Ach, so, Sie meinen – ja, ich weiß schon, die gnädige Frau hört es nachts.

Sollen das etwa auch Symptome ihrer Erkrankung sein? warf ich scharf ein. Dann kann ich Sie darüber beruhigen. Ich sehe nicht krank aus, nicht wahr? Und ich habe das Geräusch genau so deutlich, wie meine Freundin gehört.

Wenn ich gehofft hatte, ihn in Verwirrung zu bringen, so sah ich mich getäuscht.

Er maß mich mit einem ruhigen Blick und sagte dann:

Das müßte dann der Wind gewesen sein in den alten Kaminen.

Diese Nacht war kein Wind.

O, das braucht nicht stürmisch zu sein; und geweht hat es doch, so um zwölf herum und später. Sowie etwas Luft geht, seufzt und stöhnt es in solch alten Kaminen.

Aber warum immer nur nachts?

Nun, am Tage ist es wohl nicht still genug, um es zu hören.

Aber wenn dies Geräusch so leicht erklärlich und Ihnen allen bekannt scheint, warum wird es dann von Herrn von Löwen und Marja meiner Freundin gegenüber abgeleugnet? Ein sonderbares Beginnen einer vermeintlich Kranken gegenüber!

Ich habe nicht gesagt, daß andere als Frau von Löwen es gehört hätten.

Wie erklären Sie sich denn das?

Eigentlich garnicht. Wir nahmen an, daß die gnädige Frau es sich in der Hauptsache eingebildet hätte.

Ich dächte, das wäre nun erledigt, da ich das Geräusch doch auch gehört habe.

Jetzt zum ersten Male verließ ihn für einen Augenblick die Ruhe, sein Gesicht verzerrte sich, er stöhnte. Als ich einen Schritt zurückwich, hob er die Hand an die faltige Wange und sagte entschuldigend:

Fräulein verzeihen, ich leide an Zahnschmerzen.

Also, fuhr ich fort, ohne mich beirren zu lassen, wenn ich Sie recht verstanden habe, müßte dies sonderbare Geräusch tatsächlich nur im Schlafzimmer meiner Freundin zu hören sein, nicht wahr?

Dem wird wohl so sein.

Denn sonst wäre es doch sehr sonderbar, und kaum zu glauben, daß die übrigen Hausbewohner nie etwas davon gehört haben sollten.

Er schwieg mürrisch.

Uebrigens befindet sich in Frau von Löwens Schlafzimmer überhaupt kein Kamin.

Nein, gab er ruhig zurück; er ist zugemauert worden, als man die Füllöfen setzte.

Das klang nicht unwahrscheinlich. War es aber so, wie der Alte behauptete, so konnte Lotti damals in der Halle, als sie zusammengebrochen war, das Geräusch nicht gehört haben. Sollte sie sich doch geirrt haben? Und war Lotti krank? Ich dachte daran, einen Arzt zu konsultieren, aber war ich dazu befugt in Abwesenheit des Gatten? Ich seufzte und wandte mich zu Petruschka.

Meine Freundin hat mich gebeten, bei ihr zu bleiben; sie ängstigt sich. Gerade wenn sie krank ist, muß diese Angst schädlich für sie sein; jedoch dem Willen Herrn von Löwens kann ich mich dann nicht mehr widersetzen. Bringen Sie mir eine direkte Bestätigung Ihres Herren für das, was Sie behauptet haben und ich gehe. Solange bleibe ich hier.

Er nickte, und ich ging ins Haus zurück. Im Flur erhob sich der große Bernhardiner, den wir in der Nacht getroffen hatten, schwerfällig von seinem Lager in der Ecke und kam freudig wedelnd auf mich zu.

Ich rief ihn freundlich an und ließ ihn nahe herankommen, dann streckte ich die Hand aus und klopfte freundschaftlich seinen breiten Rücken; damit war unsere Bekanntschaft geschlossen, und nie, auch bei den seltsamsten, nächtlichen Begegnungen nicht, die wir noch in der folgenden Zeit haben sollten, hat das verständige Tier sich mir in irgendeiner Weise hinderlich gezeigt.

Der Tag verlief so heiter, wie wir es uns vorgenommen hatten. Wir fuhren durch den herbstlichen Wald und über die braune Heide, und frischer Wind und warmer Sonnenschein zauberten gar bald rote Rosen auf die blassen Wangen von Mutter und Sohn.

In der folgenden Nacht, als Lotti schlief, ging ich leise ans Fenster und sah hinaus. Die Blätter der großen Eiche dicht vor unsern Fenstern hingen regungslos im Mondlicht; kein Lüftchen regte sich. In dieser Nacht blieb alles still, kein Laut störte unsere Ruhe.


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